Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweiswürdigung. Berufungsumfang. Prüfungspflicht
Orientierungssatz
Macht der Kläger ganz allgemein ein berufliches Betroffensein iS des § 30 BVG geltend, unabhängig davon, ob das Gericht die von ihm begehrte zusätzliche Anerkennung von weiteren Schädigungsfolgen für gerechtfertigt hielt oder nicht, so ist das LSG nach § 157 SGG zur Prüfung verpflichtet, ob entsprechend dem Vorbringen des Klägers eine Erhöhung des Grades der MdE wegen eines beruflichen Betroffenseins nach § 30 BVG gerechtfertigt ist. Wenn es dieses für den geltend gemachten Anspruch auf eine höhere Rente wesentliche Vorbringen des Klägers in dem angefochtenen Urteil überhaupt nicht würdigt, liegt eine Verletzung des § 128 SGG vor.
Normenkette
SGG §§ 128, 157; BVG § 30
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 17.09.1965) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 17. September 1965 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Gründe
Der am ... 1920 geborene Kläger war als Soldat im Südabschnitt der Ostfront eingesetzt und wurde im Jahre 1941 am Kopf verwundet; am 25. August 1943 wurde er als dienstunfähig aus der Wehrmacht entlassen. Nach dem Inhalt seiner alten Versehrtenkarteikarte wurden bei ihm mit Wirkung vom 1. Dezember 1943 "charakterliche Veränderung nach Stirnhöhlenschädigung bei Schädelschußbruch des linken Stirnbeins mit Verdacht auf seelische Überlagerung, Narbe an der linken Schläfe" als Wehrdienstbeschädigung nach Versehrtenstufe II anerkannt. Im März 1955 beantragte der Kläger, der im Jahre 1953 aus dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin nach Berlin-West gekommen war und dort am 10. September 1953 die Erlaubnis zum dauernden Aufenthalt erhalten hatte, Versorgung wegen einer Hirnverletzung durch Granatsplitter. In dem Antrag gab er als früheren Beruf "Fuhrmann" und als jetzigen Beruf "Arbeiter" an. Nach Beiziehung einer Auskunft der "Deutschen Dienststelle" in B vom 23. Juni 1955, in der die Lazarettaufenthalte des Klägers in der Zeit vom 14. Oktober 1940 bis 6. Juli 1942 enthalten sind, holte das Versorgungsamt (VersorgA) ein nervenfachärztliches Gutachten der Frau Dr. B vom 22. August 1955 ein. Sie kam zu der Beurteilung, daß das Intelligenzniveau des Klägers an der unteren Grenze der Norm liegen dürfte und ein großer Teil der psychischen Ausfallserscheinungen wie die Schwerfälligkeit, die etwas primitive Persönlichkeitsstruktur und die gesteigerte Reizbarkeit konstitutionsbedingt seien. Man werde daher nicht alle seelischen Veränderungen auf die Verletzung des linken Stirnbeins und der linken Schläfe nach Schädelschußbruch zurückführen können, weil zweifellos ein Teil der beim Kläger vorhandenen Ausfälle schon vorher bestanden habe und wesensgebunden sei. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) durch die Folgen der Verwundung im Jahre 1941 sei weiterhin mit 50 v. H. zu bewerten. Durch Bescheid vom 13. Februar 1956 erkannte das VersorgA I Berlin "Schädelschußbruch des linken Stirnbeins, Narbe an der linken Schläfe mit Metallstecksplitter in der linken Augenhöhle und in der Haut der linken Halsseite, traumatische Stirnhirnschädigung" als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) bei einer MdE um 50 v. H. an.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch, den er in seinem Schriftsatz vom 3. September 1956 vornehmlich damit begründete, daß er wegen der bei ihm vorliegenden und auf seine Kopfverwundung zurückzuführenden Gesundheitsstörungen um mindestens 80 v. H. in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert sei. Hinzu komme noch, daß er seinen erlernten Beruf als Schmied nicht mehr ausüben könne, was ebenfalls gemäß § 30 BVG bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen sei. Im Widerspruchsverfahren wurde Prof. Dr. R gehört, der in einer nervenfachärztlichen Stellungnahme vom 12. März 1958 darauf hinwies, daß die vom Kläger gezeigten Charakterveränderungen nur zum Teil als Ausdruck der hirntraumatischen Schädigung angesehen werden könnten, weil deutliche degenerative und konstitutionell verankerte Merkmale festzustellen seien. Ob eine Erhöhung der MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins i. S. des § 30 BVG in Betracht komme, müsse noch in der Richtung geprüft werden, welchen Beruf der Kläger tatsächlich ausgeübt habe. Die Behauptung, daß er früher als Schmied ausgebildet worden sei, werde durch die Unterlagen nicht belegt und entspreche auch nicht seinen eigenen Angaben, nach denen er als Fuhrmann gelernt und als Arbeiter Beschäftigung gefunden habe. Daraufhin hat das Landesversorgungsamt (LVersorgA) Berlin mit Bescheid vom 18. März 1958 den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, daß der für die anerkannten Schädigungsfolgen festgestellte Grad der MdE um 50 v. H. angemessen und der Beruf hierbei berücksichtigt sei.
Vor dem Sozialgericht (SG) hat der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, "zentrale Regulierungsstörungen, Hirnleistungsschwäche und mittelschwere Wesensveränderung" als weitere Versorgungsleiden anzuerkennen und Versorgung nach einer MdE um mindestens 80 v. H. ab 1. März 1955 zu gewähren. Zur Begründung hat er sich ausdrücklich auf den im Widerspruchsverfahren eingereichten Schriftsatz vom 3. September 1956 berufen und dem SG eine Abschrift dieses Schriftsatzes vorgelegt, in dem er die Erhöhung der MdE u. a. auch auf eine besondere Betroffenheit in seinem Beruf als Schmied gestützt hat. Das SG hat ein weiteres nervenfachärztliches Gutachten von Frau Dr. R vom 25. November 1959 eingeholt, in dem die Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt ist, daß zentrale Regulierungsstörungen zwar nicht i. S. der Entstehung oder Verschlimmerung auf den Wehrdienst zurückgeführt werden könnten, daß aber mit Wahrscheinlichkeit eine Hirnleistungsschwäche und eine mittelschwere Wesensveränderung dem Wehrdienst zur Last zu legen seien; die MdE für die gesamten als Schädigungsfolgen anzusehenden Gesundheitsstörungen betrage 80 v. H. Auf Einwendungen der Versorgungsärztin Dr. B in ihrer nervenfachärztlichen Stellungnahme vom 13. Januar 1960 hat Frau Dr. R in einem Ergänzungsgutachten vom 1. September 1960 ihre bisherige Beurteilung aufrechterhalten. Das SG hat noch ein weiteres Gutachten von Privatdozent Dr. Sch (Neurochirurgisch-Neurologische Universitätsklinik im Städt. Krankenhaus Westend in Berlin) vom 28. Dezember 1960 eingeholt. Dieser Sachverständige hat die Auffassung vertreten, daß organisch bedingte zentrale Regulationsstörungen, Hirnleistungsschwäche und mittelschwere Wesensänderung nicht vorlägen und somit auch nicht auf den Wehrdienst zurückgeführt werden könnten. Die anerkannten Versorgungsleiden seien zutreffend und vollständig bezeichnet mit der Einschränkung, daß die anerkannte traumatische Stirnhirnschädigung nicht ausreichend wahrscheinlich zu machen sei. Die dem Kläger zugebilligte MdE um 50 v. H. sei daher zu hoch, sie betrage für die anerkannten Versorgungsleiden außer der Stirnhirnschädigung nur 30 v. H. Das SG Berlin hat sich dem Gutachten des Dr. Sch angeschlossen und die Klage durch Urteil vom 24. Oktober 1961 abgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 9. Dezember 1961 hat der Kläger Berufung eingelegt und zu ihrer Begründung auf das gesamte bisherige Vorbringen im Widerspruchsverfahren und im Klageverfahren verwiesen. Auf seinen Antrag nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das Landessozialgericht (LSG) ein weiteres Gutachten der Frau Dr. R vom 15. April 1964 eingeholt, die an ihrer Beurteilung im Gutachten vom 25. November 1959 festgehalten hat. Durch Urteil vom 17. September 1965 hat das LSG Berlin die Berufung des Klägers zurückgewiesen; es hat die Revision nicht zugelassen. Es hat die Auffassung vertreten, daß nach den Gutachten des Dr. Sch und der Versorgungsärztin Dr. B organisch bedingte zentrale Regulierungsstörungen beim Kläger überhaupt nicht vorhanden seien. Dem habe auch die Sachverständige Dr. R im Ergebnis dadurch zugestimmt, daß sie die selbständige Anerkennungsfähigkeit der zentralen Regulierungsstörungen verneint habe. Eine Hirnleistungsschwäche und eine mittelschwere Wesensänderung könnten nicht als Schädigungsfolgen anerkannt werden, weil hirnatrophische Veränderungen traumatischer Art nicht nachgewiesen seien und die Anerkennung dieser Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen nach den übereinstimmenden Gutachten der Sachverständigen Dr. Sch und Dr. B nicht in Betracht komme, zumal Dr. Sch das Vorliegen einer Hirnleistungsschwäche und einer Wesensänderung schlechthin verneint habe. Dem habe die Sachverständige Dr. R keine überzeugenden medizinischen Argumente entgegensetzen können.
Gegen dieses am 23. November 1965 zugestellte Urteil des LSG hat der Kläger mit Schriftsatz vom 20. Dezember 1965, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 22. Dezember 1965, Revision eingelegt und beantragt,
in Abänderung des Urteils des LSG Berlin vom 17. September 1965 das Urteil des SG Berlin vom 24. Oktober 1961 sowie den Bescheid des VersorgA I B vom 13. Februar 1956 abzuändern und den Widerspruchsbescheid des LVersorgA Berlin vom 18. März 1958 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, "zentrale Regulierungsstörungen, Hirnleistungsschwäche, mittelschwere Wesensveränderung" als weitere Schädigungsfolgen anzuerkennen und dem Kläger unter Berücksichtigung der bereits anerkannten Schädigungsfolgen Versorgungsbezüge entsprechend einer MdE um mindestens 80 v. H. seit dem 1. März 1955 zu gewähren,
hilfsweise, das Urteil des LSG Berlin vom 17. September 1965 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Berlin zurückzuverweisen.
Nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 23. Februar 1966 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 19. Februar 1966, der am 22. Februar 1966 beim BSG eingegangen ist und auf den Bezug genommen wird, die Revision begründet. Er rügt eine Verletzung der §§ 103, 106, 128 SGG sowie eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung der Zusammenhangsfrage i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG. Zur Begründung seiner Rügen trägt der Kläger vor, es seien bei ihm schon in dem versorgungsärztlichen Gutachten vom August 1955 Gesundheitsstörungen festgestellt worden, die in die Begriffsbezeichnung "zentrale Regulierungsstörungen, Wesensveränderung und Hirnleistungsschwäche" eingeordnet werden müßten. Da die in den versorgungsärztlichen Gutachten festgestellten Ausfallserscheinungen zu der Anerkennung der Stirnhirnschädigung geführt hätten, müßten die angeführten Gesundheitsstörungen in dem angefochtenen Bescheid ausdrücklich erwähnt werden. Da dies unterblieben sei, liege ein wesentlicher Mangel im Verfahren wegen Verletzung der §§ 103, 106, 128 SGG vor. Ein weiterer wesentlicher Verfahrensmangel liege darin, daß sich weder das SG noch das LSG mit dem geltend gemachten besonderen beruflichen Betroffensein auseinandergesetzt habe. Wie aus der Klageschrift vom 29. Mai 1959 hervorgehe, deren Inhalt auch im Berufungsverfahren zum Gegenstand des Streitstoffes gemacht worden sei, hätte bei der Bemessung der MdE eine besondere berufliche Betroffenheit in seinem erlernten Beruf als Schmied berücksichtigt werden müssen. Auch zur Tätigkeit eines Fuhrunternehmers sei er wegen der Auswirkungen der immerhin mit einem Grad der MdE um 50 v. H. anerkannten Schädigungsfolgen nicht mehr in der Lage.
Der Beklagte beantragt die Verwerfung der Revision als unzulässig; er hält die gerügten Verfahrensmängel nicht für gegeben.
Der Kläger hat die Revision form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet (§§ 164, 166 SGG). Da das LSG die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird und vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150) oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung i. S. des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG).
Der Kläger rügt eine Verletzung der §§ 103, 106, 128 SGG; er macht ferner eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung der Zusammenhangsfrage i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG geltend. Für die Statthaftigkeit der Revision genügt es, wenn eine der erhobenen Rügen durchgreift. In einem solchen Falle braucht auf weitere Rügen, welche die Revision ebenfalls nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 SGG statthaft machen könnten, nicht mehr eingegangen zu werden (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Nr. 122).
Das LSG ist in dem angefochtenen Urteil zu der Überzeugung gelangt, daß beim Kläger die Gesundheitsstörungen "zentrale Regulierungsstörungen, Hirnleistungsschwäche, mittelschwere Wesensänderung" nicht zusätzlich als Schädigungsfolgen i. S. des BVG anerkannt werden können und daß eine Erhöhung des Grades der MdE für die bereits anerkannten Schädigungsfolgen nicht gerechtfertigt ist. Gegen die Feststellung des LSG, daß die MdE für die bereits anerkannten Schädigungsfolgen - wie bisher - nicht mehr als 50 v. H. beträgt, wendet sich der Kläger mit dem Vorbringen, er habe schon in der Klageschrift vom 29. Mai 1959, deren Inhalt auch zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht worden sei, um die Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins bei der Bemessung der Gesamt-MdE gebeten. Durch die rein medizinisch mit einem Grad der MdE um 50 v. H. anerkannten Schädigungsfolgen sei er zur Ausübung seines erlernten Berufs als Schmied und auch zur Tätigkeit eines Fuhrunternehmers nicht mehr in der Lage. Dies sei auch erklärlich, wenn man die Art und die Schwere der bereits anerkannten Schädigungsfolgen berücksichtige. Weder das SG noch das LSG hätten sich im Laufe des Verfahrens mit dem geltend gemachten beruflichen Betroffensein auseinandergesetzt; auch sei jede Sachaufklärung hierzu unterblieben. Mit diesem Vorbringen macht der Kläger in hinreichend substantiierter Weise eine Verletzung des § 128 SGG geltend, die auch vorliegt.
Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In seinem Urteil hat es die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
Ein Mangel des Verfahrens in bezug auf die Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG 1, 91) braucht das Berufungsgericht bei der Beweiswürdigung allerdings nicht ausführlich auf jedes einzelne Vorbringen eines Beteiligten einzugehen und sich damit auseinanderzusetzen, sofern sich aus dem Urteil ergibt, daß das LSG alle für seine Entscheidung maßgebenden Umstände sachentsprechend gewürdigt hat. Dies ist aber dann nicht der Fall, wenn ein für die Entscheidung des Rechtsstreits wesentliches Vorbringen eines Beteiligten in den Urteilsgründen übergangen und nicht gewürdigt wird. Diese Grundsätze für eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung hat das LSG im vorliegenden Falle nicht hinreichend beachtet.
Im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 13. Februar 1956 hat der Kläger ausdrücklich das Vorliegen eines beruflichen Betroffenseins geltend gemacht. Der Nervenfacharzt Prof. Dr. R hat in seiner Stellungnahme vom 12. März 1958 hierzu ausgeführt, es müsse noch von der Verwaltung geprüft werden, welchen Beruf der Kläger tatsächlich ausgeübt habe, bevor über die Frage eines beruflichen Betroffenseins entschieden werden könne. Das LVersorgA hat jedoch ohne weitere Aufklärung in dieser Hinsicht den Widerspruch durch Bescheid vom 18. März 1958 zurückgewiesen und lediglich ausgeführt, daß bei dem für die anerkannten Schädigungsfolgen festgestellten Grad der MdE um 50 v. H. der Beruf des Klägers bereits angemessen berücksichtigt worden sei. In der Klageschrift vom 19. April 1958 hat der Kläger zur Begründung auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren in dem ausführlichen Schriftsatz vom 3. September 1956 verwiesen und für die Gerichtsakten eine Durchschrift dieses Schriftsatzes beigefügt, in dem der Kläger ausgeführt hat, es komme im vorliegenden Falle hinzu, daß er seinen erlernten Beruf als Schmied nicht mehr auszuüben vermöge, was gemäß § 30 BVG bei der Bemessung des Gesamtgrades der MdE ebenfalls angemessen zu berücksichtigen sei. Das SG Berlin hat mit Urteil vom 24. Oktober 1961 die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen zu dem Vorbringen des Klägers, daß die MdE auch wegen eines beruflichen Betroffenseins zu erhöhen sei, keine Stellung genommen.
Mit Schriftsatz vom 9. Dezember 1961 hat der Kläger gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt und zur Begründung auf das gesamte bisherige Vorbringen im Laufe des Widerspruchsverfahrens und des Klageverfahrens verwiesen. Er hat ferner mit Schriftsatz vom 7. Januar 1965 dem LSG mitgeteilt, daß er beim VersorgA die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs für die Zeit ab 1. Januar 1964 beantragt habe, und um vorübergehende Übersendung der Versorgungsakten an das VersorgA gebeten. Die Versorgungsakten sind daraufhin der Versorgungsverwaltung übersandt worden, der gegenüber der Kläger am 5. Mai 1965 eine Erklärung dahin abgegeben hat, daß er infolge der Kriegsereignisse nicht mehr im Besitz von Unterlagen über die Erlernung des Schmiedehandwerks und über die bestandene Gesellenprüfung sei, daß er darüber aber Zeugenerklärungen beibringen könne. Er hat dann auch dem VersorgA eine von Frau I M und Frau M Sch unterschriebene Bescheinigung vom 10. Juni 1965 vorgelegt, daß er den Beruf als Schmied erlernt und bei seinem Vater, dem Schmiedemeister E G, gearbeitet hat. Das VersorgA hat jedoch über den Antrag des Klägers auf Gewährung eines Berufsschadensausgleichs vorerst noch nicht entschieden und die Versorgungsakten, ohne insoweit eine weitere Aufklärung durchzuführen, dem LSG wieder zugeleitet. In dem angefochtenen Urteil vom 17. September 1965 hat das LSG Berlin die Berufung des Klägers zurückgewiesen und sich in den Entscheidungsgründen - ebenso wie das SG - mit dem Vorbringen des Klägers, daß er i. S. des § 30 BVG beruflich besonders betroffen sei, nicht auseinandergesetzt.
Der Kläger, der mit der Klageschrift den Schriftsatz aus dem Widerspruchsverfahren vom 3. September 1956 überreicht und auf dessen Inhalt ausdrücklich Bezug genommen hat, hat hiernach die Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins bei der Bemessung der MdE geltend gemacht. Er hat sein Vorbringen insoweit auch in der Berufungsschrift aufrechterhalten, in der er zur Begründung auf sein gesamtes Vorbringen im Widerspruchsverfahren und im Klageverfahren verwiesen hat. Nach § 157 prüft das LSG den Streitfall im gleichen Umfange wie das SG. Der Rechtsstreit fällt also dem Berufungsgericht innerhalb der Anträge der Beteiligten (§§ 123, 153 Abs. 1 SGG) zur Verhandlung und Entscheidung in demselben Umfange an, wie er im Verfahren vor dem SG bestanden hat. Das LSG hat somit den erhobenen Anspruch in den Grenzen, die ihm durch das Urteil des Vorderrichters und die Anträge der Beteiligten im Berufungsverfahren gezogen sind, von neuem zu prüfen, wobei es den gesamten Streitstoff berücksichtigen und rechtlich würdigen muß (vgl. BSG 7, 178, 179). Der Kläger hat ebenso wie vor dem SG auch vor dem LSG außer der von ihm begehrten Anerkennung zusätzlicher Schädigungsfolgen die Gewährung einer Rente nach einer MdE um mindestens 80 v. H. (bisher 50 v. H.) beantragt; er hat hierbei entgegen dem Vorbringen des Beklagten in der Revisionserwiderung vom 6. April 1966 ein berufliches Betroffensein i. S. des § 30 BVG ganz allgemein ohne Rücksicht darauf geltend gemacht, ob das Gericht die von ihm begehrte zusätzliche Anerkennung von weiteren Schädigungsfolgen für gerechtfertigt hielt oder nicht. Das LSG war somit nach § 157 SGG zur Prüfung verpflichtet, ob entsprechend dem Vorbringen des Klägers eine Erhöhung des Grades der MdE über 50 v. H. hinaus wegen eines beruflichen Betroffenseins nach § 30 BVG gerechtfertigt ist. Da es dieses für den geltend gemachten Anspruch auf eine höhere Rente wesentliche Vorbringen des Klägers in dem angefochtenen Urteil überhaupt nicht gewürdigt hat, liegt eine Verletzung des § 128 SGG vor.
Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, daß der Kläger sein Vorbringen im Verfahren vor dem SG, er sei in seinem erlernten Beruf als Schmied besonders betroffen im Berufungsverfahren nicht mehr aufrechterhalten habe; er hat vielmehr in der Berufungsschrift vom 9. Dezember 1961 ausdrücklich auf sein "gesamtes bisheriges Vorbringen im Zuge des Widerspruchsverfahrens und im Verlaufe des Klageverfahrens" verwiesen. Schon hieraus mußte das LSG entnehmen, daß der Kläger seinen Antrag auf Erhöhung der Rente auch im Berufungsverfahren mit dem Vorliegen eines beruflichen Betroffenseins i. S. des § 30 BVG begründet hat. Hinzu kommt noch, daß der Kläger dem LSG mit Schriftsatz vom 7. Januar 1965 mitgeteilt hat, er habe beim VersorgA die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs ab 1. Januar 1964 beantragt. Der Kläger hat ferner, nachdem das LSG die Akten auf seine entsprechende Bitte dem VersorgA zur Bearbeitung dieses Antrags übersandt hatte, diesem gegenüber eine Erklärung darüber abgegeben, daß er zwar nicht mehr im Besitz von Unterlagen über die Erlernung des Schmiedehandwerks und über die bestandene Gesellenprüfung sei, daß er aber Zeugenerklärungen beibringen könne. Er hat dann tatsächlich beim VersorgA eine entsprechende Bestätigung der Frau I M und der Frau M Sch vom 10. Juni 1965 eingereicht. Nachdem die Versorgungsakten dem LSG ohne abschließende Bearbeitung des Antrags auf Gewährung eines Berufsschadensausgleichs zurückgereicht worden waren, mußte das LSG auch hieraus entnehmen, daß der Kläger sein Vorbringen, er sei in seinem erlernten Beruf als Schmied durch die bereits anerkannten Schädigungsfolgen besonders betroffen, nicht fallengelassen hat. Da das LSG in dem angefochtenen Urteil zu diesem Vorbringen des Klägers keine Stellung genommen hat, liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG (Verletzung des § 128 SGG) vor, der die nicht zugelassene Revision des Klägers statthaft macht.
Die Revision ist auch begründet, weil das angefochtene Urteil auf der Verletzung des § 128 SGG beruht; denn es besteht die Möglichkeit, daß das LSG anders entschieden hätte, wenn es das Vorbringen des Klägers über das Vorliegen eines beruflichen Betroffenseins i. S. des § 30 BVG berücksichtigt und insoweit das Gesamtergebnis des Verfahrens gewürdigt hätte (BSG 2, 197). Da dem BSG als Revisionsgericht eine eigene Beweiswürdigung verwehrt ist und tatsächliche Feststellungen, die für die Entscheidung des Rechtsstreits noch erforderlich sind, fehlen, konnte der Senat in der Sache selbst nicht entscheiden. Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Fundstellen