Leitsatz (amtlich)
Ein im bisherigen Beruf als Maurer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr einsatzfähiger Versicherter, der mit Erfolg zum Industriekaufmann umgeschult worden ist und diesen Beruf vollschichtig ausüben kann, ist auch dann nicht mehr berufsunfähig iS von RVO § 1246 Abs 2, wenn er im Umschulungsberuf keinen Arbeitsplatz findet.
Leitsatz (redaktionell)
Ein erfolgreicher Abschluß der Umschulung setzt nicht voraus, daß der Versicherte außer dem erfolgreichen Ausbildungsabschluß auch einen entsprechenden Arbeitsplatz gefunden hat.
Normenkette
RVO § 1246 Abs. 2 S. 3 Fassung: 1957-02-23, § 1241e Abs. 3 Fassung: 1974-08-07, § 1246 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 16.06.1977; Aktenzeichen L 8 J 8/76) |
SG Berlin (Entscheidung vom 21.11.1975; Aktenzeichen S 21 J 1552/73) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 16. Juni 1977 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger nach Beendigung einer erfolgreichen Umschulung zum Industriekaufmann im April 1977 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen ist.
Der Kläger ist gelernter Maurer und hat diesen Beruf bis zum Jahre 1972 ausgeübt. Einen im Januar 1973 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 3. Juli 1973 ab. Der Kläger leide zwar an einer berufsbedingten Allergie gegen Chromverbindungen mit einem rezidivierenden Händeekzem, er sei aber dennoch nicht berufsunfähig, weil seine Erwerbsfähigkeit unter Berücksichtigung der zumutbaren Tätigkeiten noch nicht um mehr als die Hälfte gemindert sei.
Den Bescheid vom 3. Juli 1973 hat das Sozialgericht (SG) Berlin auf die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 21. November 1975 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, dem Kläger vom 1. Februar 1973 an Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Dieses Urteil hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin auf die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 16.Juni 1977 geändert und die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 3. Juli 1973 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1.Februar 1973 bis zum 30. September 1975 Übergangsgeld zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, der Kläger könne wegen eines chronischen Hautekzems den Maurerberuf nicht mehr ausüben, weil dieses Ekzem durch eine Allergie gegen Chromate hervorgerufen werde, die in allen Baustoffen, mit denen man im Baugewerbe zwingend in Berührung komme, enthalten seien. Auch in anderen Industriezweigen, in denen Produkte hergestellt würden, die Chromverbindungen enthalten, könne er nicht eingesetzt werden. Die Beklagte habe keine konkrete Anlerntätigkeiten oder ungelernte Tätigkeiten, die sich durch besondere Qualifikationsmerkmale aus dem Kreis der übrigen ungelernten Tätigkeiten hervorheben, anzugeben vermocht, auf die der Kläger damals im Rahmen des § 1246 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) zumutbar hätte verwiesen werden können. Auch dem Gericht seien derartige Tätigkeiten unbekannt. Daher sei der Kläger bis zur Beendigung der im April 1977 erfolgreich abgeschlossenen Umschulung zum Industriekaufmann, die von der Bau-Berufsgenossenschaft durchgeführt worden sei, berufsunfähig gewesen. Die Umschulung habe im Herbst 1976 begonnen, während der Umschulungszeit habe die Bau-Berufsgenossenschaft von Oktober 1975 an Übergangsgeld gezahlt. Für diese Zeit bestehe nach § 1241 d Abs 2 RVO kein Anspruch auf Rente, aber auch für die Zeit vor Beginn der Umschulungsmaßnahme sei nach § 1241 d Abs 1 RVO statt der Rente von der Beklagten Übergangsgeld zu zahlen. Das Übergangsgeld beginne mit dem Zeitpunkt, von dem an die Rente zu zahlen gewesen wäre. Daher habe die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1. Februar 1973 bis zum 30. September 1975 Übergangsgeld zu zahlen. Nach der erfolgreichen Umschulung sei der Kläger aber nicht mehr berufsunfähig, so daß für die Zeit danach auch kein Rentenanspruch mehr bestehe. Nunmehr gehe es zu Lasten der Arbeitslosenversicherung und nicht zu Lasten der Rentenversicherung, daß der Kläger noch keinen der Umschulung entsprechenden Arbeitsplatz erlangt habe. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.
Der Kläger rügt mit der von ihm eingelegten Revision eine Verletzung des § 1246 RVO. Ferner liege ein wesentlicher Mangel des Verfahrens vor, weil das Urteil - soweit es entscheidungserheblich sei - keine ausreichende Begründung enthalte. Es fehlten jede Hinweise darauf, daß die Umschulung zum Industriekaufmann tatsächlich als erfolgreich beendet anzusehen sei. Nachdem der Kläger schon längere Zeit arbeitslos sei, scheine zumindest der Beweis des ersten Anscheins dafür zu sprechen, daß die Umschulung nicht erfolgreich gewesen sei. Zu einer erfolgreichen Rehabilitation gehöre auch das Bemühen des Rentenversicherungsträgers, dem Versicherten einen für ihn in Betracht kommenden Arbeitsplatz zu beschaffen. Solange dem Rentenversicherungsträger dies im Zusammenwirken mit der Bundesanstalt für Arbeit nicht gelinge, bestehe eine Leistungsverpflichtung des Rentenversicherungsträgers. Das ergebe sich auch aus dem Beschluß des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10. Dezember 1976. Wenn der Kläger auch nach der Umschulungsmaßnahme nicht in der Lage sei, einen Arbeitsverdienst zu erzielen, so liege das allein daran, daß er als Maurer berufsunfähig sei. Die Beklagte könne sich von ihrer Leistungspflicht nicht dadurch lösen, daß sie nunmehr den Kläger als arbeitslos ansehe. Wäre dies richtig, so könne es sich ein schlechtmeinender Versicherungsträger leicht machen, indem er alle Berufsunfähigen zu einem Beruf umschule, der nicht mehr existiere oder auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gebraucht werde, um sich dadurch von seiner Leistungspflicht zu befreien.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 1973 aufzuheben und unter Abänderung des Urteils des Landessozialgerichts Berlin vom 16. Juni 1977 dem Kläger ab Beendigung der Umschulungsmaßnahme eine Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, daß der Kläger nach der erfolgreichen Beendigung seiner Umschulung zum Industriekaufmann durch die Bau-Berufsgenossenschaft im April 1977 nicht mehr berufsunfähig iS des § 1246 Abs 2 RVO ist. Von diesem Zeitpunkt an könne er nämlich als früherer Maurer auf die Tätigkeit eines Industriekaufmanns verwiesen werden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet.
Die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge entspricht nicht der Formvorschrift des § 164 Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Denn mit dem nicht näher substantiierten Vorbringen, das angefochtene Urteil enthalte, "soweit es entscheidungserheblich war, keine ausreichende Begründung" ist kein Verfahrensmangel im Sinne der genannten Vorschrift formgerecht gerügt worden. Im übrigen ergibt sich aus dem Urteil des LSG, daß nach Ansicht des Gerichts der Kläger nicht mehr berufsunfähig war, weil er im April 1977 seine Umschulung zum Industriekaufmann erfolgreich beendet hatte. Das Urteil läßt auch erkennen, daß das Gericht die Erlangung eines Arbeitsplatzes im Umschulungsberuf nicht als Voraussetzung für eine erfolgreiche Umschulung angesehen hat.
Das LSG ist auch zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß der Kläger als gelernter Maurer zumutbar auf die Tätigkeiten eines Industriekaufmanns verwiesen werden kann. Die Zumutbarkeit ergibt sich im vorliegenden Falle schon aus § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO. Der Kläger ist vom November 1975 bis April 1977 auf Kosten der Berufsgenossenschaft mit Erfolg zum Industriekaufmann umgeschult worden. Damit hat er die Fähigkeiten zur vollschichtigen Ausübung dieses Berufs erworben. Da er gesundheitlich nur durch eine Allergie gegen Chromverbindungen beeinträchtigt ist, bestehen aus gesundheitlichen Gründen keine Bedenken gegen diese Berufsausübung. Diese Tätigkeiten können ihm auch unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs der Ausbildung zum Maurer sowie der früher ausgeübten Maurertätigkeit und der besonderen Anforderungen dieser Tätigkeit zugemutet werden. Dies ergibt sich jedenfalls aus § 1246 Abs 2 Satz 3 RVO, wonach eine Tätigkeit für die der Versicherte durch Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden ist, stets zumutbar ist.
Eine Umschulung ist dann mit Erfolg abgeschlossen, wenn der Umschüler die Abschlußprüfung bestanden hat oder wenn ihm durch ein Zeugnis oder dergleichen bescheinigt wird, daß die Umschulung erfolgreich war und ihm die Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden konnten, die zur Ausübung des Umschulungsberufs erforderlich sind (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 12. September 1978 - 5 RJ 8/78 -) Zum Erfolg einer Umschulung gehört aber nicht, daß der Versicherte nach Beendigung der Umschulung eine entsprechende Tätigkeit aufnimmt. Das Risiko der Arbeitslosigkeit als Industriekaufmann hat dann - jedenfalls nach Ablauf der in § 1241 e Abs 3 RVO bestimmten Frist - die Arbeitsverwaltung zu tragen. Gerade aus der in § 1241 e Abs 3 RVO getroffenen Regelung, wonach im Anschluß an eine abgeschlossene berufsfördernde Maßnahme einem arbeitslosen Versicherten unter bestimmten Voraussetzungen noch für 6 Wochen Übergangsgeld weitergewährt werden kann (vgl. auch § 568a Abs 3 RVO), ergibt sich, daß der Abschluß einer Umschulung nicht von der Erlangung eines Arbeitsplatzes im Umschulungsberuf abhängt und daß der Gesetzgeber nicht davon ausgeht, daß nach einer erfolgten Umschulung bis zur Erlangung eines Arbeitsplatzes noch eine Rente zu zahlen ist.
Es ist möglich, daß der Kläger zur Zeit nicht arbeitslos wäre, wenn er als Maurer arbeiten könnte. Daraus kann aber - abgesehen davon, daß auch Maurer zeitweise arbeitslos sein können - kein Rentenanspruch hergeleitet werden. Denn die Voraussetzungen für eine Berufsunfähigkeit im Sinne des § 1246 Abs 2 RVO sind nicht, daß der Versicherte in seinem bisherigen Beruf nicht mehr arbeiten kann und deshalb arbeitslos ist, sondern daß der Versicherte seine bisherige Berufstätigkeit nicht mehr ausüben und auf keine zumutbaren Tätigkeiten im Sinne des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO verwiesen werden kann.
Lediglich bei Versicherten, die infolge ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr vollschichtig arbeiten können und denen deshalb der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist, kann nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BSG (BSGE 43, 75 ff = SozR 2200 § 1246 Nr 13) die Arbeitslosigkeit für eine Rentengewährung bedeutsam werden. Diese Rechtsprechung ist aber auf Versicherte, die - wie der Kläger - noch vollschichtig arbeiten können, grundsätzlich nicht anwendbar (BSG in SozR 2200 § 1246 Nr 19 und 22).
Es ist auch nicht richtig, daß sich - wie die Revision vorbringt - ein "schlecht meinender" Versicherungsträger dadurch seiner Leistungspflicht entziehen könnte, daß er alle Berufsunfähigen zu Berufen umschulen ließe, die entweder nicht mehr existieren oder die auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gebraucht werden. Einmal ist die Bundesanstalt für Arbeit vor der Einleitung berufsfördernder Maßnahmen zur Rehabilitation zu beteiligen (§ 5 Abs 4 Rehabilitations-Angleichungsgesetz - RehaAnglG -), zum anderen brauchte der Behinderte solchen Rehabilitationsmaßnahmen nicht zuzustimmen (§ 4 Abs 1 RehaAnglG und §§ 64, 65 Sozialgesetzbuch I).
Nach alledem ist das LSG zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß dem Kläger seit Beendigung der erfolgreichen Umschulung keine Rente wegen Berufsunfähigkeit mehr zusteht, so daß seine Revision gegen das Urteil des LSG zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen