Leitsatz (amtlich)
Die Versicherungsfreiheit der Soldaten auf Zeit erstreckt sich nicht auf ein Beschäftigungsverhältnis im Rahmen der Berufsförderung nach dem SVG, auch wenn diese Beschäftigung in der Wehrdienstzeit ausgeübt wird.
Normenkette
RVO § 172 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1945-03-17, § 1229 Abs. 1 Nr. 5 Fassung: 1957-02-23; AFG § 169 Nr. 1 Hs. 1 Fassung: 1975-05-07
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 13. März 1974 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Beigeladene V. stand von 1957 bis 1972 als Soldat auf Zeit im Dienste der Bundeswehr. Während dieser Zeit war er unter Freistellung vom militärischen Dienst im Rahmen der Berufsförderung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) für 1 1/2 Jahre (Oktober 1970 bis April 1972) bei der klagenden Firma zur Ausbildung im Schmiedehandwerk beschäftigt. Neben einem Entgelt von der Klägerin erhielt er seine ungekürzten Dienstbezüge.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 15. Februar 1972 die Versicherungspflicht des Beigeladenen V. zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung fest und forderte von der Klägerin die Entrichtung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 1972).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage auf Aufhebung der Bescheide abgewiesen (Urteil vom 18. April 1973). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil bestätigt (Urteil vom 13. März 1974): Wie das Bundessozialgericht (BSG) mehrfach entschieden habe, erstrecke sich die Versicherungsfreiheit der Beamten nur auf ihr Dienstverhältnis. Dasselbe müsse in Anbetracht des Schutzzweckes der Vorschriften über die Versicherungspflicht auch für den Beigeladenen V. als Soldaten auf Zeit gelten. In der Rentenversicherung zeige sich sein Schutzbedürfnis vor allem im Falle seiner Nachversicherung, die Krankenversicherung komme seinen ansonsten nur auf Beihilfeansprüche angewiesenen Angehörigen zugute.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung der §§ 1229 Abs. 1 Nr. 5, 172 Abs. 1 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO), 169 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Die Fachausbildung des Beigeladenen V. sei nach der Systematik der versorgungsrechtlichen Vorschriften als integraler Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses anzusehen; sie sei eine Versorgungsmaßnahme nach dem SVG, während der der Beigeladene V. seinen Soldatenstatus nicht verloren habe und ihm auch weiterhin seine vollen Dienstbezüge gewährt worden seien. Die Beschäftigung zur Durchführung der Fachausbildung könne daher nicht als versicherungspflichtige Zweitbeschäftigung qualifiziert werden, wie auch § 1232 Abs. 3 Buchst. a RVO zeige. Im übrigen sei in der Rentenversicherung für die Versicherungsfreiheit der Soldaten auf Zeit nach § § 1229 Abs. 1 Nr. 5 RVO - im Gegensatz zu den Beamten - nur ihr Soldatenstatus entscheidend, da eine Abhängigkeit der Versicherungsfreiheit vom Vorliegen einer Versorgungsanwartschaft nicht bestehe. Die Versicherungsfreiheit in der Kranken- und damit auch in der Arbeitslosenversicherung ergebe sich aus § 172 Abs. 1 Nr. 2 RVO, denn der Beigeladene V. habe während der Fachausbildung weiterhin in dem Soldatenverhältnis gestanden, was für § 172 Abs. 1 Nr. 2 RVO ausreiche.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen vom 13. März 1974 und des SG Lüneburg vom 18. April 1973 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Februar 1972 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 1972 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die beigeladene Bundesanstalt für Arbeit sowie die beigeladene Landesversicherungsanstalt H beantragen ebenfalls die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zugelassene Revision ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Gegen die Vertretung der Klägerin durch den Hauptgeschäftsführer und den Geschäftsführer des Gesamtverbandes Handwerk Niedersachsen bestehen nach Prüfung der Satzung vom November 1971, der durch den Vorstand erteilten Vollmacht und nach dem glaubhaften Vortrag der Bevollmächtigten keine Bedenken (§ 166 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Revision ist aber nicht begründet.
Zutreffend haben die Vorinstanzen unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG zur Frage der Versicherungs- und Beitragspflicht der Beamten (§§ 169, 1229 Abs. 1 Nr. 3 RVO, 169 Nr. 1 AFG) in einem neben oder an Stelle der Beamtentätigkeit bestehenden Beschäftigungsverhältnis entschieden, daß sich die Versicherungsfreiheit des Beigeladenen zu 1) als Soldat auf Zeit (§§ 172 Abs. 1 Nr. 2, 1229 Abs. 1 Nr. 5 RVO, 169 Nr. 1 AFG) nicht auf das Beschäftigungsverhältnis bei der klagenden Firma erstreckt. Hierbei kann unentschieden bleiben, ob den Ausführungen des LSG darin zu folgen ist, daß für die Versicherungspflicht des Beigeladenen in den drei Zweigen der Sozialversicherung auch ein gewisses Schutzbedürfnis spreche. Wie der Senat in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 10. September 1975 - 3/12 RK 6/74 - klargestellt hat, ist die Versicherungspflicht eines Beamten in einem privaten Beschäftigungsverhältnis nicht davon abhängig, daß ein Schutzbedürfnis besteht. In den Fällen, auf die sich die Klägerin beruft, waren allerdings die sozialen Sicherungen, die mit dem Beamtenverhältnis verbunden sind, fraglich geworden (BSG 20, 123; 20, 133; SozR Nr. 2 zu § 6 Angestelltenversicherungsgesetz - AVG -) oder hatten noch nicht endgültig bestanden (BSG 31, 66). Daher konnte dem Einwand, der durch die Sozialversicherung gegebene Schutz sei schon durch das Beamtenverhältnis gewährleistet, mit dem Hinweis auf das objektive Interesse an einer zusätzlichen Sicherung in der privaten Beschäftigung begegnet werden. Damit war jedoch nicht gesagt, daß die Versicherungspflicht in der privaten Beschäftigung stets eine - in jenen Sonderfällen vorliegende - Unvollkommenheit der beamtenrechtlichen Sicherung voraussetze. Eine entsprechende Klarstellung ist schon in einem Fall erfolgt, in dem zu entscheiden war, ob eine aktive Beamtin auf Lebenszeit infolge der sich aus § 169 RVO ergebenden Versicherungsfreiheit auch in der Krankenversicherung der Rentner-als Bezieherin einer Witwenrente - versicherungsfrei war. Der Senat hat dies verneint (Urteil vom 4.10.1973 in SozR Nr. 76 zu § 165 RVO), und zwar ausdrücklich mit dem Hinweis auf die vorgenannten Entscheidungen. In dem Urteil vom 10. September 1975 aaO hat der Senat dies auch in dem Fall ausgesprochen, daß ein aktiver Beamter auf Lebenszeit eine die Grenzen des § 168 Abs. 2 RVO überschreitende Nebenbeschäftigung ausgeübt hat. Die Beschränkung der Versicherungsfreiheit auf das eigentliche Beamtenverhältnis habe ihren Grund zunächst darin, daß Freistellungen von der Versicherungspflicht als Ausnahme von dem Grundsatz geregelt seien, daß entgeltliche Beschäftigungsverhältnisse versicherungspflichtig sind. Diese - mehr formale - Begründung werde bestätigt durch den das Recht der Sozialversicherung beherrschenden Grundsatz der Solidarität aller abhängig Beschäftigten, der es ausschließe, die Versicherungspflicht über die gesetzlich geregelten Freistellungstatbestände hinaus von einem individuellen Schutzbedürfnis abhängig zu machen, zumal dieses Schutzbedürfnis sich beim Einzelnen im Laufe der Zeit wandeln könne und damit, wenn die Versicherungspflicht solchen Wandlungen folgen würde, die Gefahr einer negativen Risikoauslese bestände. Die Sozialversicherung sei keine nur hilfsweise eintretende Einrichtung für Personen, die während der fraglichen Zeit nicht anderweitig ausreichend geschützt sind. Im übrigen wäre eine auch nur einigermaßen gleichförmige Beurteilung des konkreten Schutzbedürfnisses für die Verwaltung und die Gerichte außerordentlich schwierig. Eine Abgrenzung der Schutzbedürftigkeit nach generellen Merkmalen - abhängige Beschäftigung - diene daher auch der Rechtssicherheit.
Für die Versicherungsfreiheit bzw. Beitragsfreiheit der Soldaten auf Zeit (§§ 172 Abs. 1 und 2, 1229 Abs. 1 Nr. 5 RVO, 169 Nr. 1 AFG) gelten keine Besonderheiten, die eine Erstreckung auf ein gleichzeitig mit dem Soldatendienstverhältnis ausgeübtes Beschäftigungsverhältnis rechtfertigen würden.
Der Vortrag der Klägerin zu der Frage, ob die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin "integraler Bestandteil" des Dienstverhältnisses sei, ist nur insofern von Interesse, als damit zum Ausdruck gebracht wird, es liege kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 165 Abs. 1 Nr. 1 RVO oder ein diesem Beschäftigungsverhältnis gleichstehendes Ausbildungsverhältnis (§ 165 a Nr. 2 RVO) vor. Eine solche Auffassung widerspricht aber den unangegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG, wonach der Beigeladene auf Grund eines Ausbildungsvertrages mit der Klägerin in der üblichen Arbeitszeit gegen ein die Grenzen des § 168 Abs. 2, Buchst. b RVO übersteigendes Entgelt beschäftigt worden ist. Auch wenn man - wovon die Klägerin möglicherweise zu Recht ausgeht - die Ausbildung des Klägers als Versorgungsmaßnahme des Dienstherren (vgl. §§ 3 ff SVG) beurteilt, ändert dies nichts daran, daß diese Maßnahme auf dem Wege eines privaten Beschäftigungsverhältnisses durchgeführt wurde.
Die Beschäftigung des Beigeladenen in diesem Verhältnis ist kein Dienst im Sinne des § 172 Abs. 1 Nr. 2 RVO. Die Freistellung des Beigeladenen lediglich vom "militärischen" Dienst und die Weiterzahlung der Dienstbezüge deuten zwar darauf hin, daß er auch dem Dienstherrn gegenüber verpflichtet war, die streitige Beschäftigung auszuüben. Diese Verpflichtung ist aber lediglich die Grundlage für das Beschäftigungsverhältnis, das seinerseits die Grundlage für die Versicherungspflicht bildet.
Die Tatsache, daß § 1229 Abs. 1 Nr. 5 RVO für die Versicherungsfreiheit der Soldaten auf Zeit und der Berufssoldaten im Gegensatz zu der die Versicherungsfreiheit der Beamten regelnden Vorschrift des § 1229 Abs. 1 Nr. 3 RVO keine Versorgungsanwartschaft voraussetzt, gibt entgegen der Meinung der Klägerin keinen Hinweis darauf, daß Beschäftigungsverhältnisse beim Zusammentreffen mit einem Soldatenverhältnis anders zu beurteilen seien als beim Zusammentreffen mit einem Beamtenverhältnis. Denn - wie oben ausgeführt - hängt die Versicherungspflicht eines neben oder gleichzeitig mit einem Dienstverhältnis bestehenden Beschäftigungsverhältnisses nicht von der mit dem Dienstverhältnis verbundenen sozialen Sicherung ab.
Auch aus § 1232 Abs. 3 Buchst. a RVO sind keine Schlüsse zugunsten der Klägerin zu ziehen. Hier wird in Verbindung mit der entsprechenden Vorschrift des § 9 Abs. 3 Buchst. a AVG lediglich festgelegt, daß sich die Frage, in welchem Versicherungszweig die Nachversicherung erfolgt, erst innerhalb eines Jahres nach Ausscheiden aus der Bundeswehr oder nach Beendigung der Berufsförderung entscheidet.
Die Revision war daher zurückzuweisen (§§ 170 Abs. 1 Satz 1, 193 SGG).
Fundstellen