Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermittlungspflicht (Sachkunde) bei teilweisem Widerruf der kassenärztlichen Beteiligung. Partieller Widerruf der Beteiligung an der kassenärztlichen Versorgung

 

Orientierungssatz

Zur Ermittlungspflicht (Sachkunde) bei der Frage, ob ein ausreichendes Angebot von niedergelassenen Ärzten (hier: auf dem Gebiet der Hormon- und Chemotherapie) den teilweisen Widerruf der Beteiligung eines Krankenhausarztes an der Kassenärztlichen Versorgung begründet.

 

Normenkette

ZO-Ärzte § 29 Abs 5 S 2; RVO § 368a Abs 8; SGG § 103

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 16.02.1984; Aktenzeichen L 5 Ka 4/83)

SG Mainz (Entscheidung vom 19.08.1981; Aktenzeichen S 2 Ka 9/81)

 

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit des (partiellen) Widerrufs der Beteiligung des Klägers an der kassenärztlichen Versorgung.

Der im Jahre 1926 geborene Kläger wurde als Chefarzt der Gynäkologischen Abteilung des St.-Elisabeth-Krankenhauses in Z.  ab Beginn des Jahres 1975 widerruflich an der kassenärztlichen Versorgung unbeschränkt (auf Überweisung) beteiligt. Der Zulassungsausschuß der Beigeladenen Ziffer 1 hat die Beteiligung auf drei Leistungen beschränkt. Auf den Widerspruch des Klägers hat der beklagte Berufungsausschuß die verbliebene Beteiligung (wieder) um sechs Leistungen erweitert; im übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen (Beschluß vom 10. Dezember 1980): Der Bedarfsplan für die ambulante kassenärztliche Versorgung im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Pfalz vom 31. Dezember 1978 weise für den Planungsbereich Z. einen statistischen Bedarf von 3,5 Frauenärzten aus, dem jedoch vier Frauenärzte gegenüberstünden. Klage und Berufung des Klägers, der im Berufungsverfahren den Hilfsantrag auf ein Belassen der Beteiligung auf den Gebieten der Hormontherapie und der Chemotherapie stellte, hatten keinen Erfolg. Der Kläger hat Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Landessozialgericht (LSG) habe sowohl gegen § 368a Abs 8 der Reichsversicherungsordnung (RVO) als auch gegen § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verstoßen. Es habe (zu Unrecht) das Vorliegen eines Bedarfs verneint, ohne konkret überprüft zu haben, daß die im Planungsbereich Z. niedergelassenen Ärzte in der Lage seien, die Leistungen auf dem Gebiet der Hormon- und Chemotherapie zu erfüllen; es hätte dies nicht einfach unterstellen dürfen. Es sei nicht ersichtlich, auf welchem Wege das LSG zu dem Ergebnis gekommen sei, die Hormon- und Chemotherapie gehöre heute regelmäßig zu jeder modernen ambulanten gynäkologischen Praxis. Außerdem sei die Begründung des LSG, eine Notwendigkeit für eine weitere Beteiligung des Klägers bestehe nicht, denn mit den ihm zahlreich belassenen Leistungen sei er noch in einem derart weiten Umfang an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt, daß für die restlichen Leistungsbereiche kein vernünftiger Zweifel an der ausreichenden ambulanten Versorgung durch die vier niedergelassenen Frauenärzte aufkommen könne, in sich nicht schlüssig. Schließlich habe das LSG auch dadurch gegen § 103 SGG verstoßen, daß es seinen Beweisanträgen auf Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Bedeutung der Hormon- und Chemotherapie in der gynäkologischen Praxis und über seine - des Klägers - besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht entsprochen habe; eine Begründung hierfür sei dem Urteil nicht zu entnehmen.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. Februar 1984 - L 5 Ka 4/83 - und des Urteils des Sozialgerichts Mainz vom 19. August 1981 - S 2 Ka 9/81 - den Beschluß des Zulassungsausschusses für Ärzte der Pfalz vom 27. Februar 1980 in der Gestalt des Beschlusses des Beklagten vom 10. Dezember 1980 aufzuheben, soweit die Beteiligung des Klägers widerrufen worden ist, hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. Februar 1984 - L 5 Ka 4/83 - aufzuheben und die Sache an das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Der Zulassungsausschuß hat die Beteiligung zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen, die zur Beteiligung geführt haben, nicht mehr vorliegen (§ 29 Abs 5 Satz 2, zweite Alternative, ZOÄ; BSGE 56, 295, 297 - Urteil des Senats vom 23. Mai 1984 - 6 RKa 21/83 -). Daher war hier zu prüfen, ob zum Zeitpunkt des Widerrufs eine ausreichende Versorgung auch ohne den Kläger bestand. Da die ambulante Behandlung der Versicherten in erster Linie den niedergelassenen Ärzten vorbehalten ist, eine im Angebot der niedergelassenen Ärzte bestehende Versorgungslücke aber grundsätzlich nur dann durch einen Krankenhausarzt auszugleichen ist, wenn entweder das wegen zu geringer Arztzahl nicht ausreichende allgemeine Leistungsangebot quantitativ erhöht werden soll oder wenn der Krankenhausarzt besondere Untersuchungs- bzw Behandlungsmethoden anbietet, die für die Versorgung notwendig sind, von den niedergelassenen Ärzten aber nicht oder nicht in ausreichendem Maße angeboten werden, so sind bei der Prüfung der Frage, ob ohne den Beteiligten eine ausreichende Versorgung (zum Zeitpunkt des Widerrufs) besteht, beide Beteiligungsmöglichkeiten zu erwägen, die quantitativ-allgemeine ebenso wie die qualitativ-spezielle (BSG aaO, S 297 f). Das LSG hat zwar zu erkennen gegeben, daß es hinsichtlich des Begriffs des ausreichenden Leistungsangebots, bei dessen Bestimmung der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum zusteht (BSG aaO, S 299), die Begründung der Verwaltung insoweit nicht für fehlerhaft hält, als diese sich auf den Bedarfsplan vom 31. Dezember 1978 berief und den Bedarf von 3,25 Ärzten bei vier Gynäkologen im quantitativ-allgemeinen Sinne für gedeckt ansieht. Insoweit wurde das Urteil nicht angegriffen und ist auch nicht zu beanstanden; die dabei zugrundegelegten Feststellungen sind für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG). Was aber die qualitativ-spezielle Seite der ausreichenden Versorgung anlangt, so hat der Kläger (entsprechend der ihm obliegenden Feststellungslast -BSG aaO, S 298-) vorgebracht, die (notwendigen) Behandlungsmethoden der Hormon- und Chemotherapie zu beherrschen, die von den niedergelassenen Ärzten nicht bzw in nicht ausreichendem Maße angeboten würden. Soweit das LSG hierzu bemerkt hat, die niedergelassenen vier Gynäkologen seien auch in diesem Bereich (der Hormon- und Chemotherapie) in der Lage, die notwendige Versorgung zu gewährleisten, hat der Kläger eine Verfahrensrüge erhoben. Diese Rüge ist begründet. Das LSG hat zwar ausgeführt, solche Behandlungsmethoden gehörten heute regelmäßig zu jeder modernen ambulanten gynäkologischen Praxis und zu diesem Kreis zählten auch die vier in Z. niedergelassenen Gynäkologen; selbst wenn nicht alle diese Leistungen anböten, so würde es doch genügen, daß sie zusammen dem Bedarf gerecht würden. Das Berufungsgericht hat aber in den entsprechenden Urteilsgründen nicht dargelegt, auf Grund welcher Tatsachenermittlungen bzw Beweiserhebungen es zu diesen Feststellungen gelangt ist. Soweit es ausführt, daß solche Behandlungsmethoden "heute regelmäßig zu jeder modernen ambulanten gynäkologischen Praxis" gehörten, wurde nicht angegeben, woher es diese Sachkunde bezogen hat, ganz abgesehen davon, daß auch dann, wenn dies einem allgemeinen Erfahrungssatz entspräche, damit noch nichts über den konkreten Fall ausgesagt wäre. Jedenfalls sind die nachfolgenden Feststellungen über das entsprechende Angebot der vier niedergelassenen Gynäkologen ohne Angabe des Erkenntnismittels getroffen. Da es auch nach der Rechtsansicht des LSG auf diese Feststellungen ankommt, hat es insoweit seiner Ermittlungspflicht nicht genügt. Es wird diese Ermittlungen - durch Zeugen, Sachverständige, Urkunden oder eigenes Fachwissen - daher (auch unter Beachtung der gegenüber den Beteiligten bestehenden Informations- und Anhörungspflichten) nachzuholen und entsprechend darzulegen haben.

Unter Aufhebung des angefochtenen Urteils war der Rechtsstreit daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Das LSG wird auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663583

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