Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung von Prozeßvorschriften. Analogie im Prozeßrecht. Lückenfüllung im Prozeßrecht. Widerspruchsfrist nach Zustellung im Ausland
Leitsatz (amtlich)
Nach einer Zustellung außerhalb des Geltungsbereichs des SGG beträgt die Widerspruchsfrist nicht entsprechend § 87 Abs 1 S 2 SGG drei Monate, sondern nach § 84 Abs 1 SGG einen Monat.
Orientierungssatz
Zwar kann nach allgemeinen Grundsätzen der Gesetzesauslegung, insbesondere nach den an Zwecken und Interessen ausgerichteten Gesichtspunkten, die auch für das Prozeßrecht gelten, ebenfalls in diesem Rechtsgebiet eine Lückenfüllung im Wege der Rechtsfortbildung erlaubt und geboten sein. Ausnahmevorschriften wie § 87 Abs 1 S 2 SGG sind nicht schlechthin von dieser Analogie ausgeschlossen. Aber im Fall des § 84 SGG besteht keine Gesetzeslücke iS der planwidrigen Unvollständigkeit. Der Zweck der Verfahrensvorschriften über den Fristenablauf steht im allgemeinen einer Lückenannahme und -schließung entgegen. Das hängt mit den Verfahrensgrundsätzen der Vorhersehbarkeit, der Berechenbarkeit und der Prozeßklarheit zusammen. Auch der Grundsatz des "sozialen Prozeßrechts" oder der "sozialen Rechtsanwendung", der im Sozialverwaltungs- und -gerichtsverfahren besonders bedeutsam ist, gebietet keine andere Entscheidung.
Normenkette
SGG § 84 Abs 1, § 87 Abs 1 S 2
Verfahrensgang
LSG Bremen (Entscheidung vom 17.11.1983; Aktenzeichen L 3 V 12/83) |
SG Bremen (Entscheidung vom 31.01.1983; Aktenzeichen S 4 V 190/82) |
Tatbestand
Dem in USA lebenden Kläger, der Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der Folgen schädigender Einwirkungen seines Wehrdienstes in der deutschen Wehrmacht begehrt, wurde ein ablehnender Bescheid des Versorgungsamtes vom 29. September 1981 am 30. Oktober 1981 an seinem Wohnsitz zugestellt. Nach der Rechtsmittelbelehrung konnte dagegen Widerspruch binnen eines Monats und - bei Bekanntgabe außerhalb des Geltungsbereiches des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - Klage binnen drei Monaten erhoben werden. Der Widerspruch des Klägers vom 12. Februar 1982 ging am 19. Februar 1982 beim Versorgungsamt ein. Er wurde wegen Verspätung als unzulässig verworfen (Widerspruchsbescheid vom 4. März 1982). Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 31. Januar 1983 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 17. November 1983). Das LSG hat bestätigt, daß der Bescheid vom 29. September 1981 rechtsverbindlich sei (§ 77 SGG). Er sei nicht binnen eines Monats nach der Zustellung mit dem Widerspruch angefochten worden, wie § 84 Abs 1 SGG vorschreibe. Die Frist habe nicht etwa ein Jahr betragen, weil die Rechtsmittelbelehrung zutreffend gewesen sei (§ 66 SGG). Die Drei-Monats-Frist des § 87 Abs 1 Satz 2 SGG sei im Vorverfahren nicht entsprechend anzuwenden. Dem Kläger sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Verspätung (§ 67 SGG) zu gewähren.
Der Kläger rügt mit der - vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 66 und des § 84 SGG. Der Verwaltungsakt hätte ein Jahr lang angefochten werden können; denn die Rechtsmittelbelehrung sei deshalb unrichtig gewesen, weil die Widerspruchsfrist entsprechend § 87 Abs 1 Satz 2 SGG nach der Bekanntgabe des Bescheides im Ausland drei Monate betrage.
Der Kläger beantragt, die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid und den Widerspruchsbescheid der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, "chronisches obstruktives Lungenleiden" und "Zustand nach Leistenhernie links" als Schädigungsfolgen anzuerkennen sowie dem Kläger entsprechend der dadurch bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit eine Beschädigtenrente ab 1. September 1980 zu gewähren, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
Die Vorinstanzen haben mit Recht keine Sachprüfung vorgenommen; denn der Kläger hat den Bescheid, durch den ihm Versorgung nach dem BVG versagt worden ist, verspätet angefochten und damit verbindlich werden lassen (§ 77 SGG). Er hat die für den Widerspruch (§ 83 SGG) in § 84 Abs 1 SGG vorgeschriebene Anfechtungsfrist von einem Monat nach der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes (§ 37 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - -SGB X- vom 18. August 1980 - BGBl I 1469 -) versäumt.
Selbst wenn die dreimonatige Frist des § 87 Abs 1 Satz 2 SGG nach Bekanntgabe oder Zustellung außerhalb des Geltungsbereiches des SGG ("Ausland"), die ausdrücklich für die Klage vorgeschrieben ist, auf den Widerspruch entsprechend anzuwenden wäre, könnte dies dem Kläger nichts nützen, denn auch diese Frist war bei Eingang des Widerspruchs bereits verstrichen.
Das LSG hat zutreffend bestätigt, daß dem Kläger keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 84 Abs 2 Satz 3 iVm § 67 SGG zu gewähren war. Er war nach den im Berufungsurteil festgestellten Tatsachen, die für das Revisionsgericht verbindlich sind (§§ 163, 164 Abs 2 Satz 3 SGG), nicht ohne Verschulden verhindert, die Widerspruchsfrist zu wahren. Diese Entscheidung beanstandet der Kläger mit der Revision nicht. Dem Kläger kommt auch nicht die Jahresfrist des § 66 Abs 2 Satz 1 SGG zugute.
Nach der Bestimmung des § 66 Abs 1 SGG, die nach der ausdrücklichen Anordnung des § 84 Abs 2 Satz 3 SGG im Vorverfahren entsprechend gilt, begann die Widerspruchsfrist mit der Zustellung des ablehnenden Bescheides, weil der Kläger über den Rechtsbehelf, insbesondere über die einzuhaltende Frist, zutreffend belehrt worden war. Nach der ebenfalls analog anwendbaren Vorschrift des § 66 Abs 2 Satz 1 SGG hätte der Widerspruch binnen eines Jahres seit der Zustellung nur eingelegt werden können, falls die erforderliche Belehrung unrichtig gewesen wäre. Dies war nicht der Fall. Denn die Rechtsmittelbelehrung war vorschriftsmäßig und zutreffend nach § 36 SGB X. Sie ging dahin, daß der Widerspruch binnen eines Monats einzulegen war. Die Drei-Monats-Frist des § 87 Abs 1 Satz 2 SGG ist im Vorverfahren auf den Widerspruch nicht entsprechend anzuwenden und hätte daher nicht in der Rechtsmittelbelehrung genannt werden müssen und dürfen.
Der erkennende Senat folgt damit im Ergebnis dem LSG Berlin (Breithaupt 1974, 632) sowie den meisten Kommentatoren zu § 84 SGG, die die Möglichkeit, § 87 Abs 1 Satz 2 SGG auf den Widerspruch entsprechend anzuwenden, gar nicht in Betracht ziehen. Die entgegenstehende Auffassung (Bayerisches LSG, Amtsblatt Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung 1980, S B 21; Bayerisches LSG vom 21. Februar 1979 -L2/U 39/78 -; LSG Baden-Württemberg vom 25. Oktober 1984 -L7/U 800/84 -; Tannen, Sozialgerichtsbarkeit 1956, 82; Bley, Gesamtkommentar Sozialgesetzbuch - Sozialversicherung, § 84 SGG, Anm 4, a; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd I, 2, S 334a XV; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 2. Aufl 1981, § 84, Rz 4; Rundschreiben Nr 67/1985 der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland vom 14. November 1985) ist entweder gar nicht oder nicht überzeugt begründet worden.
Im Unterabschnitt über das Vorverfahren im SGG (§§ 78 ff) werden nicht ausdrücklich die Vorschriften des nächsten Unterabschnitts über das Verfahren im ersten Rechtszug (§§ 87 ff) für entsprechend anwendbar erklärt. Anders ist es für das Berufungsverfahren in § 153 Abs 1 SGG und für das Revisionsverfahren in § 165 SGG, wo auf die Bestimmungen des zweiten Rechtszuges verwiesen wird. Demgemäß nimmt das Bundessozialgericht (BSG) entsprechend § 87 Abs 1 Satz 2 SGG eine dreimonatige Berufungs- und Revisionsfrist nach Zustellungen im Ausland an (BSG SozR Nr 11 zu § 151 SGG; Nr 42 zu § 164 SGG) und eine gleiche Frist für die nachträglich ins SGG eingeführte Nichtzulassungsbeschwerde (BSGE 40, 40 f = SozR 1500 § 160a Nr 4). Der 9. Senat des BSG hat diese Analogie hingegen nicht auf die Revisionsbegründungsfrist von ursprünglich einem Monat (§ 164 Abs 1 Satz 1 SGG aF) ausgedehnt (SozR Nr 51 zu § 164 SGG). Er hat dies ua damit begründet, daß für das sozialgerichtliche Verfahren nicht allgemein eine Fristverlängerung auf drei Monate für die Anfechtung nach einer Zustellung oder Bekanntgabe außerhalb des Geltungsbereiches des SGG angeordnet sei. Der 11. Senat des BSG hat diese Auffassung für den neuen Rechtsbehelf bestätigt; er hat die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, die nach § 160a Abs 2 Satz 1 SGG zwei Monate nach der Zustellung des Urteils oder des Zulassungsbeschlusses beträgt, mit insgesamt vier Monaten ab Zustellung bemessen (BSGE 40, 41).
Das Fehlen einer ausdrücklichen Anordnung, die Vorschriften der §§ 87 ff SGG im Vorverfahren entsprechend anzuwenden, ist nicht als eine Gesetzeslücke zu deuten, die die Gerichte durch eine analoge Anwendung des § 87 Abs 1 Satz 2 SGG auf die Widerspruchsfrist füllen dürften und müßten.
Zwar kann nach allgemeinen Grundsätzen der Gesetzesauslegung, insbesondere nach den an Zwecken und Interessen ausgerichteten Gesichtspunkten, die auch für das Prozeßrecht gelten (für das Zivilprozeßrecht: Stein/Jonas/Schumann, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl 1984, 1. Bd, Einleitung, Rz 46 ff, bes 51 ff), ebenfalls in diesem Rechtsgebiet eine Lückenfüllung im Wege der Rechtsfortbildung erlaubt und geboten sein (Stein/Jonas/Schumann, aaO, Rz 25, 92 ff, bes 93, S 70). Ausnahmevorschriften wie § 87 Abs 1 Satz 2 SGG sind nicht schlechthin von dieser Analogie ausgeschlossen (für den Zivilprozeß: Stein/Jonas/Schumann, aaO, Rz 95, S 73). Aber im Fall des § 84 SGG besteht keine Gesetzeslücke im Sinne der planwidrigen Unvollständigkeit. Der Zweck der Verfahrensvorschriften über den Fristenablauf steht im allgemeinen einer Lückenannahme und -schließung entgegen (für den Zivilprozeß: Stein/Jonas/Schumann, aaO, Rz 93, S 71 f, Rz 94). Das hängt mit den Verfahrensgrundsätzen der Vorhersehbarkeit, der Berechenbarkeit und der Prozeßklarheit (Stein/Jonas/Schumann, aaO, Rz 85) zusammen. Auch der Grundsatz des "sozialen Prozeßrechts" (für den Zivilprozeß Stein/Jonas/Schumann, aaO, Rz 85, 520 ff, bes 529) oder der "sozialen Rechtsanwendung" (Köbl in: Sozialrechtsprechung - Verantwortung für den sozialen Rechtsstaat. Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Bundessozialgerichts, Bd 2, 1979, S 1005, 1043; Ecker in Entwicklung des Sozialrechts - Aufgabe der Rechtsprechung, ebenfalls herausgegeben vom Deutschen Sozialrechtsverband, 1984, S 299, 313 ff), der im Sozialverwaltungs- und -gerichtsverfahren besonders bedeutsam ist, gebietet keine andere Entscheidung.
Der Gesetzgeber übernahm die Regelung des § 87 Abs 1 Satz 2 SGG aus dem früheren sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrensrecht über eine ähnliche Fristverlängerung für Seeleute (§ 128 Abs 2, § 1590 Satz 2 und § 1631 Abs 4 Satz 2 Reichsversicherungsordnung -RVOaF). Er hätte sie gerade auf das neugeordnete Verwaltungsverfahren erstreckt, falls er dies für geboten erachtet hätte. Die gegenüber der Klagefrist in Fällen des § 87 Abs 1 Satz 2 SGG kürzere Widerspruchsfrist ist aber nicht nach dem Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 Grundgesetz -GG-; BVerfGE 62, 256, 274) für den Anfechtenden unzumutbar. Der Widerspruchsführer, dem im Ausland ein Bescheid zugestellt worden ist, ist nicht in gleicher Weise schutzbedürftig wie jemand, der klagen will, unter gleichen Voraussetzungen. Ihm kann auch ohne eine Beratung durch eine des deutschen Sozialrechts kundige Person, die er im allgemeinen nicht leicht erreichen wird, zugemutet werden, den "einfacheren" Widerspruch einzulegen. Dieser Rechtsbehelf ist von keinerlei Förmlichkeiten abhängig. Das Vorverfahren als ein Teil des Verwaltungsverfahrens ist lediglich als Voraussetzung für bestimmte Klagen traditionsgemäß in den Prozeßordnungen für die Verwaltungsgerichtsbarkeiten geregelt (vgl auch §§ 68 ff Verwaltungsgerichtsordnung). Insbesondere braucht der Widerspruch nicht begründet zu werden, während für die Klage und die Berufung das Begehren sowie die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel aufgezeigt werden "sollen" (§§ 92, 151 Abs 3 SGG), die Revision sogar unter strengen Voraussetzungen von einem zugelassenen Prozeßbevollmächtigten fristgemäß zu begründen ist (§§ 166, 164 Abs 2 SGG).
Vor allem spricht folgendes gegen die Notwendigkeit, § 87 Abs 1 Satz 2 SGG analog anzuwenden. In den meisten Fällen, zu denen auch der gegenwärtige gehört, steht dem Empfänger eines Verwaltungsaktes neben dem Widerspruch binnen eines Monats die Klage an das SG offen, die nach Bekanntgabe im Ausland binnen drei Monaten zu erheben ist. Nach § 78 Abs 2 Satz 1 Halbs 1 SGG ist in Angelegenheiten der Unfallversicherung, der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten sowie der Kriegsopferversorgung die Anfechtungsklage auch ohne Vorverfahren zulässig, wenn die Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsaktes begehrt wird, der eine Leistung betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Ist in diesen Fällen die einmonatige Widerspruchsfrist versäumt, bleibt der Rechtsbehelf bis zum Ablauf von drei Monaten als Klage zulässig. Falls ein Widerspruch später als einen Monat bei der Verwaltung eingeht, kann und muß diese ihn als Klage behandeln und an das SG abgeben. In den nicht von § 78 Abs 2 SGG erfaßten Fällen, in denen ein Vorverfahren auch nicht nach § 78 Abs 1 Satz 2 SGG ausgeschlossen, also nach § 78 Abs 1 Satz 1 SGG notwendig ist, könnte der verspätet eingelegte Widerspruch als unzulässig verworfen werden; dann würde der angefochtene Verwaltungsakt rechtsverbindlich (§ 77 SGG). Aber in diesen Fällen wird die Verwaltung vielfach trotz Fristversäumnis sachlich entscheiden; dann ist die dagegen gerichtete Klage zulässig und führt zur Sachprüfung durch die Gerichte (BSGE 49, 85, 87 f = SozR 1500 § 84 Nr 3; SozR 1500 § 87 Nr 5; anderer Ansicht Kurz, Bayerische Verwaltungsblätter 1980, 714; ebenso, aber mit der Möglichkeit einer neuen Sachprüfung in einem neuen Verwaltungsverfahren: Behn, Sozialgerichtsbarkeit 1981, 336). Aber auch dann, wenn die Verwaltung sich auf die Fristversäumung berufen möchte, müßte sie einen unrichtigen Bescheid, der durch eine Verwerfung des Widerspruches rechtsverbindlich würde, auf einen Antrag, als welcher der Widerspruch zu behandeln wäre, nach § 44 SGB X zurücknehmen; die Rücknahme zugunsten des Anfechtenden ist nicht ins Ermessen gestellt (ständige Rechtsprechung, zB BSGE 51, 139, 140 f = SozR 3900 § 40 Nr 15; BSGE 55, 87, 89 = SozR 1300 § 44 Nr 4; SozR 2200 § 1251 Nr 102). Das bedeutet allerdings nicht, daß die Widerspruchsstelle in jedem Fall den verspätet angefochtenen Bescheid in vollem Umfang auf eine Unrichtigkeit sachlich nachprüfen müßte (BSGE 45, 1, 4 f = SozR 3900 § 40 Nr 9; SozR 1500 § 103 Nr 16; 3900 § 40 Nr 15). Eine solche Berichtigungsmöglichkeit nach Ablauf der Anfechtungsfrist wäre dagegen den Gerichten versagt, auch nach Verstreichen eines Monats, falls die Regelung des § 87 Abs 1 Satz 2 SGG nicht bestände.
Wenn die entsprechende Anwendbarkeit des § 87 Abs 1 Satz 2 SGG im Berufungs- und im Revisionsverfahren ua damit begründet wird, daß der ausdrückliche Ausschluß des § 91 SGG in § 153 Abs 1 SGG für die Unvollständigkeit der Berufungsvorschriften spreche (BSG SozR Nr 11 zu § 151 SGG; Nr 42 zu § 164 SGG), dann gilt dieser Gesichtspunkt gerade nicht für das Vorverfahren. Nach § 91 Abs 1 SGG gilt die Klagefrist ua dann als gewahrt, wenn die Klageschrift fristgemäß bei einer deutschen Konsularbehörde oder in Angelegenheiten einer Seeleute-Versicherung bei einem deutschen Seemannsamt im Ausland eingegangen ist. Das gilt nach § 84 Abs 2 Satz 1 SGG ebenfalls im Vorverfahren. Indes ist diese Erleichterung in beiden Verfahrensabschnitten nicht bedeutsam für die Anfechtungsfrist; sie ist unabhängig von Schwierigkeiten, sich mit Hilfe sachkundiger Beratung für oder gegen einen Rechtsbehelf zu entscheiden und ihn im ersten Fall zu begründen.
Dagegen spricht eine geplante Rechtsänderung dafür, daß die Anfechtungsfrist von drei Monaten bisher in den Fällen, für die sie nicht direkt oder analog vorgeschrieben ist, nicht gilt. Der Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung (VwPO - BT-Drucks 10/3437) sieht einheitlich für alle drei Verwaltungsgerichtsbarkeiten, also auch für die Sozialgerichtsbarkeit nach deren Vorbild eine dreimonatige Frist für Anfechtungen nach Bekanntgaben im Ausland vor (§ 52 Abs 3 Nr 2). Das soll ebenfalls für das Vorverfahren angeordnet werden (§ 78 Abs 2 Satz 1 Halbs 2). Die Begründung des Entwurfes erklärt allerdings weder die Übernahme des § 87 Abs 1 Satz 2 SGG noch die Ausdehnung auf die Widerspruchsfrist. Sie versteht die geplante Gesetzesfassung ungeachtet des Wortes "Klarstellung" nicht so, daß die Frist von drei Monaten bereits nach geltendem Recht für das Vorverfahren nach dem SGG gegolten haben sollte. Lediglich das Zitieren des § 52 des Entwurfes in § 78 Abs 2 Satz 1 Halbs 2 wird als "Klarstellung" bezeichnet (S 109, zu § 78 Abs 2). Im übrigen ist dies als eine Klarstellung eigentlich überflüssig; denn jene Bestimmung soll nach dem allgemeinen Teil für alle Fristen nach diesem Gesetz gelten, die mit einer Anfechtung verbunden sind. Die einschlägigen gleichlautenden Begründungen im Referentenentwurf des Bundesministers der Justiz und des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 1. März 1980 (S 194) und im Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung des Koordinierungsausschusses zur Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Sozialgerichtsgesetzes, herausgegeben vom Bundesminister der Justiz im Februar 1978, (S 232) enthalten keinen Hinweis darauf, daß für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit einschließlich des Vorverfahrens keine Änderung bewirkt werden soll. Nach ihnen soll mit der Drei-Monats-Frist "den Besonderheiten und Erschwerungen Rechnung" (getragen werden), "die mit der Zustellung oder sonstigen Bekanntgabe eines Widerspruchsbescheides im Ausland verbunden sein können". Das bezöge sich ausschließlich auf den Lauf der Klagefrist nach der Zustellung eines Widerspruchsbescheides. Aber eine solche Fristverlängerung betrifft gerade nicht den Umstand, der die Frist beginnen läßt (vgl dazu § 64 Abs 1 SGG), sondern die Dauer der Frist, die mit Rücksicht auf Beratungs- und Entscheidungsschwierigkeiten bei einem im Ausland lebenden Empfänger eines Bescheides oder Urteils auftreten können. Das dargelegte Gesetzesvorhaben besagt indes nicht, daß dem SGG in der jetzigen Fassung der Plan zugrundeläge, nach jeglicher Zustellung im Ausland alle Anfechtungsfristen auf drei Monate zu erweitern.
Da mithin die Rechtsmittelbelehrung zutreffend war, verblieb es bei der Anfechtungsfrist von einem Monat für den Widerspruch und für die Klage von drei Monaten, die der Kläger auch nicht eingehalten hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen