Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. April 1989 und des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Januar 1986 aufgehoben, soweit sie hinsichtlich der Rückforderung von Wintergeld und Schlechtwettergeld die Klage abgewiesen und über die Kosten entschieden haben.
Die Bescheide der Beklagten vom 15. Mai 1985 und vom 20. Juni 1985 werden auch auch hinsichtlich der Rückforderung von Wintergeld und Schlechtwettergeld aufgehoben.
Hinsichtlich des Anspruchs auf Leistungen für die Monate Dezember 1984 und März 1985 wird die Revision zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits einschließlich der der Beigeladenen zu erstatten.
Tatbestand
I
Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) und die von dieser zunächst als Baubetrieb angesehene Klägerin streiten über die Rückforderung von Wintergeld (WG), Schlechtwettergeld (SWG) und der Zuschüsse zu den Beiträgen zur Rentenversicherung sowie um diese Leistungen für Dezember 1984 und März 1985.
Die klagende GmbH & Co KG stellt Straßenmarkierungen in Farbe und Heißplastik her. Sie wurde von der beklagten BA für die Zeit von Mai 1972 bis Mai 1973 zur Zahlung von Winterbauumlage herangezogen. Die hiergegen erhobene Klage blieb vor dem Sozialgericht (SG) und dem Landessozialgericht (LSG) erfolglos. Das Bundessozialgericht (BSG) verwies den Rechtsstreit an das LSG zurück. Nach Beweisaufnahme über die objektive Nichtdurchführbarkeit von Straßenmarkierungsarbeiten in der Schlechtwetterzeit aus physikalischen Gründen erkannte die BA an, daß die Klägerin von Mai 1972 bis 31. Juli 1979 nicht umlagepflichtig war. Für die Zeit ab dem Inkrafttreten des § 76 Abs 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) nF (1. August 1979) sah die BA die Voraussetzungen des § 186a AFG als erfüllt an und setzte die Winterbauumlage für Dezember 1979 fest. Die hiergegen erhobene Klage führte vor dem LSG und vor dem BSG zur Aufhebung des Umlagebescheides, da die Klägerin auch nach dem 1. August 1979 nicht zu den Arbeitgebern des Baugewerbes gehöre, in deren Betrieb die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist (Urteil des BSG vom 12. Dezember 1984 – 10 RAr 1/84 – SozR 4100 § 76 Nr 13).
Die BA hatte in zwei Bescheiden des Arbeitsamtes WG zunächst für Januar 1985, dann auch für Februar 1985 bewilligt und die Auszahlung unter Erklärung der Aufrechnung mit der Umlageforderung abgelehnt (Bescheide vom 6. März 1985 und vom 26. März 1985). Sie hob in einem an den Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin gerichteten Bescheid des Landesarbeitsamtes „alle bisher ergangenen Bescheide” auf, nachdem die Klägerin nicht zur Winterbauförderung zugelassen sei und somit keine Verpflichtung zur Zahlung der Winterbauumlage vorliege; auf eine anliegende Aufstellung der bisher ergangenen Bescheide sowie die von der Klägerin bzw von der BA aufgerechneten Beträge wurde Bezug genommen; über die Rückforderung ergehe gesonderter Bescheid (Bescheid vom 24. April 1985). Ferner lehnte die BA zwei Anträge der Klägerin auf WG, SWG und Beitragszuschüsse für Dezember 1984 und März 1985 ab (Bescheid vom 15. Mai 1985). Schließlich setzte die BA in gesondertem Bescheid die Rückforderung insgesamt auf 106.280,36 DM fest; davon entfielen auf SWG 65.773,27 DM, auf WG 29.151,16 DM und auf Zuschüsse zur Rentenversicherung 11.355,93 DM (Bescheid ebenfalls vom 15. Mai 1985). Die gegen die Aufrechnungsbescheide, gegen den Aufhebungsbescheid, den Ablehnungsbescheid und den Rückforderungsbescheid erhobenen Widersprüche blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 1985).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. Januar 1986). Das LSG hat auf die vom SG zugelassene Berufung den Bescheid vom 24. April 1985 aufgehoben, soweit er nicht die Umlagepflicht betrifft, und ebenso den Bescheid vom 15. Mai 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 1985, soweit die Aufhebung der Bewilligung und die Erstattung von Zuschüssen zu den Beiträgen zur Rentenversicherung betroffen sind; die weitergehende Berufung wurde zurückgewiesen (Urteil vom 11. April 1989).
Die Klägerin rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision, das LSG habe es für die Verneinung des streitigen Anspruchs auf SWG und WG zu Unrecht allein darauf abgestellt, daß eine Umlagepflicht zur produktiven Winterbauförderung nicht bestehe, und nicht ausreichen lassen, daß in der Schlechtwetterzeit witterungsbedingte Arbeitsausfälle hinzunehmen sind. Hinsichtlich der Rückforderung seien die §§ 71 Abs 1, 81, 87 AFG und § 45 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) verletzt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG abzuändern und die Bescheide vom 24. April 1985, vom 15. Mai 1985 und vom 20. Juni 1985 aufzuheben sowie die BA zu verurteilen, für Dezember 1984 und März 1985 SWG zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Der beigeladene Betriebsrat der Klägerin hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin hatte Erfolg hinsichtlich der Rückforderung von WG und SWG und war nur hinsichtlich der für Dezember 1984 und März 1985 begehrten Leistungen zurückzuweisen.
1. Auf die Revision der Klägerin war über die für Dezember 1984 und März 1985 begehrten Leistungen in der Sache zu entscheiden. Der Bescheid vom 15. Mai 1985 über die Ablehnung der Leistung für diese beiden Monate ist Gegenstand des Verfahrens geworden.
Die BA rügt in diesem Zusammenhang zu Unrecht, das LSG habe verfahrenswidrig einerseits den Bescheid des Landesarbeitsamtes vom 24. April 1985 einbezogen und andererseits den Bescheid vom 5. Februar 1986 ausgeklammert.
Ursprünglich angefochten waren zwei Bescheide der BA, nämlich vom 6. März 1985 über die Zubilligung von WG für Januar 1985 unter Aufrechnung mit der Umlageforderung und vom 26. März 1985 über die Feststellung von WG für Februar 1985 ebenfalls unter Aufrechnung mit der Umlage (LA Bl 11 und 16). Die Klägerin hatte mit Widersprüchen vom 28. März 1985 beide Bescheide angefochten (LA 42 und 43). Der dann ergangene Bescheid des Landesarbeitsamtes vom 24. April 1985 hob „alle bisher ergangenen Bescheide” auf und verwies auf eine anliegende Aufstellung über alle bisher ergangenen Bescheide, in die auch Aufrechnungsbescheide mit Leistungsansprüchen aufgenommen sind. Der dort genannte Bescheid vom 11. März 1985 über 238,– DM bezieht sich auf den Bescheid vom 6. März 1985 über dieselbe Summe für Januar 1985, der mit dem Widerspruch angefochten war. Die in der Anlage entsprechend gekennzeichnete Aufrechnung „29.03.85 303,– DM”, bezieht sich demgemäß auf die im Bescheid vom 26. März 1985 (LA 16) erklärte Aufrechnung zum WG für Februar 1985 in Höhe von 303,– DM. Das LSG hat dem zutreffend entnommen, daß der Bescheid des Landesarbeitsamts vom 24. April 1985, der an sich nur Umlageansprüche betraf, auch das Erlöschen der WG-Forderung für die Monate Januar und Februar 1985 regelte. Damit trat er insoweit an die Stelle der mit den Widersprüchen vom 28. März 1985 angefochtenenen Bescheide über die Leistungsfeststellung nebst Aufrechnungserklärung für die Monate Januar und Februar 1985 und wurde Gegenstand des Widerspruchsverfahrens (§ 86 SGG).
Der Bescheid des Arbeitsamtes vom 15. Mai 1985 über die Aufhebung aller Bewilligungsbescheide (LA 49) und die Ersatzforderung von mehr als 106.000,– DM hat auch die Bewilligungs- und Aufrechnungsbescheide vom 6. März 1985 und vom 26. März 1985, die Gegenstand des Widerspruchsverfahrens waren, aufgehoben und in vollem Umfang ersetzt. Dieser Bescheid wurde damit ebenfalls Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.
Auch der weitere Bescheid vom 15. Mai 1985 über die Ablehnung von WG, SWG und Beitragszuschüssen für Dezember 1984 und März 1985 (LA 48) wurde nach § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens. Diese Vorschrift ist zwar wegen fehlender Regelungsidentität nicht unmittelbar, wohl aber wegen des nahen Regelungszusammenhangs entsprechend anwendbar. Der neue Bescheid betrifft die Ablehnung der Auszahlung von WG für die Monate Dezember 1984 und März 1985, zwischen denen die bisher streitigen Monate Januar und Februar 1985 liegen. Die Klägerin hat zwar gegen den Bescheid vom 15. Mai 1985 Widerspruch eingelegt (vom 14. Juni 1985 – LA 56); darin liegt jedoch kein Verzicht auf die Einbeziehung in das laufende Widerspruchsverfahren.
Die BA hat im Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 1985 „die Widersprüche der Klägerin gegen Bescheide des Arbeitsamtes Rottweil vom 6. März 1985 und 25. März 1985” über „Aufrechnung des WG für die Monate Januar und Februar 1985 mit Umlagerückständen nach § 186a AFG” zurückgewiesen. Damit ist das Widerspruchsverfahren auch für die nach § 86 SGG einbezogenen Bescheide durchgeführt, selbst wenn die BA diese Bescheide nicht einbeziehen wollte. Das SG hat zu Recht die Umstellung der zunächst gegen die Bescheide vom 6. März 1985 und 25. März 1985 in der Form des Widerspruchsbescheides erhobenen Klage in eine Klage auf Aufhebung der Bescheide vom 15. Mai 1985 und vom 20. Juni 1985 und Verurteilung zur Leistung für die Monate Dezember 1984 und März 1985 zugelassen.
Berücksichtigt die Widerspruchsbehörde einen neuen Verwaltungsakt iS des § 86 SGG im Widerspruchsbescheid nicht, so ist dieser fehlerhaft. Das Gericht kann das Verfahren aussetzen, bis die Widerspruchsbehörde über den neuen Verwaltungsakt entschieden hat (Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl, § 86 RdNr 3). Es wird hiervon Gebrauch machen, wenn der neue Verwaltungsakt aufgrund einer Ermessensausübung ergangen ist und der Kläger eine Überprüfung des Ermessens fordert. Hat die Widerspruchsbehörde den neuen Bescheid nicht bewußt ausgeklammert, um über ihn in einem späteren Widerspruchsbescheid zu befinden (Teil-Widerspruchsbescheid), so ist mit dem fehlerhaften Widerspruchsbescheid das Vorverfahren für den gesamten Verfahrensgegenstand durchgeführt. Zu dem vergleichbaren Verhältnis zwischen erster und zweiter Instanz in § 96 SGG ist bereits entschieden, daß das LSG über einen während des erstinstanzlichen Verfahrens ergangenen, vom SG entgegen § 96 SGG nicht miterledigten Verwaltungsakt zu entscheiden hat, wenn ein Beteiligter es beantragt und die anderen nicht widersprechen (BSGE 27, 146). Das gilt auch, wenn das SG einen nach § 86 SGG vom Widerspruchsbescheid erfaßten Verwaltungsakt nicht miterledigt hat (SozR 2200 § 313a Nr 6). Der hierfür maßgebende Gedanke der Prozeßökonomie rechtfertigt es auch, daß das Gericht auf Antrag des Klägers über einen Verwaltungsakt entscheidet, den die Widerspruchsbehörde entgegen § 86 SGG nicht miterledigt hat.
Es bleibt also unschädlich, daß der Widerspruchsbescheid zur Begründung lediglich auf den Bescheid des Arbeitsamtes vom 15. Mai 1985 und den Bescheid des Landesarbeitsamtes vom 24. April 1985 verweist, ohne diese Bescheide ausdrücklich in den Widerspruchsbescheid einzubeziehen. Es bedarf somit nicht der Entscheidung, ob der Widerspruchsbescheid über alle Widersprüche und damit über den gesamten Zeitraum von 1982 bis Februar 1985 hinsichtlich der Aufhebung der Bewilligungsbescheide und zusätzlich hinsichtlich der Ablehnung von WG im Bescheid vom 15. Mai 1985 über die Monate Dezember 1984 und März 1985 entscheiden wollte.
Der nach Klageerhebung ergangene Bescheid vom 5. Februar 1986 (Bl 20 in S 6 Ar 1380/85) über die Ablehnung der Anträge auf WG, auf SWG und auf Beitragszuschüsse für November und Dezember 1985 ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens. Der Bescheid ändert nicht die in den angefochtenen Bescheiden getroffene Regelung. Auf ihn ist § 96 SGG nicht unmittelbar anwendbar. Gleichwohl wurde er in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift Gegenstand der Klage, da er die von den Aufhebungsbescheiden betroffene Leistung für spätere Leistungszeiträume betrifft (vgl BSG SozR 1500 § 96 Nr 14). Bei derartigen Bescheiden, auf die die §§ 86 und 96 SGG nur entsprechend anwendbar sind, hat die Rechtsprechung stets den Verzicht des Klägers auf die Einbeziehung und die selbständige Anfechtung mit dem Widerspruch zugelassen (BSG SozR 1500 § 96 Nr 18). Der Bescheid ist deshalb nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden, weil sich die Beteiligten zur Niederschrift des LSG darüber geeinigt haben, daß der Bescheid vom 5. Februar 1986, den die Klägerin mit dem Widerspruch angefochten hatte, nicht Gegenstand des Verfahrens geworden ist.
Mit der Revision erstrebt die Klägerin WG, SWG und Beitragszuschüsse für Dezember 1984 und März 1985. Sie hat zwar im Revisionsantrag nur das SWG erwähnt, in der Revisionsbegründung aber geltend gemacht, die Ablehnungsbescheide seien bzgl des beantragten SWG und WG aufzuheben. Das LSG hat zu Recht über die Leistungsansprüche auf WG und SWG entschieden, obwohl auch im Berufungsantrag nur das SWG besonders erwähnt war. Nach dem Gesamtzusammenhang ist nicht zweifelhaft, daß die Klägerin daneben auch die Beitragszuschüsse mit der Revision geltend macht, da sich die Streitfrage zur Ausschlußwirkung des § 76 Abs 1 AFG für diese Ansprüche in gleicher Weise stellt.
Das LSG hat einen Anspruch auf WG und SWG für Dezember 1984 und März 1985 mit zutreffender Begründung verneint, so daß für diese Monate auch kein Beitragszuschuß zu gewähren ist. Es ist der Revision zwar zuzugeben, daß die Regelung des SWG in den §§ 83 bis 89 AFG lediglich auf den witterungsbedingten Arbeitsausfall und nicht auf die Möglichkeit von Förderungsmaßnahmen abstellt. Nach § 76 Abs 1 AFG haben jedoch Anspruch auf Leistungen nach diesem Unterabschnitt, zu dem auch die Regelung über WG (§ 80) und SWG (§§ 83 bis 89 AFG) gehören, nur solche Arbeitnehmer, die in Betrieben von Arbeitgebern des Baugewerbes beschäftigt sind, in denen die ganzjährige Beschäftigung nach Abs 2 zu fördern ist. Es ist indes eindeutig, daß sich die Regelung über zugelassene Betriebe in § 76 auch auf WG und SWG bezieht. Der zweite Unterabschnitt des zweiten Abschnitts des AFG beginnt mit allgemeinen Vorschriften (§§ 74 ff), die schon nach ihrer Stellung sich ohne weiteres auf alle Leistungen zur produktiven Winterbauförderung (§§ 77 ff) beziehen, insbesondere auf WG und SWG. Die Revision meint zu Unrecht, es könne nicht richtig sein, einen Baubetrieb nur wegen fehlender Umlagepflicht vom Bezug von SWG und WG auszuschließen, das sie ihren Arbeitnehmern zu gewähren habe. Es wäre vielmehr umgekehrt zumindest mit der vom Gesetzgeber angeordneten Umlage-Finanzierung des WG nur schwer zu vereinbaren, Leistungen an Betriebe oder deren Arbeitnehmer vorzusehen, die zum Aufbringen der Umlage überhaupt keinen Beitrag leisten.
2. Hinsichtlich der Rückforderung waren die Bescheide der BA jedoch entgegen der Auffassung des LSG nicht nur in Bezug auf die Aufhebung der Leistungsbewilligung und des Zuschusses zu den Beiträgen zur Rentenversicherung aufzuheben, sondern auch bezüglich des WG und des SWG. Die Rückforderung von WG und SWG ist entgegen der Auffassung des LSG weder nach § 71 AFG noch nach § 50 Abs 1 SGB X begründet.
Nach der in § 71 Abs 1 AFG zum Kurzarbeitergeld (Kug) getroffenen Regelung, die nach § 81 Abs 3 Satz 4 für das WG und nach § 87 AFG für das SWG entsprechend gilt, ist der zu Unrecht geleistete Betrag vom Arbeitgeber zu ersetzen, wenn er oder eine von ihm bestellte Person entsprechend § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X bewirkt hat, daß Kug, WG oder SWG zu Unrecht geleistet worden ist.
Der § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X betrifft die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte und nennt drei Alternativen, bei deren Vorliegen ein Vertrauensschutz des Begünstigten von vornherein nicht in Betracht kommt, nämlich (1.) Erwirkung des Verwaltungsakts durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung, (2.) Angaben, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, und (3.) daß der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Im Falle der Klägerin ist auch nach Auffassung des LSG keine dieser Alternativen erfüllt.
Das LSG meint jedoch, die Klägerin müsse sich in entsprechender Anwendung dieser Tatbestände wie eine zumindest grob fahrlässig handelnde Person behandeln lassen, weil sie die Leistungen beantragt habe, obgleich sie die Umlagepflicht bestritten und die Umlagebescheide angefochten habe. Derjenige, welcher die Gewährung von zumindest möglicherweise rechtswidrigen Leistungen durch die entsprechende Antragstellung billigend in Kauf nehme (bedingter Vorsatz) sei nicht schutzwürdiger als derjenige, der die Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung erkennen mußte. Dem kann der Senat nicht zustimmen.
Die Antragstellung kann unter den gegebenen Umständen einem zumindest grob fahrlässigen Verhalten iS des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X schon deswegen nicht gleichgestellt werden, weil die Klägerin im Verhältnis zu ihren Arbeitnehmern zur Antragstellung verpflichtet war. Die Ansprüche auf SWG und WG stehen nicht dem Arbeitgeber, sondern den „Arbeitern” in Betrieben des Baugewerbes zu (§§ 80 und 83 AFG). Gleichwohl kann die Leistung nur vom Arbeitgeber oder von der Betriebsvertretung beantragt werden (§ 88 Abs 2 Satz 2 AFG). Die insoweit für Kug, SWG und WG im wesentlichen übereinstimmend geltende Verfahrensregelung räumt dem Arbeitgeber das Recht ein, das materiell seinem Arbeitnehmer zustehende Recht nach Art einer Prozeßstandschaft im eigenen Namen geltend zu machen. Zugleich schließt sie den Arbeitnehmer selbst von der Geltendmachung seines Rechts aus, was auch eine notwendige Beiladung des Arbeitnehmers hindert (SozR 4100 § 86 Nr 1). Die gesetzliche Verpflichtung des Bauunternehmers, das SWG als Treuhänder seiner Arbeitnehmer zu beantragen, ist eine mit dem Arbeitsverhältnis eng verbundene Pflicht des Arbeitgebers (BSG SozR 4100 § 72 Nr 2). Die vom Arbeitgeber zu beachtenden Antragsfristen (beim SWG § 88 Abs 2 Satz 2 AFG, beim WG § 81 Abs 3 Satz 2 AFG) sind auch bei begründeten rechtlichen Zweifeln am Vorliegen der Förderungsvoraussetzungen zu beachten (BSG SozR 4100 § 66 Nr 2), so daß der Antrag vom Arbeitgeber zumindest vorsorglich zu stellen ist.
Die Klägerin war hiernach unter den gegebenen Umständen, solange die Umlagebescheide der BA nicht rechtskräftig aufgehoben waren, verpflichtet, die in Betracht kommenden Förderungsanträge zumindest vorsorglich zu stellen. Wegen der einzuhaltenden Antragsfristen war es der Klägerin auch nicht möglich, die rechtskräftige Entscheidung über die Umlagepflicht abzuwarten. Hätte die Klägerin die Antragsfristen verstreichen lassen und wäre dann über die Umlagepflicht im umgekehrten Sinne entschieden worden, so würde ihr die Fristversäumnis im Verhältnis zu ihren Arbeitnehmern wohl zu Recht als grob fahrlässig angelastet.
Hätte die Betriebsvertretung die erforderlichen Anträge gestellt und darauf gedrungen, daß die Klägerin die bewilligten Leistungen an ihre Arbeitnehmer auszahlte, so hätte die Klägerin dem entsprechen müssen.
Die vom LSG vorgenommene Gleichsetzung mit einem grob fahrlässigen Verhalten ist aber auch deswegen nicht gerechtfertigt, weil die richtige Rechtsanwendung bei Erlaß von Bewilligungsbescheiden in erster Linie in den Veranwortungsbereich der BA fällt. Die BA hat – wie sich später herausstellte zu Unrecht – die Klägerin mit einer Umlageforderung überzogen. Sie hat damit die Lage herbeigeführt, in der die Klägerin ihren Arbeitnehmern gegenüber zur vorsorglichen Stellung von Leistungsanträgen verpflichtet war. Alle Gründe, die die BA dafür anführen kann, daß sie damals schuldlos die Klägerin als umlagepflichtig und ihre Arbeitnehmer als leistungsberechtigt ansah, sprechen mit dem gleichen Gewicht dafür, daß die Klägerin zur vorsorglichen Antragstellung verpflichtet war.
Die kostenlose Indienstnahme der Bauunternehmer für die Abwicklung des WG- und des SWG-Verfahrens und ihre gesetzliche Verpflichtung, als Treuhänder ihrer Arbeitnehmer WG und SWG zu beantragen, stieße auf verfassungsrechtlich erhebliche Bedenken, wenn der Arbeitgeber nicht nur für grobe Fahrlässigkeit einzustehen hätte, sondern wenn er in derartigen Fällen WG und SWG zurückzahlen müßte, obgleich er es an seine Arbeitnehmer pflichtgemäß ausgezahlt hat.
Hinzu kommt, daß nur die BA, nicht aber der Arbeitgeber eine Möglichkeit hatte, vor abschließender Klärung der Umlagepflicht die Auszahlung von WG und SWG zurückzustellen. Erkennt die BA, daß hinsichtlich der Umlagepflicht und damit der Leistungsberechtigung ernsthafte Zweifel angebracht sind, so kann sie die abschließende Entscheidung über den Leistungsantrag zurückstellen oder nur eine Leistung unter Vorbehalt gewähren. Im letzteren Falle genügt der Arbeitgeber seiner Verpflichtung, WG und SWG kostenfrei an seine Arbeitnehmer auszuzahlen, wenn die Auszahlung ebenfalls unter dem im Bewilligungsbescheid erfolgten Vorbehalt steht. Wird die Leistung indes – wie hier – unbedingt und ohne Vorbehalt bewilligt, so hat sie der Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer auszuzahlen. Er hat dann keine Möglichkeit, der Rechtsunsicherheit Rechnung zu tragen. Auch deswegen geht es nicht an, die Antragstellung einem grob fahrlässigen Verhalten iS des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X gleichzusetzen.
Die BA kann ihre Rückforderung auch nicht auf § 50 iVm § 45 SGB X stützen. Leistungen, die – wie hier – aufgrund eines Verwaltungsaktes erbracht worden sind, können nach § 50 Abs 1 SGB X nur nach Aufhebung des Verwaltungsaktes zurückgefordert werden. Hieran fehlt es.
Die BA hatte zwar die Bewilligung von SWG und WG aufgehoben. Das LSG hat indes die Aufhebung der Bewilligung in den Bescheiden vom 24. April 1985, vom 15. Mai 1985 und vom 20. Juni 1985 aufgehoben, da sie ohne Ermessensausübung erfolgt sei. In der Urteilsformel wird die Aufhebung der Bewilligung uneingeschränkt aufgehoben, die Anordnung der Erstattung aber nur hinsichtlich der Zuschüsse. Die Urteilsformel läßt allerdings auch die Auslegung zu, daß sich die Aufhebung der Bewilligung wie die der Erstattung nur auf die Zuschüsse bezieht. In den zur Auslegung heranzuziehenden Entscheidungsgründen wird die Aufhebung der Bewilligung von WG und SWG zunächst als „unschädlich” bezeichnet (Seite 15 des Urteils), sodann wird zur Rückforderung der Zuschüsse die Aufhebung der Bewilligung wegen fehlender Ermessensausübung als rechtswidrig aufgehoben (Seite 17, unten). Das kann indes wegen der im Aufhebungsbescheid insgesamt fehlenden Ermessensausübung nur auf die gesamte Aufhebungsentscheidung bezogen werden, was der Fassung der Urteilsformel entspricht.
Hiergegen hat die BA nicht fristgerecht Anschlußrevision eingelegt. Eine Anschlußrevision kann nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung eingelegt werden (§ 202 SGG iVm § 556 Zivilprozeßordnung –ZPO–; BSGE 44, 184 = SozR 1750 § 556 Nr 1). Die Revisionsbegründung ist der BA am 10. August 1989 zugestellt worden. Ihre Erwiderung ist nach Ablauf der Monatsfrist am 18. September 1989 bei Gericht eingegangen. Die Revisionserwiderung der BA läßt auch nicht erkennen, daß sie die Aufhebung ihrer Aufhebungsbescheide anfechten wollte. Im übrigen hat das LSG zu Recht entschieden, daß weder der Rücknahmebescheid vom 24. April 1985 noch der vom 15. Mai 1985 noch der Widerspruchsbescheid das Rücknahmeermessen ausübt.
Der Senat braucht deshalb nicht näher darauf einzugehen, ob der Rücknahme- und Rückforderungsbescheid (§§ 45 und 50 SGB X) hinsichtlich der hier streitigen Ansprüche auf WG und SWG an die Arbeitnehmer zu richten ist, die die Leistung letztlich erhalten haben, oder ob die für das Verfahren hinsichtlich SWG und WG geltende „Verfahrensstandschaft” auch für die Rücknahme von Verwaltungsakten und die Rückforderung nach § 50 SGB X gilt. Deswegen kann dahinstehen, ob das Urteil des BSG vom 11. Juni 1987 (SozR 4100 § 71 Nr 2) die Rechtsauffassung erkennen läßt, daß Rücknahme und Rückforderung im Verhältnis zum Arbeitgeber stattfinden. Darauf würde das Urteil jedenfalls nicht beruhen, da es die Aufhebung des Rücknahmebescheides wegen eingreifenden Vertrauensschutzes bestätigte und deshalb auf weitere Fehler nicht einzugehen brauchte.
Der richtige Adressat des Rücknahme- und Rückforderungsbescheides ist in diesen Fällen deshalb zweifelhaft, weil § 50 SGB X und § 71 AFG unterschiedliche Lösungen nahelegen. Nach der Funktion der Erstattung als Rückabwicklung der Leistung wäre es an sich folgerichtig, daß sich der Erstattungsanspruch aus § 50 SGB X gegen den Arbeitgeber richtet, der die Leistung im eigenen Namen, wenn auch für Rechnung des Arbeitnehmers, aufgrund des an den Arbeitgeber gerichteten Bewilligungsbescheides erhalten hat. Der § 71 Abs 2 bestimmt jedoch in der durch SGB X erfolgten Fassung: Sind die zu Unrecht geleisteten Beträge sowohl vom Arbeitgeber zu ersetzen als auch vom Empfänger der Leistung zu erstatten, so haften beide als Gesamtschuldner. Hier wird als Empfänger der Leistung der Arbeitnehmer angesehen. Würde die Verfahrensstandschaft auf das Rückforderungsverfahren ausgedehnt, so müßte sich der Arbeitnehmer in dem Verwaltungsverfahren, in dem darüber entschieden wird, ob er selbst als Leistungsempfänger zurückzuerstatten hat oder der Arbeitgeber als Ersatzpflichtiger, vom Arbeitgeber im untechnischen Sinne „vertreten” lassen trotz des Interessenwiderstreits, worüber hier indes nicht abschließend entschieden werden muß.
Der Antrag, auch den Bescheid vom 24.April 1985 aufzuheben, ist gegenstandslos. Soweit dieser Bescheid die Bewilligung von WG und SWG aufgehoben hat, ist er bereits vom LSG aufgehoben. Soweit er die Umlagebescheide aufhebt, ist die Klägerin nicht beschwert. Über die Rückforderung von WG und SWG ist in diesem Bescheid nicht entschieden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Bei ihr hat der Senat berücksichtigt, daß die Klägerin nur hinsichtlich Dezember 1984 und März 1985 mit Ansprüchen in Höhe von etwa 8.500,– DM unterlegen ist, während ihre Klage hinsichtlich der Rückforderung von mehr als 106.000,– DM Erfolg hatte. Dem klagenden Arbeitgeber sind auch die seinem beigeladenen Betriebsrat im Rechtsstreit entstandenen Kosten zu erstatten (so auch BSG Urteil vom 25. Juli 1985 – 7 RAr 114/83 – insoweit nicht abgedruckt in SozR 4100 § 83 Nr 2; SozSich 1986, 28; DRV 1986, 261 und NZA 1986, 239). Die Fassung der Kostenentscheidung berücksichtigt, daß der Betriebsrat nicht vermögensfähig ist, sondern auf Kosten und für Rechnung des Arbeitgebers tätig wird. Der Betriebsvertretung selbst steht der Erstattungsanspruch nur zu, wenn sie als Kläger am Prozeß beteiligt ist (BSG Urteil vom 19. Februar 1986 – 7 RAr 9/84 hinsichtlich der Kostenentscheidung nicht abgedruckt in SozR 4100 § 68 Nr 3 und NZA 1986, 725).
Fundstellen
Haufe-Index 913619 |
BSGE, 67 |
BB 1991, 1128 |