Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 31.01.1995; Aktenzeichen L 5 Ar 325/94)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 1995 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob der Klägerin ab 1. April 1991 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder ab 16. April 1992 nach den Vorschriften des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) zusteht.

Die am 17. Juli 1933 geborene Klägerin entrichtete zwischen Januar 1970 und November 1990 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten bzw Arbeiter. Am 9. April 1991 beantragte sie bei der Beklagten Rente wegen EU sowie am 3. Mai 1991 medizinische Leistungen zur Rehabilitation (Reha). Im Gutachten vom 17. Mai 1991 teilte die Ärztin Dr. K. … der Beklagten mit, nach ihrer Beurteilung sei die etwas krankheitsfixierte Klägerin in ihrem Leistungsvermögen noch nicht in stärkerem Maße eingeschränkt und könne noch leichte Arbeiten zu ebener Erde ohne dauerndes Gehen und Stehen und häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten vollschichtig verrichten. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit der Begründung ab, bei der Klägerin liege angesichts ihres vollschichtigen Leistungsvermögens weder Berufsunfähigkeit noch EU vor (Bescheid vom 18. Juni 1991). Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und brachte vor, sie habe zeitweise starke Schmerzen am ganzen Körper und könne dann überhaupt keine Arbeiten mehr verrichten; ihre Tätigkeit als Postgehilfin habe sie aufgeben müssen.

Nachdem die Beklagte den Antrag auf medizinische Leistungen zur Reha zunächst mit Bescheid vom 25. Juli 1991 abgelehnt hatte, bewilligte sie der Klägerin mit Bescheid vom 11. Dezember 1991 eine stationäre Heilbehandlung, die in der Zeit vom 4. März 1992 bis 15. April 1992 durchgeführt wurde, und gewährte ihr für diese Zeit auch Übergangsgeld ≪Übg≫ (Bescheid vom 6. April 1992). Im ärztlichen Entlassungsbericht vom 20. Mai 1992 hieß es, die Klägerin könne mit ihrem derzeitigen Gesundheitszustand auch die zuletzt im Postamt ausgeübte geringfügige Tätigkeit nicht mehr verrichten.

In einer Stellungnahme vom 17. Juli 1992 erklärte die Ärztin Dr. K. … daraufhin, bei der Klägerin müsse seit November 1990 von einem unter zweistündigen Leistungsvermögen auf Dauer ausgegangen werden. Mit Bescheid vom 11. September 1992 gewährte die Beklagte der Klägerin sodann aufgrund des Antrags vom 9. April 1991 Rente wegen EU, die ab 16. April 1992 iH von 180,34 DM zu zahlen sei; bis dahin habe ein Anspruch auf Übg bestanden. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und wies auf eine Rentenauskunft der Beklagten vom 23. Januar 1991 hin; da sie bereits im April 1991 erwerbsunfähig gewesen sei, stehe ihr der damals genannte Betrag (285,40 DM) zu. Durch Bescheid vom 15. März 1993 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, aufgrund der Durchführung der medizinischen Reha-Maßnahme bestehe bis 15. April 1992 kein Anspruch auf eine Rentenleistung (§ 116 Abs 2 SGB VI). Bei einer Rentenantragstellung bis 31. Dezember 1991 und einem Rentenbeginn ab dem 1. Januar 1992 seien immer die Berechnungsvorschriften des SGB VI heranzuziehen. Aus der Rentenauskunft vom Jahre 1991 könne die Klägerin mangels Rechtsverbindlichkeit (§ 1325 Abs 4 Satz 3 RVO) keinen Anspruch herleiten.

Mit Bescheid vom 17. März 1993 bewilligte die Beklagte sodann auch für die Zeit vom Beginn eines Rentenanspruchs (1. April 1991) bis zum Tag vor Beginn der stationären Heilbehandlung (3. März 1992) Übg ab 1. April 1991 (täglich 10,43 DM = monatlich 312,90 DM sowie ab 1. November 1991 täglich 10,93 DM = monatlich 327,90 DM).

Im anschließenden Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, es sei nunmehr festgestellt, daß seit 27. November 1990, dem Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit, EU vorliege. Damit stehe fest, daß die Untersuchung am 13. Mai 1991 unzureichend gewesen sei. Bei korrekter Durchführung hätte ihre Rente bereits im Jahre 1991 beginnen müssen. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 4. Mai 1994 mit der Begründung abgewiesen, gemäß § 300 Abs 1 SGB VI seien die Vorschriften des SGB VI ab 1. Januar 1992 auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden habe. Nach dem Leistungsbeginn-Prinzip sei dasjenige Recht anwendbar, das zum Beginn der Leistung maßgebend sei. Während einer Leistung zur Reha bestehe neben dem Anspruch auf Übg kein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Gemäß dem Grundsatz „Rehabilitation vor Rente” habe die Beklagte der Klägerin zunächst ein Heilverfahren gewährt, aufgrund dessen erst die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung einer Rente wegen EU bejaht worden seien. Nach der zwingenden Vorschrift des § 116 Abs 1 Satz 2 SGB VI habe die Rente damit erst am 16. April 1992 beginnen können. Die von der Beklagten vorgenommene Berechnung im Bescheid vom 11. September 1992 entspreche der geltenden Rechtslage. Aus der Auskunft vom 23. Januar 1991 könne die Klägerin keine für sie günstigere Rentenberechnung herleiten, weil Rentenauskünfte nicht rechtsverbindlich seien. Es verstoße auch weder die vom Gesetzgeber gewählte Stichtagsregelung noch die von der Beklagten vorgenommene Berechnung der Rente gegen das Grundgesetz (GG).

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Begehren auf höhere Rentenzahlung ab 1. April 1991 – unter Anrechnung des gezahlten Übg – aufrechterhalten. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und des Bescheides vom 18. Juni 1991 sowie in Abänderung des Bescheides vom 11. September 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 1993 verurteilt, der Klägerin Rente wegen EU bereits ab 1. April 1991 unter Anrechnung des gezahlten Übg zu gewähren. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt worden: Die Beklagte sei verpflichtet, der Klägerin die Rente wegen EU nach dem bis 31. Dezember 1991 gültigen Recht der RVO zu berechnen, weil die Rente – im Gegensatz zur Auffassung des SG und der Beklagten – bereits ab 1. April 1991 zu leisten sei und nicht erst ab 16. April 1992. Grundsätzlich sei zwar die Auffassung nicht zu beanstanden, daß ein nach dem 31. Dezember 1991 liegender Rentenbeginn die Anwendung der Rentenberechnungsvorschriften des SGB VI zur Folge haben müßte (vgl § 300 Abs 1 SGB VI) mit dem für die Klägerin ungünstigeren Ergebnis. Die Vorschrift des § 1241d Abs 1 Satz 2, Abs 4 RVO (die vorliegend gemäß § 300 Abs 1 SGB VI auch nach Inkrafttreten des SGB VI noch anwendbar wäre), wonach die Rente erst nach Abschluß der Leistung zur Reha beginnen könne und ab dem Zeitpunkt, ab dem die Rente zu zahlen gewesen wäre, nur das (vorgezogene) Übg geleistet werden müsse, könne aber vorliegend nicht zur Anwendung kommen, weil die Beklagte unter Verletzung ihrer gegenüber der Klägerin bestehenden Betreuungspflicht erst im Jahre 1992 zur abschließenden Entscheidung über den Rentenantrag gekommen sei. Wie das Bundessozialgericht (BSG) mehrfach entschieden habe, treffe den Versicherungsträger aus dem zwischen ihm und dem Versicherten bestehenden Sozialrechtsverhältnis als Nebenpflicht eine Betreuungspflicht, die bedeute, daß er den Versicherten verständnisvoll zu fördern und dessen soziale Rechte möglichst weitgehend zu verwirklichen habe. Im Falle der Verletzung dieser Betreuungspflicht bestehe ein Anspruch des Versicherten, sozialversicherungsrechtlich so gestellt zu werden, wie er bei ordnungsgemäßer Betreuung stehen würde. Vorliegend gehe der Senat davon aus, daß die Beklagte bei pflichtgemäßer zügiger Abwicklung des Rentenverfahrens jedenfalls zu einem Rentenbeginn vor dem 1. Januar 1992 und damit zur Rentenberechnung nach den Vorschriften der RVO hätte kommen müssen. Bereits am 9. April 1991 habe die Klägerin, die seit November 1990 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, einen Rentenantrag gestellt und am 3. Mai 1991 die Gewährung medizinischer Leistungen zur Reha beantragt. Unabhängig davon, ob die aufgrund des Rentenantrags am 17. Mai 1991 durchgeführte Untersuchung mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt worden sei, müsse der Beklagten, die den Reha-Antrag zunächst abgelehnt habe (Bescheid vom 25. Juli 1991) und erst aufgrund des Widerspruchs der Klägerin am 11. Dezember 1991 eine bewilligende Entscheidung getroffen hat, der Vorwurf einer verzögerlichen Behandlung ihres Rentenantrags gemacht werden. Es hätte bereits zeitlich weit vor dem im März/April 1992 durchgeführten Heilverfahren festgestellt werden müssen, daß der Klägerin auf Dauer keine Arbeit von wirtschaftlichem Wert mehr möglich gewesen sei mit der Folge, daß ab 1. April 1991 die EU-Rente hätte gewährt werden können. Die verzögerliche Behandlung des Rentenantrags der Klägerin sei in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG als pflichtwidrige Säumigkeit der Beklagten anzusehen. Bei pflichtgemäßem Verwaltungshandeln hätte der Bescheid über die Rentengewährung jedenfalls vor dem 1. Januar 1992 ergehen können und auch müssen. Da dies nicht geschehen sei, habe die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Herstellung eines der pflichtgemäßen Behandlung ihres Rentenantrags entsprechenden Zustandes, weshalb die Rente ab 1. April 1991 zu zahlen sei (§ 1290 Abs 2 RVO).

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie trägt vor, das angefochtene Urteil sei verfahrensfehlerhaft zustande gekommen (§§ 62, 128 Abs 2, 160 Abs 2 Nr 3 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫). Erstmals in den schriftlichen Urteilsgründen habe das Berufungsgericht der Beklagten vorgehalten, den Rentenantrag der Klägerin verzögerlich behandelt und das Rentenverfahren nicht pflichtgemäß zügig abgewickelt zu haben. Sie habe sich somit vorher nicht zu dem Vorwurf der pflichtwidrigen Säumigkeit bzw der Betreuungspflichtverletzung gegenüber der Klägerin äußern können, worauf allein das Berufungsgericht die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils gestützt habe. Bei dem dargestellten Zeitablauf könne sie außerdem die Berechtigung des Vorwurfs einer verzögerlichen Behandlung des Rentenantrags nicht erkennen. Da das LSG ihr vor der Berufungsentscheidung keine Gelegenheit gegeben habe, den tatsächlichen Geschehensablauf – anders als im Berufungsurteil geschehen – ausführlicher darzustellen und unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs rechtlich zu würdigen, seien die zur Verurteilung der Beklagten führenden Feststellungen des LSG einer pflichtwidrigen Säumigkeit der Beklagten bzw einer Betreuungspflichtverletzung gegenüber der Klägerin verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Im übrigen verletze das angefochtene Urteil auch materielles Recht (§ 300 Abs 1 SGB VI). Der Rentenanspruch der Klägerin richte sich nach den Berechnungsvorschriften des SGB VI, weil er erst nach der Aufhebung der RVO zum 1. Januar 1992 entstanden sei. Die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 70 SGB VI, die zu einer Minderung des Rentenanspruchs der Klägerin gegenüber den nach altem Recht errechneten Rentenanwartschaften führe, stehe außer Frage.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 1995 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, daß das angefochtene Urteil verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist, und trägt im wesentlichen vor, die Beklagte habe unter Würdigung des gesamten von der (nicht rechtskundig vertretenen) Klägerin vorgebrachten Sachverhalts damit rechnen müssen, daß das LSG bei seiner Entscheidung rechtlich zumindest auch von einer pflichtwidrigen Säumigkeit bzw Betreuungspflichtverletzung ausgehen werde. Wenn die Beklagte zügiger und sachgerechter tätig geworden wäre, hätte bereits vor dem 1. Januar 1992 eine positive Entscheidung über den Rentenantrag mit einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis ergehen müssen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision ist in dem Sinne begründet, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Das angefochtene Urteil leidet an einem Verfahrensmangel. Die Rüge der Beklagten, das LSG habe sie vor seinem Urteil verfahrensfehlerhaft nicht auf den entscheidungserheblichen Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs hingewiesen, greift durch.

Gemäß § 62 SGG und Art 103 GG ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren. Diese Pflicht bezieht sich nicht nur auf entscheidungserhebliche Tatsachen, sondern auch auf rechtliche Gesichtspunkte, die bisher nicht erörtert worden sind, später aber zur tragenden Grundlage des Urteils gemacht werden. Eine Überraschungsentscheidung, mit der ein Beteiligter nicht zu rechnen brauchte, ist unzulässig (vgl Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 5. Aufl, 1993, § 62 RdNrn 7 ff mwN). So verhält es sich hier. Zwar hatte die rechtskundig nicht vertretene Klägerin sich wiederholt darauf berufen, daß die Untersuchung am 13. Mai 1991 unzureichend gewesen und später ein anderes, für sie günstigeres Ergebnis festgestellt worden sei. Daraus war für die Beklagte aber nicht erkennbar, daß das LSG auf den vom SG nicht angesprochenen Gedanken kommen könnte, das Vorbringen der Klägerin unter den Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu prüfen und dem Klagebegehren unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt gemäß dem Urteil des Senats vom 14. Januar 1986 – 5a RKn 4/84 – SozR 2200 § 1241d Nr 9 zu entsprechen.

Das angefochtene Urteil beruht auf dem vorgenannten Verfahrensmangel. Die Beklagte hat schlüssig dargelegt, daß sie in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vor der Entscheidung des LSG Ausführungen gemacht hätte, wenn ihr bewußt gewesen wäre, daß eine Verurteilung aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs werde in Betracht kommen können.

Der vom LSG zur Grundlage seiner Entscheidung gemachte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auch entscheidungserheblich. Bei einem solchen Anspruch richtet sich die Rente der Klägerin nach den Vorschriften der RVO, weil die Klägerin ihren Rentenantrag vor dem 1. April 1992 gestellt hat und der Rentenbeginn vor dem 1. Januar 1992 liegt (§ 300 Abs 2 SGB VI). Auf die ab 1. April 1991 zu gewährende Rente ist das geleistete Übg lediglich anzurechnen.

Wenn indessen ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht durchgreift, ist die der Klägerin ab 16. April 1992 zu gewährende Rente nach den Vorschriften des SGB VI zu berechnen. Denn gemäß § 300 Abs 1 SGB VI sind die Vorschriften dieses Gesetzes grundsätzlich vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an (1. Januar 1992) anzuwenden. Die Ausnahmevorschrift des § 300 Abs 2 SGB VI ist in diesem Fall nicht anwendbar. Danach können die Vorschriften der RVO nach dem 1. Januar 1992 auf einen bis dahin bestehenden Anspruch angewandt werden, wenn dieser Anspruch vor dem 1. April 1992 geltend gemacht worden ist. Zwar hat die Klägerin ihren Rentenantrag bereits am 9. April 1991 gestellt. Sie hatte aber vor dem 1. Januar 1992 keinen Anspruch auf Rente wegen EU. Denn ihr Rentenanspruch ist erst am 16. April 1992, also nach der Aufhebung der Rentenvorschriften der RVO am 1. Januar 1992, entstanden. Vom 1. April 1991 bis einschließlich 15. April 1992 ist der Klägerin aufgrund der §§ 1240 ff RVO Übg gewährt worden. Nach § 1241d Abs 2 Satz 1 RVO, der gemäß § 300 Abs 1 SGB VI bei der Klägerin über den 1. Januar 1992 hinaus galt, wurde durch den Anspruch auf Übg ein Anspruch auf Rente wegen EU bis zum 16. April 1992 ausgeschlossen (vgl BSG, Urteil vom 21. April 1988 – 4 RA 6/88 – SozR 2200 § 1241d Nr 15; Kasseler Komm-Niesel, Stand 1. April 1995, § 1241d RdNr 11 ff mwN).

Nach der Zurückverweisung wird das LSG bei der Prüfung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu beachten haben, daß das von ihm in der angefochtenen Entscheidung herangezogene Urteil des BSG vom 14. Januar 1986 vom Sachverhalt her anders gelagert ist als der vorliegende Sachverhalt. Während dort eine nach einem Rentenantrag durchgeführte ärztliche Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen war, daß die Rentenvoraussetzungen gegeben waren, und – allein -der Rentenbescheid zu spät – für den Versicherten mit schädlicher Folge – erlassen worden war, hat hier die an den Rentenantrag anschließende ärztliche Untersuchung zu dem Ergebnis geführt, daß die Voraussetzungen für eine Rentengewährung nicht gegeben waren, was (nur) aufgrund späterer ärztlicher Äußerungen anders beurteilt worden ist und sodann alsbald zum Erlaß eines entsprechenden Rentenbescheides geführt hat. Allerdings wird das LSG unter Berücksichtigung des tatsächlichen Vorbringens der Beklagten klären und würdigen müssen, ob die Beklagte schon nach der ärztlichen Begutachtung durch die Ärztin Dr. K. … im Mai 1991 Anlaß zu weiterer medizinischer Sachaufklärung hatte. Sodann wird Gegenstand der erneuten Entscheidung des LSG sein, ob in einem solchen Fall in rechtlicher Hinsicht die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu bejahen sind.

Der dem LSG unterlaufene Verfahrensmangel der Verletzung rechtlichen Gehörs führt nach alledem zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache.

Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob die weiteren Revisionsrügen der Beklagten durchgreifen und zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils führen würden.

Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174196

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