Leitsatz (amtlich)
Die Anwendung des KOV-VfG § 47 Abs 2 wegen "wesentlicher Änderung der Verhältnisse" setzt nicht allein voraus, daß ein Bescheid nach BVG § 62 Abs 1 ergangen ist. Deshalb rechtfertigt auch die Tatsache, daß ein Ruhensbescheid nach BVG § 65 Abs 1 Nr 2 erteilt werden mußte, die Anwendung des KOV-VfG § 47 Abs 2.
Normenkette
KOVVfG § 47 Abs. 2 Fassung: 1955-05-02; BVG § 62 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20, § 65 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-08-07
Tenor
Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 15. Februar 1956 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin zu 1) ist die Witwe, die Klägerin zu 2) die Tochter des seit dem 16. Januar 1943 im Osten vermißten Oberschirrmeisters der Wehrmacht Otto K.
Mit Bescheid der Landesversicherungsanstalt (LVA.) Rheinprovinz vom 17. Januar 1950 wurde den Klägerinnen Witwen- und Waisenrente nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27, mit Bescheid des Versorgungsamts (VersorgA.) Köln vom 15. November 1952 Witwen- und Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) gewährt. Nachdem den Klägerinnen schon mit Benachrichtigung der Wehrmacht-Versorgungsstelle bei der Oberfinanzdirektion (OFD.) Düsseldorf vom 18. September 1951 auf Grund des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes (GG) fallenden Personen Versorgungsgebührnisse bewilligt worden waren, wurde ihnen mit Benachrichtigung vom 10. Dezember 1952 gemäß § 34 des o.a. Gesetzes anstelle der Normalversorgung vom 1. April 1951 an die höhere Unfallversorgung gewährt. In dem Bescheid der OFD. heißt es u.a.:
"Um die schnellere Zahlbarmachung der höheren Versorgungsbezüge zu ermöglichen, ist ein Erstattungsanspruch bei dem Versorgungsamt Köln für an Sie ab 1. April 1951 gezahlte KH-Renten nicht eingeholt worden. Sie sind daher verpflichtet, sich umgehend mit dem Versorgungsamt Köln in Verbindung zu setzen und aus der Nachzahlung vom 1.4.1951 bis 31.12.1952 die Rückzahlung Ihnen nicht zustehender KH-Renten vorzunehmen. Das Geschehene bitte ich hierher mitzuteilen. Das Versorgungsamt Köln ist von hier benachrichtigt."
Das VersorgA. Köln nahm, nachdem ihm diese Neuregelung bekannt geworden war, mit Bescheid vom 23. Dezember 1952 unter Hinweis auf § 65 Abs. 1 BVG eine "Neufeststellung" der Versorgungsbezüge vom 1. April 1951 an vor, bei der eine Überzahlung in Höhe von 1.157,80 DM errechnet wurde. Das VersorgA. forderte diesen Betrag mit Bescheid vom 6. Januar 1953 zurück. Auf den Einspruch der Klägerinnen entschied der Beschwerdeausschuß IV beim VersorgA. Köln am 13. März 1953, daß von den vom 30. September 1951 an gezahlten Bezügen nur die auf Grund des BVG, nicht aber die nach der SVD Nr. 27 zuviel gezahlten Beträge zurückgefordert werden könnten. Die nach dem BVG überzahlten Bezüge wurden vom VersorgA. Köln in einem Ausführungsbescheid vom 15. Mai 1953 mit 249,10 DM errechnet. Die Klägerinnen haben diesen Betrag inzwischen an die Versorgungsverwaltung gezahlt, fordern ihn aber nunmehr zurück. Die deshalb gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses eingelegte Berufung bzw. Klage hat das Sozialgericht (SG.) Köln durch Urteil vom 7. Juli 1954 zurückgewiesen: Die rückwirkende Neufeststellung der Witwen- und Waisenrente sei zu Recht erfolgt, auch die Rückforderung sei nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerinnen gegen dieses Urteil hat das Landessozialgericht (LSG.) durch Urteil vom 15. Februar 1956 ebenfalls zurückgewiesen: Das VersorgA. sei gemäß § 62 BVG zu einer Neufeststellung der Versorgungsbezüge berechtigt gewesen, weil durch das Ruhen der Versorgungsbezüge gemäß § 65 BVG - und zwar ruhten die Versorgungsbezüge von dem Zeitpunkt an, von dem an den Klägerinnen die beamtenrechtlichen Dienstunfallbezüge zustünden - eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei. Die überzahlten Bezüge seien einem Grundsatz des Verwaltungs- und Versorgungsrechts entsprechend auch zurückzuzahlen. Die Rückforderung verstoße nicht gegen Treu und Glauben. Zu dem gleichen Ergebnis gelange man, wenn man § 47 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) anwende. Es brauche deshalb nicht entschieden zu werden, ob diese Vorschrift hier anzuwenden sei. Die Rückforderung sei nach dieser Vorschrift auch wirtschaftlich vertretbar. Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses am 18. Juli 1956 zugestellte Urteil haben die Klägerinnen mit Schriftsatz vom 2. August 1956, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG.) am 3. August 1956, Revision eingelegt. Sie haben die Revision, nachdem die Begründungsfrist bis zum 18. Oktober 1956 verlängert worden war, mit einem am 16. Oktober 1956 beim BSG. eingegangenen Schriftsatz begründet und rügen die Verletzung materiellen (§§ 61 Abs. 4, 62 Abs. 1, 65 BVG, § 47 VerwVG) und formellen (§§ 103, 153 SGG) Rechts: Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG sei erst vom Zeitpunkt der Zahlung an eingetreten, so daß eine rückwirkende Festsetzung der Rente und eine Rückforderung der daraus errechneten Überzahlung nicht gerechtfertigt sei. Auch § 65 BVG sei so zu verstehen, daß ein Ruhen der Versorgungsbezüge erst von dem Zeitpunkt an eintrete, von dem an die Unfallversorgungsbezüge tatsächlich gezahlt würden. Daraus ergebe sich, daß die Ausgleichsrente nach dem BVG ihnen im Zeitpunkt der Zahlung nicht zu Unrecht gewährt worden sei, so daß schon dadurch eine Rückzahlung ausgeschlossen werde. Darüber hinaus seien sie im Zeitpunkt des Empfangs der Ausgleichsrente - auf diesen Zeitpunkt komme es an - gutgläubig gewesen. Soweit das LSG. die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse für vertretbar gehalten habe, habe es nicht allein darauf abstellen dürfen, daß die OFD. bei der Auszahlung der Dienstunfallbezüge darauf aufmerksam gemacht habe, die Nachzahlung könne nur soweit verbleiben, als das VersorgA. nicht aus ihr zu befriedigen sei. Das Berufungsgericht habe vielmehr die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigen und die Sache weiter aufklären müssen. Die Klägerinnen beantragen:
1.) das angefochtene Urteil und die diesem zugrunde liegenden Vorentscheidungen und Bescheide aufzuheben, soweit letztere sich auf die Rückforderung überzahlter Versorgungsgebührnisse beziehen, und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerinnen DM 249,10 zu zahlen;
2.) hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 1956 zurückzuweisen.
Er trägt vor, bei den angefochtenen Entscheidungen handele es sich nicht um eine Neufeststellung wegen Änderung der Verhältnisse, sondern um Ruhensbescheide. Es trete nämlich keine materiell-rechtliche Änderung des Versorgungsanspruchs ein, dieser bleibe vielmehr unverändert bestehen; er könne lediglich formal nicht geltend gemacht werden. Das Ruhen trete kraft Gesetzes als Folge bestimmter Tatbestände ein, einem Ruhensbescheid komme deshalb nur deklaratorische Bedeutung zu. Grundlage für die Rückforderung seien die Grundsätze des § 47 VerwVG, und zwar komme nur der Absatz 1 in Frage, so daß Voraussetzung der Rückforderung lediglich die Tatsache sei, daß Versorgungsbezüge zu Unrecht empfangen worden seien.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG). Sie ist daher zulässig.
Die Revision ist aber nicht begründet.
Das LSG. hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß die Versorgungsverwaltung im Bescheid vom 23. Dezember 1952 zu Recht das teilweise Ruhen der Rente rückwirkend angeordnet hat, und daß auch die mit Bescheid vom 6. Januar 1953 geforderte Rückzahlung der errechneten Überzahlung gerechtfertigt ist.
Nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 BVG ruht das Recht auf Versorgungsbezüge, wenn beide Ansprüche auf der gleichen Ursache beruhen, in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der Versorgung nach allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen und aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge. Dem LSG. war zuzustimmen, daß diese Ruhensvorschrift von der Versorgungsverwaltung auch rückwirkend angewandt werden konnte, da Bescheide der Versorgungsverwaltung, die über einen Versorgungsanspruch entscheiden, stets unter dem Vorbehalt der Kürzung erlassen werden. Im Falle des Ruhens der Rente endet die Pflicht zur Rentenzahlung kraft Gesetzes in dem Zeitpunkt, in welchem der Tatbestand, der das Ruhen zur Folge hat, eintritt. Der Ruhensbescheid stellt dies lediglich fest, so daß er sich auch auf eine rückliegende Zeit beziehen kann, für welche Rente bewilligt worden war. Der erkennende Senat hat diese Rechtsauffassung schon in seinem Urteil vom 14. Februar 1957 (BSG. 4 S. 281 [284/285]) zum Ausdruck gebracht und unter Hinweis auf die Rechtsprechung des früheren Reichsversorgungsgerichts (RVGer.) begründet; es besteht kein Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Daß das Ruhen sich auch auf die Witwenrente erstreckt, hat der Senat ebenfalls in seiner Entscheidung vom 22. Mai 1958 ausgesprochen (BSG. 7 S. 206 = SozR. BVG § 65 Bl. Ca 1 Nr. 2). Im vorliegenden Falle hat sich die Versorgungsverwaltung im Bescheid vom 23. Dezember 1952 zwar zu Unrecht auf § 62 BVG berufen, denn es handelt sich bei einem Ruhensbescheid - wie bereits dargelegt - lediglich um die deklaratorische Feststellung einer kraft Gesetzes eingetretenen Rechtsfolge, nicht aber um eine "Neufeststellung" der Versorgungsbezüge im Sinne des § 62 BVG. Die getroffene Feststellung bleibt vielmehr, wie schon das Wort "Ruhen" besagt, weiterhin unverändert bestehen; der Ruhensbescheid betrifft nur die Zahlbarkeit, die von der "Feststellung" zu unterscheiden ist, auch wenn sie - im Gegensatz zu früheren Gesetzen - in der Regel in demselben Verwaltungsakt erfolgt (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 14. Februar 1957 a.o.a.O.). Die formularmäßige Bezugnahme auf § 62 BVG durch die Versorgungsbehörde hat aber auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides keinen Einfluß, zumal in ihm ausdrücklich auch auf § 65 BVG als Rechtsgrundlage hingewiesen worden ist. Da es sich bei dem Bescheid vom 23. Dezember 1952 somit nicht um einen Bescheid über die Neufeststellung von Versorgungsbezügen im Sinne des § 62 BVG handelt, gehen auch die Angriffe der Revision fehl, soweit eine Verletzung der §§ 61, 62 BVG gerügt wird.
Dem LSG. war im Ergebnis auch darin beizupflichten, daß die Versorgungsverwaltung zu Recht den überzahlten Betrag in Höhe von 249,10 DM zurückgefordert hat. Rechtsgrundlage der Rückforderung ist allerdings nicht ein allgemeiner Grundsatz des Verwaltungsrechts, sondern § 47 VerwVG. Das hat der erkennende Senat in einem gleichgelagerten Falle bereits in seinem Urteil vom 30. August 1956 (BSG. 3 S. 234) entschieden. Dazu führt der Beklagte aus, daß allein der Abs. 1 des § 47 VerwVG angewendet werden könne, weil die einengende und besondere Voraussetzung des Abs. 2 (wesentliche Änderung der Verhältnisse) nicht gegeben sei; Abs. 1 aber bestimme ohne Einschränkung, daß zu Unrecht empfangene Leistungen zurückzuerstatten seien. Das trifft nicht zu. Denn Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz VerwVG. enthält die ausdrückliche Vorschrift: "soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist". Deshalb muß in jedem Falle bei der Rückforderung zu Unrecht empfangener Leistungen geprüft werden, ob in den dem Abs. 1 folgenden Absätzen des § 47 VerwVG. "nichts anderes bestimmt ist". Nach § 47 Abs. 2 VerwVG kann, soweit die Überzahlung auf einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse beruht, der zu Unrecht gezahlte Betrag nur zurückgefordert werden, wenn der Empfänger wußte oder wissen mußte, daß ihm die gezahlten Versorgungsbezüge im Zeitpunkt der Zahlung nicht oder nicht in der bisherigen Höhe zustanden oder wenn die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Empfänger vertretbar ist. Dabei ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne dieser Vorschrift nicht nur darauf beschränkt, daß diese Änderung eine Neufeststellung nach § 62 Abs. 1 BVG zur Folge hat. Für diese einschränkende Auffassung ergibt sich nichts aus dem Gesetz. Vielmehr ist die Anwendung des § 47 Abs. 2 VerwVG auch dann gerechtfertigt, wenn eine Überzahlung dadurch eingetreten ist, daß das Recht auf Versorgungsbezüge nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 BVG für einen bestimmten Zeitraum ruht und deshalb ein Ruhensbescheid erteilt werden mußte. Denn auch durch die Gewährung der höheren beamtenrechtlichen Unfallfürsorge statt der Versorgung nach allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen tritt eine die Lebenshaltung des Empfängers unmittelbar berührende wesentliche Änderung der Verhältnisse ein. Vorliegend konnte vom Senat dahingestellt bleiben, ob der Rückforderungsanspruch der Versorgungsbehörde nach der 1. Alternative des § 47 Abs. 2 VerwVG begründet ist. Denn die Rückforderung ist schon deshalb berechtigt, weil sie wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerinnen vertretbar ist (2. Alternative des § 47 Abs. 2 VerwVG). Diese haben auf Grund der Benachrichtigung der OFD. Düsseldorf vom 10. Dezember 1952 eine für ihre Verhältnisse erhebliche Nachzahlung erhalten, die eine Überzahlung der Versorgungsbezüge um etwa 1.150,-- DM zur Folge hatte. Sie rechneten auf Grund des in der o.a. Benachrichtigung enthaltenen Hinweises auch damit, daß die gesamte Überzahlung aus der von der OFD. geleisteten Nachzahlung zurückzuzahlen sei. Nachdem nun der Beschwerdeausschuß den zurückzuzahlenden Betrag auf 249,10 DM herabgesetzt hatte, verblieb den Klägerinnen aus der Nachzahlung immer noch ein Betrag von etwa 900,-- DM. Unter diesen Umständen war es nach Auffassung des Senats - ohne daß es auf die wirtschaftliche Lage der Klägerinnen im übrigen ankäme - vertretbar, den Betrag von 249,10 DM von den Klägerinnen zurückzufordern. Das geht nicht zuletzt schon daraus hervor, daß sie in der Lage waren, noch vor Erteilung des Ausführungsbescheides vom 23. Dezember 1952 zur Deckung ihrer Schuld einen Betrag von 300,-- DM an die Versorgungsbehörde zu überweisen; dabei ist unbeachtlich, aus welchen Mitteln dieser Betrag von 300,--DM entnommen wurde. Unter diesen besonderen Umständen war deshalb eine weitere Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht erforderlich, so daß die Rüge der Revision, das LSG. habe diese Verhältnisse der Klägerinnen nicht genügend aufgeklärt, keinen Erfolg haben kann; im übrigen ist das LSG. bei Prüfung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit - nach dem Grundsatz von Treu und Glauben - davon ausgegangen, daß es in diesem Falle auf die übrigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerinnen nicht ankomme. Die Frage, ob eine mangelhafte Sachaufklärung vorliegt, ist aber vom rechtlichen Standpunkt des Berufungsgerichts aus zu beurteilen (BSG. 2 S. 84 [87]).
Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen