Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Juli 1996 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Rechtsstreit betrifft die Höhe von Anschluß-Arbeitslosenhilfe (Alhi).
Die 1944 geborene Klägerin war seit August 1979 als Verkäuferin (Einrichtungsberaterin) in einem Möbelhaus beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Arbeitgeberkündigung am 31. Dezember 1993. Die Klägerin war in die Gehaltsgruppe II des Gehaltstarifvertrages für den nordrhein-westfälischen Einzelhandel eingestuft. Der letzte abgerechnete Lohnabrechnungszeitraum war der Monat Februar 1990.
Vom 14. März bis 30. Juni 1990 bezog die Klägerin Krankengeld und vom 1. Juli 1990 bis 29. April 1991 Übergangsgeld von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA). Im Anschluß hieran erhielt sie Arbeitslosengeld (Alg) bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 22. Juli 1994. Der Bemessung des Alg lag ein Arbeitsentgelt unter Berücksichtigung von Dynamisierungen jeweils zum 1. März eines Jahres von zuletzt 1.260,00 DM wöchentlich zugrunde.
Die Anschuß-Alhi ab 23. Juli 1994 bemaß die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) mit Bescheid vom 16. September 1994 zunächst nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 780,00 DM. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, nach einem im Rentenstreitverfahren gegen die BfA ergangenen Urteil des Sozialgerichts (SG) Duisburg vom 24. März 1994 könne sie den Beruf der Einrichtungsberaterin weiterhin vollschichtig ausüben. Daraufhin erließ die BA den Änderungsbescheid vom 1. Dezember 1994, in dem sie der Bemessung der Alhi für den Bewilligungsabschnitt vom 23. Juli 1994 bis 28. Februar 1995 ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 830,00 DM zugrunde legte. Dabei ging sie von der Stellungnahme des Arbeitsvermittlers aus, wonach die Klägerin weiterhin als Verkäuferin mit Beratungsaufgaben in Betracht komme. Am Stichtag 1. März 1993 hätte die Klägerin nach dem Gehaltstarifvertrag für den nordrhein-westfälischen Einzelhandel vom 22. Mai 1992 ab 1. April 1992 in Gehaltsgruppe II nach dem 5. Jahr der Tätigkeit einschließlich vermögenswirksamer Leistungen ein monatliches Bruttoentgelt von 3.409,00 DM verdienen können. Den gerundeten wöchentlichen Betrag von 750,00 DM dynamisierte sie zum 1. März 1994 zu dem Betrag von 830,00 DM. Den auf die Berücksichtigung von Spätöffnungszuschlägen und im Möbelhandel übliche Provisionen gerichteten Widerspruch wies die BA im Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 1994 zurück. Ab 1. März 1995 hat die BA das Bemessungsentgelt auf 850,00 DM dynamisiert (Bescheid vom 3. März 1995).
Mit der Klage hat die Klägerin ihr Anliegen weiter verfolgt. Das SG hat die angefochtenen Bescheide geändert und der Klägerin Alhi ab 23. Juli 1994 nach einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von 840,00 DM und ab 1. März 1995 nach einem wöchentlichen Entgelt von 850,00 DM zugesprochen. Es hat dabei berücksichtigt, daß nach § 6 Abs 1c des Manteltarifvertrages für den nordrhein-westfälischen Einzelhandel vom 23. Juli 1993 Spätöffnungszuschläge zu dem erzielbaren Tarifgehalt von Verkäufern in dieser Branche gehören. Die Verkaufsprovisionen hat das SG dagegen unabhängig von ihrer Üblichkeit nicht berücksichtigt, weil es sich nicht um tarifvertragliche Ansprüche handele (Urteil vom 22. August 1995).
In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) am 11. Juli 1996 haben die Beteiligten einen Teilvergleich dahin geschlossen, daß die BA weitere die Alhi betreffende Bescheide entsprechend dem rechtskräftigen Ausgang dieses Verfahrens anpasse, soweit die Klägerin Erfolg habe.
Im übrigen hat das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Das LSG hat ausgeführt, für die Bemessung der Alhi sei das Bemessungsentgelt wegen des zeitlichen Abstands zum Bemessungszeitraum neu festzustellen. Die Klägerin komme weiterhin als Einrichtungsberaterin im Möbelhandel in Betracht. Zur Feststellung des danach erzielbaren Entgelts hat das LSG auf das Urteil des SG Bezug genommen. Das erreichbare tarifliche Arbeitsentgelt umfasse nicht Provisionszahlungen, denn der Manteltarifvertrag und der Gehaltstarifvertrag sähen solche Zahlungen nicht vor. Sie enthielten auch keine Öffnungsklausel zugunsten betrieblicher oder einzelvertraglicher Regelungen, die nach der Rechtsprechung als tarifliche Regelungen zu berücksichtigen seien. Das Bestehen einer tariflichen Entgeltregelung schließe den Rückgriff auf ortsübliches Arbeitsentgelt, das im Möbelhandel Provisionszahlungen umfasse, aus.
Die Klägerin macht mit der vom LSG zugelassenen Revision als Verfahrensmangel die fehlende Individualisierung des herangezogenen Manteltarifvertrages und die Verletzung des § 9 Abs 6 des Manteltarifvertrages geltend. Der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 23. Juli 1993 sei ab 1. Januar 1993 allgemeinverbindlich. Dieser enthalte eine im Wege der Auslegung zu ermittelnde konkludente Öffnungsklausel. Das Urteil des LSG lasse eine Auslegung der Tarifnorm vermissen. § 9 Abs 6 des Manteltarifvertrags laute:
„Bezieht ein Arbeitnehmer verschiedene Arten von Vergütungen (Fixum und Provision, ausgenommen Stück- oder ähnliche Prämien), so muß das monatliche Fixum mindestens dem monatlichen Tarifgehalt/lohn entsprechen. Bestehen für den Arbeitnehmer aus Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag andere Regelungen, so sind diese bis zum 31. Dezember 1982 dieser Bestimmung anzupassen. Einzelheiten sind in Betriebsvereinbarungen zu regeln.”
Die Auslegung der aufeinander bezogenen Sätze des § 9 Abs 6 Manteltarifvertrag ergebe, daß das Fixum an das monatliche Tarifgehalt anzupassen sei, aber weiterhin die Freiheit für Provisionsvereinbarungen bestehen solle. Das LSG verstehe § 9 Abs 6 Manteltarifvertrag lediglich als Ausdruck des Günstigkeitsprinzips, was wegen § 4 Abs 3 Tarifvertragsgesetz kein tragendes Argument sei. Die Ansicht des LSG, § 9 Abs 6 Manteltarifvertrag sehe nicht die Möglichkeit von Provisionsabreden vor, sei unrichtig. Vielmehr ergebe der Zusammenhang von Satz 2 und 1 der Vorschrift, daß Fixum – in Höhe des monatlichen Tarifgehalts – und Provision nebeneinander vereinbart werden können. Den Arbeitsvertragsparteien sei damit gestattet, neben der festbestimmten Vergütungsform zusätzliche Vergütungen auszuhandeln. Das LSG werte das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. September 1986 – 7 RAr 38/85 – (BSG SozR 4100 § 112 Nr 27) falsch aus. Entgegen der Ansicht des LSG sei in jenem Urteil nicht davon ausgegangen worden, daß der Abschluß entsprechender Vereinbarungen bereits im Tarifvertrag ausdrücklich vorgesehen sei. Vielmehr sei tarifvertraglich nur der Akkordrichtsatz fest vereinbart worden, während der effektive Stundenverdienst erst durch die Instanzgerichte über eine Verbandsauskunft ermittelt worden sei. Wenn im Möbelhandel – wie auch das LSG unterstelle – Provisionszahlungen üblich seien und § 9 Abs 6 des Manteltarifvertrages dieser Besonderheit Rechnung trage, müsse diese Tarifwirklichkeit auch für die Bestimmung des maßgeblichen Arbeitsentgelts berücksichtigt werden.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
- das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Juli 1996 und das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 22. August 1995 sowie die Bescheide der Beklagten vom 16. September und 1. Dezember 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Dezember 1994 und den Bescheid vom 3. März 1995 zu ändern;
- Arbeitslosenhilfe ab 23. Juli 1994 nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 1.260,00 DM und ab 1. März 1995 nach einem entsprechend dynamisierten Arbeitsentgelt zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Bereits aus dem Urteil des SG ergebe sich, welche tariflichen Regelungen maßgebend seien.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Das Urteil des LSG enthält eine Rechtsverletzung; für eine abschließende Entscheidung des Senats reichen die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht aus.
1. Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Anspruch auf höhere Alhi vom 23.April 1994 bis 28. Februar 1995. Für dieses Prozeßziel ist die verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) die gegebene Klageart. Der Antrag der Klägerin ist sinngemäß als kombinierter Anfechtungs- und Leistungsantrag auszulegen, weil ein solcher Antrag dem Prozeßziel, höhere Alhi unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt auch immer zu erhalten, entspricht. An die durch eine bestimmte Rechtsansicht zur Bemessung der Alhi bedingte Fassung des Antrags ist der Senat nicht gebunden (§ 123 SGG; BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 1).
2. Höhere Alhi steht der Klägerin nur zu, wenn die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach – einschließlich der Vorschriften über die Anrechnung von Einkommen und Vermögen – gewahrt sind, ihr nicht nur der allgemeine, sondern der erhöhte Leistungssatz zusteht oder bei der Bemessung von einem höheren Arbeitsentgelt als 840,00 DM ab 23. Juli 1994 und 850,00 DM ab 1. März 1995 auszugehen ist. Das SG hat die BA verurteilt, die Alhi nach diesen Beträgen zu bemessen. Die BA hat dagegen kein Rechtsmittel eingelegt. Das LSG hat sich entsprechend dem Vorbringen der Klägerin darauf beschränkt, die Fragen zu erörtern, ob für die Bemessung der Alhi ab 23. Juli 1994 gemäß § 136 Abs 2b Arbeitsförderungsgesetz (AFG) von einem fiktiven Arbeitsentgelt auszugehen ist und bei dessen Ermittlung nach § 112 Abs 7 AFG der im Möbelhandel übliche Provisionsanspruch als tarifliches Arbeitsentgelt zu berücksichtigen ist. Damit ist nicht die angeführte Rechtsprechung beachtet, wonach der geltend gemachte Anspruch auf höhere Alhi unter allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten ohne Bindung an das Vorbringen von Beteiligten und die zwischen ihnen streitigen Fragen zu prüfen ist (BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 19). Das LSG hat daher nicht die erforderlichen Tatsachen festgestellt, um die rechtmäßige Höhe der Alhi zu ermitteln.
2.1 Die bindende Bewilligung der Alhi steht der Prüfung der Anspruchsvoraussetzung hinsichlich eines geltend gemachten Mehrbetrags nicht entgegen. In der Arbeitslosenversicherung hat die Rechtsprechung an dem Grundsatz festgehalten, daß sich die Bindungswirkung des Bescheids auf die bewilligte Leistung beschränkt und die Verpflichtung des Gerichts, den streitigen Anspruch unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen, weder durch die Bindungswirkung einzelner Sätze der Begründung noch durch ein Verbot des Auswechselns der Gründe eingeschränkt wird (BSGE 66, 168, 175 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1). Den tatsächlichen Feststellungen des LSG läßt sich zwar entnehmen, daß die Anspruchsvoraussetzungen für Alhi nach § 134 Abs 1 Nrn 1, 2 und 4 AFG erfüllt sind. Dem Urteil sind jedoch keine Feststellungen zu entnehmen, die eine Entscheidung darüber zulassen, ob und inwieweit die Klägerin bedürftig ist. Zu solchen Feststellungen bestand Anlaß, denn in dem vom LSG festgestellten Bescheid vom 16. September 1994 ist von einem Anrechnungsbetrag von 207,61 DM die Rede. Ohne nähere Feststellungen zu Einkommen und/oder Vermögen der Klägerin und/oder ihres Ehegatten läßt sich nicht rechtlich nachprüfen, ob die Anrechnungsvorschriften der §§ 137 ff AFG beachtet sind. Ein Fall, in dem ausdrücklich Feststellungen nicht zu treffen sind, weil Anhaltspunkte für das Fehlen von Anspruchsvoraussetzungen nicht gegeben sind (vgl BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 12) ist hier nicht gegeben. Vielmehr geben Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren insbesondere zu Lebensversicherungsverträgen Anlaß, die Richtigkeit des Anrechnungsbetrages zu überprüfen.
2.2 Die Ermittlung des maßgeblichen Bemessungsentgelts ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Das für die Bemessung der Alhi maßgebende Arbeitsentgelt ist jeweils nach Ablauf von drei Jahren seit dem Ende des Bemessungszeitraums nach § 112 Abs 7 AFG neu festzusetzen; dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (§ 136 Abs 2b AFG). Unter Bemessungszeitraum im Sinne dieser Vorschrift ist der für das Alg maßgebende Bemessungszeitraum nach § 112 Abs 2 AFG heranzuziehen. Dies ergibt sich aus § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AFG, denn grundsätzlich ist für die Bemessung der Alhi das Arbeitsentgelt maßgebend, nach dem sich zuletzt das Alg gerichtet hat (BSG SozR 4100 § 136 Nr 3). Nach den nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des LSG war der letzte Lohnabrechnungszeitraum der Klägerin vor ihrem Ausscheiden der Monat Februar 1990. Zutreffend ist das LSG deshalb vom 1. März 1993 als für die Bemessung der Alhi maßgebendem Stichtag ausgegangen. An diesem Tage hätte die Klägerin nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG in ihrem Beruf als Verkäuferin im Möbelhandel und Einrichtungsberaterin arbeiten können.
Nach der Rechtsfolgenverweisung des § 136 Abs 2b AFG hat das LSG deshalb gemäß § 112 Abs 7 AFG die Gehaltsstufe II (letzte Stufe) des Gehaltstarifvertrages für den nordrhein-westfälischen Einzelhandel vom 22. Mai 1992 für den maßgeblichen Stichtag am 1. März 1993 herangezogen und dem für diese Gehaltsgruppe vorgesehenen Entgelt die vermögenswirksamen Leistungen und den der Klägerin vom SG als weitere tarifliche Leistung zuerkannten Spätöffnungszuschlag hinzugefügt. Auf dieser Grundlage hat das LSG für die Zeit ab 23. Juli 1994 das eine am 1. März 1994 fällige Dynamisierung berücksichtigende Bemessungsentgelt von 840,00 DM und nach weiterer Dynamisierung ab 1. März 1995 von 850,00 DM wöchentlich ermittelt. Die Verweisung auf das Rechenwerk des SG ist durch § 153 Abs 2 SGG gedeckt. Dieses ist nicht mit Revisionsrügen angegriffen und läßt Rechtsfehler nicht erkennen.
Der als Verfahrensmangel vorgebrachte Einwand, das LSG habe den herangezogenen Tarifvertrag nicht durch Datumsangabe individualisiert, greift nicht durch. Die Revisionsrüge läßt nicht erkennen, inwiefern das Urteil des LSG auf dem angeblichen Mangel beruhen könnte (§ 164 Abs 2 Satz 3, § 202 SGG; § 551 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫).
Der mit der Sachrüge verfolgte Anspruch auf Berücksichtigung von Provisionszahlungen – deren Üblichkeit im Möbelhandel das LSG unterstellt – ist nicht begründet.
Die Bemessung der Alhi nach §§ 136 Abs 2b, 112 Abs 7 AFG richtet sich nach dem für den Arbeitslosen nach Lebensalter und Leistungsfähigkeit in Betracht kommenden tariflichen Arbeitsentgelt. Das ortsübliche Arbeitsentgelt ist nur heranzuziehen, falls eine tarifliche Regelung nicht besteht (BSG SozR 4100 § 112 Nr 27). Maßgebend ist damit der Gehaltstarifvertrag für den nordrhein-westfälischen Einzelhandel vom 22. Mai 1992. Die Provisionszahlungen im Möbelhandel hat das LSG mit Recht nicht als Teil des tariflichen Arbeitsentgelts angesehen.
Das BSG hat sich in verschiedenen Zusammenhängen damit befaßt, inwieweit bestimmte arbeitsrechtliche Regelungen (Arbeitszeit, Arbeitsentgelt) als sozialrechtlich erhebliche tarifliche und nicht nur betriebliche oder einzelvertragliche Vereinbarungen in Betracht zu ziehen sind. Als tariflich ist danach eine Regelung anzusehen, die durch eine tarifliche Vereinbarung selbst getroffen worden ist, ferner Regelungen, die Betriebsvereinbarungen oder Einzelarbeitsverträge festlegen, wenn ein Tarifvertrag den Abschluß solcher Vereinbarungen ausdrücklich vorsieht und diese sich in dem vom Tarifvertrag selbst bestimmten Rahmen (tarifliche Öffnungsklausel) halten. Zum Tariflohn sind insbesondere alle Lohnbestandteile zu zählen, die nach dem Tarifvertrag geleistet werden müssen, sowie die Lohnbestandteile, die durch Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsverträge festgelegt sind, wenn der Abschluß dieser Vereinbarungen bereits im Tarifvertrag ausdrücklich vorgesehen ist (BSG SozR 4100 § 112 Nr 2). Etwas anderes läßt sich auch nicht der Entscheidung des BSG entnehmen, die zur Ermittlung eines tariflich vorgesehenen Akkordlohns den Rückgriff auf den Akkordrichtsatz nicht für ausreichend hält, sondern den durchschnittlichen Akkordlohn als Ausdruck der Tarifwirklichkeit für maßgebend erachtet hat (BSG SozR 4100 § 112 Nr 27). Entscheidend hierfür war, daß der Akkordlohn tariflich zum maßgebenden Lohnsystem bestimmt worden war und sich der durchschnittlich erzielte Akkordlohn mithin auf den Tarifvertrag zurückführen ließ. Von diesen Grundsätzen ist das LSG ausgegangen; seine Entscheidung unterliegt nicht dem Einwand unrichtigen Verständnisses des tariflichen Arbeitsentgelts iS des § 112 Abs 7 AFG, denn Provisionen des Möbelhandels sind weder im Mantel- noch im Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen angelegt.
Von der Rechtsprechung des BSG ausgehend hat das LSG § 9 Abs 6 des Manteltarifvertrages dahin ausgelegt, daß diese Regelung nicht eine tarifliche Öffnungsklausel enthalte, die die Grundlage für betriebliche oder einzelvertragliche Vereinbarungen zu Provisionszahlungen bilde. Die Regelung trage lediglich dem Günstigkeitsprinzip Rechnung, indem sie bei kombiniertem Lohnsystem (Fixum und Provision) das monatliche Tarifgehalt als Fixum garantiere.
Revisionsrechtlich ist diese Auslegung durch das LSG schon deshalb nicht zu beanstanden, weil es sich bei dem Manteltarifvertrag nicht um eine revisible Norm handelt (§ 162 SGG), denn er gilt lediglich im Land Nordrhein-Westfalen und damit nicht über die Grenzen des Bezirks des LSG hinaus (BSG SozR 3-2500 § 47 Nr 5 mwN). Etwas anderes könnte nur gelten, wenn auch außerhalb des Bezirks des LSG Nordrhein-Westfalen Tarifverträge beständen, die bewußt und gewollt inhaltlich übereinstimmend gestaltet wären (vgl BSG SozR 4100 § 117 Nr 14; BSGE 55, 115, 116 = SozR 1500 § 162 Nr 17; BSGE 56, 45, 50 f = SozR 2100 § 70 Nr 1; SozR 3-2500 § 47 Nr 5). Dafür hat der Senat keine Anhaltspunkte.
Auch besteht kein Anlaß, der Frage nachzugehen, ob entsprechendes Revisionsvorbringen erforderlich ist – wie die angeführte Rechtsprechung annimmt – oder aber Merkmale der Revisibilität von Amts wegen aufzuklären sind (so wohl: Stein/Jonas/Grunsky, Kommentar zur ZPO, 21. Aufl Band V/1 1993, § 554 RdNr 8). Denn selbst wenn § 9 Abs 6 Manteltarifvertrag revisibel wäre, hielte seine Auslegung durch das LSG revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand. Abgesehen von den vom LSG aufgezeigten Gründen ist zu berücksichtigen, daß § 9 Abs 6 Manteltarifvertrag sich als Maßstab für die in § 9 Abs 1 Manteltarifvertrag vorbehaltene besondere tarifliche Entgeltregelung versteht. Die besondere Regelung des Gehaltstarifvertrages sieht aber Provisionszahlungen nicht vor. Außerhalb des tarifvertraglichen Fixums sind die Arbeitsvertragsparteien frei, eine für Arbeitnehmer günstigere Lohngestaltung zu vereinbaren. Die tarifliche Lohnregelung wird damit nicht wie bei einer tariflichen Öffnungsklausel – eine solche enthält § 7 Manteltarifvertrag für bestimmte Branchen hinsichtlich der Arbeitszeit – durchbrochen.
Die Ausführungen der Revision verkennen den Zusammenhang, in dem § 9 Abs 6 Manteltarifvertrag steht. Die Vereinbarungen des Manteltarifvertrages wie des Gehaltstarifvertrages enthalten keinen Anhaltspunkt dafür, daß eine Provisionsabrede tariflich vorgesehen sei. Lediglich für den Fall, daß auf tariflicher oder betrieblicher Grundlage von der allgemeinen Vertragsfreiheit durch eine Provisionsvereinbarung Gebrauch gemacht ist oder wird, gewährleistet § 9 Abs 6 Manteltarifvertrag, daß bei Kombination von Lohnsystemen das tarifliche Gehalt dem Arbeitnehmer zu zahlen ist. Darüber hinausgehende Provisionszahlungen erweisen sich damit nicht als tarifliches Arbeitsentgelt iS des § 112 Abs 7 AFG.
3. Da der Senat gehindert ist, die rechtserheblichen Tatsachen selbst festzustellen, ist das Urteil des LSG unabhängig von der Richtigkeit der mit der Revision verfolgten Rechtsansicht aus den zu 2.1 genannten Gründen aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – zur Feststellung der gekennzeichneten Tatsachen an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen