Leitsatz (amtlich)

Hat ein Versicherter weniger als 180 Kalendermonate Hauerarbeiten unter Tage oder gleichgestellte Arbeiten verrichtet, so gilt die besondere Wartezeit nach RKG § 49 Abs 2 nicht etwa in entsprechender Anwendung des RKG § 52 Nr 1 deshalb als erfüllt, weil er diese Arbeiten infolge eines Arbeitsunfalls aufgeben mußte.

 

Normenkette

RKG § 49 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21, § 52 Nr. 1 Fassung: 1957-05-21

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. März 1965 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der 1907 geborene und seit 1928 im Bergbau beschäftigte Kläger mußte im Jahre 1940 die bis dahin ausgeübte Tätigkeit als Hauer wegen eines Arbeitsunfalls, für dessen Folgen er noch mit einer Teilrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente entschädigt wird, aufgeben; er hat seither überwiegend als Bremser gearbeitet. Mit Bescheid vom 24. April 1959 bewilligte ihm die Beklagte vom 1. September 1957 an den Knappschaftssold. Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, ihm stehe stattdessen die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG - (kurz: Bergmannsrente II) zu, weil er die an sich hierzu erforderliche Hauerarbeitszeit von 180 Kalendermonaten infolge des Arbeitsunfalls nicht habe zurücklegen können. Widerspruch und Klage beim Sozialgericht (SG) blieben erfolglos.

Mit Urteil vom 4. März 1965 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. In den Urteilsgründen wird ausgeführt, der Kläger habe zwar im August 1957 das 50. Lebensjahr vollendet und eine knappschaftliche Versicherungszeit von mehr als 300 Kalendermonaten zurückgelegt, während dieser Zeit aber nur von Oktober 1928 bis Februar 1940, also weniger als 180 Kalendermonate, Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellte Arbeiten (kurz: Hauerarbeiten) verrichtet und damit die Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG nicht erfüllt. Diese Erfüllung könne auch nicht nach § 52 RKG fingiert werden. Nach dieser Vorschrift gelte die Wartezeit für die Bergmannsrente und die Knappschaftsrente als erfüllt, wenn der Versicherte u.a. infolge eines Arbeitsunfalls vermindert bergmännisch berufsfähig oder berufsunfähig geworden sei. Bei der 180-monatigen Hauerarbeitszeit handele es sich aber nicht um eine Wartezeit im Sinne dieser Vorschrift, sondern um ein zusätzliches Erfordernis zu der in § 49 Abs. 2 RKG vorgeschriebenen Mindestversicherungszeit von 300 Kalendermonaten. § 52 RKG könne sich daher nur auf die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG (kurz: Bergmannsrente I), nicht aber auf die Bergmannsrente II beziehen. Das gehe auch daraus hervor, daß in § 49 Abs. 4 RKG nur für das vorgezogene Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 RKG, nicht auch für die Bergmannsrente II eine Erleichterung der Anspruchsvoraussetzungen hinsichtlich der Hauerarbeitszeit geschaffen worden sei. Es ergebe sich ferner daraus, daß nach § 50 Abs. 4 RKG - abgesehen von dem Ausnahmefall des § 51 Nr. 4 RKG - die 180-monatige Hauerarbeitszeit nicht durch Ersatzzeiten erreicht werden könne.

Das LSG hat die Revision zugelassen. Mit der Revision rügt der Kläger, daß das LSG die Fiktion des § 52 RKG zu Unrecht nicht auf die Erfüllung der besonderen Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG hinsichtlich der 180 Monate entsprechend angewandt hat. Zwar erwähne die Vorschrift nur die Fälle, in denen der Versicherte infolge Arbeitsunfalls vermindert bergmännisch berufsfähig oder berufsunfähig geworden oder gestorben ist; das Motiv für diese gesetzliche Regelung, daß nämlich der Versicherte infolge eines Arbeitsunfalls daran gehindert worden sei, die Wartezeit zu erfüllen (Aufopferungsschaden), gelte aber auch für die Fälle des § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, des Urteils des Sozialgerichts München vom 18. Juni 1962 sowie des Bescheides der Beklagten vom 24. April 1959 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. April 1960 die Beklagte zu verurteilen, ihm Bergmannsrente gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG (nF) zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Für die Erfüllung der besonderen Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG sei die tatsächliche Verrichtung von Hauerarbeiten während 180 Monaten erforderlich; die Wartezeitfiktion des § 52 RKG gelte nur für die kürzeren Wartezeiten von 60 Monaten.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II.

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Dem Kläger steht die erstrebte Rente nicht zu. Gegen die Feststellung der Beklagten und der Vordergerichte, daß der über 50 Jahre alte Kläger zwar mehr als 300 Kalendermonate knappschaftlicher Versicherungszeit zurückgelegt, während dieser Zeit jedoch weniger als 180 Kalendermonate Hauerarbeiten verrichtet hat, bestehen weder rechtliche noch tatsächliche Bedenken.

Der Kläger verkennt aber auch - wie die Vordergerichte zutreffend erkannt haben - die Bedeutung der Wartezeitvorschriften nach § 49 Abs. 2 und § 52 RKG, wenn er meint, die Vollendung der Hauerarbeitszeit von 180 Kalendermonaten sei für ihn deshalb nicht erforderlich, weil er die Hauerarbeit infolge eines Arbeitsunfalls habe aufgeben müssen.

Nach § 52 RKG gilt die Wartezeit für Bergmannsrente und Knappschaftsrente als erfüllt, wenn der Versicherte infolge eines Arbeitsunfalls - die weiteren Alternativen kommen hier nicht in Betracht - vermindert bergmännisch berufsfähig oder berufsunfähig geworden oder gestorben ist, eine Versicherung vorher bestanden hat und der letzte Beitrag zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet worden ist. Diese Vorschrift kann sich nach Wortlaut, Systematik und Sinn nur auf Versicherungsfälle beziehen, die auf einer gesundheitlichen Schädigung beruhen, nämlich die der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit, der Berufsunfähigkeit und des Todes. Nur solche Versicherungsfälle können "infolge eines Arbeitsunfalls", nämlich als Folge der hierdurch verursachten Gesundheitsschädigung, eintreten. Dagegen ist zwischen einem Arbeitsunfall und der Vollendung eines bestimmten Lebensalters kein Kausalzusammenhang denkbar; die Bergmannsrente II ist aber im Gegensatz zur Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit als Altersrente gestaltet. Wenn daher in § 52 RKG die Wartezeit "für Bergmannsrente" angesprochen wird, so kann damit nur die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit gemeint sein. Es wäre zudem unverständlich, als Voraussetzung der fiktiven Wartezeiterfüllung für die Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres den Eintritt der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit zu verlangen, weil dieser ja ohnehin schon einen Anspruch auf Bergmannsrente begründen würde.

Dem § 52 RKG kann auch nicht, wie der Kläger offenbar meint, der allgemeine Grundsatz entnommen werden, die Nichterfüllung versicherungsrechtlicher Voraussetzungen dürfe stets dann nicht zu Lasten des Versicherten gehen, wenn dieser durch die Folgen eines Arbeitsunfalls an deren Erfüllung verhindert war. Es handelt sich vielmehr in § 52 RKG um eine klar begrenzte Ausnahmeregelung für die Wartezeiterfüllung - und zwar immer nur für die Erfüllung der "kurzen" Wartezeit - bei bestimmten Versicherungsfällen, die nicht auf andere Fälle übertragen werden kann. Keinesfalls paßt sie aber auf die nach § 49 Abs. 2 RKG erforderliche 180-monatige Verrichtung von Hauerarbeiten. Während der maßgebliche Grund für die Gewährung der Bergmannsrente I und der Knappschaftsrente im Eintritt des Versicherungsfalles einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit liegt und die Erfüllung der Wartezeit hierfür nur eine versicherungstechnische Vorbedingung darstellt, liegt der eigentliche sozialpolitische Grund für die Gewährung der Bergmannsrente II gerade in der langen Verrichtung von Hauerarbeiten. Die Bedeutung der besonderen Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG geht also nach Umfang und Inhalt weit über die Bedeutung der Wartezeit nach § 49 Abs. 1 RKG, deren Erfüllung nach § 52 RKG fingiert werden kann, hinaus; schon dieser Umstand steht einer entsprechenden Anwendung dieser Ausnahmeregelung entgegen. Daß es in § 49 Abs. 2 RKG aber gerade auf die tatsächliche Verrichtung der Hauerarbeit während der erforderten Zeit ankommt, ergibt sich außerdem aus § 50 Abs. 4 RKG, wonach für die Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG Ersatzzeiten nur auf die 300 Kalendermonate knappschaftlicher Versicherungszeit, nicht aber - von der Sonderregelung für Verfolgte abgesehen - auf die 180 Kalendermonate Hauerarbeiten angerechnet werden. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß die Anrechnung von Ersatzzeiten auf die Wartezeit gegenüber der fiktiven Wartezeiterfüllung eine weniger weitgehende Vergünstigung darstellt. Es ergibt sich ferner aus § 49 Abs. 4 RKG, der die besondere Wartezeit für das vorgezogene knappschaftliche Ruhegeld nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 regelt. Hier ist nämlich bestimmt, daß es neben den Voraussetzungen nach § 49 Abs. 2 RKG als zweite Alternative für die Erfüllung der besonderen Wartezeit bei einer Versicherungszeit von 300 Kalendermonaten mit einer Beschäftigung unter Tage genügt, wenn während dieser Zeit überhaupt Hauerarbeiten verrichtet worden sind und diese wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit aufgegeben werden mußten. Der Fall, daß die Verrichtung der Hauerarbeit vor Vollendung der grundsätzlich erforderlichen 180 Kalendermonate aufgegeben werden mußte, ist also in § 49 RKG berücksichtigt, aber eben nur bei der Wartezeit für das vorgezogene Knappschaftsruhegeld, nicht auch bei der für die Bergmannsrente II.

Da das LSG hiernach den Anspruch des Klägers zu Recht für unbegründet angesehen hat, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 i.V.m. §§ 153, 165 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2373487

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