Leitsatz (amtlich)
Der bindend anerkannte Anspruch auf Witwenrente kann im Falle des Wiederauflebens iS des § 1291 Abs 2 S 1 RVO nicht neu und unabhängig von den Voraussetzungen des § 45 SGB 10 geprüft werden.
Normenkette
RVO § 1291 Abs 2 S 1; SGB 10 § 45; SGG § 77
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 29.04.1987; Aktenzeichen L 2 J 319/86) |
SG Braunschweig (Entscheidung vom 21.05.1986; Aktenzeichen S 5 J 239/85) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten wiederaufgelebte Hinterbliebenenrente gemäß § 1291 Abs 2 Satz 1, Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Die Klägerin schloß 1958 die Ehe mit dem Versicherten G. B. 1963 wurde die Ehe aus dem Verschulden des Versicherten geschieden. 1967 heiratete der Versicherte die Beigeladene. Als der Versicherte 1968 starb, bewilligte die Beklagte der Klägerin eine sogenannte Geschiedenen-Witwenrente (Bescheid vom 30. April 1969) und der Beigeladenen eine Witwenrente (ebenfalls Bescheid vom 30. April 1969). Nachdem die Klägerin im April 1979 eine zweite Ehe eingegangen war, stellte die Beklagte den Wegfall der Geschiedenen-Witwenrente fest und bewilligte der Klägerin eine Witwenrentenabfindung (Bescheid vom 9. Juli 1978). Im Dezember 1984 wurde die zweite Ehe der Klägerin geschieden. Am 9. Januar 1985 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer wiederaufgelebten Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes. Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab (Bescheid vom 15. April 1985), weil die Voraussetzungen der Geschiedenen-Witwenrente nicht gegeben seien. Der Versicherte sei im Zeitpunkt des Todes nicht zur Zahlung von Unterhalt an die Klägerin verpflichtet gewesen und er habe ihr tatsächlich auch keinen Unterhalt geleistet.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Zahlung einer wiederaufgelebten Hinterbliebenenrente ab 1. Januar 1985 mit der Begründung verurteilt, der Versicherte habe vor seinem Tod Unterhalt an die Klägerin gezahlt (Urteil vom 21. Mai 1986). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 29. April 1987) und im wesentlichen ausgeführt: Die Bindungswirkung des zugunsten der Klägerin erlassenen Rentenbewilligungsbescheides vom 30. April 1969 sei aufgrund der Wiederverheiratung der Klägerin nicht etwa in dem Sinne aufgehoben worden, daß bei der Feststellung des Wiederauflebens nunmehr das Bestehen des Rentenanspruchs dem Grunde nach neu zu prüfen wäre.
Gegen diese Auffassung wendet sich die Beklagte mit der vom LSG zugelassenen Revision.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 21. Mai 1986 aufzuheben und die Klage abzuweisen; hilfsweise beantragt sie, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG den Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf wiederaufgelebte Geschiedenen-Witwenrente gemäß § 1291 Abs 2 Satz 1, Abs 3 RVO bejaht.
Die Bindungswirkung des ersten Bewilligungsbescheides vom 30. April 1969 hat gemäß § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Folge, daß der Anspruch der Klägerin beim Wiederaufleben nicht mehr dem Grunde nach neu zu prüfen ist, also unabhängig von den Voraussetzungen, unter denen der ursprüngliche Rentenbescheid bei ununterbrochenem Fortbestehen gemäß § 45 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB 10) zurückgenommen werden könnte.
Nach der Wiederverheiratung verbleibt der Witwe eines Versicherten die Zusage des Gesetzgebers, daß - ua - bei der Auflösung der für den Wegfall der Witwenrente ursächlichen zweiten Ehe der Anspruch auf Witwenrente wiederauflebt (§ 1291 Abs 2 Satz 1 RVO). Nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. Juni 1961 (BSGE 14, 238, 240) ist diese Regelung im Wortsinne dahin zu verstehen, daß ein Anspruch, der einmal bestanden hat, wiederaufleben soll. Ein derartiger Anspruch hat hier aufgrund des rechtsverbindlichen Rentenbescheides vom 30. April 1969 unabhängig davon bestanden, ob der Inhalt dieses Bescheides sachlich unrichtig war. Ohne Wiederverheiratung der Klägerin wäre er nicht weggefallen und seine Aufhebung ohne Beachtung der Bindungswirkung nicht zulässig gewesen. An den Bescheid vom 30. April 1969 ist deshalb die Beklagte auch im Falle seiner Fehlerhaftigkeit beim Wiederaufleben des Rentenanspruchs ebenso gebunden wie bei der Rentenabfindung iS des § 1302 RVO (vgl hierzu BSG in Breithaupt 67, 673).
Das Anknüpfen an die bisher anerkannte Rente ist somit dem Begriff des Wiederauflebens systemimmanent. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 11. Juli 1985 (SozR 2200 § 1291 Nr 29) ausgeführt hat, besteht während der Dauer der zweiten Ehe ein Sicherungsrecht, das bei der Auflösung dieser Ehe wieder zum Rentenanspruch expandiert. Zutreffend hat das LSG diese Entscheidung des Senats dahin verstanden, daß die Witwe mit ihrem Anspruch auf wiederaufgelebte Rente in den Schutz der Solidargemeinschaft zu den Bedingungen zurückkehrt, die zum Zeitpunkt der Rückkehr in dieser Gemeinschaft gelten. Das kann indes - wie das LSG zutreffend erkannt hat - nicht bedeuten, daß die Beklagte nunmehr über den Rentenanspruch neu, dh unabhängig von dem bereits im Bescheid vom 30. April 1969 bindend festgestellten Anspruch entscheiden könnte. Vielmehr kann es ihr lediglich nicht verwehrt sein, die nach ihrer Auffassung von Anfang an rechtswidrige Rentenbewilligung unter den Voraussetzungen des § 45 SGB 10 zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen liegen aber nach der insoweit von der Revision nicht angegriffenen Entscheidung des LSG ersichtlich nicht vor.
Zu Recht hat das LSG seine Entscheidung auch auf den Gesetzeszweck des § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO gestützt. Die Garantie des Wiederauflebens der Hinterbliebenenrente soll einen Anreiz zur Wiederverheiratung schaffen und damit sogenannte Rentenkonkubinate vermeiden helfen (vgl BSGE 30, 110, 111). Der Entschluß zur Eingehung einer zweiten Ehe soll also dadurch erleichtert werden, daß im Falle des Scheiterns der zweiten Ehe die bisherige Rente wieder bezogen werden kann. Bei dieser ratio legis macht es aber keinen Unterschied, ob der Anspruch auf Rente zu Recht oder zu Unrecht anerkannt worden war. Denn auch im letzteren Fall ist durch den erneuten Rentenbezug der Entschluß zur zweiten Eheschließung erleichtert worden. Auch in diesem Fall ist die Berechtigte demnach davor zu schützen, daß bei der Auflösung der zweiten Ehe der Rentenanspruch dem Grunde nach neu geprüft wird (ebenso Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Band II S 598d; Trolldenier SozVers 1972, 145, 147; aA: Mösch, SozVers 1969, 36, 39; Barth, SozVers 1960, 137).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen