Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung des Sozialhilfeträgers bei übergeleitetem Anspruch auf Arbeitslosenhilfe
Orientierungssatz
Hat der Sozialhilfeträger einen etwaigen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe auf sich übergeleitet (hier: nach § 90 BSHG aF), ist er zu dem Rechtsstreit notwendig beizuladen, in dem sich der Arbeitslose gegen die Aufhebung der Bewilligung wendet.
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; BSHG § 90 Abs 1 S 1 Fassung: 1976-12-03
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger war seit September 1979 bis zum 16. Juli 1980 aushilfsweise als Lehrkraft an einer Schule in B. beschäftigt. Bis zum 31. Dezember 1979 wurden für ihn ua Beiträge zur Beklagten entrichtet. Mit Rücksicht auf die Gewährleistungserklärung des Senators des Inneren vom 18. Dezember 1964, wonach Lehrkräfte mit Erster (Wiss.) Staatsprüfung, die sich bei dem Schulsenator um Aufnahme in den Vorbereitungsdienst des Studienrates beworben haben, deren Bewerbung jedoch zurückgestellt worden ist, beitragsfrei seien, wurden für die Zeit seit 1. Januar 1980 keine Beiträge mehr entrichtet. Den Antrag des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg) vom 23. Juli 1980 lehnte die Beklagte zwar wegen Fehlens einer ausreichend langen beitragspflichtigen Beschäftigung ab, bewilligte dem Kläger jedoch von diesem Zeitpunkt an Arbeitslosenhilfe (Alhi). Diese Bewilligung hob sie später wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten auf.
Auf seinen Wiederbewilligungsantrag bewilligte die Beklagte dem Kläger erneut Alhi ab 10. November 1981 (Bescheid vom 9. Dezember 1981). Als Folge eines Wohnsitzwechsels erging der Bescheid des Arbeitsamtes H. vom 25. März 1982, worin dem Kläger Alhi für die Zeit vom 5. Februar 1982 bis 31. März 1982 bewilligt wurde. Unter Hinweis auf Art 1 § 2 Nr 17 des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) hob die Beklagte die Bewilligung für die Zeit ab 1. April 1982 auf (Bescheid vom 1. April 1982, Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 1982).
Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung von Alhi ab 1. April 1982 verurteilt (Urteil vom 30. September 1983).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 30. Januar 1985). Es hat die Auffassung des SG bestätigt, daß der Kläger nach den Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) auch idF des AFKG die Voraussetzungen für den Anspruch auf Alhi für die Zeit ab 1. April 1982 erfülle. In seiner Beschäftigung für das Land Berlin habe der Kläger zwar nur für 118 Tage in beitragspflichtiger Beschäftigung gestanden (bis 31. Dezember 1979); die Zeit vom 1. Januar bis 16. Juli 1980 (198 Tage) jedoch sei nach § 134 Abs 2 Nr 1 AFG als Folge der Gewährleistungserklärung wie ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis als anwartschaftsbegründend zu bewerten.
Mit der Revision wendet sich die Beklagte gegen diese Ansicht und führt hierzu insbesondere aus: Das privatrechtliche Arbeitsverhältnis des Klägers könne nicht mit Rücksicht auf die Gewährleistungserklärung den Anspruch auf Alhi seit 1. April 1982 begründen, da ihm die an ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis iS des § 134 Abs 2 Nr 1 AFG zu stellenden Anforderungen fehlten.
Die Beklagte beantragt, die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des LSG für richtig.
Die vom LSG beigeladene Stadt F. hat keine Anträge gestellt.
Während des Revisionsverfahrens sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, daß der M.-Kreis (Sozialverwaltung) der Beklagten unter dem 7. September und 25. Oktober 1982 die Gewährung von Sozialhilfeleistungen an den Kläger angezeigt und unter Hinweis auf § 90 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) um Erstattung aus den Ansprüchen des Klägers ua auf Alhi ersucht hat. Eine entsprechende Anzeige vom 12. November 1982 beziffert den Umfang der Leistungen vom 11. Mai bis 30. November 1982 auf 4.106,70 DM.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Bei einer zulässigen Revision sind, bevor sachlich-rechtlich über den streitigen Anspruch entschieden werden kann, die Voraussetzungen zu prüfen, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt. Zu den von Amts wegen zu berücksichtigenden Mängeln, die zur Unwirksamkeit des Urteils führen, zählt die Unterlassung einer notwendigen Beiladung (vgl BSG SozR 1500 § 75 Nrn 34, 36, 37, 39, 40, 44, 48). Das LSG hat bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, daß an dem Rechtsstreit der M.-Kreis - Sozialverwaltung - als der örtlich zuständige Sozialhilfeträger derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 SGG). Der Klageanspruch steht diesem nämlich teilweise zu, weil er dem Kläger vom 11. Mai bis 30. November 1982 vorschußweise Sozialhilfeleistungen gewährt und dies mit Schreiben vom 7. September, 25. Oktober und 12. November 1982 der Beklagten mitgeteilt sowie erklärt hat, daß er aus den vom Kläger geltend gemachten Ansprüchen ua auf Alhi Erstattung gem § 90 BSHG begehre.
Der § 90 BSHG ist hier in der bis zum 30. Juni 1983 geltenden Fassung maßgebend (Art II § 14 Nr 8, § 25 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - -SGB 10-III. Kapitel- vom 4. November 1982, BGBl I 1450). Die Überleitung ist nicht deshalb hinfällig geworden, weil gemäß Art II § 21 SGB 10 bereits begonnene Verfahren nach den neuen Vorschriften zu Ende zu führen sind, dh, die Regelung alle Verfahren erfaßt, die noch nicht endgültig abgeschlossen sind. Das mag zwar auch für Verfahren gelten, die noch vor den Gerichten anhängig sind (Schroeder-Printzen ua, Sozialgesetzbuch -Verwaltungsverfahren-, ErgBd Art II § 21; BSGE 52, 98, 100; 54, 223, 226 zu Art II § 37 Abs 1 SGB 10 und BSGE 56, 69, 71 zu Art II § 21 SGB 10); dennoch hat dies nicht zur Folge, daß im vorliegenden Falle aufgrund der Neufassung des § 90 Abs 1 Satz 1 BSHG, nach der nur noch eine Überleitung gegenüber Personen möglich ist, die nicht Leistungsträger iS von § 12 SGB 1 sind, gegenstandslos geworden ist, und dem Sozialhilfeträger danach nur noch die Möglichkeit gegeben ist, seine Ansprüche wegen eines Erstattungsanspruchs gemäß §§ 102 ff SGB 10 geltend zu machen. Dem steht schon entgegen, daß hier nicht die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige im Streit steht. Streitgegenstand ist vorliegend vielmehr die Frage, ob dem Kläger die begehrte Leistung zusteht. Ein Verfahren iS von Art II § 21 SGB 10 ist daher nicht anhängig. Außerdem kann sich diese Vorschrift nur auf Erstattungsansprüche, dh auf Ansprüche, die der betreffende Leistungsträger kraft originären Rechts geltend macht, auswirken. Nicht davon erfaßt sein können Ansprüche, die der Leistungsträger aufgrund eines Forderungsüberganges erworben hat. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß mit der vorstehend angeführten Vorschrift ein Rechtsübergang rückgängig gemacht werden sollte, der bereits erfolgt ist (Schroeder-Printzen ua aaO, Anm 9 vor § 102). Ob dies auch gilt, wenn die Überleitungsanzeige selbst angefochten wird, kann hier dahinstehen, da dies nicht geschehen ist (vgl die unveröffentlichten Urteile des erkennenden Senats vom 12. April 1984 - 7 RAr 27/83 -, vom 24. Mai 1984 - 7 RAr 70/83 -, vom 25. Oktober 1984 - 7 RAr 5/84 -, vom 14. März 1985 - 7 RAr 87/84 - und vom 23. Oktober 1985 - 7 RAr 30/85, 7 RAr 158/84 und 7 RAr 89/83 -).
Soweit der 11b-Senat des BSG in seinem Urteil vom 30. Mai 1985 - 11b/7 RAr 111/83 - die Auffassung vertritt, wegen des Inkrafttretens des Dritten Kapitels des SGB 10 am 1. Juli 1983 könnten die Ansprüche der Leistungsträger untereinander auf Erstattung von Sozialleistungen nur noch gemäß §§ 102 ff SGB 10 als originäre Erstattungsansprüche und nicht aus übergeleitetem Recht geltend gemacht werden, was auch für vor dem 1. Juli 1983 begonnene Verfahren gelte, vermag ihm der erkennende Senat aus den vorstehenden Gründen nicht zu folgen. Einer Anrufung des Großen Senats des BSG bedarf es dennoch nicht. Diese Rechtsauffassung ist für die Entscheidung des 11b-Senats nicht von tragender rechtlicher Bedeutung. Auch wenn der die Erstattung begehrende Leistungsträger in dem vor dem 11b-Senat anhängig gewesenen Rechtsstreit einen übergeleiteten Anspruch des Leistungsempfängers geltend gemacht hätte, würde dies zu keinem anderen Ergebnis geführt haben. Ebenso wie bei einem originären Erstattungsanspruch hätte dies zur Abweisung der Klage geführt, weil der Leistungsempfänger gegen den auf Erstattung in Anspruch genommenen Leistungsträger nicht anspruchsberechtigt war. Dies mag auch der Grund dafür sein, daß der 11b-Senat auf die oa frühere Rechtsprechung des 7. Senats nicht eingegangen ist.
Bei den vorgenannten Schreiben des Sozialhilfeträgers handelt es sich um Verwaltungsakte, die - wie die Hinweise auf § 90 BSHG erweisen - den Übergang der Ansprüche auf Alhi des Klägers in Höhe der ihm gewährten Sozialhilfeleistungen auf den Sozialhilfeträger bewirken sollen, sofern der Kläger entsprechende Ansprüche hat. Da außerdem auch die Hilfe, wegen der die Überleitung erfolgt, angegeben ist, sind die an Überleitungsanzeigen zu stellenden Anforderungen erfüllt (vgl BVerwGE 29, 229, 231; 34, 219, 225; 42, 198, 200).
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 21. Juli 1981 (SozR 1500 § 75 Nr 37) entschieden hat, sagt die Überleitung nichts über Bestand, Höhe und Inhalt des übergeleiteten Anspruchs aus, sondern bewirkt lediglich den Gläubigerwechsel. Der Anspruch wird durch die Überleitung nicht verändert. Dem Schuldner verbleiben alle Rechtseinwendungen auch gegenüber dem Sozialhilfeträger, wie sie ihm gegenüber dem eigentlichen Anspruchsinhaber zustanden. Der Sozialhilfeträger kann den übergeleiteten Anspruch nur in dem Maße und unter denselben Voraussetzungen geltend machen wie der Hilfeempfänger. Die Befugnis der Beklagten, Ansprüche auf Leistungen nach dem AFG durch Verwaltungsakt zu regeln, wird daher durch die Überleitung eines solchen Anspruchs nicht beeinträchtigt. Hinsichtlich des übergeleiteten Anspruchs kommt dem Sozialhilfeträger nur die Stellung zu, die auch dem Hilfeempfänger gegenüber seinem Schuldner zusteht. Damit greift jede gerichtliche Entscheidung über die hier streitige Leistung, die den Grund des Anspruchs betrifft, in die Rechtssphäre des Trägers der Sozialhilfe unmittelbar ein. Der Sozialhilfeträger ist mithin an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß nach dem sachlich-rechtlichen Inhalt des Begehrens des Klägers lediglich eine Entscheidung des Rechtsstreits möglich ist, die auch gegenüber dem Sozialhilfeträger nur einheitlich ergehen kann. Der Sozialhilfeträger muß daher zu dem Rechtsstreit beigeladen werden.
Da Beiladungen im Revisionsverfahren in Angelegenheiten des Alg oder der Alhi gemäß § 168 SGG unzulässig sind, führt der Verfahrensmangel ohne weiteres zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Mangels Beteiligung aller am Verfahren Betroffener ist es dem Senat verwehrt, zur materiell-rechtlichen Seite Stellung zu nehmen. Das LSG wird lediglich darauf hingewiesen, daß es möglicherweise der prozessualen Klärung bedarf, welchen Inhalt der angefochtene Bescheid besitzt. Dieser ist als "Aufhebungsbescheid" (mit Wirkung ab 1. April 1982) gekennzeichnet worden, obwohl der letzte Bewilligungsbescheid vom 25. März 1982 Alhi nur bis zum 31. März 1982 bewilligt hatte. Das LSG wird mithin zu prüfen haben, ob es sich bei dem angefochtenen Bescheid um einen verfahrensrechtlich wirksamen Ablehnungsbescheid handelt (vgl dazu das Urteil des Senats vom 12. Dezember 1985 - 7 RAr 122/84 -).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen