Leitsatz (redaktionell)

Die Verwaltungsbehörde ist nicht dadurch, daß der "Erstbescheid" bindend geworden ist, daran gehindert, in eine neue Sachprüfung einzutreten und sie zur Grundlage eines "Zweitbescheides" zu machen, sofern diese Neuregelung den Berechtigten nicht mehr beschwert als die frühere. Diese Befugnis entspricht den im Verwaltungsrecht allgemein anerkannten Grundsätzen und ist im Recht der Kriegsopferversorgung noch besonders in KOV-VfG § 40 Abs 1 niedergelegt.

Ein solcher auf Grund erneuter Sachprüfung erlassener Zweitbescheid ist in vollem Umfang nachprüfbar.

Verweist hingegen der Zweitbescheid nur auf den Erlaß des Erstbescheides, so beruft sich die Behörde auf die Bindungswirkung des früheren Bescheides und trifft somit keine neue Regelung. Die gerichtliche Nachprüfung hat sich in diesem Fall im Rahmen des SGG § 54 Abs 2 S 2 zu halten. Das gilt auch dann, wenn sich im Zweitbescheid - außer der Berufung auf die Bindungswirkung - noch Ausführungen finden, die aber nur der (hilfsweisen) Begründung der Entscheidung (Ablehnung) dienen.

 

Normenkette

KOVVfG § 40 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27; SGG § 54 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts in Darmstadt vom 31. Mai 1960 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der ... 1914 geborene Kläger wurde im August 1944 als Angehöriger einer SS-Polizeieinheit verwundet. Das Versorgungsamt (VersorgA) in Marburg stellte durch Bescheid vom 14. Januar 1952 als Schädigungsfolge "Versteifung des linken Schultergelenkes und Armschwäche nach Oberarmschußbruch links" fest und bewilligte vom 1. Mai 1951 an Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v. H.. Der Bescheid enthält keinen Hinweis darüber, ob bei der Bewertung der Schädigungsfolgen die berufliche Betroffenheit des Klägers berücksichtigt worden ist. In dem diesem Bescheid zugrunde liegenden Gutachten vom 29. August 1951 hatte der Vertragsarzt Dr. von K die auf Grund des medizinischen Befundes sich ergebende MdE auf 40 v. H. geschätzt. Seiner Äußerung ist der nicht mit Datum versehene und mit Bleistift geschriebene Vermerk des leitenden Arztes des ärztlichen Dienstes Dr. B "bei Berücksichtigung des Berufs" beigefügt. Der Kläger hat den Bescheid vom 14. Januar 1952 nicht angefochten.

Mit Schreiben vom 23. Januar 1954 beantragte er "Neufeststellung der MdE gemäß § 30 BVG". Er machte geltend, er habe vom 1. Mai 1937 bis Mai 1945 der Schutzpolizei in D angehört, könne seinen Beruf als Polizeibeamter aber nicht mehr ausüben, weil er nach dem Gutachten des Polizeidienstarztes in D vom 28. März 1953 auf Grund der Kriegsbeschädigung polizeidienstunfähig geworden sei. Durch Bescheid vom 3. Januar 1955 lehnte das VersorgA eine höhere Bewertung der MdE ab. In dem Bescheid ist ausgeführt, die eingehende Prüfung des Antrages des Klägers habe ergeben, daß eine höhere Beurteilung der MdE nicht möglich sei. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme von August 1951 sei bei der Feststellung der MdE auf 40 v. H. bereits die Frage einer beruflichen Schädigung geprüft und berücksichtigt worden. Nach dem Befund der polizeidienstärztlichen Untersuchung vom 28. März 1953 gelte der Kläger als polizeidienstuntauglich. Nach der Auskunft des Polizeipräsidenten vom 19. Oktober 1954 könne er grundsätzlich weiterhin im Polizeiverwaltungsdienst beschäftigt werden; lediglich mangels freier Planstellen sei seine Verwendung in diesem Dienst nicht möglich. Damit seien die Voraussetzungen für eine höhere Beurteilung der MdE auf Grund einer beruflichen Schädigung bei ihm nicht gegeben, der Antrag müsse daher abgelehnt werden. Der Beklagte wies durch Bescheid vom 2. Mai 1955 den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers zurück. Seine Verwendung im Polizeiverwaltungsdienst sei lediglich mangels freier Planstellen nicht möglich. Die Voraussetzungen zur Anwendung des § 30 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. BVG seien somit nicht erfüllt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben sei durch die Rente nach einer MdE um 40 v. H. ausgeglichen.

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Marburg den Facharzt für Chirurgie Dr. G gehört, der "aus rein medizinischen Gesichtspunkten" die MdE auf 40 v. H. schätzte. Das SG hat ferner eine Auskunft von dem Polizeipräsidenten in D eingeholt und Akten des Regierungspräsidenten in D beigezogen. Aus diesen Unterlagen ergab sich, daß der Kläger wegen Polizeidienstuntauglichkeit nicht wieder in den Polizeidienst eingestellt worden war und daß er gemäß Erlaß des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 9. April 1956 als in den Ruhestand versetzter Beamter auf Widerruf rückwirkend vom 1. April 1951 an beamtenrechtliche Versorgung erhielt. Mit Urteil vom 25. Oktober 1956 hat das SG die Bescheide vom 3. Januar 1955 und 2. Mai 1955 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, dem Kläger vom 1. Juli 1954 an Rente nach einer MdE um 50 v. H. zu gewähren, weil die Versorgungsverwaltung in dem Bescheid vom 14. Januar 1952 die besondere berufliche Betroffenheit des Klägers nicht ausreichend berücksichtigt habe. Diese bestehe darin, daß er nicht mehr Polizeivollzugsbeamter sein könne und ein Ruhegeld beziehe, das monatlich um etwa 300,- DM hinter dem Betrag zurückbleibe, den er als Polizeibeamter erhalten würde.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 31. Mai 1960 das Urteil des SG Marburg sowie den Bescheid vom 2. Mai 1955 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, dem Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen. Das Begehren des Klägers sei nicht als ein Antrag auf Neufeststellung der Rente nach § 62 BVG zu beurteilen gewesen, da sich die Verhältnisse seit der Erteilung des Bescheides vom 14. Januar 1952 nicht geändert hätten, sondern als ein Antrag auf Erlaß eines Bescheides zugunsten des Berechtigten nach § 30 Abs. 4 des Hessischen Körperbeschädigten-Leistungsgesetzes (KBLG) vom 8. April 1947 (GVBl 19). Der Bescheid des Beklagten vom 3. Januar 1955 (Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 1955) stelle lediglich die Ablehnung eines "Zugunstenbescheides" dar. Der Erlaß eines solchen Bescheides stehe im Ermessen der Versorgungsverwaltung und könne nach § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nur darauf nachgeprüft werden, ob die Grenzen des Ermessens überschritten seien. Insoweit weiche das Berufungsgericht von der Auffassung ab, die das Bundessozialgericht (BSG) in dem Urteil vom 13. Oktober 1959 (BSG 10, 248) vertreten habe. Die angefochtenen Bescheide seien jedoch nicht frei von Ermessensfehlern. Dem Gutachten des Dr. von K, der die MdE auf 40 v. H. geschätzt habe, könne nicht entnommen werden, daß die besondere berufliche Betroffenheit im Sinne des § 30 BVG berücksichtigt worden sei. Auch der nicht näher begründete Bleistiftvermerk des Dr. B ergebe nichts darüber, daß eine über die im allgemeinen Erwerbsleben hinausgehende Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit geprüft worden sei. Der Beklagte habe den Sachverhalt näher aufklären müssen und durch diese Unterlassung die seinem Ermessen gesetzten Grenzen verletzt. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen dieses am 20. Juni 1960 zugestellte Urteil hat der Kläger am 4. Juli 1960 Revision eingelegt und beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Marburg vom 25. Oktober 1956 zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Mit der - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 20. September 1960 - am 8. September 1960 eingegangenen Revisionsbegründungsschrift rügt der Kläger die Verletzung des Art. 30 Abs. 4 KBLG sowie der §§ 54 Abs. 2, 77 SGG. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht den angefochtenen Bescheid nicht in vollem Umfange nachgeprüft. Mit diesem Bescheid sei zwar der Anspruch des Klägers erneut abgelehnt worden. Der Beklagte habe sich zu seiner Begründung aber nicht auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 14. Januar 1952 berufen, sondern die Anspruchsvoraussetzungen erneut sachlich geprüft. Er habe somit eine neue Regelung getroffen, die das LSG in vollem Umfange hätte überprüfen müssen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig. Sie ist auch begründet.

Der Antrag des Klägers auf Erhöhung der Rente erfüllt, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, nicht die Voraussetzungen einer Neufeststellung der Rente wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse nach § 62 BVG. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind insoweit mit der Revision nicht angegriffen. Sie sind daher der Beurteilung im Revisionsverfahren zugrunde zu legen (§ 163 SGG). Bei der Entscheidung darüber, ob eine "Änderung der Verhältnisse" eingetreten ist, sind die Verhältnisse zugrunde zu legen, die bei Erlaß des Bescheides in Wirklichkeit (objektiv) vorgelegen haben. Es kommt nicht darauf an, wie die Verwaltung die Sachlage (subjektiv) beurteilt hat. Sie darf einen Bescheid nicht nach § 62 BVG zurücknehmen, wenn sie nachträglich erkennt, daß ihr bei der Beurteilung des Sachverhalts Fehler unterlaufen sind (BSG 7, 8, 12; 13, 89, 90). Hier ergab sich aus den Verwaltungsakten, daß der Kläger seinen früheren Beruf als Revier-Oberwachtmeister schon bei Erlaß des Bescheides vom 14. Januar 1952 nicht mehr ausübte, sondern aushilfsweise als Kraftfahrer tätig war. Schon damals war er für den Polizeidienst nicht mehr tauglich; daß eine entsprechende Feststellung amtlich erst im Jahre 1953 aus Anlaß seiner Bewerbung um die Wiedereinstellung in den Vollzugsdienst bei der Polizei getroffen worden ist, ändert nichts daran, daß die für diese Beurteilung wesentlichen Umstände schon bei Erlaß des Bescheides vom 14. Januar 1952 vorlagen. Die Verhältnisse des Klägers haben sich nachträglich zwar insofern - zu seinen Gunsten - geändert, als er rückwirkend in den Ruhestand versetzt wurde; bei dem Antrag des Klägers auf Erhöhung der Rente kommt es jedoch nur darauf an, ob sie sich zu seinen Ungunsten geändert haben.

Der Vortrag des Klägers im Verwaltungsverfahren, das VersorgA habe bei Erlaß des Bescheides vom 14. Januar 1952 nicht berücksichtigt, daß er durch die Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten Beruf besonders betroffen sei, gab somit Anlaß zu einer Prüfung, ob dieser Bescheid - wegen Unterlassens einer solchen Prüfung - von Anfang an unrichtig gewesen sei und darum der Erlaß eines Bescheides zugunsten des Klägers in Betracht kommen könne. Soweit mit der Klage die Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 1955 begehrt wird, ist das zu diesem Zeitpunkt geltende Recht, somit nicht Art. 30 Abs. 4 KBLG, sondern - gegebenenfalls - § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) vom 2. Mai 1955 (BGBl I 202) anzuwenden, denn dieses Gesetz ist am 1. April 1955 in Kraft getreten. Die auf eine erhöhte Rente gerichtete Verpflichtungsklage ist hingegen nach den zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung geltenden verfahrensrechtlichen und sachlich-rechtlichen Vorschriften zu beurteilen (BSG 7, 8, 13), soweit jedoch für die Vergangenheit Rente begehrt wird, nach dem zu dem jeweiligen Zeitpunkt geltenden materiellen Recht.

Das LSG hat den Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 1955 aufgehoben, ohne in der Sache zu entscheiden, weil dieser Bescheid nur als Ablehnung "eines Zugunstenbescheides" aufzufassen und das Gericht nicht berechtigt sei, sein Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltungsbehörde zu setzen. Es hat den Bescheid vom 2. Mai 1955 nur aufgehoben, weil der Beklagte ermessenswidrig eine nähere Prüfung der beruflichen Betroffenheit des Klägers unterlassen habe. Mit der Revision rügt der Kläger, das LSG habe seine Verpflichtung verletzt, den Bescheid vom 2. Mai 1955 in vollem Umfange nachzuprüfen, weil es verkannt habe, daß dieser Bescheid auf Grund einer neuen sachlich-rechtlichen Beurteilung ergangen sei und damit einen Verwaltungsakt darstelle, der in vollem Umfange nachzuprüfen sei. Damit greift der Kläger insoweit auch die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen an und erhebt eine Verfahrensrüge nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Er macht damit geltend, das LSG habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt (§ 128 SGG). Diese Rüge ist auch begründet.

Dem LSG haben ausreichende Unterlagen gefehlt, um seine rechtliche Überzeugung auf die Feststellung zu gründen, der Bescheid vom 3. Januar 1955 (2. Mai 1955) stelle lediglich die Ablehnung eines "Zugunstenbescheides" dar und könne deshalb im gerichtlichen Verfahren nicht voll überprüft werden. Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit § 40 Abs. 1 VerwVG oder die insoweit im wesentlichen gleichlautende Vorschrift des § 30 Abs. 4 KBLG die Behörden der Versorgungsverwaltung nur ermächtigt, einen Bescheid zugunsten des Berechtigten zu erteilen oder sich auf die Bindungswirkung des früheren Bescheides zu berufen (vgl. hierzu BSG 15, 10, 11/12 und Urteil vom 26. Juni 1962 - 8 RV 426/61). Denn unabhängig von der Frage, ob und inwieweit den Verwaltungsbehörden bei der Entscheidung über Anträge auf Erlaß eines Berichtigungsbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG ein Ermessen eingeräumt ist, hätte das LSG den Bescheid vom 2. Mai 1955 in vollem Umfange nachprüfen müssen, weil dieser Bescheid einen auf Grund erneuter Sachprüfung erlassenen Verwaltungsakt, somit eine Neuregelung darstellt, durch die der Rechtsweg erneut eröffnet wurde. Diese Auffassung hat das BSG in den Urteilen vom 13. Oktober 1959, 26. August 1960 und 18. Oktober 1960 (BSG 10, 248, 250; 13, 48, 49/50, 86 ff) eingehend begründet; an ihr ist festzuhalten. Die Entscheidung vom 26. August 1960 betraf ebenfalls einen Antrag des Klägers auf Erhöhung der Rente, weil in dem bindend gewordenen Bescheid die besonders berufliche Schädigung im Sinne des § 30 BVG nicht berücksichtigt worden war. Die Verwaltungsbehörde ist nicht dadurch, daß der "Erstbescheid" bindend geworden ist, daran gehindert, in eine neue Sachprüfung einzutreten und hierbei neue Ermittlungsergebnisse oder bisher nicht erörterte Gesichtspunkte rechtlicher oder tatsächlicher Art zu berücksichtigen, die nicht auf einer Änderung des Sachverhalts beruhen und nur der vollständigen Aufklärung und Würdigung des alten Sachverhalts dienen. Sie kann solche Umstände zur Grundlage eines "Zweitbescheides" machen und darf eine Neuregelung treffen, sofern diese den Berechtigten nicht in höherem Grade beschwert als der frühere Bescheid (BVerwG Urteil vom 10. Oktober 1961 in NJW 1962, 362 sowie Urteil vom 20. September 1960, BVerwG 11, 124, 125; Haueisen in NJW 1959, 2137 f; derselbe in DVBl 1960, 913 f und in JZ 1961, 428). Die Auffassung, daß den Verwaltungsbehörden eine solche Befugnis zusteht, entspricht den Grundsätzen, die im Verwaltungsrecht allgemein Anerkennung gefunden haben (BSG 10, 240, 249) und im Recht der Kriegsopferversorgung noch besonders in § 40 Abs. 1 VerwVG niedergelegt sind. Dieser Vorschrift kommt somit - im Rahmen allgemeiner verwaltungsrechtlicher Grundsätze - nicht etwa der Charakter einer Ausnahmeregelung zu; sie bestätigt vielmehr, daß es auch auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung den Behörden nicht verwehrt sein soll, ihre Entscheidungen, zumal sie in einer Zeit der Arbeitsüberlastung der Verwaltung und gesetzlicher Neuregelungen mit ihren Auslegungsschwierigkeiten ergangen waren, wenigstens nachträglich in Einklang mit dem materiellen Recht zu bringen (vgl. die Begründung zu dem Entwurf des Gesetzes zu den §§ 40 bis 44). Sie soll - ebenso wie § 41 VerwVG - über die Lösung von der Bindungswirkung des § 77 SGG den Weg zu einer neuen Prüfung und einer dieser Prüfung entsprechenden Neuregelung frei machen. Der Wortlaut des § 40 VerwVG läßt zwar, wie der 10. Senat des BSG in dem Urteil vom 21. September 1962 - 10 RV 1059/59 - angenommen hat, die Auslegung zu, daß mit dem "neuen" Bescheid "zugunsten des Berechtigten" nur ein Bescheid gemeint ist, der den Berechtigten im Vergleich zu dem früheren Bescheid in sachlich-rechtlicher Hinsicht besser stellt. Nach dieser Auffassung fällt ein Bescheid, der es sachlich-rechtlich bei der früheren Regelung beläßt, aber als ein auf Grund erneuter Sachprüfung erlassener Verwaltungsakt eine uneingeschränkte Überprüfung des Anspruchs im Rechtsmittelwege zuläßt, nicht unter § 40 VerwVG. Ein solcher Bescheid würde hiernach nicht auf der Anwendung der Vorschrift des § 40 VerwVG beruhen, die ihrerseits nur einen Ausschnitt aus den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts darstellt, sondern unmittelbar auf diesen Grundsätzen. Entgegen dieser Auffassung könnte auch die Ansicht vertreten werden, daß eine unmittelbare Anwendung des § 40 VerwVG dann in Betracht käme, wenn diese Vorschrift nicht eng, sondern weit ausgelegt und ihr entnommen werden könnte, daß auch ein Bescheid, der nur die Bindungswirkung des § 77 SGG beseitigt, ebenfalls als ein Bescheid "zugunsten des Berechtigten" anzusehen ist, weil er im Gegensatz zu § 41 VerwVG eine zusätzliche Beschwer nicht enthält und in seinen Wirkungen die Rechtsposition des Berechtigten verbessert. Einer Entscheidung, ob dieser oder jener Auslegung des Gesetzes der Vorzug zu geben ist, bedarf es nicht, da von ihr das Ergebnis der Entscheidung nicht abhängt. Die Rechtslage ist, wenn ein Verwaltungsakt aufgrund erneuter Sachprüfung erlassen worden ist, jedenfalls nicht anders zu beurteilen als in dem Fall, daß die Verwaltungsbehörde sich auf ein verspätet eingelegtes Rechtsmittel dennoch zur Sache einläßt und eine "weitere" Sachentscheidung trifft, die darum den Rechtsmittelzug erneut eröffnet (BVerwG in DVBl 1960, 107). Verweist hingegen der "Zweitbescheid" nur auf den Erlaß des "Erstbescheides", so beruft sich die Behörde auf die Bindungswirkung des früheren Bescheides und trifft somit keine neue Regelung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 1961 aaO und Haueisen in NJW 1959, 2137 f).

Vorliegend ist das LSG davon ausgegangen, daß die Verwaltungsbehörde mit dem Zweitbescheid den Erlaß eines "Zugunstenbescheides" abgelehnt hat. Es hat sich darum für berechtigt gehalten, von einer selbständigen Prüfung des Anspruchs des Klägers abzusehen. Das wäre nur dann gerechtfertigt gewesen, wenn der Beklagte den Bescheid auf die Bindungswirkung des Erstbescheides gestützt hätte und seine übrigen Ausführungen nur der (hilfsweisen) Begründung des ablehnenden Bescheides gedient hätten. Das LSG hat sich zwar nicht dem Urteil des BSG vom 13. Oktober 1959 (BSG 10, 248) angeschlossen, meint aber, in diesem Falle habe es sich lediglich um einen "abgelehnten Zugunstenbescheid" gehandelt. Da dies jedoch nicht zutraf, ist auch die gegen dieses Urteil gerichtete Kritik des Berufungsgerichts nicht begründet. Ist ein Zweitbescheid auf Grund erneuter sachlicher Prüfung ergangen, so kommt eine auf die gesetzmäßige Ausübung des Ermessens beschränkte Nachprüfung nur dann in Betracht, wenn die Leistung selbst eine Kannleistung ist, nicht aber, wenn die erneute Entscheidung die Gewährung einer Pflichtleistung betrifft.

Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es somit darauf an, ob der Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 1955 einen auf Grund erneuter Sachprüfung erlassenen Verwaltungsakt darstellt; das ist zu bejahen.

Das VersorgA hatte nicht nur die von dem Kläger vorgelegten Unterlagen benutzt, sondern darüber hinaus auch eigene Ermittlungen angestellt. In dem Bescheid vom 3. Januar 1955 hatte es ausdrücklich hervorgehoben, daß der Antrag des Klägers vom 1. Juli 1954 (23. Januar 1954) eingehend geprüft worden sei. Anschließend sind in diesem Bescheid mehrere Gründe angeführt, die dartun sollen, daß es sachlich bei dem Ergebnis des Bescheides vom 14. Januar 1952 bleiben müsse. Dazu gehört auch der Hinweis, daß die berufliche Schädigung in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 29. August 1951 (gemeint ist der Zusatz des Dr. B vom 31. August 1951) bereits berücksichtigt worden sei. Dieser Hinweis allein berechtigt aber nicht zu der Folgerung, daß das VersorgA sich damit hat ausschließlich auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 14. Januar 1952 beschränken wollen und die in dem Bescheid weiter angeführten Tatsachen nur eine Begründung hierzu darstellen sollten. Denn diese weiteren Tatsachen treten in dem Bescheid selbständig neben die Feststellung, daß die berufliche Schädigung bereits früher geprüft worden sei. Das ergibt sich besonders deutlich aus der weiteren Begründung des Bescheides, eine berufliche Schädigung liege nicht vor, denn der Kläger könne "grundsätzlich" weiterhin im Polizeiinnendienst Verwendung finden. Der Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 1955, der nach § 95 SGG der gerichtlichen Prüfung zugrunde zu legen ist, beschränkt sich sogar ausschließlich auf sachlich-rechtliche Ausführungen darüber, daß die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. BVG nicht erfüllt seien und der Kläger in seinem vor der Schädigung ausgeübten Beruf nicht besonders betroffen sei. Der Bescheid läßt auch nicht etwa die Auslegung zu, daß nur die Voraussetzungen des § 62 BVG geprüft worden seien und darum - im Rahmen dieser Bestimmung - eine sachliche Beurteilung der besonderen Schädigung im Beruf erforderlich gewesen sei; denn der Bescheid vom 2. Mai 1955 ist nicht maßgeblich aus dem Gesichtspunkt des § 62 BVG begründet worden, während der Bescheid vom 3. Januar 1955 durch den Hinweis auf die bereits in dem Bescheid vom 14. Januar 1952 angeblich vorgenommene Prüfung und auf die Verwendbarkeit des Klägers als Polizeibeamter die Deutung zuläßt, daß ua auch der Gesichtspunkt der nachträglichen Änderung der Verhältnisse, wenn auch mit negativem Ergebnis, berücksichtigt worden sei. Er gestattet aber nicht die Feststellung, das VersorgA habe sich auf die Bindung des Bescheides vom 14. Januar 1952 berufen wollen. Daraus ergibt sich, daß der Beklagte den Bescheid vom 2. Mai 1955 auf Grund einer erneuten sachlich-rechtlichen Prüfung erlassen hat und dieser Bescheid somit in vollem Umfange zu überprüfen ist.

Das LSG hat hiernach seiner Beurteilung einen nicht zutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt und ist dadurch zu falschen rechtlichen Schlußfolgerungen gekommen. Es hätte, da die Bindung an den Bescheid vom 14. Januar 1952 zu der Frage der beruflichen Betroffenheit weggefallen und durch eine neue Regelung ersetzt worden war, gemäß § 54 Abs. 4 SGG über die Verpflichtungsklage entscheiden müssen. Es hätte sich nicht mit einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides begnügen dürfen. Das BSG kann, da die zur Entscheidung über den Klageantrag erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht getroffen sind, nicht selbst entscheiden. Die Sache war daher an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324564

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