Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des "bisherigen Berufs" (§ 1246 Abs 2 RVO) eines Versicherten, der als - in der Handwerkerversicherung versicherungsfreier - Bäckermeister noch eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 14.12.1984; Aktenzeichen L 6 J 211/84) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 20.07.1984; Aktenzeichen S 1 J 559/83) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) ab Oktober 1983.
Der 1930 geborene Kläger arbeitete von November 1944 bis November 1947 (mit Pflichtbeiträgen zur Invalidenversicherung) als Bäckerlehrling, danach (ohne Beitragsleistung) als "Meistersohn" in der väterlichen Bäckerei. Von September 1959 bis Juni 1983 war er als selbständiger Bäckermeister tätig und aufgrund eines Lebens- versicherungsvertrages (aus dem er seit dem 1. Juli 1983 eine Rente bezieht) in der Handwerkerversicherung (Rentenversicherung der Arbeiter) versicherungsfrei. Für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis 30. April 1971 entrichtete er freiwillige Beiträge nach. Von Mai 1971 bis Juni 1981 war der Kläger als Ofenmann in einer Glüherei versicherungspflichtig beschäftigt. Danach erhielt er Arbeitslosengeld (Alg) bis zum 30. Juni 1982. Vom 1. Juli 1982 bis zur Aufgabe seiner Bäckerei im Jahre 1983 zahlte er freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung.
Den Rentenantrag des Klägers vom September 1983 lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 28. November 1983). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Zahlung von Rente wegen BU verurteilt und die Klage auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) abgewiesen (Urteil vom 20. Juli 1984). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 14. Dezember 1984). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger könne nur noch körperlich leichte Tätigkeiten im steten Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen, vorzugsweise in geschlossenen beheizbaren Räumen, vollschichtig verrichten, wobei körperliche Zwangshaltungen und ungünstige Temperaturverhältnisse (ua große Hitze) zu vermeiden seien. Die handwerkliche Tätigkeit eines Bäckers sei ihm nicht mehr zumutbar. Der "bisherige Beruf" des Klägers sei der des gelernten Bäckers (Facharbeiter). Neben seiner Tätigkeit als "Ofenmann" habe er diesen Beruf weiter ausgeübt und die Arbeit eines Ofenmannes als Nebenerwerb "betrachtet". Eine ihm als Facharbeiter zumutbare Verweisungstätigkeit sei nicht vorhanden. Insbesondere könne er nicht auf den gehobenen Pförtner verwiesen werden. Denn dieser Beruf sei vorwiegend im Sitzen auszuüben, während der Kläger einen steten Wechsel der Körperhaltung benötigt.
Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision eine Verletzung des § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Hinsichtlich der Bestimmung des Hauptberufes seien nur die versicherungspflichtigen Tätigkeiten von Bedeutung. Der Kläger habe sich auch von seinem Beruf als Bäcker gelöst.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 20. Juli 1984 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise beantragt sie, den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen zu einer abschließenden Beurteilung nicht aus.
Nach § 1246 RVO erhält ein berufsunfähiger Versicherter Rente. Berufsunfähig ist ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen eines vergleichbaren gesunden Versicherten abgesunken ist. Dabei umfaßt der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, gem § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Das LSG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß beim Kläger als bisheriger Beruf im Sinne dieser Vorschrift unter Berücksichtigung der Tätigkeit als Bäcker derjenige eines Facharbeiters zugrundezulegen ist. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) richtet sich der "bisherige Beruf" des Versicherten allein nach der pflichtversicherten Beschäftigung, der sich der Versicherte zuletzt auf Dauer zugewandt hatte (vgl BSGE 7, 66; BSGE 24, 7 = SozR Nr 52 zu § 1246 RVO; BSGE 25, 129 = SozR Nr 60 zu § 1246 RVO; BSG SozR Nr 64 zu § 1264 RVO; BSGE 27, 263 = SozR Nr 67 zu § 1246 RVO; SozR Nr 112 zu § 1246 RVO; BSGE 55, 85 = SozR 2200 § 1246 Nr 108; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 53; BVerfGE 47, 168 = SozR 2200 § 1246 Nr 28).
Im Bäckerberuf war der Kläger aber lediglich als Lehrling versicherungspflichtig beschäftigt und ist sodann als sog Meistersohn aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgeschieden. Die spätere rückwirkende freiwillige Versicherung des Klägers für die Zeit seiner versicherungsfreien Tätigkeit als selbständiger Bäckermeister kann nach der Rechtsprechung des BSG nicht dazu führen, daß als "bisheriger Beruf" derjenige des gelernten Handwerkers berücksichtigt werden müßte. Zwar gehörte der Kläger trotz seiner Versicherungsfreiheit in der Handwerkerversicherung dieser als einem Zweig der gesetzlichen Rentenversicherung weiterhin dem Grunde nach an. Das ändert aber nichts daran, daß ihm infolge der selbstgewählten Versicherungsfreiheit durch Abschluß eines privaten Lebensversicherungsvertrages die Rückkehr in die Versicherungspflicht der gesetzlichen Rentenversicherung als Bäcker verwehrt war (vgl hierzu BSG in SozR 2400 § 2 Nr 8 mwN).
Bei dieser Sach- und Rechtslage kann als "bisheriger Beruf" nur derjenige des "Ofenmannes" berücksichtigt werden, den der Kläger über zehn Jahre lang in versicherungspflichtiger Beschäftigung ausgeübt hat.
Da das LSG - von seinem Standpunkt zu Recht - nicht festgestellt hat, welchen qualitativen Wert der Beruf des "Ofenmannes" hat und ob der Kläger - ausgehend von diesem Beruf - noch eine zumutbare Tätigkeit ausüben kann, ist die Sache an das LSG zurückzuverweisen, damit es die notwendigen Feststellungen nachholen kann.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen