Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des § 111 Abs 2 S 2 Nr 1 AFG
Leitsatz (redaktionell)
Bis zu einem - zulässigen - Wechsel der Lohnsteuerklassen bleibt die Lohnsteuerklasse maßgebend, die zu Beginn des Kalenderjahres eingetragen war, in dem der Anspruch entstanden ist.
Orientierungssatz
Die Anbindung des für die Höhe des Arbeitslosengeldanspruchs maßgeblichen Lohnes an den Eintrag der Lohnsteuerklasse in die Steuerkarte des Arbeitslosen und die deswegen nach § 111 Abs 2 S 2 Nr 1 AFG folgende Auswirkung (hier: verheirateter Versicherter mit Steuerklasse V) steht mit dem GG in Einklang.
Normenkette
AFG § 111 Abs 2 S 2 Nr 1 Fassung: 1975-12-18; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 6 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 14 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; AFG § 113 Abs 1 S 1; AFG § 113 Abs 2
Verfahrensgang
SG Hamburg (Entscheidung vom 01.08.1978; Aktenzeichen 2 AR 1006/77) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten ein höheres Arbeitslosengeld (Alg).
Der 1948 geborene Kläger ist gelernter Radio- und Fernsehtechniker und stand vom 1. April 1973 bis 30. September 1975 in einem Arbeitsverhältnis. Vom 1. bis 4. Oktober 1975 bezog er von der Beklagten Alg. Vom 6. Oktober 1975 bis 16. September 1977 nahm er an einem von der Beklagten geförderten Fortbildungslehrgang zum Elektrotechniker teil. Am 12. September 1977 meldete sich der Kläger für die Zeit ab 17. September 1977 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Auf seiner Lohnsteuerkarte für das Jahr 1977 war am 20. September 1976 die Steuerklasse IV - verheiratet - keine Kinder eingetragen worden. Am 29. Dezember 1976 wurde vom Bezirksamt H W mit Wirkung ab 1. Januar 1977 die Steuerklasse IV in V geändert.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 5. Oktober 1977 Alg ab 17. September 1977 für 308 Tage nach der Leistungsgruppe D. Der Widerspruch, mit dem der Kläger sich gegen diese Einstufung wandte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. November 1977).
Seine Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 1. August 1978 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG im wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe dem Kläger zutreffend Alg für 308 Tage bewilligt, da der am 1. Oktober 1975 entstandene Anspruch durch die Teilnahme an einer Maßnahme zur beruflichen Fortbildung nach § 125 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) erloschen sei; der neuentstandene Anspruch habe sich an der restlichen Dauer des früheren Anspruchs zu orientieren (§ 106 Abs 2 AFG). Zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der neue Anspruch entstanden sei, am 1. Januar 1977, habe aufgrund der Änderung in der Lohnsteuerkarte des Klägers vom 29. Dezember 1976 für das Jahr 1977 die Steuerklasse V, Familienstand verheiratet, gegolten. In der Folgezeit habe kein neuerlicher Steuerklassenwechsel zwischen dem Kläger und dessen Ehefrau stattgefunden. Somit sei die Einstufung in die Leistungsgruppe D richtig gewesen.
Die dafür maßgeblichen §§ 111 Abs 2 und 113 Abs 1 AFG verstießen nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze. Art 3 des Grundgesetzes (GG) sei nicht verletzt, da für die Anbindung der Höhe des Alg an die Lohnsteuerklassen auch bei Verheirateten einleuchtende sachliche Gründe bestünden. Eine Möglichkeit, die Höhe des Alg an die erst am Ende eines Kalenderjahres feststehende steuerliche Belastung des Arbeitslosen zu binden, bestehe nicht. Das System der Leistungsgewährung des AFG knüpfe an das ausgefallene Nettoarbeitsentgelt an. Daher sei es sachlich gerechtfertigt, grundsätzlich von der Steuerbelastung auszugehen, die im Augenblick des Beginns des Leistungsbezuges oder eines davor liegenden Stichtages bestanden hat. Auch für die Einschränkung der Beachtlichkeit eines Steuerklassenwechsels zwischen Ehegatten sprächen einleuchtende sachliche Gründe; denn die Berücksichtigung einer freien Wahlmöglichkeit der Steuerklassenkombination bei Ehegatten für das Alg brächte die Gefahr von Manipulationen mit sich.
Das SG hat die Berufung und die Sprungrevision zugelassen.
Mit seiner Sprungrevision, der die Beklagte zugestimmt hat, rügt der Kläger, daß die Anknüpfung des Alg in § 111 AFG an die Steuerklassen im Widerspruch zu den Art 3, 14 Abs 1 und 20 Abs 1 GG stehe; im übrigen beanstandet er eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung durch das SG. Er führt ua aus: Ehegatten würden grundsätzlich nach der Splitting-Tabelle besteuert; die auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Steuerklassen seien nur vorläufig und regelten lediglich die Frage, nach welchen Merkmalen der Arbeitgeber während des Kalenderjahres die Lohnsteuer einbehalten müsse. Die Ehegatten hätten die Möglichkeit, im Laufe des Kalenderjahres die Steuerklassen zu wechseln und diese den Gegebenheiten anzupassen. Die Regelung des AFG sei anders, denn es gebe keine Splitting-Tabelle. Die Steuerklasse, die der Arbeitslose zu Beginn eines Jahres hätte, sei für die Berechnung des Alg endgültig, ein späterer Ausgleich finde nicht statt. Der Gesetzgeber habe das System der Steuerklassen in das AFG übernommen, jedoch nur teilweise; denn die Prinzipien gerade der Ehegattenbesteuerung seien nicht mitübernommen worden. Wenn aber aus einem Bereich, der in sich geschlossen, folgerichtig und sachgerecht gelöst worden sei, einzelne Merkmale in einen anderen Bereich übernommen würden, müsse geprüft werden, ob eine sachgerechte Anknüpfung vorgenommen worden sei. Das sei im AFG nicht der Fall.
Der Kläger werde auch im Verhältnis zu anderen Versicherten, die die Steuerklasse III oder IV hätten, ungleich behandelt. Das Alg des Klägers werde vom steuerlichen Status seines Ehegatten entsprechend der Lohnsteuerkarte abhängig gemacht, obwohl diese nichts darüber aussage, ob und in welcher Weise der Ehegatte Einkommen habe. Art 14 Abs 1 GG sei verletzt, denn die unsachgemäße Anknüpfung an das Steuerrecht verletzt die Eigentumsgarantie bei Gewährung von staatlichen Leistungen, die auf Beiträgen der Versicherten beruhten. Das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG) sei durch diese sachwidrige Anknüpfung ebenfalls nicht beachtet.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts
Hamburg vom 1. August 1978 den Bescheid der
Beklagten vom 5. Oktober 1977 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 9. November 1977
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
dem Kläger ab 17. September 1977 Alg nach der
Leistungsgruppe A zu bewilligen,
das Verfahren gemäß Art 100 Abs 1 GG und
§§ 13 Nr 11 und 80 des Gesetzes über das
Bundesverfassungsgericht auszusetzen und die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber
einzuholen, daß § 111 Abs 2 Nr 1a AFG wegen
Verstoßes gegen Art 3 Abs 1, Art 14 Abs 1 und
Art 20 Abs 1 GG nichtig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich im wesentlichen auf die ihrer Meinung nach zutreffende Begründung des SG und führt ergänzend aus: Es sei der Wille des Gesetzgebers gewesen, daß das Alg den Ersatz für ausgefallenen Lohn bilde. Der § 111 Abs 2 Satz 2 AFG enthalte dafür eine im Interesse einer zügigen Leistungsgewährung pauschalierende Regelung. Dabei sei es auch sachgerecht, für die Berechnung des Nettolohnes sich an das Ordnungsprinzip des Steuerrechts anzulehnen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision des Klägers ist nicht begründet. Es trifft zwar zu, daß die dem SG-Urteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung fehlerhaft ist; sie bezieht sich nur auf die vom SG zugelassene Berufung und nicht auch auf die ebenfalls zugelassene Sprungrevision. Daraus ergeben sich jedoch für den Kläger keine Rechtsnachteile, da er die Sprungrevision form- und fristgerecht eingelegt hat. Auf den materiellen Inhalt der Entscheidung des SG hat sich die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung nicht ausgewirkt.
Nach den Feststellungen des SG stand dem Kläger aufgrund seiner Antragstellung ab 17. September 1977 ein Anspruch auf Alg für 308 Tage dem Grunde nach zu. Mit seiner Arbeitslosmeldung und Antragstellung auf Alg für die Zeit ab 1. Oktober 1975 hatte der Kläger, wie den Feststellungen des SG zu entnehmen ist, einen Anspruch für 312 Tage erworben (§ 106 Abs 1 Nr 5 AFG); davon hat er 4 Tage verbraucht. Durch die Fortbildungsmaßnahme vom 6. Oktober 1975 bis 16. September 1977 mit Bezug von Unterhalt (Uhg) hat der Kläger eine neue Anwartschaft erworben (§§ 104 Abs 1 Satz 1, 107 Satz 1 Nr 5 AFG). Als Folge davon war ein vollständig neuer Anspruch auf Alg entstanden mit dem Ergebnis, daß gleichzeitig der aufgrund der Antragstellung zum 1. Oktober 1975 entstandene (alte) Anspruch erloschen ist (§ 125 Abs 1 AFG; vgl Bundessozialgericht -BSG- vom 4. September 1979 - 7 RAr 51/78 - und vom 14. August 1980 - 7 RAr 88/79 -). Da seit dem ab 1. Oktober 1975 erworbenen Anspruch bis zu dem mit der Arbeitslosigkeit ab 17. September 1977 entstandenen Anspruch noch keine drei Jahre verstrichen waren und der letzte Anspruch die Anspruchsdauer des früheren Anspruchs nicht erreichte (nach § 106 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG betrüge der neue Anspruch 234 Tage), ist die Dauer des neuen Anspruchs mindestens so lang wie die Restdauer des alten Anspruchs (§ 106 Abs 2 AFG).
Die Beklagte hat die Höhe des dem Kläger ab 17. September 1977 zustehenden Alg-Anspruchs nach §§ 111, 113 AFG zutreffend festgestellt. Nach diesen Vorschriften, die hier in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des Bundesversorgungsgesetzes (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) anzuwenden sind, beträgt das Alg im Grundsatz (§ 111 Abs 1 AFG) 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts, wobei der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung nach § 111 Abs 2 AFG ermächtigt ist, die Leistungssätze jeweils für ein Kalenderjahr durch Rechtsverordnung zu bestimmen unter Beachtung der in § 111 Abs 2 Satz 2 AFG aufgeführten Sachverhalte. Nach § 111 Abs 2 Nr 1 Buchst d AFG ist danach bei verheirateten Arbeitnehmern, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen ist, als Lohnsteuer die Steuer nach der Lohnsteuertabelle für die Lohnsteuerklasse V zugrunde zu legen und demgemäß die Leistungsgruppe D mit bestimmten Leistungssätzen zu bilden. Dies ist für das Kalenderjahr 1977 durch die AFG-Leistungsverordnung 1977 vom 17. Dezember 1976 (BGBl I 3590) geschehen. Maßgebend für die Frage, nach welcher Leistungsgruppe sich die Höhe eines geltend gemachten Anspruchs auf Alg richtet, ist - soweit dies von der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse abhängt - grundsätzlich die Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres eingetragen war, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 113 Abs 1 Satz 1 AFG). Im Falle des Klägers ist dies die Lohnsteuerklasse V; denn diese war auf seiner Lohnsteuerkarte für das Jahr 1977 mit Wirkung ab 1. Januar 1977 eingetragen. Zwar sieht das Gesetz in bestimmten Fällen auch die Berücksichtigung späterer Änderungen der Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte vor (vgl § 113 Abs 1 Sätze 2 und 3, § 113 Abs 2 AFG). Eine solche Änderung der Eintragung ist nach den Feststellungen des SG, die der Kläger nicht angegriffen hat und an die der Senat deshalb gebunden ist (§ 163 SGG), auf Lohnsteuerkarten des Klägers nach dem 1. Januar 1977 nicht vorgenommen worden, so daß eine Anwendung der oa Regelungen zu seinen Gunsten nicht in Betracht kommt. Aus diesem Grunde brauchte der Senat sich auch nicht mit der Frage zu befassen, ob sich Auswirkungen auf den Anspruch des Klägers aus § 113 Abs 2 iVm Abs 4 AFG idF des am 1. Januar 1981 in Kraft tretenden Art 3 des Steuerentlastungsgesetzes 1981 (StEntlG 1981) vom 16. August 1980 (BGBl I 1381) ergeben können; denn auch § 113 Abs 2 AFG idF des StEntlG 1981 setzt voraus, daß überhaupt ein Steuerklassenwechsel nach dem nach § 113 Abs 1 Satz 1 AFG maßgeblichen Zeitpunkt stattgefunden hat.
War sonach mit Wirkung ab 1. Januar 1977 auf der Lohnsteuerkarte des verheirateten Klägers die Lohnsteuerklasse V eingetragen und wurde dieser Eintrag später nicht geändert, so hat die Beklagte die Höhe seines Alg-Anspruchs ab 17. September 1977 zutreffend der Leistungsgruppe D entnommen (§§ 111 Abs 2 Nr 1 Buchst d, 113 Abs 1 Satz 1 AFG).
Nach Auffassung des Senats steht die Anbindung des für die Höhe des Alg-Anspruchs maßgeblichen Lohnes an den Eintrag der Lohnsteuerklasse in der Steuerkarte des Arbeitslosen und die deswegen nach § 111 Abs 2 Nr 1 AFG folgende Auswirkung auf einen Sachverhalt wie den vorliegenden mit dem GG in Einklang, so daß es entgegen der Meinung des Klägers keiner Vorlage gemäß Art 100 Abs 1 GG an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bedarf.
Der Kläger sieht in der oa Regelung in erster Linie einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 GG, weil die Anknüpfung an die Lohnsteuerklassen sachlich nicht gerechtfertigt und deshalb willkürlich sei. Damit macht der Kläger inhaltlich auch einen Verstoß gegen Art 6 GG geltend, der den Schutz von Ehe und Familie gewährleistet und der als eine Konkretisierung des Gleichheitssatzes hier vorrangig zu prüfen ist, weil es für den streitigen Sachverhalt um die (unterschiedliche) Höhe des Alg-Anspruchs von Ehepartnern geht (vgl BVerfGE 3, 225, 240; 18, 257, 269).
Soweit der Kläger rügt, daß er mit der Steuerklasse V bei der Berechnung des Alg anders eingestuft wird als verheiratete Versicherte mit den Lohnsteuerklassen III oder IV, kann sich kein Schutz aus Art 6 Abs 1 GG ergeben; denn für einen Vergleich der Behandlung verschiedener Ehepaare und Familien bietet Art 6 Abs 1 GG keinen Maßstab (vgl BVerfGE 43, 108, 118; 45, 104, 126). Dasselbe gilt für den Hinweis des Klägers auf die sich aus dem sogenannten Splitting-Verfahren (§§ 26, 26b des Einkommensteuergesetzes -EStG-) ergebenden Auswirkungen für Eheleute in steuerlicher Hinsicht einerseits und im Hinblick auf die Höhe des Alg andererseits; denn auch insoweit betreffen die Behandlungsmaßstäbe jeweils Eheleute und nicht das Verhältnis Verheirateter zu Nichtverheirateten. Allerdings ist auch für Nichtverheiratete am Ende des Steuerjahres eine steuerliche Ausgleichsberechnung vorgesehen, wenn auch von geringerer wirtschaftlicher Bedeutung. Abgesehen davon, daß diese gegenüber Eheleuten insofern nicht verschieden behandelt werden, als auch bei ihnen die Leistungssätze im Falle der Arbeitslosigkeit an die steuerliche Belastung anknüpfen (vgl § 111 Abs 2 Nr 1 Buchst a und b AFG), enthielte eine etwa vorhandene Begünstigung der Nichtverheirateten gegenüber Ehepartnern keine Verletzung des Art 6 Abs 1 GG.
Die Vorschrift hat mehrere Schutzfunktionen, zB Institutsgarantie der Ehe, Benachteiligungsverbot oder Förderungsgebot von Ehe und Familie (vgl die Übersicht bei Leibholz-Rinck, Kommentar zum GG, Art 6 Anm 1). Der vorliegende Fall betrifft die Frage der Benachteiligung von Ehegatten durch Nichtberücksichtigung des Splitting-Verfahrens im AFG. Darin könnte eine Benachteiligung von Ehe und Familie in dem von Art 6 Abs 1 GG garantierten Schutzbereich nur dann liegen, wenn sich einleuchtende sachliche Gründe hierfür nicht finden ließen (vgl BVerfGE 17, 210, 217; 24, 104, 109; 28, 324, 347; 29, 104, 112; 32, 260, 268). Diese Gründe sollen sich aus der besonderen Lage der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft ergeben; eine Diskriminierung der Ehe darf nicht erfolgen. Letztlich geht es dabei, wie bei der Frage nach einer Verletzung des Art 3 GG (vgl BVerfGE 9, 291, 294) darum, ob sich der Gesetzgeber nach dem Inhalt der ihm gestellten Aufgabe sachlich vernünftiger rechtlicher Mittel bedient hat.
Die Anknüpfung der Leistungshöhe in § 111 Abs 2 AFG an die verschiedenen Steuerklassen wurde erst durch das HStruktG-AFG geschaffen. In früher gültiger Fassung des AFG sowie im Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) war das Alg aus dem Hauptbetrag (im AVAVG zunächst: "Hauptunterstützung") und den Familienzuschlägen zusammengesetzt. Den Familienzuschlag für Ehegatten erhielt der Arbeitslose, wenn er insbesondere während der Arbeitslosigkeit eine rechtliche oder sittliche Pflicht zur Unterhaltsgewährung im Falle seiner Leistungsfähigkeit haben würde (vgl § 103 Abs 2 und 3 AVAVG idF vom 16. Juli 1927, RGBl I 187; § 89 Abs 2 und 3 idF vom 3. April 1957, BGBl I 322). Durch das Siebente Änderungsgesetz zum AVAVG vom 10. März 1967 (BGBl I 266) wurde der Nachweis der familienrechtlichen Unterhaltsverpflichtung des Arbeitslosen durch die Eintragung der Lohnsteuerklasse III auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen ersetzt. Bei der Ablösung des AVAVG durch das AFG vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582) wurde das Erfordernis der familienrechtlichen Unterhaltsverpflichtung fallengelassen. Einzige Voraussetzung für die Gewährung des Familienzuschlages für den Ehegatten des Arbeitslosen war, daß die Ehegatten nicht dauernd getrennt lebten (§ 113 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG). Durch Art 27 Nr 11 des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974 (BGBl I 3656 -EG-EStRG-) wurde § 113 AFG gestrichen. Den Leistungssätzen des Alg war aber bei Verheirateten die Steuer nach der Einkommensteuer-Splitting-Tabelle zugrunde zu legen (Art 27 Nr 8 EG-EStRG). Aufgrund dieser Fassung des AFG konnte ein Arbeitsloser, der die Lohnsteuerklasse V hatte, ein im Verhältnis zum letzten Netto-Arbeitsentgelt erheblich höheres Alg beziehen als ein Arbeitsloser mit der Lohnsteuerklasse III, obwohl gerade dieser Arbeitslose typischerweise eher zum Unterhalt verpflichtet ist.
Der § 113 AFG idF des HStruktG-AFG knüpft an die Lohnsteuerklassen an. Die Einstufung in die Leistungsgruppe D führt dazu, daß der verheiratete Arbeitslose ein wesentlich geringeres Alg erhält als jeder ledige Arbeitslose, der ein gleich hohes Bruttoarbeitsentgelt bezogen hat. Für diese Differenzierung zu Lasten des Verheirateten besteht aber ein einleuchtender Grund. Alle Arbeitslosen werden nämlich insoweit gleichbehandelt, als sie nach dem Grundsatz des § 111 Abs 1 AFG ein Alg in Höhe von 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts erhalten sollen. Diese Regelung entspricht den Zielvorstellungen des Gesetzgebers in sachgerechter Weise. Die Berechnung des Alg in Höhe von 68 vH des "Nettolohnes" konnte nicht auf den jeweils individuell erzielten Nettolohn bezogen werden, weil dieser durch Freibeträge uä "manipulierbar" ist und dabei bei der Bemessung des Alg zu nicht gerechtfertigten Unterschieden hätte führen können. Die Pauschalierung der Steuerabzüge nach den bei Arbeitnehmern "gewöhnlich" anfallenden Steuerabzügen, die über die Lohnsteuerklassen erfolgt, besagt insoweit, daß nur diejenigen steuerlichen Freibeträge und Kostenpauschalen bei der Bemessung des Alg Berücksichtigung finden sollen, die bereits in die der jeweiligen Lohnsteuerklasse zugeordnete Lohnsteuertabelle eingearbeitet und daher beim laufenden Lohnsteuerabzug bereits berücksichtigt sind (vgl §§ 38b, 38c Abs 1 Nrn 1-7 EStG). Hingegen bleiben alle sonstigen - individuellen - Freibeträge, die kraft besonderer Eintragung auf der Lohnsteuerkarte vom Arbeitslohn abgezogen werden können (§ 39a EStG) sowie sonstige Steuervergünstigungen, die erst im Lohnsteuerjahresausgleich zu einer Steuerentlastung führen, grundsätzlich unberücksichtigt. Für eine derartige pauschalierende bzw typisierende Regelung bestehen sachlich einleuchtende Gründe: Nach der Zweckbestimmung des Alg, das ausfallenden Lohn ersetzen soll, besteht die Notwendigkeit zu schneller Berechnung und Auszahlung dieser Leistung. Für eine praktische Handhabung der Leistungsfeststellung bieten sich die nach Lohnsteuerklassen aufgebauten Leistungssatztabellen als klare Berechnungsgrundlage an. Darüber hinaus ist das Alg nach seiner Funktion am letzten "erzielten" Nettolohn orientiert, dh, es sollen an sich nur die bei Eintritt der Arbeitslosigkeit beim laufenden Steuerabzug gewöhnlich bereits erfaßten Steuerentlastungen Berücksichtigung finden. Es entspricht einem allgemeinen Grundsatz des Rechts der Arbeitsförderung, daß nachträgliche Änderungen der Bemessungsgrundlage bei der Höhe der Leistung nicht berücksichtigt werden. Einkommen, das bei Eintritt der Arbeitslosigkeit gewöhnlich tatsächlich noch nicht zur Verfügung steht, ist unbeachtlich; denn die Zahlung von Alg erfüllt ihren Zweck nur während der - im Regelfall relativ kurzen - Arbeitslosigkeit; etwaige Ausgleichszahlungen zu einem späteren Zeitpunkt würden diesen Zweck verfehlen (vgl dazu BSG SozR 4100 § 112 Nrn 1, 3, 5).
Die angeführten Gründe des Gesetzgebers für die Berechnung des Alg gelten auch für Ehegatten, die beide berufstätig sind. Bei Berechnung des Alg an Hand der Steuerklasse, die der Ehegatte hat, der arbeitslos wird, werden den Ehegatten prinzipiell 68 vH des Einkommens ersetzt, das durch die Arbeitslosigkeit des einen Ehegatten entfallen ist. Würde das Splitting-Verfahren als solches oder seine steuerlichen Ergebnisse bei der Alg-Berechnung zu berücksichtigen sein, ließen sich die dargestellten Ziele nicht verwirklichen. Die Beachtung des Splitting-Ergebnisses bei der Berechnung des Alg unmittelbar mit Eintritt der Arbeitslosigkeit wäre wiederum nur durch eine pauschale Lösung möglich. Abgesehen davon, ob darauf abgestellte Durchschnittswerte des Einkommens überhaupt errechnet werden könnten, wäre nur eine Lösung denkbar, die ebenfalls individuelle Besonderheiten vernachlässigen müßte. Würde man aber einen Ausgleich erst nach Ablauf des Steuerjahres durchführen, wäre dies für eine Mehrzahl von Arbeitslosen erst nach Beendigung der Arbeitslosigkeit möglich. Etwaige Ausgleichszahlungen ließen sich dann jedoch mit keiner Zweckrichtung des Alg mehr vereinbaren. Die Zahlung von Alg in einer gewissen Höhe des Nettoeinkommens, damit der Arbeitslose in seiner Lebenshaltung nicht zu stark absinkt, erfüllt ihren Zweck nur während der Zeit der tatsächlichen Arbeitslosigkeit. Ebenso kann die Voraussetzung, das Alg so zu bemessen, daß eine erneute Arbeitsaufnahme gefördert wird, nur für die Zeit gelten, in der die Arbeitslosigkeit besteht. Etwaige Ausgleichszahlungen zu einem späteren Zeitpunkt hätten mit diesem Zweck nichts mehr gemein und würden die Versichertengemeinschaft in systemwidriger Weise ungerechtfertigt belasten. Schließlich wären bei einer solchen Verfahrensweise auch Überzahlungen mit der Folge von Rückforderungsansprüchen nicht auszuschließen. Es erschiene aber kaum sachgerecht, eine solche Gefahr bereits in der Systematik für die Bemessung des Alg anzulegen, zumal da der Verwirklichung des angemessenen Rückflusses derart zu Unrecht erbrachter Leistungen durch die gegenwärtige Regelung des § 152 AFG erhebliche Hindernisse im Wege stünden.
Die vom Kläger gewünschte vorzeitige Berücksichtigung des Ergebnisses eines Splitting-Ausgleiches würde deshalb erst recht zu einer unterschiedlichen Behandlung der Arbeitslosen führen, was die gegenwärtige Regelung gerade vermeiden will, wenn sie jedem einen - wenn auch pauschal bestimmten - gleichen Satz des gegenwärtig tatsächlich ausfallenden Einkommens ersetzt. Sie würde bedeuten, daß die Aufrechterhaltung des Lebensstandards, soweit er vom Einkommen abhängig ist, nicht für alle in gleichem Maße gewährleistet wäre, daß der Antrieb und Druck, sich um einen neuen Arbeitsplatz zu bemühen, unterschiedlich ausgeprägt, das Prinzip der Chancengleichheit damit verletzt wäre. Gerade die Vermeidung dieser Beeinträchtigung des Gleichbehandlungsgebotes hat aber Vorrang vor einer möglichen finanziellen Benachteiligung von Ehegatten, die beide berufstätig sind, zumal da diese nicht aus der Systematik der Alg-Bemessung, sondern aus der nach individuellen Gesichtspunkten erfolgten Wahl der beiderseitigen Steuerklassen folgt.
Aus den oa Gründen sieht der Senat in der vom Kläger beanstandeten Regelung auch keine Verletzung des Art 3 GG. Soweit der Kläger sich insoweit darauf berufen will, § 111 Abs 2 Nr 1 AFG steht im Widerspruch zur Beitragsgerechtigkeit, übersieht er, daß das BVerfG bereits im Beschluß vom 3. April 1979 (SozR 4100 § 112 Nr 10) entschieden hat, daß der Gesetzgeber nicht gehalten ist, Geldleistungen der Höhe nach in voller Äquivalenz zu den Beiträgen festzusetzen. Gerade die individuellen Beiträge könnten angesichts der für die Arbeitslosenversicherung typischen kurzen Anwartschaftszeiten, des extrem kurzen Bemessungszeitraumes und der üblicherweise kurzen Leistungsbezugszeit nicht als vorrangiger Maßstab in Betracht kommen. Die Gesamtleistung an Alg stehe im Einzelfall typischerweise nicht in einer Beziehung zur jeweiligen Beitragsleistung. Das sei auch eine Folge dessen, daß alle Arbeitnehmer ohne Berücksichtigung ihres individuellen Arbeitslosenrisikos gleichmäßig zur Beitragsleistung herangezogen würden.
Aufgrund dieser Erwägungen scheidet auch eine Verletzung des Art 14 Abs 1 GG wegen Beeinträchtigung der Eigentumsgarantie bei Gewährung von staatlichen Leistungen, die auf Beiträgen beruhen, aus. Nach der Rechtsprechung des BVerfG kommt ein Schutz aus Art 14 Abs 1 GG für Leistungsansprüche aus der Sozialversicherung nur dann in Betracht, wenn die Leistung nicht ausschließlich auf staatlicher Gewährung, sondern auf eigener Leistung beruht (BVerfGE 14, 288, 293; 22, 241, 253). Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfange dieser Schutz besteht, ist vom BVerfG bisher zwar nicht entschieden worden; er kommt sicherlich dann in Betracht, wenn der ein subjektiv-öffentliches Recht begründende Sachverhalt dem Einzelnen eine Rechtsposition verschafft, die derjenigen eines Eigentümers entspricht und die so stark ist, daß ihre ersatzlose Entziehung dem rechtsstaatlichen Gehalt des GG widersprechen würde (BVerfGE 40, 65, 83 mwN). Nach Auffassung des Senats (vgl BSGE 43, 128, 131 = SozR 4100 § 100 Nr 1) gehört es nicht zum feststehenden Inhalt der Anwartschaft auf Alg, ob die Leistungsberechtigung vor, mit oder nach dem Erreichen einer Altersgrenze endet. Im vorliegenden Falle wird dem Kläger noch nicht einmal die Leistung entzogen; es geht vielmehr um die Modalitäten der Berechnung und damit um die Höhe des Alg, so daß der Eigentumsschutz nicht tangiert werden kann.
Die Anbindung des Alg an die Lohnsteuerklassen auch für den Fall, daß beide Ehegatten berufstätig sind, verstößt schließlich nicht gegen das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG). Die Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips obliegt im wesentlichen dem Gesetzgeber (BVerfGE 1, 97, 105; 8, 274, 329; 36, 73, 84), dessen Entscheidungsfreiheit lediglich insoweit eingeschränkt ist, als die einzelne Entscheidung den Anforderungen sozialer Gerechtigkeit genügen muß (BVerfGE 40, 121, 133 f; BSGE 43, 128, 133 mwN). Die Absicherung im Falle der Arbeitslosigkeit durch die Leistungen des AFG sichert einen grundlegenden sozialen Mindestschutz; da auch durch die Anbindung der Berechnung des Alg an die Lohnsteuerklassen für jeden Arbeitslosen auf sein für die Zeit der Arbeitslosigkeit ausfallendes Arbeitsentgelt abgestellt wird, gibt es keine soziale Benachteiligung einzelner Gruppen (vgl auch BVerfG zu SozR 4100 § 112 Nr 10).
Nach allem muß deshalb die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen