Entscheidungsstichwort (Thema)
Gutachter. Zeugenaussage. Sachverhaltsaufklärung
Orientierungssatz
Verneint ein medizinischer Sachverständiger den Zusammenhang zwischen Wehrdienst und tödlichem Leiden, weil der Dienst nicht schwer gewesen sei, während Dienstvorgesetzte und Mitarbeiter des Verstorbenen übereinstimmend bekunden, der Dienst habe große Anstrengungen mit sich gebracht, so muß das Gericht diesen Widerspruch aufzuklären suchen.
Normenkette
SGG §§ 103, 128
Verfahrensgang
LSG Bremen (Entscheidung vom 25.09.1956) |
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 25. September 1956 wird aufgehoben; die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Ehemann der Klägerin, H F, war Teilnehmer des ersten Weltkrieges; am 16. Februar 1940 wurde er im Alter von 44 Jahren erneut zum Wehrdienst einberufen und dem Heimatkraftfahrpark Bremen zugeteilt. Schon bei seiner Einstellung litt der Ehemann der Klägerin an erhöhtem Blutdruck; er wurde deswegen als g.v.H. angesehen und im wesentlichen als Schreiber eingesetzt. Am 4. Februar 1944 starb er, als Todesursache wurde "Bluthochdruck-Krankheit mit Gehirnblutung" festgestellt.
Den Antrag der Klägerin auf Hinterbliebenenversorgung vom 11. Februar 1944 lehnte die Versorgungsverwaltung durch Bescheid vom 18. September 1944 ab, da der Tod nicht auf wehrdienstliche Einflüsse zurückzuführen sei; der Bescheid trug den Vermerk, daß ein Rechtsmittel dagegen nicht zulässig sei.
Am 29. Mai 1951 beantragte die Klägerin Hinterbliebenenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) für sich und ihre Tochter. Auch dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 29. Dezember 1953 abgelehnt. Die Klägerin legte Widerspruch ein und machte geltend, ihr Ehemann sei beim Heereskraftfahrpark Bremen zwar vorwiegend im Bürodienst tätig gewesen, er habe aber auch alle Dienstleistungen eines Unteroffiziers versehen müssen, insbesondere sei er zur Rekrutenausbildung herangezogen worden und habe auch Transportkommandos ins Feld begleiten müssen; hierdurch sei er körperlich sehr in Anspruch genommen worden; die Klägerin fügte ihrem Widerspruch eine schriftliche Erklärung des früheren Hauptfeldwebels D vom 15. März 1954 bei. Das Landesversorgungsamt Bremen wies den Widerspruch durch Bescheid vom 5. April 1954 zurück. Vor dem Sozialgericht (SG.) Bremen machte die Klägerin geltend, der Tod ihres Ehemannes sei infolge der wehrdienstlichen Einwirkungen wenigstens ein Jahr früher eingetreten, als er sonst eingetreten wäre. Das SG. holte ein Gutachten des Facharztes für innere Krankheiten Dr. P ein. Dr. P vertrat die Ansicht, das anlagebedingte Hochdruckleiden des Ehemannes der Klägerin sei durch die dienstlichen Belastungen, denen der Verstorbene ausgesetzt gewesen sei, richtunggebend verschlimmert worden. Der Gerichtsarzt Dr. W hingegen meinte, es seien keine schweren Belastungen nachzuweisen, durch die das Leiden des Ehemannes der Klägerin hätte beeinflußt werden können, schon der Truppenarzt Dr. B habe am 5. Februar 1944 eine Wehrdienstbeschädigung nicht angenommen. Das SG. hörte noch den früheren Kommandeur des Heimatkraftfahrparkes B, den ehemaligen Major R als Zeugen. R bestätigte im wesentlichen die Angaben der Klägerin. Die Berufung der Klägerin wies das Landessozialgericht (LSG.) Bremen durch Urteil vom 25. September 1956 zurück: Das anlagebedingte Bluthochdruckleiden des Ehemannes der Klägerin sei durch den Wehrdienst weder verschlimmert worden, noch sei der Tod infolge von Einflüssen des Wehrdienstes wenigstens ein Jahr früher eingetreten, als er sonst eingetreten wäre; der Dienst in der Registratur, aber auch die gelegentlichen Einsätze als U.v.D., als Transport-Begleiter und als Rekrutenausbilder seien nicht so anstrengend gewesen, daß dadurch das Leiden beeinflußt worden wäre.
Das Urteil wurde der Klägerin am 7. Januar 1957 zugestellt. Am 2. Februar 1957 legte sie Revision ein und beantragte,
das Urteil des LSG. Bremen vom 25. September 1956, das Urteil des SG. Bremen vom 17. Mai 1956, den Bescheid des Versorgungsamts B vom 29. Dezember 1953 und den Bescheid des Landesversorgungsamts B vom 5. April 1954 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Witwenrente nach dem BVG ab 1. Mai 1951 zu gewähren.
Zugleich begründete sie die Revision: Zu Unrecht habe das LSG. festgestellt, der Dienst des Ehemannes der Klägerin bei dem Heimatkraftfahrpark Bremen sei ohne Einfluß auf das anlagebedingte Hochdruckleiden geblieben; das LSG. habe insoweit den Sachverhalt nicht erschöpfend aufgeklärt und die Beweise nicht richtig gewürdigt; es habe sich nicht damit begnügen dürfen, den früheren Major R als Zeugen zu vernehmen, vielmehr habe es auch den früheren Hauptfeldwebel D ferner den Nachfolger des Ehemannes der Klägerin in der Registratur des Heimatkraftfahrparkes Bremen, K - den die Klägerin im Berufungsverfahren benannt hatte -, sowie auch die Klägerin selbst über weitere Einzelheiten des Dienstes ihres Ehemannes und über die Erschöpfung, die sich bei ihm zeigte, befragen müssen; auf das Gutachten von Dr. W habe sich das LSG. nicht stützen dürfen, denn dieses Gutachten gehe offenbar von einer vorgefaßten Meinung aus; auf die Verhältnisse des Einzelfalles sei nicht in dem erforderlichen Umfange eingegangen worden; auf die Stellungnahme von Dr. B vom 5. Februar 1944 habe das LSG. sich nicht stützen können, da der Sachverständige Dr. P erklärt habe, daß Dr. B seine frühere Meinung aufgegeben habe.
Die Beklagte beantragte,
die Revision als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
sie als unbegründet zurückzuweisen.
II
1. Die Revision ist statthaft, die Klägerin rügt mit Recht, das Verfahren des LSG. leide an einem wesentlichen Mangel (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Klägerin hat zwar die Verfahrensvorschriften, die sie als verletzt ansieht, nicht ausdrücklich bezeichnet (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG); aus der Revisionsbegründung ist jedoch zu ersehen, daß die Klägerin rügen will, das LSG. habe die Grenzen seines Rechts, die Beweise frei zu würdigen (§ 128 SGG), überschritten und seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 103 SGG) verletzt. Die Revision ist daher in der durch § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG gebotenen Form eingelegt (BSG. 1 S. 227 (231)).
Das LSG. hat festgestellt, das anlagebedingte Bluthochdruckleiden des Ehemannes der Klägerin habe sich durch den Dienst bei dem Heimatkraftfahrpark B weder verschlimmert noch sei der Tod des Ehemannes der Klägerin infolge der Einflüsse dieses Dienstes wenigstens ein Jahr früher eingetreten, als dies sonst der Fall gewesen wäre. Es hat damit das Gutachten des Gerichtsarztes Dr. W zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und ist dem Gutachten des Facharztes für innere Krankheiten Dr. P in dem eine richtunggebende Verschlimmerung des Leidens durch Einflüsse des Wehrdienstes bejaht ist, nicht gefolgt; nach der Ansicht von Dr. W können zwar grundsätzlich äußere Einflüsse, wie z.B. Infektionskrankheiten und schwere körperliche Belastungen, auf den Verlauf einer Bluthochdruckkrankheit einwirken, Dr. W hält solche verschlimmernden Momente hier jedoch nicht für nachgewiesen. Das LSG. hat indes das Gutachten von Dr. W nicht als ausreichend ansehen dürfen für die Feststellung, der Ehemann der Klägerin sei während seines Dienstes bei dem Heimatkraftfahrpark B keinen schweren Belastungen ausgesetzt gewesen. Dr. W wie auch die Ärzte Dr. B und Dr. F, auf die sich das LSG. ebenfalls berufen hat, haben sich nur allgemein geäußert, sie sind auf die Besonderheiten des Falles, auf die es für die Entscheidung ankommt, nicht genügend eingegangen.
Der Ehemann der Klägerin hat im wesentlichen Dienst bei der Registratur des Heimatkraftfahrparkes B geleistet. Das LSG. ist ohne nähere Feststellungen davon ausgegangen, durch einen solchen Bürodienst könne der Ehemann der Klägerin unter keinen Umständen derart belastet worden sein, daß dadurch sein Bluthochdruckleiden hätte beeinflußt werden können. Nach den Umständen des Falles hat es aber nahegelegen zu prüfen, ob der Dienst nicht gerade für den Ehemann der Klägerin doch eine solche schwere Belastung dargestellt hat. Der ehemalige Leiter des Kraftfahrparkes Bremen, der frühere Major R hat vor dem SG. als Zeuge bekundet, der Ehemann der Klägerin habe in der Registratur keinen leichten Dienst gehabt, die Arbeiten seien sehr umfangreich gewesen, sie hätten oft erst nach Ende der täglichen Dienststunden richtig begonnen, es seien über 300 Werkstätten zu überwachen und außerordentlich zahlreiche Termine einzuhalten gewesen, der Ehemann der Klägerin habe sich als gewissenhafter Mensch um die Erledigung der Arbeiten sehr viel Sorgen gemacht; er habe zwar noch 6 - 8 Mitarbeiter gehabt, die Verantwortung habe jedoch allein auf ihm gelastet, er - der Zeuge - habe seinerzeit gegenüber den Mitarbeitern des Verstorbenen die Ansicht vertreten, der Verstorbene sei ein Opfer seiner dienstlichen Belastung geworden. Mit dieser Aussage hätte sich das LSG. auseinandersetzen müssen. Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, daß durch die von dem Zeugen R geschilderten Umstände des Bürodienstes das Bluthochdruckleiden beeinflußt worden ist. Möglicherweise können auch der unmittelbare Vorgesetzte des Ehemannes der Klägerin, der frühere Hauptfeldwebel D und der Nachfolger des Ehemannes der Klägerin, K über die Belastungen, denen der Ehemann der Klägerin durch den Bürodienst im Heimatkraftfahrpark ausgesetzt gewesen ist, und über deren Auswirkung nähere Angaben machen; das LSG. hat nicht davon absehen dürfen, diese Zeugen zu hören.
Hinzu kommt noch, daß der Ehemann der Klägerin nicht nur Bürodienst geleistet hat. Aus der Aussage des Zeugen R und aus der schriftlichen Erklärung des Hauptfeldwebels D vom 15. März 1954 ergibt sich, daß der Ehemann der Klägerin auch als U.v.D., als Rekrutenausbilder und als Transportbegleiter eingesetzt gewesen ist. Zu der Frage, mit welchen körperlichen Strapazen diese Tätigkeiten verbunden gewesen sind und ob hierdurch etwa das Leiden beeinflußt worden sein kann, hat das LSG. keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Auch wenn der Zeuge R geäußert hat, der Dienst als Rekrutenausbilder habe als angenehme Abwechslung gegenüber der Büroarbeit gegolten, so hat das LSG. doch versuchen müssen, Näheres über diesen Dienst zu ermitteln; es hat nahegelegen, auch hierüber den Zeugen D zu hören; D kennt den Dienst, um den es sich hier gehandelt hat, naturgemäß besser als der Zeuge R der für den ganzen Heimatkraftfahrpark verantwortlich gewesen ist; wahrscheinlich kann D hierüber und über die Inanspruchnahme des Ehemannes der Klägerin eingehendere Auskünfte geben. Unerheblich ist es jedenfalls, daß die Klägerin selbst keine näheren Angaben über die Belastung ihres Ehemannes hat machen können; das LSG. hat den Sachverhalt von Amts wegen aufklären müssen. Auf Grund des Gutachtens von Dr. P wird das LSG. möglicherweise auch den ehemaligen Truppenarzt Dr. B oder noch einen weiteren ärztlichen Sachverständigen hören müssen.
Das LSG. hat unter diesen Umständen die Grenzen seines Rechts, die Beweise frei zu würdigen (§ 128 SGG), überschritten und seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 103 SGG) verletzt. Die Klägerin hat dies zu Recht gerügt; die Revision ist deshalb statthaft, sie ist auch in gehöriger Frist und Form eingelegt und sonach zulässig.
2. Die Revision ist auch begründet. Es ist möglich, daß das LSG., wenn es den Sachverhalt erschöpfend aufklärt und die Beweise verfahrensrechtlich einwandfrei würdigt, zu einem anderen Ergebnis kommt. Das Urteil ist daher aufzuheben. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, da hierzu noch tatsächliche Feststellungen erforderlich sind. Die Sache ist vielmehr zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG. vorbehalten.
Fundstellen