Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. März 1995 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Bei dem Kläger sind nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) Schädigungsfolgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vH anerkannt. Mit 60 Jahren wurde dem Kläger ab 1. Oktober 1982 Altersruhegeld wegen Schwerbehinderung gewährt.
Im September 1987 beantragte er die Grundrente zu erhöhen, weil das Kriegsleiden sich verschlimmert habe. Der Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 10. Mai 1990, Widerspruchsbescheid vom 26. November 1990). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 3. März 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, ab 1. September 1987 Versorgung nach einer MdE um 60 vH zu gewähren (Urteil vom 14. März 1995). Die medizinisch begründete MdE betrage zwar unverändert nur 50 vH, verändert hätten sich die tatsächlichen Verhältnisse aber durch das vorzeitige Ausscheiden des Klägers aus dem Erwerbsleben. Nach den vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellten Grundsätzen zum Berufsschadensausgleich (BSchA) nach § 30 Abs 3 BVG sei das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben dann als durch die Schädigungsfolgen verursacht anzusehen, wenn der Kriegsbeschädigte nur aufgrund seiner Schädigungsfolgen die Möglichkeit des vorgezogenen Altersruhegeldes habe in Anspruch nehmen können (BSGE 74, 195 = SozR 3-3100 § 30 Nr 10). Diese Grundsätze seien uneingeschränkt auch auf die Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nach § 30 Abs 2 BVG anzuwenden.
Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt im wesentlichen eine Verletzung des § 30 Abs 2 BVG. Anders als vom LSG angenommen gebe es keinen Grundsatz, daß bei Vorliegen der in § 30 Abs 2 BVG enthaltenen Tatbestandsvoraussetzungen zwangsläufig gleichzeitig auch ein Anspruch auf BSchA gegeben sei und umgekehrt. Es handele sich um zwei selbständig ausgestaltete Vorschriften mit unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. März 1995 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 3. März 1994 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. März 1995 mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Das angefochtene Urteil des LSG verletzt § 30 Abs 2 BVG. Die mit einem Grad von 50 vH beurteilte sog medizinische MdE nach § 30 Abs 1 BVG ist nicht wegen besonderer beruflicher Betroffenheit zu erhöhen.
Die in § 30 Abs 1 BVG geregelte MdE hängt nach Grund und Höhe nicht vom Lebensalter des Beschädigten und nicht von der Beeinträchtigung in seinem ausgeübten oder angestrebten Beruf, sondern nur von der Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben ab. Eine solche von den persönlichen Verhältnissen unabhängige, sogenannte medizinische MdE kann auch einem Kleinkind zuerkannt werden, das lange vor Eintritt in das Schul- und Berufsleben geschädigt wird. § 30 Abs 1 Satz 5 BVG stellt klar, daß die MdE bei jugendlichen Beschädigten nach dem Grad zu bemessen ist, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt. Die medizinische MdE verbleibt auch alten Menschen und wird ihnen auch dann erstmals zuerkannt, wenn sie lange nach Ende des Berufslebens als bereits Erwerbsunfähige geschädigt werden. § 31 Abs 1 Satz 2 BVG sieht für Schwerbeschädigte, die das 65. Lebensjahr bereits vollendet haben, sogar eine – nach MdE-Graden gestaffelte – Erhöhung der Grundrente vor.
Anders als bei Beurteilung der medizinischen MdE nach § 30 Abs 1 BVG kann bei ihrer Höherbewertung wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nach § 30 Abs 2 BVG Beginn und Ende des Berufslebens nicht unberücksichtigt bleiben. Schon aus dem Begriff der besonderen beruflichen Betroffenheit ergibt sich, daß eine Höherbewertung grundsätzlich nur für die Zeit beruflicher Tätigkeit, also während des Erwerbslebens in Betracht kommt. Die MdE ist deshalb noch nicht höher zu bewerten, so lange noch kein Beruf ausgeübt wird oder auch ohne Schädigungsfolgen noch nicht hätte ausgeübt werden können; sie ist nicht mehr höher zu bewerten, nachdem die Berufsausübung mit dem Ende der Erwerbstätigkeit geendet hat. Lediglich der Vorteil einer schon während des Erwerbslebens wegen besonderer beruflicher Betroffenheit erhöhten MdE bleibt dem Beschädigten als Besitzstand auch nach Ausscheiden aus dem Erwerbsleben regelmäßig erhalten. Die Voraussetzungen für die Entziehung des auf die berufliche Betroffenheit entfallenden MdE-Anteils sind durch die Beendigung des Berufslebens allein nicht erfüllt (vgl BSGE 14, 172 = SozR § 62 BVG Nr 11; BSGE 36, 21 = SozR § 30 BVG Nr 66; BSGE 55, 292 = SozR 1300 § 48 Nr 6).
Das BSG hat in diesen Urteilen im einzelnen begründet, daß sich die Folgen einer im Berufsleben oft jahrzehntelang erduldeten beruflichen Betroffenheit noch im Ruhestand auswirken können, so daß nicht ohne weiteres erkannt werden kann, daß das Ende jeder beruflichen Tätigkeit auch das Ende der beruflichen Betroffenheit bedeutet. Das Ende der beruflichen Tätigkeit kommt als Grund für die erstmalige Zuerkennung einer beruflichen Betroffenheit aber nur dann in Betracht, wenn es durch die Schädigungsfolgen erzwungen worden ist.
Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Beruflich besonders betroffen ist nur, wessen Berufs- und Erwerbsleben durch die Art der Schädigungsfolgen verkürzt wird. Nicht besonders betroffen ist, wer die Erwerbsphase trotz der Schädigungsfolgen voll ausschöpft. Wie lange diese Phase dauern soll, ist zwar eine individuelle Entscheidung. Sie ist in der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft durch äußere Vorgaben aber weitgehend standardisiert. Das Berufs- und Erwerbsleben endet allgemein spätestens mit Vollendung des 65. Lebensjahres. Wer zu diesem Zeitpunkt ausscheidet, kann sich nicht darauf berufen, an weiterer Erwerbstätigkeit durch die Schädigungsfolgen gehindert und deshalb beruflich besonders betroffen zu sein. Die Erhöhung der MdE nach § 30 Abs 2 BVG ist keine Prämie für schädigungsbedingten Verzicht auf weitere Berufstätigkeit am Ende eines durch Schädigungsfolgen unbeeinflußten und nach allgemein geltenden Maßstäben vollendeten Berufs- und Erwerbslebens. Dieses endet in einer großen Zahl von Fällen bereits um Jahre vor der allgemeinen Altersgrenze mit Ende 50 oder Anfang 60. Das ergibt sich aus den Rentenstatistiken für Arbeiter und Angestellte. Bei Beginn der Altersversorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung waren danach 1993 etwa ebenso viele Versicherte 60 bis 63 Jahre alt wie 65 Jahre und älter (vgl Statistisches Jahrbuch 1995 für die Bundesrepublik Deutschland, S 467). Je älter der Beschädigte wird, umso schwieriger wird es, den Nachweis schädigungsbedingten Ausscheidens zu erbringen, weil mit zunehmendem Lebensalter auch Nichtbeschädigte aus unterschiedlichen, auch für Beschädigte geltenden Gründen in immer größerer Zahl das Erwerbsleben aufgeben. Etwa mit Erreichen des 60. Lebensjahres verschlechtert sich die Beweislage entscheidend zu Lasten des Beschädigten. Anders als bei einem Beschädigten mittleren Lebensalters fehlen ab jetzt regelmäßig äußere Anhaltspunkte dafür, daß der schädigungsbedingte Motivanteil für das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wesentlich ist, weil sich Beschädigte und Nichtbeschädigte aus einer großen Zahl ineinander verschachtelter Motive bei diesem Schritt ununterscheidbar gleichförmig verhalten (vgl zur Frage, wann der Zwang zur Anschaffung eines automatischen Kfz-Getriebes noch als schädigungsbedingt angesehen werden kann BSGE 73, 142, 144 = SozR 3-3100 § 11 Nr 1).
Bei der Feststellung schädigungsbedingten Ausscheidens gilt, anders als nach der Rechtsprechung des Senats zum Anspruch auf BSchA, auch keine Beweiserleichterung. Nach dieser Rechtsprechung sind Schädigungsfolgen im allgemeinen schon dann als wesentliche Ursache für vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und einen dadurch eingetretenen Einkommensverlust anzusehen, wenn sich der Beschädigte auf eine wesentlich durch Schädigungsfolgen bedingte Schwerbehinderung berufen muß, um gleichzeitig mit dem Ausscheiden eine Altersversorgung zu erlangen (vgl zuletzt BSGE 74, 195 = SozR 3-3100 § 30 Nr 10). Damit sind Schwerbeschädigte beim Zugang zum kriegsopferrechtlichen Versorgungsfall des BSchA nach § 30 Abs 3 BVG beweisrechtlich schwerbehinderten Arbeitnehmern und Beamten gleichgestellt, die mit 60 Jahren allein durch ihren Antrag und die Vorlage des Schwerbehindertenausweises den Versicherungsfall oder den beamtenrechtlichen Versorgungsfall herbeiführen können. Schwerbeschädigten wird nicht zugemutet, was Schwerbehinderten nach dem Rentenversicherungs- und Beamtenversorgungsrecht erspart bleibt, und was Verwaltungsbehörden und Gerichte überfordern würde: den Nachweis zu führen, daß gesundheitliche Gründe für die Berufsaufgabe maßgeblich waren, wenn mit 60 Jahren Altersruhegeld vorzeitig in Anspruch genommen worden ist (BSG SozR 3100 § 30 Nr 78; SozR 3-3642 § 8 Nr 5).
Daraus folgt aber nicht, daß in solchen Fällen zugleich vermutet werden müßte, der Beschädigte erfülle auch die Voraussetzung schädigungsbedingten Ausscheidens für den Anspruch auf Höherbewertung seiner MdE. Die Beweisschwierigkeiten sind hier wie dort zwar dieselben. Im Unterschied zum Anspruch auf BSchA nach § 30 Abs 3 BVG lassen sie sich hier jedoch nicht durch eine Beweiserleichterung beheben. Dort konnte der Senat an die im Rentenversicherungs- und im Beamtenrecht vorgezeichnete Beweiserleichterung anknüpfen und sich mit § 8 Abs 1 Satz 3 Berufsschadensausgleichsverordnung (BSchAV) auf eine Beweisvorschrift aus dem Recht des BSchA stützen (vgl BSGE 74, 195, 198 = SozR 3-3100 § 30 Nr 10). Eine solche ausdrückliche Beweiserleichterung fehlt bei der Höherbewertung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit. Es ist auch nicht geboten, die für den BSchA geltende Beweiserleichterung hier entsprechend anzuwenden. Sie würde im Unterschied zu dem für längstens fünf Jahre, nämlich für die Zeit vom 60. bis zum 65. Lebensjahr nach dem ungekürzten Vergleichseinkommen zu zahlenden BSchA (vgl dazu die Kürzungsvorschrift des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BSchAV), dazu führen, daß die erhöhte MdE auf Dauer erhalten bleibt, ohne daß dem in vielen Fällen nennenswerte Einkommenseinbußen durch die Schädigungsfolgen vorangegangen sind. Die Beweisschwierigkeiten wirken sich deshalb regelmäßig dahin aus, daß es einem 60jährigen Beschädigten mit Anspruch auf Altersruhegeld wegen anerkannter Schwerbehinderung – wie hier -nicht gelingen wird, ein schädigungsbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nachzuweisen.
Der Senat konnte aber nicht abschließend entscheiden, ob sich die vom Kläger begehrte MdE um 60 vH schon nach § 30 Abs 1 BVG ergibt. Für eine solche Entscheidung über den Grad der sog medizinischen MdE fehlt es in dem angefochtenen Urteil an revisionsrechtlich verwertbaren Feststellungen.
Die vom LSG zum Grad der medizinischen MdE getroffenen Feststellungen sind im Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich gewesen und deshalb überflüssig. Sollten sie für das Revisionsgericht gleichwohl verwertbar (BVerwG DVBl 1963, 523) oder sogar verbindlich sein (BSGE 73, 195, 196 = SozR 3-4100 § 249e Nr 3 unter Aufgabe von BSGE 9, 80, 85 = SozR § 55 SGG Nr 17; vgl auch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16), so doch nur, wenn der Kläger, der mangels Beschwer Revision nicht einlegen konnte, im Revisionsverfahren Gelegenheit gehabt hätte, Rügen gegen die ihm ungünstigen tatsächlichen Feststellungen zu erheben, die sich in der Vorinstanz für ihn nicht ungünstig ausgewirkt haben (BVerwGE 68, 296 mwN). Diese Möglichkeit hatte der im Revisionsverfahren nicht vertretene Kläger und Revisionsbeklagte hier nicht. Der Senat hat es deshalb für angezeigt gehalten, die Sache an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Über die Kosten des Revisionsverfahrens wird das LSG zu entscheiden haben.
Fundstellen