Leitsatz (amtlich)
Der Gewährung von Bergmannsrente nach § 45 Abs 1 Nr 1, Abs 2 RKG steht nicht entgegen, daß der Versicherte vergönnungsweise den bisherigen Lohn weitererhält (Anschluß an und Fortführung von BSG 29.11.1984 5b RJ 46/84 = SozR 2200 § 1246 Nr 124; Bestätigung von BSG 9.2.1961 5 RKn 56/59 = BSGE 14, 19, 21 = SozR Nr 14 zu § 35 aF RKG und BSG 28.1.1982 5a RKn 2/81 = BSGE 53, 69, 72 = SozR 2600 § 45 Nr 33).
Normenkette
RKG § 45 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-05-21, § 45 Abs 1 Nr 2 Fassung: 1957-05-21, § 46 Abs 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1246 Abs 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 06.12.1983; Aktenzeichen L 15 Kn 14/83) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 26.11.1982; Aktenzeichen S 5 Kn 65/82) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit für die Monate März bis August 1980.
Der 1931 geborene Kläger war seit 1949 im Bergbau tätig. Seit September 1963 wurde er als technischer Angestellter unter Tage geführt und nach der Gruppe 02 der Anlage A (Gehaltsgruppenverzeichnis) zum Manteltarifvertrag für die Angestellten des rheinisch-westfälischen Steinkohlebergbaus entlohnt. Von November 1979 bis Februar 1980 war er arbeitsunfähig krank. Er konnte von da an nicht mehr unter Tage arbeiten. Anfang März 1980 nahm er die Tätigkeit eines Steigers im Platzbetrieb auf, die der Gehaltsgruppe 14 der technischen Angestellten über Tage zuzuordnen ist. Vergönnungsweise erhielt er noch bis August 1980 sein früheres Gehalt der Gruppe 02.
Ab September 1980 gewährte ihm die Beklagte Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit (Bescheid vom 28. Oktober 1980). Für die Zeit davor (ab 1. März 1980) gewährte sie ihm diese Rente entgegen seinem Begehren nicht, weil er zunächst sein bisheriges Gehalt weiter erhalten hatte. Ab Dezember 1981 bewilligte die Beklagte dem Kläger Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 25. Mai 1982).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und die Sprungrevision zugelassen (Urteil vom 26. November 1982). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die anstelle der Sprungrevision eingelegte Berufung des Klägers mit Urteil vom 6. Dezember 1983 die Beklagte verurteilt, dem Kläger Bergmannsrente ab 1. März 1980 zu gewähren. Es hat ausgeführt: Entscheidend sei, daß der Kläger, wie § 45 Abs 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) es voraussetze, bereits seit Februar 1980 weder imstande sei, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit noch andere im wesentlichen wirtschaftliche gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben ausüben könne. Eine Lohneinbuße sei vom Gesetz nicht als Voraussetzung der Rentenzahlung bestimmt.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 45 Abs 1 Nr 1, Abs 2 RKG.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Duisburg vom 26. November 1982 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG den Anspruch des Klägers auf Bergmannsrente nach § 45 Abs 1 Nr 1 RKG nicht erst ab 1. September 1980, sondern bereits ab 1. März 1980 bejaht.
Nach dieser Bestimmung erhält der Versicherte Bergmannsrente, wenn er vermindert bergmännisch berufsfähig ist und die Wartezeit nach § 49 Abs 1 RKG erfüllt hat. Gemäß § 45 Abs 2 RKG ist vermindert bergmännisch berufsfähig ein Versicherter, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte weder imstande ist, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit auszuüben noch imstande ist, andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben. Der Kläger konnte bereits seit Februar 1980 seinen bisherigen und auch einen gleichwertigen Beruf nicht mehr ausüben. Dies hat das LSG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, woran das Revisionsgericht gebunden ist (§ 163 SGG). Die rechtliche Bewertung durch das LSG läßt Rechtsfehler nicht erkennen.
Streitig ist unter den Beteiligten lediglich, ob dem Kläger trotz Vorliegen der nach dem Wortlaut des § 45 Abs 2 RKG geforderten Voraussetzungen, also obwohl er seine bisherige knappschaftliche Tätigkeit und auch eine im wesentlichen gleichwertige nicht mehr ausüben konnte, deshalb die Bergmannsrente nicht zu gewähren ist, weil er von seinem Arbeitgeber vergönnungsweise für ein halbes Jahr den bisherigen Lohn weiter erhielt. Das ist zu verneinen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist Gegenstand des im Rahmen des § 45 RKG vorzunehmenden Wertvergleichs der objektive wirtschaftliche Wert der zu vergleichenden Tätigkeiten, der sich in der Regel aus der tariflich vorgeschriebenen Vergütung ergibt, auf die der Arbeitnehmer in jedem Fall Anspruch erheben kann (vgl BSGE 53, 69, 72 = SozR 2600 § 45 Nr 33; ebenso aaO Nr 23 mwN). Auf vergönnungsweise gezahlte Beträge besteht kein tarifrechtlicher Anspruch, so daß sie hier unberücksichtigt bleiben müssen (vgl BSGE 14, 19, 21). An dieser Rechtsprechung hält der Senat weiterhin fest.
Ob die Einfügung eines die Rechte des Versicherten einschränkenden Tatbestandsmerkmals des "sozialen Betroffenseins" sozialpolitisch wünschenswert ist, kann dahinstehen. Auf jeden Fall hat der Gesetzgeber bisher von einer solchen Regelung abgesehen. § 45 Abs 2 RKG macht die Rentengewährung nicht von dem tatsächlich bezogenen Lohn abhängig, sondern von dem "Imstandesein" die dort genannten Tätigkeiten auszuüben. § 86 Abs 2 RKG, der bereits bei der Bewilligung der Rente zu beachten ist (vgl BSGE 23, 119) sieht den Wegfall bzw die Nichtgewährung der Bergmannsrente bei der Erzielung des dort genannten Entgelts lediglich für den Fall vor, daß dieses aufgrund neuer Kenntnisse und Fertigkeiten erworben worden ist. Für das Vorliegen der Voraussetzungen dieses somit einzigen Falls, in dem das Gesetz für die Nichtgewährung der Bergmannsrente es auf die Erzielung eines bestimmten Lohnes abstellt, fehlt hier aber jeder Anhalt.
Wie der Senat in dem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 29. November 1984 (5b RJ 46/84) unter Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechtsprechung zur Lohnsicherung im Falle der Berufsunfähigkeit ausgeführt hat, wird auch bei § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) lediglich vorausgesetzt, daß der Versicherte seinen bisherigen Beruf oder einen zumutbaren Verweisungsberuf nicht mehr ausüben kann. Das Vorliegen eines Lohnausfalls gehört auch dort nicht zu den gesetzlichen Voraussetzungen des Anspruchs. Auf die Ausführungen in dem genannten Urteil wird vollinhaltlich Bezug genommen, weil sie für die Auslegung des § 45 Abs 2 RKG gleichermaßen gelten. Maßgebend für den Anspruch des Klägers auf die Bergmannsrente bereits für die Zeit ab März 1980 ist demnach auch hier, daß die auf 6 Monate begrenzte Weitergewährung des bisherigen Gehalts nicht der Qualität der ab diesem Zeitpunkt ausgeübten neuen Tätigkeit entsprochen hat.
Mit dieser Entscheidung weicht der erkennende Senat nicht von der Rechtsprechung des 4. Senats ab. Der 4. Senat hat in mehreren Urteilen zwar die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeitsrente für Zeiten verneint, in denen kein Verdienstausfall eingetreten war. Doch führt auch nach der Rechtsprechung des 4. Senats das Fehlen eines Einkommensausfalls nicht zur Verneinung des Anspruchs des Versicherten, wenn er seinen bisherigen Lohn - wie hier vom LSG unangegriffen festgestellt - nur "vergönnungsweise" weiter erhalten, insoweit also keinen tariflich abgesicherten Rechtsanspruch hat (Urteil vom 24. Juni 1982 - 4 RJ 165/80 - SozR 2200 § 1246 Nr 93).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen