Leitsatz (amtlich)

1. Anfang 1957 entrichtete freiwillige Beiträge sind auch dann nicht als vor dem 1957-01-01 geleistet zu berücksichtigen, wenn der Versicherte, ohne sein Verschulden Ende 1956 keine Beitragsmarken bei der Post bekommen konnte. (Festhaltung BSG 1963-05-16 4 RJ 97/61 = SozR Nr 13 zu Art 2 § 42 ArVNG; Aufgabe BSG 1962-09-06 4 RJ 317/60 = SozR Nr 8 zu Art 2 § 42 ArVNG).

2. Falls die bis zum 1956-12-31 für das Jahr 1956 entrichteten Beiträge nicht ausreichen, um die Anwartschaft der vor diesem Jahr geleisteten Beiträge zum 1956-12-31 zu erhalten, kann jedenfalls dann eine der Beitragsentwertung entgegenstehende Verrechnung früher entrichteter freiwilliger Beiträge für das Jahr 1956 nicht vorgenommen werden, wenn in den diesem Jahre unmittelbar vorhergehenden Jahren jeweils nur 26 Wochenbeiträge und erst Jahre vorher (zB im Jahre 1952) einmal 52 Wochenbeiträge für ein Jahr entrichtet sind. Eine Vergleichsberechnung nach ArVNG Art 2 § 42 (Vergleiche BSG 1959-07-01 4 RJ 249/58 = BSGE 10, 139; Vergleiche BSG 1961-11-23 12/4 RJ 102/61 = BSGE 15, 271) ist in einem derartigen Falle daher nicht möglich. Die entgegenstehende Entscheidung BSG 1962-08-09 4 RJ 291/60 = RV 1962, 273 wird nicht aufrechterhalten.

 

Normenkette

ArVNG Art. 2 § 42 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Dezember 1962 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Für den Kläger, der seit 1915 selbständiger Landwirt ist, sind für die Jahre 1921 bis 1925 insgesamt für 102 Wochen Pflichtbeiträge zur Invalidenversicherung abgeführt worden. 1952 setzte er die Versicherung freiwillig fort. Es liegen vor:

für 1949 26 Wochenbeiträge der Klasse IV mit Aufdruck 52

für 1950 26 Wochenbeiträge der Klasse IV mit Aufdruck 52

für 1951 52 Wochenbeiträge der Klasse IV mit Aufdruck 52

für 1952 52 Wochenbeiträge der Klasse IV mit Aufdruck 52

für 1953 26 Wochenbeiträge der Klasse IV mit Aufdruck 53

für 1954 26 Wochenbeiträge der Klasse IV mit Aufdruck 54

für 1955 26 Wochenbeiträge der Klasse IV mit Aufdruck 55

für 1956 13 Wochenbeiträge der Klasse IV mit Aufdruck 56.

Zwar hatte der Kläger zunächst in den ersten Jahren nur Beitragsmarken der Klasse III verwendet; nachdem die Beklagte ihn jedoch aufgefordert hatte, mit Rücksicht auf sein Einkommen Beitragsmarken der Klasse IV zu leisten, hatte er die Differenzbeträge zwischen diesen beiden Klassen in bar nachbezahlt.

Nach dem 31. Dezember 1956 entrichtete er 26 Wochenbeiträge der Klasse IV mit dem Aufdruck 57 für das Kalenderjahr 1956 und je neun Monatsbeiträge für die Kalenderjahre 1957 bis 1959.

Seit Ende Dezember 1959 ist der Kläger berufsunfähig. Auf Grund des Bescheides vom 14. September 1960 erhält er deshalb Rente wegen Berufsunfähigkeit vom 1. Dezember 1959 an in Höhe von monatlich 15,30 DM, wobei seine Rente nach neuem Recht berechnet worden ist. Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben wegen der Höhe der Rente. Er begehrt gemäß Art. 2 § 42 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23. Februar 1957 die Berechnung seiner Rente nach den für ihn günstigeren Vorschriften des alten Rechts. Hierzu hat er behauptet, er habe Mitte Dezember 1956 weitere 26 Wochenmarken der Klasse IV bei der Poststelle in H. bestellt; da diese Marken damals aber vergriffen gewesen seien, hätten sie erst Anfang 1957 geliefert werden können.

Eine von dem Sozialgericht (SG) Trier eingeholte Auskunft des Postamts N ergab dagegen, daß H eine Poststelle II ist, die dem Leitpostamt N untersteht. Bei Poststellen II werden keine Sozialversicherungsmarken vorrätig gehalten. Die Posthalter bestellen vielmehr die bei ihnen verlangten Versicherungsmarken jeweils bei dem zuständigen Postamt. Ob seinerzeit die fraglichen Invalidenversicherungsmarken bestellt worden sind, war nicht mehr festzustellen. Am Ende des Kalenderjahres 1956 waren jedenfalls beim Postamt N. Invalidenversicherungsmarken der Klasse IV in ausreichender Menge vorhanden gewesen.

Mit Urteil vom 23. Januar 1961 hat das SG die Klage abgewiesen, weil die Anwartschaft aus den bis Ende 1955 geleisteten Beiträgen mangels der erforderlichen Entrichtung von mindestens 26 Wochenbeiträgen für das Jahr 1956 mit Ablauf des Jahres 1956 erloschen gewesen sei. Soweit der Kläger sich darauf berufe, daß er noch im Jahre 1956 versucht habe, die fehlenden Beitragsmarken zu bekommen, stehe jedenfalls fest, daß beim zuständigen Postamt N Ende 1956 Versicherungsmarken der Klasse IV für die Invalidenversicherung vorhanden gewesen seien. Ob der Kläger bei dem Poststellenleiter entsprechende Marken bestellt habe, lasse sich nicht mehr feststellen. Hierauf komme es jedoch nicht entscheidend an. Eine Beitragsentrichtung sei nur dann wirksam, wenn die Marken in die Quittungskarte eingeklebt und entwertet worden seien, was nicht geschehen sei.

Mit seiner Berufung hatte der Kläger gleichfalls keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz folgte mit seinem das Rechtsmittel zurückweisenden Urteil vom 12. Dezember 1962 der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 15, 271). Danach setzt die günstigere Berechnung nach altem Recht gemäß Art. 2 § 42 ArVNG voraus, daß bei Eintritt des Versicherungsfalles die Wartezeit auch ohne diejenigen Beiträge erfüllt ist, deren Anwartschaft zum 31. Dezember 1956 nicht mehr erhalten war, wobei Beiträge, die in der Zeit nach dem 31. Dezember 1956 für die Jahre 1955 oder 1956 nachentrichtet sind, bei der Prüfung der Frage, ob die Anwartschaft aus früheren Beiträgen zu jenem Zeitpunkt noch erhalten war, nicht berücksichtigt werden dürfen. Die hiernach erforderlichen Voraussetzungen erfüllte der Kläger nicht, führt das LSG aus. Er habe für das Jahr 1956 rechtzeitig nur 13 Wochenbeiträge entrichtet. Damit sei zum 31. Dezember 1956 die Anwartschaft aus den bis 1955 entrichteten Beiträgen nach § 1264 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF nicht mehr erhalten gewesen. Mit den späteren Beiträgen sei eine neue gesetzliche Wartezeit aber nicht erfüllt.

Eine anderweitige Verrechnung der für die Jahre 1949 bis 1956 entrichteten Beiträge sei entgegen der Auffassung des BSG in seinem Urteil 4 RJ 291/60 vom 9. August 1962 nicht möglich. Der Kläger habe im Jahre 1952 eindeutig für 1951 und 1952 jeweils 52 Wochenbeiträge entrichten wollen, sein dahingehendes Handeln sei auch zur Zeit der Beitragsentrichtung "völlig verständlich und vernünftig" gewesen. Die seinem "wahren Willen" entsprechenden Entwertungsdaten könnten daher nicht mit Rücksicht auf die Rentenreform nachträglich anders betrachtet und gewürdigt werden.

Ob der Kläger, wie er behauptet, sich Mitte Dezember 1956 vergeblich bemüht hatte, Beitragsmarken zu erwerben, sei unerheblich. Der in BSG 18, 1 vertretenen Auffassung könne nicht gefolgt werden. Insbesondere gelte § 1418 Abs. 2 RVO nach seinem eindeutigen Wortlaut nur für Pflichtversicherte und sei deshalb nicht auf freiwillige Beiträge entsprechend anwendbar. Da der Kläger somit im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles, d. h. Ende 1959, nicht die Wartezeit von 60 Monaten mit Beiträgen vor dem 1. Januar 1957, aus denen die Anwartschaft erhalten war, zusammen mit den späteren erfüllt habe, könne er eine Vergleichsberechnung und die Zahlung der sich dabei ergebenden und für ihn günstigeren Rente nach altem Recht nicht verlangen.

Das LSG hat die Revision zugelassen. Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrag,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des Sozialgerichts Trier vom 23. Januar 1961 sowie in Abänderung des Bescheides vom 14. September 1960 die Beklagte zu verurteilen, seine Rente gemäß Art. 2 § 42 ArVNG zu berechnen und ihm ab 1. Dezember 1959 die höhere Rente zu zahlen.

Zur Begründung führt er aus, zwar habe er für das Jahr 1956 nur 13 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 56 entrichtet, so daß die Anwartschaft aus den bis 1955 entrichteten Beiträgen erloschen gewesen sei. Mit den von ihm entrichteten 13 Wochenbeiträgen hätte jedoch eine neue Versicherung begonnen. Damit könne er die Vergleichsberechnung beanspruchen, da nicht erforderlich sei, daß die Anwartschaft aus allen bisherigen Beiträgen erhalten sei, wie in BSG 10, 139 und 14, 159 zutreffend ausgeführt sei. Selbst wenn man aber mit dem 12. Senat (BSG 15, 271) insoweit anderer Ansicht sein wollte, müßten auch bei ihm, entsprechend dem Urteil 4 RJ 291/60 vom 9. August 1962, Beiträge aus früheren Jahren auf das Jahr 1956 verrechnet werden. Schließlich habe in seiner Nachfrage nach Beitragsmarken bei der Post auch noch eine Bereiterklärung gelegen, die der fristgerechten Entrichtung der Beiträge gleichstehe, da er alsbald nach dem 1. Januar 1957 die noch fehlenden Beitragsmarken für das Jahr 1956 gekauft und in seine Quittungskarte eingeklebt habe.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

da das angefochtene Urteil richtig sei.

Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die form- und fristgerecht eingelegte und nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist nicht begründet.

Nach Art. 2 § 42 ArVNG ist bei den in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1961 eintretenden Versicherungsfällen die Rente nach den vor dem 1. Januar 1957 geltenden Vorschriften über die Zusammensetzung und Berechnung der Rente einschließlich des Sonderzuschusses des Art. 2 § 36 Abs. 1 ArVNG aus den bis zum 31. Dezember 1956 zurückgelegten Versicherungszeiten zu berechnen, wenn dies für den Berechtigten gegenüber der Berechnung seiner Rente nach den ab 1. Januar 1957 geltenden Vorschriften günstiger ist. Voraussetzung hierfür ist jedoch nach Satz 2 dieser Vorschrift, daß aus den vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen die Anwartschaft zu diesem Zeitpunkt nach den bis dahin geltenden Vorschriften erhalten war und ab 1. Januar 1957 für jedes Kalenderjahr vor dem Kalenderjahr des Versicherungsfalles für 9 Monate Beiträge entrichtet sind.

Hierzu ist bereits durch das Urteil des Senats vom 1. Juli 1959 (BSG 10, 139) geklärt, daß für die Zulässigkeit der Vergleichsberechnung nicht erforderlich ist, daß die Anwartschaft aus allen bisherigen Beiträgen zum 1. Januar 1957 erhalten war. Dagegen setzt die günstigere Berechnung nach altem Recht gemäß Art. 2 § 42 ArVNG voraus, daß bei Eintritt des Versicherungsfalles die Wartezeit auch ohne diejenigen Beiträge erfüllt ist, deren Anwartschaft zum 31. Dezember 1956 nicht mehr erhalten war (12/4 RJ 102/61 vom 23. November 1961 - BSG 15, 271 -, 4 RJ 329/61 vom 22. November 1962). Der erkennende Senat hat entgegen der Auffassung der Revision und des LSG auch früher keine andere Auffassung vertreten. In dem Falle, der seiner in BSG 14, 159 veröffentlichten Entscheidung zugrunde lag, war die Wartezeit bei Eintritt der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit im Jahre 1958 mit Beiträgen der erwähnten Art erfüllt; Entsprechendes gilt für den in BSG 10, 139 behandelten Fall, falls die damals noch fehlenden Feststellungen ergeben haben, daß die für 1956 noch geleisteten 44 Wochenbeiträge auch bereits im Jahre 1956 entrichtet waren.

Beim Kläger war zwar die Anwartschaft aus seinen bis 1925 entrichteten Beiträgen zunächst nach § 4 Abs. 2 des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes vom 17. Juni 1949 bis zum 31. Dezember 1948 erhalten. Nach § 1264 RVO aF mußten aber von diesem Zeitpunkt an zur Erhaltung der Anwartschaft für jedes Kalenderjahr wieder mindestens 26 Wochenbeiträge entrichtet werden; anderenfalls erlosch die Anwartschaft aus den für die Zeit bis zum Beginn des laufenden Kalenderjahres entrichteten Beiträgen, und mit den späteren Beiträgen begann die Versicherung von neuem. Der Kläger hat indes nur für das Jahr 1949 und die folgenden bis zum Jahr 1955 jeweils rechtzeitig mindestens 26 Wochenbeiträge jährlich entrichtet, da insbesondere die Nachentrichtung von Beiträgen für 1949 im Jahre 1952, also über die Frist des § 1442 RVO aF hinaus, nach dem früheren Recht der französischen Besatzungszone damals zulässig war. Für das Jahr 1956 sind dagegen in diesem Jahr nur 13 Wochenbeiträge geleistet worden. Damit war zum 31. Dezember 1956 die Anwartschaft aus den bis 1955 entrichteten Beiträgen nicht mehr erhalten. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des BSG sind bei der Prüfung der Frage, ob jene Anwartschaft erhalten war, nur die vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträge zu berücksichtigen, nicht aber die erst danach, wenn auch innerhalb der Fristen des § 1418 RVO geleisteten (vgl. ua BSG 10, 139). Dabei können selbst die Beiträge, die in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis zur Verkündung des ArVNG (26. Februar 1957) für 1955 oder 1956 entrichtet sind, nicht anders behandelt werden als später geleistete. Dies bedeutet, daß sie bei der Prüfung der Frage, ob die Anwartschaft aus früheren Beiträgen zum 1. Januar 1957 erhalten war, außer Betracht zu bleiben haben (BSG 15, 271). Es nützt daher dem Kläger nichts, falls er die für 1956 noch fehlenden 13 Wochenbeiträge entsprechend seiner Darstellung alsbald nach dem 1. Januar 1957 und noch vor der Verkündung des ArVNG entrichtet hat.

Unerheblich ist, daß der Kläger sich zum Ende des Jahres 1956 vergeblich bemüht haben will, Beitragsmarken der Klasse IV bei der Post zu kaufen. Zwar ist nach einer Entscheidung des 12. Senats vom 16. März 1962 (SozR Art. 2 § 42 ArVNG Bl. Aa 10 Nr. 6) die Rente auch dann nach altem Recht zu berechnen, wenn der Versicherte sich vor dem 1. Januar 1957 bereit erklärt hat, die zur Erhaltung seiner Anwartschaft zu diesem Zeitpunkt erforderlichen Beiträge nachzuentrichten, und dies in angemessener Frist geschieht. Die Nachfrage nach Beitragsmarken bei der Post stellte jedoch schon deswegen keine Bereiterklärung zur Nachentrichtung von Beiträgen im Sinne des § 1444 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF dar, weil die Post keine "zuständige Stelle" zur Entgegennahme einer Bereiterklärung ist (BSG 15, 267). Insoweit kann selbst dann nichts anderes gelten, wenn der Kläger damals Beitragsmarken bei der Post bestellt haben sollte. Allerdings hat der erkennende Senat in BSG 18, 1, worauf sich der Kläger ebenfalls noch beruft, ausgesprochen, habe der Versicherte vor dem 1. Januar 1957 die erkennbar gewordene ernsthafte Absicht gehabt, noch Beiträge für die Vergangenheit zu entrichten, sei er aber hieran ohne sein Verschulden gehindert gewesen, so seien diese Beiträge ausnahmsweise zu berücksichtigen, falls sie alsbald nach Wegfall des Hindernisses geleistet seien; als Nichtverschulden in diesem Sinne sei es anzusehen, wenn ein Versicherter im Dezember 1956 mehrfach versucht habe, bei der Post Beitragsmarken zu kaufen, um diese noch im Jahre 1956 für 1955 oder 1956 zu entrichten, er seine Absicht aber nicht habe verwirklichen können, weil bei der Post keine Beitragsmarken mehr vorrätig gewesen seien. Diese Ansicht hat der Senat jedoch bereits in seinem Urteil vom 16. Mai 1963 (SozR Art. 2 § 42 ArVNG Bl. Aa 21 Nr. 13) aufgegeben. Zutreffend weist das LSG insoweit ua darauf hin, daß § 1418 Abs. 2 RVO sich eindeutig nur auf Pflichtbeiträge bezieht und als Ausnahmevorschrift eng ausgelegt werden muß. Außerdem kann auch nicht, wie das LSG weiter ausführt, bestimmten Versicherten die nicht rechtzeitige Entrichtung von Beiträgen bis zum Stichtag des Art. 2 § 42 ArVNG (31. Dezember 1956) als Verschulden angerechnet werden, anderen dagegen nicht. Sie vertrauten alle gleichermaßen auf die Möglichkeit der Nachentrichtung innerhalb der Frist des § 1442 Abs. 1 RVO aF, so daß jedenfalls insoweit nicht danach unterschieden werden kann, ob ein Versicherter sich Ende 1956 überhaupt nicht bemüht hat, bei der Post noch Beitragsmarken mit dem Jahresaufdruck 56 zu bekommen, oder nur einmal vergeblich, oder mehrere Male ohne Erfolg.

Mangels ausreichender Beitragsleistung im Jahre 1956 war somit die Anwartschaft aus den bis 1955 einschließlich entrichteten Beiträgen zum Ablauf des Jahres 1956 nicht mehr erhalten, da auch die Voraussetzungen der Halbdeckung (§ 1265 RVO aF) nicht gegeben waren. Mit den späteren 13 Wochenbeiträgen für 1956 und den anschließenden Beiträgen war indes eine neue Wartezeit noch nicht erfüllt, so daß der Kläger die Berechnung seiner Rente nach der oben angeführten Rechtsprechung des BSG nach dem günstigeren alten Recht nicht beanspruchen kann.

Der Verlust der Anwartschaft aus den bis 1955 entrichteten Beiträgen zum 31. Dezember 1956 läßt sich auch nicht durch eine anderweitige Verrechnung der seit 1949 geleisteten freiwilligen Beiträge vermeiden. Insbesondere geht es nicht an, von den für das Jahr 1952 entrichteten 52 Wochenbeiträgen jetzt mindestens 13 Beiträge als für das Jahr 1953 entrichtet zu betrachten und weiterhin die entsprechenden folgenden Beiträge für die späteren Jahre entgegen den angegebenen Entwertungsdaten jeweils so zu verschieben, daß schließlich für das Jahr 1956 statt der bis zum 31. Dezember 1956 geleisteten 13 Wochenbeiträge nunmehr 26 Wochenbeiträge vorliegen. Zwar darf man, wie das Reichsversicherungsamt in ständiger Rechtsprechung anerkannt und auch der erkennende Senat entschieden hat (BSG 6, 136, 140), den Entwertungsdaten nicht allein entscheidenden Wert beilegen. Vielmehr wird man annehmen müssen, daß der Versicherte, wenn er sich überhaupt über die Bedeutung der Entwertungsdaten klar gewesen ist, in erster Linie die Marken für die Zeiträume bestimmt wissen wollte, deren Belegung für ihn versicherungstechnisch am günstigsten war. Bei der Erforschung dieses seines wahren Willens kann aber nur von Umständen ausgegangen werden, die zur Zeit der tatsächlichen Verwendung der Beitragsmarken bekannt waren. Daß später einmal eine Rentenreform nach der Art des ArVNG kommen würde, war 1952 nicht vorauszusehen und ist deshalb vom Berufungsgericht zu Recht nicht berücksichtigt worden. Im übrigen hat das LSG noch im einzelnen Umstände festgestellt, aus denen es gefolgert hat, daß, als der Kläger im Jahre 1952 jeweils 52 Beitragsmarken für die Jahre 1951 und 1952 entrichtete, dies seinem wahren Willen entsprach. Der Senat neigt zu der Auffassung, daß es sich hierbei um tatsächliche Feststellungen handelt, an die er - da sie nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffen sind - nach § 163 SGG gebunden ist. Denn es ist allein Aufgabe des Tatrichters, nicht nur den Wortlaut, sondern auch den Sinn von Äußerungen festzustellen, soweit es sich, wie insbesondere bei den auf den Beitragsmarken vermerkten Entwertungsdaten, um individuelle Erklärungen handelt. Sofern für eine Auslegung neben dem abstrakten Wortlaut die konkreten Verhältnisse in Betracht kommen, unter denen die Erklärungen abgegeben sind, handelt es sich stets um der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogene Feststellungen auf tatsächlichem Gebiet. Im übrigen kann nur nachgeprüft werden, ob der vom Berufungsgericht angenommene wahre Erklärungswille auch logisch möglich ist und die darauf gestützte Auslegung nicht gegen bestehende gesetzliche Auslegungsregeln verstößt (vgl. ua BGH in NJW 1960, 959; 1961, 1355). Selbst wenn man aber mit dem 12. Senat (vgl. 12/4 RJ 346/60 und 12/3 RJ 64/60, beide vom 26.4.1963) in der Auslegung und Ermittlung des mutmaßlichen Willens bei der Entwertung von Beitragsmarken die Anwendung allgemeiner Erfahrungssätze und Rechtsgrundsätze, mithin eine Rechtsanwendung sehen wollte, die der Überprüfung durch das Revisionsgericht in vollem Umfang unterliegt, würde sich hier im Ergebnis nichts ändern.

Eine Verrechnung von Beiträgen für Zeiten, die den Entwertungsdaten nicht entsprechen, ist zwar möglich, sie darf jedoch nach der von der Rechtsprechung und Praxis seit jeher vertretenen Auffassung nur erfolgen, wenn ein hinreichend sicherer Schluß darauf möglich ist, daß die aus jenen Daten an sich zu vermutende Bestimmung der gewollten Beitragszeiten dem damaligen wahren Willen des Versicherten nicht entsprochen hat, wenn vielmehr von dem Versicherten in Wirklichkeit nur ein bestimmter anderer Zeitraum gemeint sein konnte und gemeint war. Ein derartiger abweichender Wille des Versicherten wurde vom Reichsversicherungsamt in ständiger Rechtsprechung in Fällen angenommen, in denen die Beiträge für Zeiten angerechnet wurden, die vor dem Datum der Entwertung lagen, insbesondere wenn dadurch die Wiederherstellung einer sonst bereits vorher erloschenen Anwartschaft erreicht wurde (AN 1901 S. 405 Nr. 901, AN 1913 S. 514 Nr. 1714, AN 1915 S. 768 Nr. 2115, AN 1936 IV S. 119 Nr. 4959, EuM Bd. 1 S. 290), während für nach jenem Datum liegende Zeiten eine solche Anrechnung stets nur in besonders gelagerten Einzelfällen zugelassen wurde (vgl. EuM Bd. 1 S. 228, AN 1909 S. 419 Nr. 1367, EuM Bd. 9 S. 337). Denn der Kläger hat im Jahre 1952 ersichtlich aus gutem Grunde damals für dieses Jahr und das vorhergehende die höchstmögliche Zahl von Beiträgen entrichtet, um möglichst bald die gesetzliche Wartezeit zu erfüllen und damit gegen den jederzeit möglichen Eintritt des Versicherungsfalles der Invalidität geschützt zu sein. Der gegebene Sachverhalt läßt es nicht zu, nunmehr mit hinreichender Sicherheit annehmen zu können, der Wille des Klägers sei im Jahre 1952 und in den folgenden Jahren dahin gegangen, nur 26 Beitragsmarken für das laufende, die weiter entrichteten 26 Beitragsmarken jedoch jeweils für das kommende Jahr zu entrichten. Für eine derartige Verwendung bestand bei dem Kläger damals keinerlei Anlaß.

Mit Rücksicht hierauf verbietet sich, wie das LSG mit Recht ausgeführt hat, jetzt nachträglich eine andere Verrechnung der geleisteten Beiträge. Soweit in dem Urteil 4 RJ 291/60 vom 9. August 1962 (Die Rentenversicherung 1962, 273), auf das sich die Revision beruft, eine weitergehende Verschiebung und anderweitige Verrechnung von früheren Beiträgen für zulässig gehalten worden ist, hält der Senat daran aus den zuvor angeführten Gründen nicht fest.

Schließlich ist es auch nicht möglich, die im Jahre 1956 geleisteten 13 Beitragsmarken der Klasse IV zu je 2,20 DM als 26 Beitragsmarken der Klasse II zu je 1,10 DM zu werten, denn der Kläger mußte Beiträge entsprechend seinem Einkommen entrichten (vgl. § 1440 RVO aF).

Nach alledem hat die Beklagte zu Recht die Rente des Klägers allein nach neuem Recht berechnet, und die Vorinstanzen haben aus zutreffenden Gründen die Klage auf Gewährung einer höheren Rente abgewiesen.

Damit mußte die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2379985

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