Entscheidungsstichwort (Thema)
Oma auf Krankenschein
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Einzelfall kann besonders durch Verwandte geleistete Haushaltshilfe dem Versicherten gegenüber kostenlos erbracht worden sein. In einem solchen Fall sind keine Kosten entstanden, die von der KK zu erstatten sind. Die möglicherweise bestehende sittliche Pflicht der Mutter, sich der Tochter gegenüber als selbstbeschaffte Ersatzkraft zur Verfügung zu stellen, ist kein Hindernisgrund dafür, sich von der versicherten Tochter bezahlen zu lassen.
2. Ein Haushaltsmitglied, das anstelle des sonst haushaltsführenden Ehegatten des Versicherten wegen Aufenthalts in einem Krankenhaus oder in einer Entbindungsanstalt oder wegen eines Kuraufenthalts den Haushalt weiterführt, ist keine selbstbeschaffte Ersatzkraft iS des RVO § 185b Abs 2.
3. Im Haushalt des Versicherten lebende erwachsene Personen, die zur Weiterführung des Haushalts imstande sind, schließen - ohne Rücksicht auf verwandtschaftliche Bindungen oder unterhaltsrechtliche Beziehungen - den Anspruch auf Haushaltshilfe (RVO § 185b) aus.
4. Als "selbstbeschaffte Ersatzkraft" iS des RVO § 185b Abs 2 in der bis zum 30.6.1977 geltenden Fassung kommen alle außerhalb des Haushalts lebenden geeigneten Personen in Betracht; das Verhältnis der Verwandtschaft zu dem Versicherten oder seinem Ehegatten ist unerheblich.
Normenkette
RVO § 185b Abs. 2 S. 2 Fassung: 1973-12-19
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 1976 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Im Haushalt der bei der Beklagten versicherten Klägerin waren zur Zeit ihres Krankenhausaufenthaltes vom 2. bis zum 15. April 1975 zwei Kinder im Alter von ein und sechs Jahren zu versorgen. Der Ehemann der Klägerin war als Arbeitnehmer berufstätig und einige Tage - vom 7. bis zum 11. April 1975 - infolge einer Hornhaut-Bindehaut-Entzündung selber arbeitsunfähig krank. Die nicht berufstätige in einer anderen Stadt wohnende Mutter der Klägerin besorgte in der Zeit der Krankheit der Klägerin den Haushalt und erhielt dafür 300,-- DM. Die Klägerin hatte bereits vor der Krankenhausaufnahme bei der Beklagten erfolglos beantragt, ihr eine Haushaltshilfe zu stellen. Sie verlangt nunmehr pro Tag - außer Samstag und Sonntag - 12,-- DM, weil diesen Betrag auch die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger bei der Tätigkeit von Verwandten für angemessen hielten. Die beklagte Kasse lehnte die Zahlung dieses Betrages ab, weil die Mutter der Klägerin zur kostenlosen Haushaltshilfe verpflichtet gewesen sei.
Die Klägerin hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt, nach dem Wortlaut des § 185b Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) seien auch die an Verwandte gezahlten Kosten für die Haushaltsführung in angemessener Höhe zu erstatten. Auch etwaige rechtliche und sittliche Pflichten der haushaltsführenden Person könnten den Anspruch nicht hindern. Diese etwaigen Verpflichtungen könnten lediglich die Angemessenheit der Kostenhöhe beeinflussen. Der im vorliegenden Fall verlangte Betrag - pro Stunde mache dies etwa 1,50 DM aus - sei aber keineswegs unangemessen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der zugelassenen Revision. Sie meint, das LSG habe § 185b Abs 2 Satz 2 RVO fehlerhaft angewendet. Nach dieser Vorschrift könnten nur die notwendigen - also unvermeidbaren - Kosten erstattet werden. Auf keinen Fall lösten freiwillige Leistungen an eine Ersatzkraft Leistungsansprüche gegen die Krankenkasse aus. Nach den Ausführungen des LSG müsse aber davon ausgegangen werden, daß die Mutter der Klägerin in Anerkennung einer Unterhaltspflicht oder sittlichen Verpflichtung gehandelt habe. Sie beantragt,
die Urteile des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 1976 und des Sozialgerichts Detmold vom 23. Januar 1976 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Ersatzanspruchs ist der mit Wirkung vom 1. Januar 1974 in die RVO eingefügte § 185b (vgl § 1 Nr 2, § 5 des Gesetzes zur Verbesserung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung -Leistungsverbesserungsgesetz- [KLVG] vom 19. Dezember 1973, BGBl I 1925). Nach Absatz 1 dieser Vorschrift erhalten Versicherte Haushaltshilfe, wenn ihnen oder ihrem Ehegatten wegen Aufenthalts in einem Krankenhaus oder in einer Entbindungsanstalt oder wegen eines Kuraufenthalts, dessen Kosten von der Krankenkasse ganz oder teilweise getragen werden, die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist und eine andere im Haushalt lebende Person den Haushalt nicht weiterführen kann. Weitere Voraussetzung ist ferner, daß im Haushalt ein Kind lebt, das das 8. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und das behindert oder auf Hilfe angewiesen ist. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift hat die Kasse die geschuldete Haushaltshilfe dadurch zu erbringen, daß sie eine "Ersatzkraft" stellt (Satz 1). Erst wenn diese Gestellung nicht möglich ist oder Grund besteht, von der Gestellung einer Ersatzkraft abzusehen, sind die Kosten für eine selbstbeschaffte Ersatzkraft in angemessener Höhe zu erstatten (Satz 2).
Im vorliegenden Fall ist allein streitig, ob der Erstattungsanspruch nach § 185b Abs 2 Satz 2 RVO daran scheitert, daß in der Zeit der Krankenhauspflege der Versicherten deren Mutter den Haushalt versorgt hat. Zweifel, die sich daraus ergeben, daß die Mutter nicht als selbstbeschaffte Ersatzkraft wegen der ihr geleisteten Zahlung, sondern als Verwandte wegen der ihr obliegenden sittlichen oder gar rechtlichen Verpflichtung gehandelt haben konnte, sind angesichts der insoweit eindeutigen gesetzlichen Regelung und der entsprechenden Feststellungen des LSG nicht berechtigt.
Die von der beklagten Kasse vorgebrachten Einwendungen gegen die Bezahlung von Verwandten oder Verschwägerten des Versicherten, insbesondere von Personen, die mit dem Versicherten oder seinem Ehegatten in gerader Linie verwandt sind, beruhen auf der - grundsätzlich richtigen - Vorstellung, daß Leistungen der Versichertengemeinschaft nur dann erforderlich sind, wenn die engere Gemeinschaft, in der der Versicherte lebt - die Familie im weiteren Sinne - nicht in der Lage ist, die durch den Krankenhausaufenthalt des Versicherten eingetretene Notlage zu beseitigen und sich damit selbst zu helfen. In § 185b Abs 1 RVO ist aber ausdrücklich geregelt, welcher Personenkreis für diese Hilfe heranzuziehen ist: Das sind neben dem Ehegatten des Versicherten die erwachsenen Personen, die im Haushalt des Versicherten leben. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob diese Haushaltsmitglieder Verwandte des Versicherten bzw seines Ehegatten sind oder nicht. Nur wenn feststeht, daß erwachsenen Haushaltsmitgliedern die Haushaltsführung nicht möglich ist, ist die Kasse zur Gewährung von Haushaltshilfe verpflichtet. Die Nachrangigkeit des Anspruchs auf Haushaltshilfe gegenüber der Inanspruchnahme von Haushaltsmitgliedern hat auch ihre Berechtigung, weil die Haushaltshilfe, die die Kasse an sich schuldet, auch den erwachsenen Haushaltsmitgliedern zugute kommt. Das Gesetz geht davon aus, daß Haushaltsmitglieder schon kraft Lebensgemeinschaft - ohne Rücksicht auf verwandtschaftliche Bindungen oder unterhaltsrechtliche Beziehungen - verpflichtet sind, den Haushalt weiterzuführen. Den etwaigen Verpflichtungen von außerhalb des Haushalts lebenden Verwandten, mögen diese Verpflichtungen auf sittlicher oder unterhaltsrechtlicher Grundlage beruhen, mißt das Gesetz keine Bedeutung zu. Auch die aus sonstigen Gründen bestehende Bereitschaft von Verwandten oder anderen Personen - in Betracht kommt die Nachbarschaftshilfe - im Haushalt des Versicherten unentgeltlich tätig zu werden, läßt den Anspruch auf Haushaltshilfe gegen die Kasse unberührt. Die Möglichkeiten der Haushaltsmitglieder, den Haushalt fortzuführen, müssen ausgeschöpft werden.
Ein Haushaltsmitglied, das den Haushalt weiterführt, ist daher auch dann keine selbstbeschaffte Ersatzkraft im Sinne des § 185b Abs 2 RVO, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift an sich gegeben sind. Denn wenn schon die Möglichkeit des Einsatzes von Haushaltsmitgliedern als Haushaltshilfskräfte den Anspruch auf Haushaltshilfe gegenüber der Kasse (§ 185b Abs 1 RVO) ausschließt, dann kann bei tatsächlicher Haushaltsfortführung durch Haushaltsmitglieder auch nicht die Ersatzleistung für Haushaltshilfe - nämlich der Ersatzanspruch nach § 185b Abs 2 RVO - gewährt werden.
Anders ist dies indessen, wenn - wie hier - eine außerhalb des Haushalts lebende Person den Haushalt weiterführt. Die in § 185b Abs 2 RVO genannten Voraussetzungen können von allen außerhalb des Haushalts lebenden Personen erfüllt werden. Das Verhältnis der Verwandtschaft zu dem Versicherten oder seinem Ehegatten schließt dies nicht aus. Das hat bereits der 5. Senat des Bundessozialgerichts in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 28. Januar 1977 - 5 RKn 32/76 - entschieden. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Für ihre Richtigkeit spricht einmal die Tatsache, daß der Entwurf zum KLVG in seinem § 185b Abs 2 Satz 2 Halbs 2 RVO zwar die Kostenerstattung für mit dem Versicherten verwandte und verschwägerte Ersatzkräfte ausschloß (vgl Entwurf zum KLVG § 1 Nr 2, BT-Drucks VI/3588 S 1), insoweit aber seinerzeit nicht Gesetz geworden ist (siehe auch den Entwurf des Leistungsverbesserungsgesetzes in der späteren BT-Drucks 7/377). Dafür spricht weiterhin, daß durch das am 1. Juli 1977 in Kraft getretene Krankenversicherungsostendämpfungsgesetz (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1069) § 185b Abs 2 RVO nunmehr dahingehend ergänzt worden ist, daß für bis zum zweiten Grade verwandte oder verschwägerte Ersatzkräfte die Kostenerstattung künftig grundsätzlich entfällt (Art 1 § 1 Nr 12 KVKG). Beide Tatsachen, die Nichtübernahme des im Entwurf des KLVG vorgesehenen Ausschlusses der Kostenerstattung für verwandte und verschwägerte Ersatzkräfte in das Gesetz und der nunmehr ab 1. Juli 1977 für derartige Ersatzkräfte normierte Kostenerstattungsausschluß, lassen nur die Folgerung zu, daß bisher ein derartiger Ausschluß der Kostenerstattung nicht bestand. Die Rechtslage war deshalb in der hier maßgebenden Zeit anders als im Beamtenrecht, in dem den Aufwendungen für die persönliche Tätigkeit eines nahen Angehörigen die Beihilfefähigkeit ausdrücklich abgesprochen wird (vgl Nr 3 Abs 8 der Beihilfevorschriften des Bundes idF vom 12. Februar 1975 - GemeinsMinBl S 109).
Zweifelhaft kann allerdings in diesen Fällen sein, ob die geltend gemachten Kosten - wie dies § 185b Abs 2 RVO voraussetzt - dem Versicherten tatsächlich entstanden sind. Insbesondere wenn - wie hier - ein Elternteil des Versicherten oder seines Ehegatten den Haushalt weiterführt, kann die Frage gestellt werden, ob für diese Tätigkeit von dem Versicherten überhaupt Entgelt gezahlt wurde oder ob nicht vielmehr lediglich wegen der Erstattungsfähigkeit nach § 185b Abs 2 RVO Zahlungen geleistet werden. Diese Fragen liegen aber auf dem Gebiet des Tatsächlichen. Insoweit ist der Senat an die Feststellungen des LSG gebunden, wonach der Klägerin als Entgelt Kosten in Höhe von 300,-- DM entstanden sind, ein Betrag der über der mit der Klage verlangten Summe liegt.
Unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit (12,-- DM pro Tag) sind - darüber sind sich die Beteiligten einig - keine Einwendungen zu erheben.
Die Revision war daher mit der Kostenfolge aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes zurückzuweisen.
Fundstellen