Leitsatz (redaktionell)
Die Frage, ob in den anerkannten Schädigungsfolgen eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des BVG § 62 eingetreten ist und deshalb der Kostenersatz für außerordentlichen Kleider- und Wäscheverschleiß entzogen werden kann, ist nur dann rechtserheblich, wenn die anerkannte Schädigungsfolge selbst Grundlage der Gewährung dieses Kostenersatzes war. War aber nicht die anerkannte Schädigungsfolge, sondern ein bestimmter anderer tatsächlicher Umstand - hier das Tragen eines Stützapparates - die Grundlage für die Gewährung des Pauschbetrages iS des BVG § 13 Abs 5 aF, so kommt es bei der Beurteilung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse iS des BVG § 62 allein darauf an, ob diese anderen tatsächlichen Umstände sich wesentlich geändert haben.
Normenkette
BVG § 62 Abs. 1 Fassung: 1964-02-21, § 13 Abs. 5 Fassung: 1964-02-21
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Oktober 1967 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Bei dem Kläger waren mit Umanerkennungsbescheid vom 10. Mai 1952 als Schädigungsfolge mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. anerkannt: "Versteifung des rechten Kniegelenkes, Streckstellung mit Verkürzung des Beines um 3 cm nach Schußverletzung". Da der Kläger eine doppelseitige Unterschenkelschiene mit Schuhbügel für das rechte Bein trug, gewährte ihm die Versorgungsbehörde mit Bescheid vom 22. September 1954 einen Pauschbetrag für erhöhten Kleidermehrverschleiß. Dem Kläger wurde wegen nichtschädigungsbedingter Durchblutungsstörungen im Oktober 1962 das rechte Bein am Oberschenkel amputiert. Daraufhin erteilte die Versorgungsbehörde den Bescheid vom 25. Februar 1964 und bezeichnete die Schädigungsfolgen nunmehr mit
"Versteifung des rechten Kniegelenkes, Streckstellung mit Verkürzung des Beines um 3 cm bei später nichtschädigungsbedingtem Verlust des rechten Beines im Oberschenkel".
Die MdE bezeichnete sie weiterhin mit 50 v. H.. Mit Bescheid vom 2. Dezember 1965 entzog sie ihm mit Ablauf des Monats Januar 1966 den für Kleider- und Wäschemehrverschleiß gewährten Pauschbetrag, weil der Kläger nicht mehr genötigt sei, eine doppelseitige Unterschenkelschiene am rechten Bein zu tragen. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 4. März 1966). Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 29. September 1966 den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 2. Dezember 1965 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. März 1966 verurteilt, dem Kläger über den 31. Januar 1966 hinaus eine Kleiderverschleißzulage für Träger einer Unterschenkelschiene mit Schuhbügel zu gewähren. Es hat die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 25. Oktober 1967 auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG Dortmund vom 29. September 1966 abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, nach der Amputation des rechten Beines habe der Kläger keinen Stützapparat mehr getragen, weil dies nicht mehr erforderlich und auch nicht mehr möglich gewesen sei. Somit sei in den Verhältnissen, die für die Feststellung des Anspruchs auf Versorgung im Sinne des § 9 Ziffer 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) maßgebend gewesen seien, eine wesentliche Änderung eingetreten, so daß der Beklagte nach § 62 Abs. 1 BVG berechtigt gewesen sei, den Anspruch neu festzustellen. Das Tragen des Stützapparates sei im Zeitpunkt der Zuerkennung des Pauschbetrages und auch nach den jetzigen Vorschriften des § 13 Abs. 1 Ziffer 21 der Verordnung zur Durchführung des § 13 BVG idF vom 30. Oktober 1964 (BGBl I 835 - Durchführungsverordnung - DVO -) ein wesentliches Tatbestandsmerkmal für die Gewährung des Pauschbetrages. Dem stehe die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. Mai 1962 (BSG 17, 99) nicht entgegen. Hierzu werden nähere Ausführungen gemacht. Im übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils verwiesen. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses ihm am 15. November 1967 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 27. November 1967 eingegangenen Schriftsatz vom 24. November 1967 Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet.
Er beantragt,
1. das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Dortmund vom 29. September 1966 zurückzuweisen;
2. die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungs- und Revisionsverfahren dem Beklagten aufzuerlegen.
In seiner Revisionsbegründung, auf die Bezug genommen wird, rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 62 und 13 BVG sowie des § 13 der DVO durch das LSG. Er trägt hierzu insbesondere vor, daß durch die Amputation des rechten Oberschenkels keine wesentliche Änderung im Sinne des § 62 BVG eingetreten sei. Die Amputation sei unabhängig von der in dem Bescheid vom 10. Mai 1952 anerkannten Schädigungsfolge erfolgt. In dem Gesundheitszustand des Klägers sei somit eine Änderung der Verhältnisse in der anerkannten Schädigungsfolge nicht eingetreten. Die der Feststellung der Versorgungsbezüge zugrunde liegenden Verhältnisse seien dieselben geblieben. Die Entscheidung des BSG vom 29. Mai 1962 müsse insoweit entsprechend angewandt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Zur Darstellung seines Vorbringens wird auf die Revisionserwiderung vom 9. Januar 1968 verwiesen.
Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden (§§ 164, 166), so daß sie zulässig ist. Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt ist, die dem Kläger mit Bescheid vom 22. September 1954 gewährte Kleiderverschleißzulage zu entziehen. Da es sich bei dem angefochtenen Bescheid vom 2. Dezember 1965 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 1966 um einen Verwaltungsakt ohne Dauerwirkung handelt, kommt es auf die Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten Verwaltungsentscheidung an (BSG 7, 9), so daß im vorliegenden Fall das BVG in der Fassung des 2. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85 - 2. Neuordnungsgesetz - NOG -) anzuwenden ist.
Die Entziehung des Pauschbetrages für erhöhten Kleider- und Wäscheverschleiß ist nur dann rechtmäßig, wenn eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die für die Gewährung dieses Pauschbetrages maßgebend war, eingetreten ist (§ 62 BVG).
Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der Anspruch entsprechend neu festzustellen, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung des Anspruchs auf Versorgung (§ 9) maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt. Der "Anspruch auf Versorgung" betrifft im vorliegenden Fall den im Rahmen der orthopädischen Versorgung gemäß § 13 Abs. 5 BVG geregelten Ersatz der außergewöhnlichen Kosten für Kleider- und Wäscheverschleiß. Dieser Kostenersatz ist dem Kläger mit Bescheid vom 22. September 1954 in der Form eines monatlichen Pauschbetrages gewährt worden, weil er Träger einer doppelseitigen Unterschenkelschiene mit Schuhbügel für das rechte Bein war. Die Gewährung des Pauschbetrages beruhte auf der Verordnung zur Durchführung des § 13 BVG idF vom 18. August 1953 (BGBl I 971), nach deren § 11 Abs. 1 Buchst. u einem "Träger von nicht über Knie oder Ellenbogen hinausgehenden Stützapparaten" als Kostenersatz ein Pauschbetrag von monatlich 5,- DM zu gewähren war. Die für die Feststellung dieses Anspruchs maßgebenden Verhältnisse bestanden im Zeitpunkt der Gewährung des Pauschbetrages unstreitig darin, daß der Kläger "Träger" des bezeichneten Stützapparates war. Hiervon ist bei der Beurteilung der Frage auszugehen, ob in diesen Verhältnissen eine wesentliche Änderung i. S. des § 62 Abs. 1 BVG eingetreten ist. Das ist hier der Fall. Nach den nicht angegriffenen und daher für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG trägt der Kläger am rechten Bein keine Unterschenkelschiene mit Schuhbügel mehr; das Tragen dieses Stützapparates ist wegen der Amputation des rechten Beines im Oberschenkel überhaupt nicht möglich. Damit ist er aber nicht mehr "Träger" dieses Apparates. Entfällt für ihn jedoch die Notwendigkeit, die Unterschenkelschiene mit Schuhbügel zu tragen, so haben sich die für seinen Anspruch auf Versorgung, d. h. auf den ihm wegen des Tragens dieses Stützapparates zuerkannten Pauschbetrag für außergewöhnlichen Wäsche- und Kleiderverschleiß maßgebend gewesenen Verhältnisse i. S. des § 62 BVG wesentlich geändert. Unerheblich ist dabei - entgegen der Auffassung des Klägers -, ob das rechte Bein wegen einer Schädigungsfolge oder davon unabhängig amputiert worden ist. Die Gewährung des Pauschbetrages war im vorliegenden Fall nicht wegen der beim Kläger anerkannten Schädigungsfolgen, sondern deshalb gewährt worden, weil er "Träger" der Unterschenkelschiene mit Schuhbügel gewesen ist. Der Kläger übersieht, daß die DVO zu § 13 BVG sowohl in der Fassung vom 18. August 1953 (§ 11) als auch in der Fassung vom 30. Oktober 1964 (§ 13), den Kostenersatz für außerordentlichen Kleider- und Wäscheverschleiß nach unterschiedlichen Voraussetzungen geregelt hat. Der Kostenersatz wird einmal gewährt beim Vorhandensein bestimmter Schädigungsfolgen, wie einseitige Oberschenkel-, Unterschenkel-, Oberarm-, Unterarm- und Handamputierten (§ 11 Abs. 1 Buchst. a bis g der DVO von 1953 und § 13 Abs. 1 Ziff. 1 bis 3 der DVO von 1964), sowie entsprechenden Doppelamputierten (§ 11 Abs. 1 Buchst. i bis n der DVO von 1953; § 13 Abs. 1 Nr. 4 bis 9 der DVO 1964) und drei- oder mehrfach Amputierten (§ 11 Abs. 1 Buchst. o bis q und p der DVO von 1953; § 13 Abs. 1 Nr. 10 bis 12 und 14 der DVO von 1964); sodann wird der Kostenersatz davon abhängig gemacht, daß der Beschädigte Träger bestimmter Apparate ist (§ 11 Abs. 1 Buchst. t bis u der DVO von 1953; § 13 Abs. 1 Nr. 19 bis 24 der DVO von 1964); schließlich werden in der DVO weitere Personen, deren Schädigungsfolgen im Zusammenhang mit der Benutzung von Apparaten und Fahrzeugen einen erhöhten Kleider- und Wäscheverschleiß verursachen, bezeichnet, die auf Grund dieser Voraussetzungen Anspruch auf den Pauschbetrag haben. Die Frage, ob in den anerkannten Schädigungsfolgen eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i. S. des § 62 BVG eingetreten und deshalb der Kostenersatz für außerordentlichen Kleider- und Wäscheverschleiß entzogen werden kann, ist nur dann rechtserheblich, wenn die anerkannte Schädigungsfolge selbst Grundlage der Gewährung dieses Kostenersatzes war. War aber nicht die anerkannte Schädigungsfolge, sondern ein bestimmter anderer tatsächlicher Umstand - hier das Tragen eines Stützapparates - die Grundlage für die Gewährung des Pauschbetrages i. S. des § 13 Abs. 5 BVG, so kommt es bei der Beurteilung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse i. S. des § 62 BVG allein darauf an, ob diese anderen tatsächlichen Umstände sich wesentlich geändert haben.
Der Kläger beruft sich zwar für seine Auffassung auf das Urteil des 7. Senats des BSG vom 29. Mai 1962 (BSG 17, 99), jedoch gibt dieser Hinweis keine Bedenken gegen das gewonnene Ergebnis auf. Das BSG hat in dieser Entscheidung ausgesprochen, daß eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i. S. des § 62 Abs. 1 BVG nur vorliegt, wenn sich das durch Einflüsse des Wehrdienstes hervorgerufene Leiden verschlimmert oder verbessert, nicht aber, wenn in dem davon unabhängigen Zustand des Betroffenen eine Änderung eintritt. Deshalb rechtfertige bei Verlust eines Auges im Wehrdienst die spätere, davon unabhängige Erblindung des anderen Auges keine erhöhte Bewertung der MdE. Die Entscheidung des 7. Senats des BSG betraf die Frage, ob die MdE eines Beschädigten durch eine schädigungsunabhängige Erkrankung im Rahmen des § 62 BVG höher zu bewerten ist; die für die Bemessung der MdE ursprünglich maßgebend gewesenen Verhältnisse i. S. des § 62 BVG bezogen sich also auf den Umfang der anerkannten Schädigungsfolgen bei der Festsetzung der MdE nach § 30 BVG. Im Unterschied hierzu ist im vorliegenden Fall aber nicht die beim Kläger anerkannte Schädigungsfolge oder deren Umfang, sondern das Tragen der Unterschenkelschiene mit Schuhbügel für den Anspruch auf Versorgung maßgebend gewesen. Daß sich aber insoweit die maßgebenden Verhältnisse wesentlich geändert haben, bedarf keiner Erörterung.
Das LSG hat somit im Ergebnis zutreffend den angefochtenen Bescheid als rechtmäßig angesehen, so daß die Revision als unbegründet zurückzuweisen war (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen