Leitsatz (amtlich)
Ein Hauer, der die für den Schießmeister erforderliche Ausbildung mit Erfolg durchlaufen, wegen der Besonderheiten im polnischen Steinkohlenbergbau nach Bedarf vor Ort sowohl als Hauer wie auch als Schießmeister gearbeitet und dafür den Hauerlohn mit einer 40-prozentigen Zulage erhalten hat, gehört zur Gruppe der besonders hoch qualifizierten Facharbeiter (Fortsetzung von BSG 31.1. 1984 5a RKn 7/82 = SozR 2600 § 46 Nr 9 und BSG 31.1.1984 5a RKn 16/82).
Normenkette
RKG § 46 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 02.03.1983; Aktenzeichen L 6 Kn 37/82) |
SG Hannover (Entscheidung vom 18.06.1982; Aktenzeichen S 12 Kn 214/81) |
Tatbestand
Der 1929 geborene Kläger ist im November 1979 aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Er arbeitete seit 1947 im polnischen Steinkohlenbergbau, seit 1951 als Füller, Lehrhauer und nach Ablegung der Hauerprüfung als Hauer. Am 4. August 1956 bestand er eine Prüfung als "Hauervorarbeiter". Diese Prüfung berechtigte ihn Schießarbeiten in nicht gefährdeten Flözen zu verrichten. Am 30. Januar 1958 erwarb er die Qualifikation eines Schießhauers. Diese Prüfung berechtigte zu Schießarbeiten in allen - auch gasgefährdeten - Flözen. Bis 1977 war der Kläger sowohl als Hauer vor Ort als auch mit Sprengarbeiten beschäftigt. Sodann bezog er in Polen Bergmannsinvalidenrente. In der Bundesrepublik war er nach einer Beschäftigung als Platzmeister von August bis Oktober 1980 nicht mehr berufstätig. Auf den 1979 gestellten Rentenantrag bewilligte ihm die Beklagte nach medizinischer Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit ab 1. Dezember 1979 zwar Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit, lehnte aber Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit mit Bescheid vom 4. Mai 1981 ab, weil der Kläger noch als Lampenwärter, Verwieger 1, Magazinarbeiter oder auf ähnlichen Arbeitsplätzen im Bergbau tätig sein könne.
Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. September 1981, Urteil des Sozialgerichts -SG- Hannover vom 18. Juni 1982). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen das Urteil des SG und den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 23. Dezember 1982 Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen. Es hat den Kläger zur Gruppe der besonders hoch qualifizierten Facharbeiter gerechnet und ihn deshalb nur auf die Tätigkeiten eines Facharbeiters oder auf tariflich entsprechend eingestufte Tätigkeiten für verweisbar erachtet, eine Verweisung auf die von der Beklagten genannten angelernten Tätigkeiten aber abgelehnt. Die Tätigkeit des Klägers nach seiner Prüfung vom 30. Januar 1958 habe dem Berufsbild des Schießmeisters und der im Arbeitshandbuch der Beklagten enthaltenen Tätigkeitsbeschreibung des Schießmeisters unter Tage im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau entsprochen; er habe sie vollwertig verrichtet, sei dabei fachlich nur einem Ingenieur unterstellt gewesen und habe zum Lohn des Hauers als Schießmeister einen erheblichen Zuschlag erhalten.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte, die Zuordnung des Klägers zur höchsten Berufsgruppe der Arbeiter verletzte § 46 Abs 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG). Diese Bestimmung stelle auf den Beruf ab. Der Kläger habe jedoch nur bei Bedarf Schießtätigkeiten verrichtet, im übrigen aber Hauerarbeiten ausgeführt. Deshalb könne er nur als Facharbeiter angesehen werden, zumal nicht festgestellt worden sei, welchen Raum der Gesamttätigkeit die Schießtätigkeit eingenommen habe und welcher Rang ihr in Polen beigemessen worden sei. Aber auch der ausschließlich mit Sprengarbeiten beauftragte Schießberechtigte könne nur den Berufsschutz des Facharbeiters beanspruchen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könne eine Tätigkeit nur dann der obersten Gruppe der Arbeiter zugeordnet werden, wenn sie sich als die Spitzenstellung im Arbeiterverhältnis erweise, meisterliches Können, völlige Selbständigkeit, Dispositionsvermögen, hohes Verantwortungsbewußtsein sowie entsprechende theoretische Kenntnisse voraussetze und dem Vergleich mit einem Meister standhalte. Dem Sprengbeauftragten fehle die Vielseitigkeit, die ein Meister aufweisen müsse.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 2. März 1983 aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen; hilfsweise, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet und daher zurückzuweisen. Das LSG hat aufgrund der von ihm getroffenen und von der Beklagten nicht angegriffenen Feststellungen den Kläger zutreffend zur Gruppe der besonders hoch qualifizierten Facharbeiter gerechnet und eine ihm gesundheitlich sowie nach dem bisherigen Beruf zumutbare Tätigkeit zu Recht verneint.
Darüber, daß der Kläger die für die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit erforderliche Wartezeit (§ 49 Abs 1 RKG) unter Berücksichtigung von § 15 Abs 1 des Fremdrentengesetzes (FRG) erfüllt hat, besteht unter den Beteiligten kein Streit. Ebenso ist unstreitig, daß der Kläger wegen der bei ihm vorhandenen Gesundheitsschäden nur noch körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten über Tage - also keine Untertagetätigkeiten mehr - verrichten kann. Der Streit geht darum, ob der bisherige Beruf des Klägers iS von § 46 Abs 2 RKG - seine Tätigkeit als Hauer mit Schießberechtigung in allen Flözen - zur Gruppe der Facharbeiter oder aber zur Gruppe der besonders hoch qualifizierten Facharbeiter gehört. Darauf kommt es gem § 46 Abs 2 Satz 2 RKG deshalb an, weil der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten umfaßt, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Hierzu hat das BSG in ständiger Rechtsprechung zum Bereich der Rentenversicherung der Arbeiter sowie der knappschaftlichen Rentenversicherung entschieden, daß ein Versicherter im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf grundsätzlich nur auf solche Tätigkeiten zumutbar verwiesen werden kann, die von der beruflichen Qualifikation her unmittelbar unter der Gruppe liegen, zu der sein bisheriger Beruf zu rechnen ist (vgl hierzu BSGE 43, 243, 246 = SozR 2200 § 1246 Nr 16; SozR aaO Nr 37; BSGE 48, 202, 204 = SozR 2600 § 46 Nr 3).
Bisheriger Beruf des Klägers iS von § 46 Abs 2 Satz 2 RKG ist nach der von der Revision nicht angegriffenen Feststellung des LSG die Tätigkeit des Klägers als Hauer mit Schießberechtigung im polnischen Steinkohlenbergbau. Der Kläger hat dort, soweit erforderlich, in der besonders hoch qualifizierten Tätigkeit des Schießmeisters und im übrigen als Hauer vor Ort gearbeitet. Den Schießmeister im deutschen Steinkohlenbergbau hat der erkennende Senat mit Urteil vom 31. Januar 1984 (SozR 2600 § 46 Nr 9) iS des Mehrstufenschemas als besonders hoch qualifizierten Facharbeiter zur höchsten Gruppe der Arbeiterberufe gerechnet. An dieser Beurteilung hält der Senat fest. Soweit der Kläger daher als Schießmeister im polnischen Steinkohlenbergbau tätig geworden ist, muß ihm schon wegen des Eingliederungsprinzips des FRG (vgl § 15 Abs 1 Satz 2 FRG) der Berufsschutz wie einem im deutschen Steinkohlenbergbau tätigen Schießmeister zuteil werden.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wäre nur dann möglich, wenn die Tätigkeit des Schießmeisters im polnischen Steinkohlenbergbau der des Schießmeisters im deutschen Steinkohlenbergbau substantiell nicht entsprechen würde. Dafür bieten indes die Feststellungen des LSG keinen Anhaltspunkt. Danach hat nämlich die Tätigkeit des Klägers im polnischen Steinkohlenbergbau dem Berufsbild des Schießmeisters entsprochen, wie es im Arbeitshandbuch der Beklagten unter der Tätigkeitsbeschreibung des Schießmeisters unter Tage im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau enthalten ist. Die Beklagte hat gegen diese Feststellungen keine substantiierte Verfahrensrüge erhoben. Sie sind daher für den erkennenden Senat gem § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend. Die Beklagte wendet sich allerdings dagegen, daß das LSG zu Unrecht die gemischte Tätigkeit des Klägers als Hauer und Schießmeister der reinen Schießmeistertätigkeit gleichgesetzt habe, über die der Senat in dem oben bezeichneten Urteil entschieden hat. Sie übersieht dabei aber, daß es sich nach den auch insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des LSG keineswegs um zwei verschieden zu wertende und auch verschieden hoch bezahlte, sondern um eine einheitliche Tätigkeit gehandelt hat, die einheitlich mit dem Hauerlohn und einer erheblichen Zulage wegen der besonderen Qualifikation als Schießmeister abgegolten worden ist (vgl hierzu das Urteil des erkennenden Senats vom 31. Januar 1984 - 5a RKn 16/82 -). Dabei hat der normale Hauerlohn 60 Zloty und die Zulage für den Schießhauer 24 Zloty - das sind 40 % des normalen Hauerlohnes - betragen.
Wurde aber der Kläger einheitlich als Hauer mit Schießmeisterzulage bezahlt, so kommt darin die besondere Qualifikation seiner Tätigkeit auch lohnmäßig zum Ausdruck, was letztlich für die Zuordnung in die höchste Berufsgruppe nach dem zuletzt genannten Urteil des Senats vom 31. Januar 1984 entscheidend ist. Auch arbeitsmäßig stand er der ihn beschäftigenden Grubenleitung jederzeit als Schießmeister zur Verfügung. Daß er neben der Tätigkeit des Schießens auch die Hauertätigkeit vor Ort auszuüben hatte, mindert seine berufliche Qualifikation nicht. Er wurde vielmehr mit allen Kenntnissen eines Schießmeisters auch dann tätig, wenn es sich nur um die Arbeit des Hauers handelte. Die Tätigkeit des Klägers muß deshalb einheitlich als diejenige eines Schießmeisters bewertet werden, zumal bei allen handwerklichen Tätigkeiten die Besonderheit vorkommt, daß sich der gelernte Handwerker und selbst der Meister in dem Maße, in dem ihm Hilfskräfte nicht zur Verfügung stehen, selbst auch zur Verrichtung der diesen obliegenden Hilfs- und Zuarbeiten verstehen muß.
Soweit die Revision geltend macht, in der Tätigkeit des Schießmeisters oder Schießhauers habe es sich um eine der Meistertätigkeit nicht vergleichbare Tätigkeit gehandelt, so daß aus diesem Grunde die Einordnung in die höchste Gruppe der Arbeiterberufe unzutreffend sei, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Wie bereits in dem veröffentlichten Urteil vom 31. Januar 1984 (SozR 2600 § 46 Nr 9) ausgeführt, geht die Beklagte von überzogenen Anforderungen aus, wenn sie meint, der Facharbeiter in der Spitzenstellung der Arbeiterberufe müsse einem Vergleich mit dem Meister standhalten. Erfaßt werden von der obersten Gruppe des Mehrstufenschemas nämlich die Tätigkeiten, die oberhalb der Facharbeiter und unterhalb der Meister einzuordnen sind. Das wird deutlich am "Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion", der in aller Regel einen Meister - im Angestelltenverhältnis - über sich hat und dessen Qualifikation nicht erreicht. Es kommt deshalb für die Einordnung des Klägers in die höchste Gruppe der Bergarbeiter entscheidend darauf an, daß er ständig die mit der Tätigkeit eines Schießmeisters auf allen Flözen verbundene besondere Verantwortung getragen und die dabei erforderlichen Kenntnisse, welche weit über diejenigen eines Hauers hinausgehen, zur Anwendung gebracht hat.
Ausgehend vom bisherigen Beruf des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters ist der Kläger aber auf die von ihm nach Auffassung der Beklagten gesundheitlich noch ausführbaren Tätigkeiten gemäß § 46 Abs 2 Satz 2 RKG nicht verweisbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen