Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Revisionsbegründung

 

Orientierungssatz

Die Revisionsbegründung muß nicht nur erkennen lassen, daß der Prozeßbevollmächtigte das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel der Revision überprüft und mit dem Blick hierauf die Rechtslage genau durchdacht hat; die Revisionsbegründung muß insbesondere auch sichtbar machen, aus welchen Gründen und mit welchen Erwägungen die Vorentscheidung angegriffen und ihre (rechtlichen) Aussagen für unrichtig angesehen werden (vgl BSG 1981-12-16 11 RA 86/80 = SozR 1500 § 164 Nr 20). Dementsprechend hat sich der Prozeßbevollmächtigte in der Revisionsbegründung mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils - zum mindesten kurz - auseinanderzusetzen und bei materiell-rechtlichen Rügen darzulegen, daß und warum eine revisible Rechtsvorschrift auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (§ 550 ZPO); dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen zu dieser Vorschrift geschehen (vgl BSG 1979-01-02 11 RA 54/78 = SozR 1500 § 164 Nr 12 mwN).

 

Normenkette

SGG § 164 Abs 2 S 3 Fassung: 1974-07-30; ZPO § 550; SGG § 164 Abs 2 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 14.09.1982; Aktenzeichen L 6 An 193/82)

SG Heilbronn (Entscheidung vom 10.11.1981; Aktenzeichen S 5 Kr 191/81)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten - nur noch - über die Höhe des Beitragszuschusses für freiwillig krankenversicherte Rentner gemäß § 83e des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) ab 1. Juli 1980.

Der bei der Krankenversicherung der Bundesbahnbeamten (KVB) freiwillig versicherte Kläger erhielt neben seiner Rente von der Beklagten seit Mai 1964 den Beitragszuschuß, zunächst nach § 381 Abs 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO), ab 1. Juli 1977 nach § 83e Abs 1 AVG. Wegen einer Erhöhung der monatlichen Versicherungsprämie auf 83,-- DM ab März 1979 paßte die Beklagte mit - bindend gewordenem - Bescheid vom 28. August 1979 den Zuschuß entsprechend an. Aus Anlaß der folgenden Erhöhung auf 89,-- DM ab März 1980 erfuhr die Beklagte von der KVB, daß bei dem Kläger die Ehefrau mitversichert ist und sein Beitrag ohne mitversicherte Angehörige ab März 1980 monatlich 59,-- DM betragen würde. Nachdem die Beklagte hierauf festgestellt hatte, daß die Ehefrau des Klägers seit 1969 Rente aus der Angestelltenversicherung bezieht und der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) bei der Bundesbahn-Betriebskrankenkasse als Pflichtversicherte angehört, zahlte sie ab November 1980 den Beitragszuschuß nur noch in Höhe der 59,-- DM und behielt sich eine Rückforderung vor (Bescheid vom 30. September 1980, Widerspruchsbescheid vom 7. Januar 1981).

Die Klage dagegen hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, vom 1. März bis zum 30. Juni 1980 anstelle des Beitragszuschusses von 83,-- DM monatlich 89,-- DM zu gewähren; im übrigen hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Nach der Ansicht des LSG war die Beklagte bis Juni 1980 zur Anpassung auf 89,-- DM ungeachtet des gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes der Ehefrau verpflichtet, weil der Kläger bis dahin keine Möglichkeit gehabt habe, einen eigenen Krankenversicherungsschutz ohne Mitversicherung zu erlangen; die Satzung der KVB habe nämlich seinerzeit noch die Mitversicherung von Angehörigen auch bei deren anderweiter Pflichtversicherung vorgeschrieben. Als damaliger Beitrag des Klägers sei sonach der eines Verheirateten und nicht der eines Ledigen anzusehen; ein unter 89,-- DM liegender Beitrag sei rein fiktiv gewesen. Ab Juli 1980 allerdings werde aufgrund einer Satzungsänderung der Ehegatte eines Mitgliedes auf dessen Antrag von der Mitversicherung befreit, so daß ein Verheirateter den wegen der gesetzlichen Versicherung seiner Ehefrau nur für sich benötigten Versicherungsschutz von da an mit dem Beitrag eines Ledigen erhalte. Damit habe der Kläger - jedenfalls ab November 1980 - den Beitragszuschuß nur noch in dieser Höhe zu beanspruchen; ob er von der Befreiungsmöglichkeit Gebrauch mache, sei hierfür unerheblich. Die Herabsetzung des Beitragszuschusses dürfe die Beklagte ungeachtet des § 1744 RVO aF vornehmen, denn es handele sich um eine Änderung der Verhältnisse iS des hier anwendbaren § 48 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X). Weder die Abmeldung der Ehefrau bei der KVB noch ihre Weiterversicherung dort ohne Beitragszuschuß sei unzumutbar. Die vom Kläger in Anspruch genommene "Besitzstandswahrung" habe der Gesetzgeber über die dargelegten Vorschriften hinaus gerade nicht vorgenommen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt der Kläger (sinngemäß), die Urteile der Vorinstanzen sowie die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ab 1. Juli 1980 einen Beitragszuschuß von 89,-- DM zu zahlen.

Er meint, die Neuregelung durch das 21. Rentenanpassungsgesetz (RAG) sei für ihn durch nichts gerechtfertigt. Es stelle eine unbillige Härte dar, nach 10 Jahren zu streichen, was bis dahin rechtens gewesen und ohne Beanstandung praktiziert worden sei. Das Anpassungsgesetz hätte für ältere Rentner eine Besitzstandswahrung aufnehmen müssen. Es könne nicht iS des Gesetzes liegen, unbillige Härten zu schaffen, zumal es sich nach den Feststellungen des LSG um einen geringfügigen Betrag handele; hier müßte nach dem Grundsatz verfahren werden, dem sozial Schwächeren zu helfen. Das 21. RAG habe ihm Nachteile gebracht, die nicht zu vertreten seien.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist gemäß § 169 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als unzulässig zu verwerfen, weil ihre Begründung den Anforderungen des Gesetzes nicht genügt.

Die rechtliche Grundlage hierfür ist § 164 Abs 2 SGG. Er regelt in seinem Satz 1 allgemein, daß die Revision innerhalb einer bezeichneten Frist zu begründen ist und in seinem Satz 3, daß die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm sowie bei der Verfahrensrüge die Tatsachen, die den Mangel ergeben, bezeichnen muß.

Hinsichtlich des "bestimmten Antrages" wird die vom Kläger gegebene Begründung dem Gebot des Satzes 3 gerecht. Zweifelhaft ist hingegen schon, ob der - pauschale - Hinweis auf "die Neuregelung durch das 21. Rentenanpassungsgesetz" dem Erfordernis der Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm noch zu entsprechen vermag. Ganz offensichtlich konnte das 21. RAG nämlich als Rechtsgrundlage für das Urteil des LSG unter keinem Aspekt in Betracht kommen (vgl zu den rechtlichen Folgen in einem derartigen Fall Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung -ZPO-, 40. Aufl, Anm 4 D und Stein/Jonas, Komm zur ZPO, 20. Aufl, Anm A 2 zu § 554 ZPO; Meyer-Ladewig, SGG, RdNr 11 zu § 164 SGG) und ist hierfür vom Berufungsgericht auch nicht herangezogen worden. Einer abschließenden Prüfung zu diesem Punkt ist der Senat indes enthoben. Vorliegend fehlt es in jedem Falle an einer Begründung der Revision iS von § 164 Abs 2 Satz 1 SGG, aus deren Mangel allein sich die Unzulässigkeit der Revision schon herleiten läßt.

Wie der erkennende Senat bereits dargelegt hat (SozR 1500 § 164 Nr 20), umschreibt der Satz 3 von § 164 Abs 2 SGG den Inhalt einer Revisionsbegründung nicht erschöpfend; er gibt für sie keine umfassende Definition, sondern stellt nur bestimmte wesentliche Einzelerfordernisse auf. Zu ihnen treten weitere - in Satz 1 vorausgesetzte - Erfordernisse hinzu, die sich allgemein aus der Pflicht zur Begründung und im besonderen aus dem Sinn und Zweck der nur durch Prozeßbevollmächtigte iS des § 166 SGG vornehmbaren Revisionsbegründung ergeben (SozR aaO mit Hinweisen). Unter diesen Gesichtspunkten muß die Revisionsbegründung nicht nur erkennen lassen, daß der Prozeßbevollmächtigte das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel der Revision überprüft und mit dem Blick hierauf die Rechtslage genau durchdacht hat; die Revisionsbegründung muß insbesondere folgerichtig auch sichtbar machen, aus welchen Gründen und mit welchen Erwägungen die Vorentscheidung angegriffen und ihre (rechtlichen) Aussagen für unrichtig angesehen werden (SozR aaO; SozR 1500 § 164 Nrn 5 und 12 mwN; BSG, Beschluß vom 17. Januar 1980 - 11 RJz 6/79 -; BFHE 88, 230; 101, 356; 121, 19 f). Dementsprechend hat sich der Prozeßbevollmächtigte in der Revisionsbegründung mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils - zum mindesten kurz - auseinanderzusetzen und bei materiellrechtlichen Rügen darzulegen, daß und warum eine revisible Rechtsvorschrift auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (§ 550 ZPO); dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen zu dieser Vorschrift geschehen (SozR 1500 § 164 Nr 12 mit Nachweisen).

Diesen Anforderungen an eine Begründung iS von § 164 Abs 2 Satz 1 SGG wird die Revisionsbegründung in dem Schriftsatz vom 11. November 1982 nicht gerecht. Soweit sie sich nicht bis Seite 3 Mitte überhaupt in dem Vortrag von Vorgeschichte und tatsächlichen Umständen des Streitfalles erschöpft und darüber hinaus auf Seite 3 unten sowie 4 oben neue Tatsachen einführt, die der erkennende Senat aus Gründen des formalen Revisionsrechts nicht beachten darf, geht sie auf Seite 3 und 4 Mitte sowie auf Seite 4 unten und 5 oben zwar dem Sinne nach auch auf Ausführungen des LSG in den Entscheidungsgründen ein und läßt insoweit bei Anlegung eines großzügigen Maßstabes noch hinreichend erkennen, daß sie eine gedankliche Auseinandersetzung mit ihnen anstrebt, sie macht jedoch damit in keiner Weise deutlich, unter welchen rechtlichen Aspekten das Urteil des LSG in den es tragenden Gedankengängen für unrichtig gehalten wird. Denn die einzige direkt an das angefochtene Urteil anknüpfende Bemerkung, es könne nicht iS des Gesetzes liegen, unbillige Härten zu schaffen, zumal es sich nach den Feststellungen des LSG um einen geringfügigen Betrag handele, kann ersichtlich allein auf den letzten Absatz der Entscheidungsgründe unter II. zielen. In diesem Absatz hat das LSG sich indes ganz offenbar nur noch mit den vom Kläger im Verlauf der Berufung gemachten Einwendungen befaßt, die es für die Entscheidung über den Streitgegenstand für rechtlich unwesentlich hielt; das Urteil tragende Überlegungen sind in dem besagten Absatz nicht enthalten. Gegen diejenigen Stellen im Urteil jedoch, die die Entscheidung tragen, hat der Kläger rechtliche Angriffe nicht gerichtet; seine wiederholten Klagen über unbillige Härten "im 21. Rentenanpassungsgesetz" sind nicht nur im Hinblick auf die vom LSG angezogene Rechtsgrundlage, sondern auch unter dem Blickwinkel des Verfassungsrechts zu allgemein, als daß ihnen genügend rechtliche Substanz für eine "Begründung" der Revision iS von § 164 Abs 2 Satz 1 SGG entnommen werden könnte. Ob für die ergänzende Begründung im Schriftsatz vom 11. Oktober 1983 das ebenfalls gelten müßte, kann dahingestellt bleiben; der Senat kann diesen Schriftsatz als Revisionsbegründung schon deshalb nicht behandeln, weil er erst nach dem Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eingegangen ist.

Hiernach mußte der Senat die Revision verwerfen, weil sie aus Gründen der mangelnden Form unzulässig ist; auf das Begehren des Klägers in der Sache einzugehen, war dem Senat infolgedessen verwehrt.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654626

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