Leitsatz (redaktionell)

Aus SGG § 128 Abs 2 ergibt sich die Pflicht des Gerichts, bei der Verwendung von Beiakten oder von Teilen aus diesen (zB ärztliche Gutachten) grundsätzlich die Beteiligten von der Beiziehung zu unterrichten, mindestens aber diese Beiakten, wenn es auf sie seine Entscheidung (mit-)stützen will, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung in der Weise zu machen, daß sich die Beteiligten rechtzeitig oder überhaupt dazu äußern können.

 

Normenkette

SGG § 128 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 30. Januar 1962 aufgehoben; die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Mit Umanerkennungsbescheid vom 15. Januar 1952 wurden beim Kläger "Magen- und Darmkatarrh (Dickdarmkatarrh) nach Ruhr, Teilversteifung an den linken Zehen, leichte Abmagerung des Fußrückens" als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anerkannt und ihm eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v. H. bewilligt. Eine Nachuntersuchung durch Dr. P in B am 11. Juli 1952 ergab keine wesentliche Änderung im Befund, der Gutachter sah eine erneute Nachuntersuchung in zwei Jahren vor; zu dieser Frist wurde handschriftlich - jedoch nicht durch den Gutachter, durch wen ist nicht mehr feststellbar - der Vermerk "klinisch" hinzugesetzt.

Mit Schreiben vom 17. August 1955 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß eine kurzfristige stationäre Beobachtung erforderlich sei. Auf die Antwort des Klägers, daß seiner Auffassung nach keine Verpflichtung bestehe, sich stationär beobachten und untersuchen zu lassen, wies die Beklagte am 29. Dezember 1955 darauf hin, daß nach der Verwaltungsvorschrift (VerwV) Nr. 2 zu § 63 BVG der ärztlichen Untersuchung im Sinne des § 63 BVG die Beobachtung und Begutachtung in einem Krankenhaus oder einer ähnlichen Anstalt gleichstehe, und daß bei Nichtnachkommen einer schriftlichen Aufforderung zum Erscheinen zu einer ärztlichen Untersuchung einem Rentenempfänger die Rente entzogen werden könne. Der inzwischen mit der stationären Beobachtung und Untersuchung des Klägers beauftragte Gutachter hielt zur Erstattung eines fundierten Gutachtens die Durchführung einer fraktionierten Magenausheberung und einer Gallensonde sowie eines rektalen Kontrasteinlaufs für erforderlich. Der Kläger lehnte diese Untersuchungsmaßnahmen ab und erklärte weiter, daß er auch einer Röntgenuntersuchung des Magens und des Zwölffingerdarms nicht zustimmen werde. Nach erneutem schriftlichen Hinweis auf einen nach § 63 BVG gegebenenfalls notwendigen Rentenentzug bei Verweigerung einer ärztlichen Untersuchung entzog die Beklagte dem Kläger die Rente durch Bescheid vom 5. Oktober 1956 mit Wirkung vom 30. November 1956 an. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg. Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Bremen erklärte sich die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 1957 nach Erörterung des Sachverhalts auf Vorschlag des Gerichts bereit, dem Kläger über den 30. November 1956 hinaus wieder eine Rente nach einer MdE um 30 v. H. zu gewähren.

Der Kläger wurde sodann unter erneutem Hinweis auf die Vorschrift des § 63 BVG aufgefordert, sich einer stationären Untersuchung zu unterziehen; nach erneuter Ablehnung einer fraktionierten Untersuchung des Magensaftes und einer Röntgenuntersuchung wurde ihm die Rente durch Bescheid vom 14. April 1958 mit Ablauf des Monats Mai 1958 - bis zum Erscheinen zu einer versorgungsärztlichen Untersuchung bzw. bis zur Aufgabe der Weigerung zum Erscheinen - entzogen. Sein gegen diesen Bescheid eingelegter Widerspruch wurde zurückgewiesen.

Mit der zum SG Bremen erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 31. Mai 1958 hinaus die Rente nach einer MdE um 30 v. H. zu zahlen. Er hat geltend gemacht, in der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 1957 habe die Beklagte auf die von ihm verweigerten Untersuchungsarten verzichtet, so daß sie diese jetzt nicht erneut fordern könne. Im übrigen seien Untersuchungen im Sinne des § 63 BVG nur kürzere ambulante Untersuchungen, nicht auch, wie von der Beklagten gefordert, stationäre Beobachtungen und Untersuchungen. Darüber hinaus habe er die Magenausheberung und die Röntgenuntersuchung als unzumutbar zu Recht verweigert, denn erstere sei nicht ungefährlich, letztere gesundheitsschädlich. Nach Einholung eines Gutachtens von dem Gerichtsarzt Dr. W in B (vom 5. März 1959), der die Röntgenuntersuchung von Magen, Dünn- und Dickdarm sowie die Magenausheberung und Duodenalsondierung als in jeder Hinsicht gefahrlose Methoden und deshalb als zumutbar bezeichnet hat, hat das SG die Klage mit Urteil vom 17. März 1960 abgewiesen.

Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) Bremen auf Antrag des Klägers die Dres. B und Sch (Medizinische Abteilung des Diakonissenkrankenhauses in Kassel - Gutachten vom 10. Januar 1961) gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gutachtlich gehört. Diese haben ausgeführt, eine fraktionierte Magenausheberung stelle in geeigneten Fällen eine ungefährliche Methode zur Sicherung der Diagnose dar; sie haben aber eine Reihe von Erkrankungen, Verletzungen und Symptomen (z. B. starke Abneigung des Patienten gegen die Magenausheberung oder Würgereflexe) angeführt, bei deren Vorliegen die sondenlose Magensaftuntersuchung mit dem Gastracidtest (Zuführung von Farbstoff in Drageeform mit anschließenden Urinuntersuchungen) zu empfehlen sei. Die Beklagte hat dazu erklärt, sie sei beim Kläger mit der Durchführung des Gastracidtest es statt der zunächst verlangten fraktionierten Magenausheberung einverstanden, sie müsse aber im übrigen auf der stationären Beobachtung und Untersuchung des Klägers bestehen. Der Kläger hat erwidert, er habe keine Veranlassung, sich dazu zu äußern, ob er den Gastracidtest bei ihm gestatten wolle, da dies bisher nicht von ihm verlangt worden sei; der Durchführung einer Röntgenuntersuchung stimme er nach wie vor nicht zu, da diese mit gesundheitlichen Gefahren für ihn verbunden sei. Das LSG hat mit Urteil vom 30. Januar 1962 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG als unbegründet zurückgewiesen: Die Versorgungsbehörde habe dem Kläger die Rente zu Recht entzogen, weil dieser sich ohne triftigen Grund weigere, sich im Krankenhaus stationär beobachten und die für erforderlich gehaltenen Untersuchungen vornehmen zu lassen. Dabei könne er sich auch nicht auf die Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 30. Januar 1957 berufen, daß sie bereit sei, die Rente über den 30. November 1956 hinaus wiederzugewähren, denn es sei nicht erkennbar, daß die Beklagte mit dieser Erklärung für alle Zukunft auf Nachuntersuchungen und damit auch auf etwaige Neufeststellungen nach § 62 BVG habe verzichten wollen. Die Weigerung des Klägers sei auch sachlich nicht gerechtfertigt, wenn er glaube, unter einer ärztlichen Untersuchung im Sinne des § 63 BVG sei nur eine ambulante zu verstehen, im Gegenteil gebe es zahlreiche Untersuchungsmethoden, die nicht an einem Tag durchführbar seien und nur bei ständiger Kontrolle des Patienten während der Beobachtung erfolgreich durchgeführt werden könnten; die damit verbundenen Schwierigkeiten seien einem Rentenempfänger durchaus zuzumuten. Zwar treffe zu, so hat das LSG weiter ausgeführt, daß der Kläger keine Untersuchungsmaßnahmen zu dulden brauche, die einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten oder die weitere körperliche Schäden zur Folge haben könnten. Wieweit letzteres bei der Anwendung des Magenschlauches und der Duodenalsondierung der Fall sei, könne dahingestellt bleiben, da der damit angestrebte Untersuchungserfolg vielleicht auch durch den - von der Beklagten inzwischen zugestandenen - Gastracidtest erzielt werden könne. Der Kläger weigere sich aber grundlos, sich einer Röntgenuntersuchung zu unterziehen. Zwar seien in der ärztlichen Wissenschaft die Meinungen darüber geteilt, wo bei der Röntgentherapie und Röntgendiagnostik die Gefahrenzone für den Patienten liege, die Röntgendiagnostik sei aber zu einem medizinischen Hilfsmittel geworden, auf das bei dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft einfach nicht verzichtet werden könne. In einer anderen Streitsache - A ./. Freie Hansestadt Bremen - Az.: L V 105/57 - habe der Facharzt für Röntgenologie Dr. Sch in B ein Gutachten (vom 29. Juni 1958) zu der Frage erstattet, ob eine röntgenologische Untersuchung des Magens und Darmes zu Gesundheitsstörungen führe; der Gutachter sei unter eingehender Würdigung des Schrifttums zu dem Schluß gekommen, daß eine röntgenologische Untersuchung von Magen und Darm mit keiner Strahlengefährdung verbunden sei. Das müsse, so hat das LSG dargelegt, auch für den Kläger gelten, der offenbar keine Bedenken gehabt habe, nach Kriegsende vier bis fünf Lungendurchleuchtungen und zehn bis zwölf Röntgenuntersuchungen der Zähne bei sich vornehmen zu lassen. Die Ablehnung einer Röntgenkontrolle des Magens und Darmes durch den Kläger sei deshalb kein triftiger Grund im Sinne des § 63 BVG. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.

Gegen dieses ihm am 17. April 1962 zugestellte Urteil des Berufungsgerichts hat der Kläger mit Schriftsatz vom 28. April 1962, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 30. April 1962, Revision eingelegt. Die Revisionsbegründung vom 7. Juli 1962 ist - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 17. Juli 1962 - am 16. Juli 1962 eingegangen. Der Kläger rügt mit ihr als Verfahrensverstöße die Nichtzulassung der Revision durch das LSG, eine Verletzung des § 103 SGG, weil zur Frage der Strahlengefährdung bei Röntgenuntersuchungen nicht noch ein ärztliches Gutachten eingeholt worden sei, und eine Verletzung des § 128 Abs. 2 SGG, weil das LSG sich bei seiner Urteilsfindung auf Beweisergebnisse gestützt habe, zu denen er sich nicht habe äußern können. Zu der letzten Rüge trägt der Kläger ua vor, das Berufungsgericht habe sich zur Begründung seiner Auffassung, daß die vom Beklagten geforderten Untersuchungen mit keiner Strahlengefährdung für ihn verbunden seien, auf ein in einer anderen Streitsache erstattetes Gutachten des Röntgenologen Dr. Sch in B gestützt. Dabei sei ihm (dem Kläger) weder dieses Gutachten noch der Inhalt der Akten A bekannt gemacht worden; die Angabe in der Sitzungsniederschrift vom 30. Januar 1962, die auch im Tatbestand des angefochtenen Urteils wiederholt worden sei, nämlich daß die Akten L V 105/57 zusammen mit anderen in der mündlichen Verhandlung vorgelegen hätten und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden seien, treffe nicht zu. Der Kläger hält die nach seiner Auffassung statthafte Revision auch für begründet.

Er beantragt,

das Urteil des LSG Bremen vom 30. Januar 1962, das Urteil des SG Bremen vom 17. März 1960, den Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts Bremen vom 31. Mai 1958 und den Bescheid des Versorgungsamts Bremen vom 14. April 1958 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Grundrente nach dem BVG nach einer MdE um 30 v. H. über den 31. Mai 1958 hinaus zu gewähren,

hilfsweise,

die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Bremen zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt vor, die vom Kläger gerügten Mängel im Verfahren des LSG lägen nicht vor.

Auf die Schriftsätze des Klägers vom 28. April, 7. Juli, 25. August, 29. September und 28. November 1962 sowie auf den der Beklagten vom 10. August 1962 wird verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.

Der Kläger hat die Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Dem steht nicht entgegen, daß er das Rechtsmittel persönlich eingelegt und begründet hat; denn er ist von Beruf Rechtsanwalt, der als solcher vor dem BSG in eigener Sache rechtswirksam Prozeßhandlungen vornehmen kann (BSG im SozR SGG § 166 Bl. Da 4 Nr. 13). Da das LSG die Revision nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und auch vorliegt (BSG 1, 150), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG).

Der Kläger hat als wesentliche Verfahrensmängel gerügt, daß das LSG zu Unrecht die Revision nicht zugelassen und gegen die Vorschriften der §§ 103, 128 Abs. 2 SGG verstoßen habe. Hierbei genügt es für die Statthaftigkeit der Revision, wenn eine vom Kläger erhobene Rüge durchgreift; in einem solchen Falle braucht auf weitere Rügen, welche die Revision ebenfalls nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft machen könnten, nicht besonders eingegangen zu werden (vgl. BSG im SozR SGG § 162 Bl. Da 36 Nr. 122).

Im vorliegenden Falle hat das LSG, wie der Kläger zutreffend rügt, § 128 Abs. 2 SGG verletzt. Nach dieser Vorschrift darf das Urteil des erkennenden Gerichts nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Damit zieht das Gesetz die notwendigen Folgerungen aus dem Recht auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; vgl. auch Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -), nach dem vor jeder Entscheidung den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren ist. Das bedeutet, daß einer gerichtlichen Entscheidung kein Sachverhalt zugrunde gelegt werden darf, der den Beteiligten - wenn auch nur teilweise - unbekannt ist und zu dem sie sich nicht haben äußern können (vgl. BSG 8, 159). Das bedeutet gleichzeitig, daß bei der Verwendung von Beiakten oder von Teilen aus diesen (z. B. ärztliche Gutachten) durch das Gericht jeder Beteiligte Gelegenheit erhalten muß, zu der Verwendung von Beiakten oder von Gutachten aus ihnen Stellung zu nehmen. Das bedeutet endlich auch, daß das Gericht grundsätzlich jeden Beteiligten darüber zu unterrichten hat, daß es Beiakten oder Teile von ihnen beigezogen hat, mindestens muß es die Beiakten oder die Teile aus ihnen, auf die es seine Entscheidung (mit-) stützen will, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung in der Weise machen, daß sich die Beteiligten rechtzeitig oder überhaupt dazu äußern können.

Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht vorliegend verstoßen, als es zur Urteilsfindung die Akten A ./. Freie Hansestadt Bremen - Az.: L V 105/57 - beizog und dabei glaubte, sich bei der Urteilsfindung auf das in diesen Akten erstattete Gutachten des Röntgenologen Dr. Sch in Bremen vom 29. Juni 1958 stützen zu können.

Zwar trifft zu, daß nach der Sitzungsniederschrift vom 30. Januar 1962 dem LSG neben zahlreichen anderen Akten auch die Akten "LV 105/57 betreffend C A vorgelegen" haben und "ihr Inhalt zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht" worden ist. Darüber hinaus ist im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausgeführt: "Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist gewesen der Inhalt der Akten des Versorgungsamts Bremen - Grd.L.Nr. 10 671 -, des Landesversorgungsamts Bremen - 3302/1309/56, 3302/1214/57, 3302/584/58, 3302/373/59 -, des Sozialgerichts Bremen - SV 722/56, SV 266/58, SV 298/59 - und des Landessozialgerichts Bremen - LV 151/59, LV 105/57 betreffend C A. Auf den Inhalt dieser Akten und den Inhalt der Gerichtsakten - LV 52/60 - sowie auf die Niederschrift über die Sitzung vom 30. Januar 1962 wird im übrigen und in den Einzelheiten verwiesen". Der erkennende Senat konnte jedoch darauf verzichten, von sich aus Erhebungen - zB durch Rückfrage bei dem Vorsitzenden und den mitwirkenden weiteren Berufsrichtern des 3. Senats des LSG Bremen - darüber anzustellen, ob diese Ausführungen im Tatbestand des angefochtenen Urteils und der in Frage stehende Teil der Sitzungsniederschrift vom 30. Januar 1962 in vollem Umfang den Tatsachen entsprechen. Denn wenn auch zutreffend sein mag, daß die Akten A ./. Freie Hansestadt Bremen - Az.: LV 105/57 - in der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 1962 vorgelegen haben, so kann nach dem Revisionsvorbringen des Klägers in Verbindung mit den Berufungsakten des LSG und ihrem diesbezüglichen Inhalt nicht zweifelhaft sein, daß die Akten A ./. Freie Hansestadt Bremen und das in ihnen enthaltene Gutachten des Röntgenologen Dr. Sch in Bremen vom 29. Juni 1958 nicht in der Form Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, daß sich die Beteiligten und insbesondere der Kläger dazu hätten äußern können. Die Akten des Berufungsgerichts enthalten keinerlei Anordnung oder Verfügung durch den Vorsitzenden des 3. Senats oder den zum Berichterstatter bestellten Berufsrichter, wonach die Beiziehung der Akten A ./. Freie Hansestadt Bremen angeordnet worden wäre. Auf die Bitte des Klägers vom 30. Januar 1961, ihm die Akten und Beiakten des anhängigen Rechtsstreits zur Einsichtnahme zu überlassen, sind unter dem 2. Februar 1961 dem Amtsgericht Bremerhaven zur Aushändigung an den Kläger folgende Akten übersandt worden: - LV 52/60 -, LV 151/59 des Landessozialgerichts Bremen, - SV 722/56 -, - SV 266/58 - - SV 298/59 - des Sozialgerichts Bremen, - Grdl.Nr. 10671 - des Versorgungsamts Bremen, - 3302/1214/57 - 3302/1309/56 - 3302/584/58 - des Landesversorgungsamts Bremen.

Diese Akten sind sodann vom Kläger eingesehen und am 18. Februar 1961 an das Amtsgericht zurückgegeben worden. In der Ladung vom 16. Januar 1962 zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. Januar 1962 hat der Vorsitzende des 3. Senats unter Ziffer 6) angeordnet: "Auf die Ladungen ist zu setzen: "Das Gericht hat folgende Akten und Unterlagen beigezogen:

Akte des Sozialgerichts Bremen SV 266/58,

SV 298/59, SV 722/56,

LV 151/59 des Landessozialgerichts Bremen

Akte Grdl.Nr. 10 671 des Versorgungsamtes Bremen,

Akte 3302/1309/56, 3302/1214/57 u. 3302/584/58

des Landesversorgungsamtes Bremen, u. 3302/373/59.

Aus diesen Akten und Unterlagen, die in der Geschäftsstelle des Landessozialgerichts Bremen, Bremen, Contrescarpe 32, eingesehen werden können, wird in der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 1962 Beweis erhoben werden."

Der Kläger hat daraufhin gebeten, die Akten und Beiakten zur Einsichtnahme für ihn bereitzuhalten, am 26. Januar 1962 hat er schriftlich bestätigt, in folgende Akten und Beiakten Einsicht genommen zu haben:

1) SV 266/58

2) SV 722/56

3) Grundlistennummer 10671

4) LV 151/59

5) SV 298/59

6) Widerspruch: 3302/373/59, 3302/1309/56,

7) 3302/584/58, 3302/1214/57.

Danach sind die Akten A ./. Freie Hansestadt Bremen - Az.: LV 105/57 - in keinem der angeführten Vorgänge genannt, sie sind nicht einmal in der zunächst stenografisch aufgenommenen Sitzungsniederschrift enthalten und werden erstmalig in der Sitzungsniederschrift angeführt, die nach der stenografischen Niederschrift gefertigt worden ist. Der einzige Hinweis überhaupt auf die Akten A ./. Freie Hansestadt Bremen und auf das in ihnen enthaltene Gutachten des Dr. Sch in Bremen vom 29. Juni 1958 befindet sich - bis zur Fertigung der Sitzungsniederschrift aus der zunächst stenografischen Niederschrift - in den Berufungsakten lediglich im Schriftsatz der Beklagten vom 15. September 1961, in dem diese auf die Akten und das Gutachten zur Stützung ihrer Auffassung aufmerksam gemacht hat, daß eine röntgenologische Untersuchung von Magen und Darm mit keiner Strahlengefährdung für die zu untersuchende Person verbunden sei. Hierzu hat der Kläger im Schriftsatz vom 31. Oktober 1961 ausgeführt: "Der Verwertung des Gutachtens des Obermedizinalrats Dr. Sch vom 29. Juni 1958 in einem völlig fremden Rechtsstreit, der mich nicht das Geringste angeht, wird ausdrücklich widersprochen, zumal es die Beklagte nicht einmal für nötig befunden hat, mir eine Abschrift dieses Gutachtens zu übersenden. Auch wenn diese jetzt nachgereicht wird, bleibt der Widerspruch bestehen". Die Beklagte hat eine Abschrift des Gutachtens des Dr. Sch an den Kläger nicht nachgereicht.

Aus allem ist ersichtlich, daß das Revisionsvorbringen des Klägers zutreffend ist, daß nämlich die Akten A ./. Freie Hansestadt Bremen mit dem Gutachten des Dr. Sch nicht in der Form Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden sind, daß sich der Kläger dazu hätte äußern können. Dies wird im übrigen durch den Beschluß des LSG vom 4. Juni 1962 - wenn auch nicht ausdrücklich - bestätigt, mit dem der Antrag des Klägers auf Berichtigung des Tatbestandes des am 30. Januar 1962 verkündeten Urteils abgelehnt worden ist. Der Kläger hatte nach Zustellung des angefochtenen Urteils mit Schriftsatz vom 28. April 1962 die Berichtigung des Tatbestandes ua insoweit beantragt, als das LSG in ihm festgestellt habe, die Akten LV 105/57 betreffend C A seien Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. In dem genannten Ablehnungsbeschluß hat das LSG dazu ausgeführt: "Die Akten des LSG Bremen betreffend die Versorgungsstreitsache C A - Az.: LV 105/57 - haben in der mündlichen Verhandlung vorgelegen. Dies ergibt sich aus der Sitzungsniederschrift vom 30. Januar 1962. Nach der beim LSG Bremen herrschenden Übung wird vom Vorsitzenden zu Beginn der mündlichen Verhandlung vorgetragen, welche im einzelnen bezeichneten Akten vorliegen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht werden. Die Angabe im Schluß des Tatbestandes, die Akte des LSG Bremen betreffend C A - Az.: LV 105/57 - sei Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen, ist daher zutreffend. Diese Feststellung schließt nicht notwendig ein, daß aus dieser Akte tatsächlich etwas vorgetragen oder daß ihr Inhalt erörtert worden ist". Aus dieser Fassung kann nur gefolgert werden, daß aus den Akten betreffend C A - LV 105/57 - in der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 1962 tatsächlich nichts vorgetragen und daß ihr Inhalt tatsächlich nicht erörtert worden ist. Das aber hat zur Folge, daß die Vorschriften der §§ 128 Abs. 2, 62 SGG (Art. 103 Abs. 1 GG) vom Berufungsgericht verletzt worden sind. Das Verfahren des LSG leidet deshalb an einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Die Revision des Klägers ist somit statthaft.

Die Revision ist auch begründet, da das angefochtene Urteil auf dem dargelegten wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG beruht und die Möglichkeit besteht, daß das Berufungsgericht ohne ihn anders entschieden hätte. Der Kläger hätte auch, wenn die Akten A mit dem Gutachten des Dr. Sch in der Weise Gegenstand des Verfahrens geworden wären, daß er sich dazu hätte äußern können, gegebenenfalls noch ein Gutachten nach § 109 SGG zu der Frage beantragen können, ob bei ihm im Hinblick auf seine körperliche Konstitution und seinen Gesundheitszustand - anders als im Falle A - die Durchleuchtung des Magens und Darmes mit einer Strahlengefährdung verbunden ist. Das angefochtene Urteil mußte deshalb aufgehoben werden. Dabei war eine eigene Entscheidung des Senats wegen der unerörtert gebliebenen Rügen, insbesondere der der Verletzung des § 103 SGG, nicht möglich. Die Sache war deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324481

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