Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungszulassung. Leistung iS des § 144 SGG. "Streitigkeiten wegen Rückerstattung von Beiträgen"
Orientierungssatz
1. Unter Leistung iS des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eine Handlung zu verstehen, die ein öffentlich-rechtlicher Leistungsträger aufgrund seiner zum Sozialrecht gehörenden Aufgaben vorzunehmen hat und aus der für den einzelnen ein rechtlicher Vorteil erwächst. Darauf, ob die Handlung eine Sozialleistung iS von § 11 S 1 SGB 1 darstellt, kommt es nicht an (vgl BSG vom 25.10.1984 11 RA 29/84 = SozR 1500 § 144 Nr 27 und vom 25.7.1985 7 RAr 33/84 = SozR 1500 § 144 Nr 30).
2. Die besondere Zulassungsvorschrift des § 149 SGG, der mit "Streitigkeiten wegen Rückerstattung von Beiträgen" nur ohne Rechtsgrund entrichtete Beiträge meint, umfaßt keine Streitigkeiten um Aufwendungsersatz (Beiträge) für eine freiwillige Krankenversicherung wegen rechtswidriger Ablehnung der Witwenversorgung.
3. Der geltend gemachte Aufwendungsersatz für Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung bei nicht rechtzeitiger Anerkennung eines Anspruchs auf Krankenbehandlung nach dem Bundesversorgungsgesetz stellt eine die Berufung ausschließende einmalige Leistung iS des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG dar; der beanspruchte Aufwendungsersatz ist auch nicht einer Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beiträge iS des § 149 SGG gleichzustellen, so daß auch aus diesem Grund eine Berufung auszuschließen ist.
Normenkette
SGG § 144 Abs 1 Nr 1, § 149; SGB 1 § 11 S 1; BVG § 38
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 23.08.1984; Aktenzeichen L 5 V 1368/83) |
SG Darmstadt (Entscheidung vom 18.10.1983; Aktenzeichen S 7 V 13/83) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit der Berufung.
Mit der Berufung hat die Klägerin ihren Anspruch weiterverfolgt, aus der Kriegsopferversorgung Ersatz von Aufwendungen für eine freiwillige Versicherung bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten.
Die Klägerin ist die Witwe eines pensionierten Beamten, der von dem Beklagten wegen Schädigungsfolgen nach dem Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges -Bundesversorgungsgesetz- (BVG) die Grundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 vH bezog. Der Ehemann der Klägerin starb am 23. Februar 1978.
Weil mit dem Tode ihres Ehemannes auch ihr Familienhilfeschutz bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) weggefallen war, trat die Klägerin der Versicherung bei der AOK freiwillig ab 23. Februar 1978 bei (§ 176b Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung -RVO-).
Ihren Antrag auf Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 13. Oktober 1978). Als er damit vor dem Sozialgericht (SG) unterlag (rechtskräftiges Urteil vom 5. August 1981), gewährte er mit Ausführungsbescheid vom 22. Oktober 1981 für die Zeit vom 1. März 1978 ab Hinterbliebenenrente nach § 38 BVG. Dazu stellte er fest, daß die Klägerin von diesem Zeitpunkt ab Anspruch auf Krankenbehandlung habe.
Der Beklagte lehnte es aber ab, der Klägerin die durch Beitragszahlungen entstandenen Aufwendungen für die freiwillige Krankenversicherung in der Zeit vom 23. Februar 1978 bis zum 15. November 1981 in Höhe von insgesamt 8.885,43 DM zu ersetzen, weil es dafür an einer Anspruchsgrundlage fehle (angefochtener Bescheid vom 22. Mai 1982, Widerspruchsbescheid vom 31. Dezember 1982).
Die dagegen erhobene Klage hat das SG abgewiesen, ohne sich zur Zulassung der Berufung nach § 150 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu äußern (Urteil vom 18. Oktober 1983). Die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) als unzulässig verworfen (Urteil vom 23. August 1984): Die Berufung betreffe einen Anspruch auf eine einmalige Leistung iS des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG, bei dem die Berufung nicht zulässig sei. Ungeachtet dessen sei sie auch nicht nach § 150 Nr 1 bis 3 SGG zulässig.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 144, 149, 150 Nr 2 und 3 SGG sowie des § 18 Abs 1 und 2 BVG. Die Berufung habe nicht einen Anspruch auf eine einmalige Leistung, sondern einen auf eine Vielzahl von Krankenkassenbeiträgen betroffen, die iS des § 149 letzter Teilsatz SGG zu Unrecht gezahlt worden seien. Hilfsweise mache sie geltend, daß die Berufung nach § 150 Nr 3 SGG wegen des engen Zusammenhangs mit dem zuvor verweigerten Anspruch auf Witwenrente und nach § 150 Nr 2 SGG wegen der falschen Rechtsmittelbelehrung zulässig gewesen sei. Begründet sei ihr Anspruch vor allem in analoger und ergänzender Anwendung des § 18 Abs 1 und 2 BVG.
Die Klägerin beantragt, die angefochtenen Urteile und Bescheide aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr 8.885,43 DM zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das LSG die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Denn die Klägerin hat mit der Berufung einen Anspruch auf Aufwendungsersatz verfolgt, der eine einmalige Leistung im Sinne des Berufungsausschließungsgrundes nach § 144 Abs 1 Nr 1 SGG darstellt; daneben sind auch die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 150 SGG nicht erfüllt gewesen.
Nach § 144 Abs 1 Nr 1 SGG in der hier anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 1975 (BGBl I 2535), zuletzt geändert durch Art II § 30 Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren -SGB 10- vom 18. August 1980 (BGBl I 1469), ist die Berufung bei Ansprüchen auf einmalige Leistungen nicht zulässig.
Unter Leistung im Sinne dieser Vorschrift ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine Handlung zu verstehen, die ein öffentlich-rechtlicher Leistungsträger aufgrund seiner zum Sozialrecht gehörenden Aufgaben vorzunehmen hat und aus der für den einzelnen ein rechtlicher Vorteil erwächst. Darauf, ob die Handlung eine Sozialleistung iS von § 11 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs, 1. Buch, Allgemeiner Teil (SGB 1) darstellt, kommt es nicht an (BSG SozR 1500 § 144 Nr 27 mwN; enger 7. Senat in BSGE 58, 291, 295 = SozR 1500 § 144 Nr 30, der die Gleichsetzung der Begriffe "Leistung" und "Sozialleistung" in diesem Zusammenhang vertritt, aber nicht von der bisherigen Rechtsprechung abweicht).
"Einmalig" iS des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG und nicht "wiederkehrend" iS der Nr 2 aaO ist die Leistung, wenn sie ein Geschehen betrifft, das sich seiner Natur nach in einer bestimmten kurzen Zeitspanne abspielt und sich in einer einmaligen Gewährung erschöpft (BSGE 42, 212, 214 = SozR 1500 § 144 Nr 5; BSGE 58, 291 294 f mwN). Dazu gehört auch die Erstattung zu Recht entrichteter Beiträge (BSGE 10, 186; BSG SozR Nr 9 zu § 74 G 131).
Die Meinung der Klägerin, die Berufung sei trotzdem zulässig, weil nach § 149 SGG die Berufung bei "Streitigkeiten wegen Rückerstattung von Beiträgen" nur ausgeschlossen ist, wenn der Beschwerdewert 150,-- DM nicht übersteigt, trifft nicht zu. Denn diese Vorschrift betrifft nur die Rückforderung von zu Unrecht geleisteten Beiträgen (Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 2. Aufl, § 149 RdNr 4 mit Hinweisen). Die Klägerin verlangt aber weder Beiträge zurück, noch sind die Beiträge, an die sie denkt, zu Unrecht entrichtet worden. Die Klägerin hat ihre Geldforderung gegen den Leistungsträger der Kriegsopferversorgung gerichtet (§§ 12, 24 SGB 1) und auf ihr Hinterbliebenenversorgungsverhältnis aus der Kriegsopferversorgung gestützt (§ 10 Abs 4 Buchst c iVm § 38 BVG). Weil ihr aus der Kriegsopferversorgung zunächst rechtswidrig jede Hinterbliebenenversorgung abgelehnt und insbesondere der Krankenbehandlungsanspruch erst rückwirkend anerkannt worden ist, verlangt sie nunmehr vom Beklagten den Ersatz ihrer Aufwendungen in der Zwischenzeit. Das sind Aufwendungen, die sie in einem freiwillig eingegangenen Rechtsverhältnis zur AOK in Gestalt von Beiträgen für ihren notwendigen und von diesem Leistungsträger anerkannten Krankenversicherungsschutz hat machen müssen. Zwar sieht das BVG ein Zusammentreffen von Krankenbehandlung als Kriegsopferversorgung mit entsprechenden Leistungspflichten der Sozialversicherungsträger von vornherein vor und ordnet dabei den Nachrang der Krankenbehandlungsansprüche aus § 10 Abs 4 BVG an (§ 10 Abs 7 Buchst d BVG, vgl auch § 18 Abs 2 Satz 2 und § 19 Abs 1 BVG). Aber der Anspruch der Klägerin ist dahin zu verstehen, daß sie im Falle der rechtzeitigen und rechtmäßigen Anerkennung ihres Krankenbehandlungsanspruches darauf hätte verzichten können, der Versicherung bei der AOK freiwillig beizutreten und die geltend gemachten Kosten für eine freiwillige Krankenversicherung aufzuwenden (vgl hierzu van Nuis-Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, III. Heil- und Krankenbehandlung, 4. Aufl 1984, S 29 zu § 10 Abs 7 Buchst d bis f BVG). Denn der Krankenbehandlungsanspruch nach § 10 Abs 4 Buchst c BVG hätte der Klägerin einen ausreichenden Krankheitsschutz geboten.
Der zum Versorgungsverhältnis zum Beklagten gehörende Anspruch der Klägerin hat danach ersichtlich nicht die Rückforderung der an die AOK gezahlten Krankenversicherungsbeiträge zum Inhalt. Denn die Klägerin räumt selbst ein, daß das Krankenversicherungsverhältnis zur AOK rechtswirksam gewesen ist und dementsprechend die Beiträge an die AOK mit Rechtsgrund gezahlt worden sind. Die besondere Zulassungsvorschrift des § 149 SGG, der mit "Streitigkeiten wegen Rückerstattung von Beiträgen" nur ohne Rechtsgrund entrichtete Beiträge meint (BSG SozR 1500 § 144 Nr 22 mwN), scheidet deshalb aus.
Stattdessen ist der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch nicht auf die Krankenkassenbeiträge als solche gerichtet. Die Klägerin begehrt aufgrund ihres Rechtsverhältnisses zu dem Beklagten den Ersatz der in der Rückschau überflüssigen Aufwendungen für die freiwillige Krankenversicherung. Dafür macht sie den Beklagten als öffentlich-rechtlichen Leistungsträger wegen Pflichtverletzung auf seinem Aufgabengebiet im Bereich des Sozialrechts verantwortlich. Ein solcher Anspruch ist auf eine Leistung gerichtet, die sich sachlich und zeitlich in der einmaligen Zahlung einer Geldsumme erschöpft. Das erfüllt die Voraussetzungen des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG.
Zu Recht hat das LSG auch entschieden, daß die Berufung auch nicht nach § 150 SGG zulässig ist.
Auf § 150 Nr 3 SGG kann sich die Klägerin nicht berufen. Soweit in dieser Vorschrift ein Ursachenstreit vorausgesetzt wird, muß er nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut Gegenstand der Berufung sein. Das trifft hier nicht zu und wird auch von der Klägerin nicht behauptet. Gegenstände früherer rechtskräftig abgeschlossener Rechtsstreitigkeiten können die Voraussetzungen des § 150 Nr 3 SGG nicht erfüllen.
Ebensowenig liegt in der Erteilung einer falschen Rechtsmittelbelehrung ein wesentlicher Verfahrensmangel iS des § 150 Nr 2 SGG. Das hat das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden (vgl BSG SozR Nr 38, 39 und 40 zu § 150 SGG jeweils mwN). Es besteht kein Grund, davon abzuweichen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen