Leitsatz (amtlich)

Wer Kindergeld für seine jüngeren Geschwister begehrt, die er nach dem Tode der Eltern in seinen Haushalt aufgenommen hat (BKGG § 2 Abs 1 S 1 Nr 7), kann dabei nicht auch selbst als "Zählkind" berücksichtigt werden; dies gilt auch, wenn er sich noch in Schul- oder Berufsausbildung befindet.

 

Normenkette

BKGG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 Fassung: 1964-04-14

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. November 1969 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der 1944 geborene Kläger und seine 1949 und 1951 geborenen Brüder H W und G sind Vollwaisen. Ihre Eltern sind im Jahre 1958 tödlich verunglückt. Sie besaßen eine Landwirtschaft und eine Ziegelei, die auf die drei Söhne als Erben übergegangen sind. Im Mai 1966 beantragte der Kläger, der damals Student an der Technischen Universität B war, ihm unter Berücksichtigung seiner beiden Brüder und seiner eigenen Person Kindergeld und Ausbildungszulage zu zahlen. Er machte geltend, seine Brüder gehörten zu seinem Haushalt in O und besuchten die höhere Schule. Jeder der drei Brüder hatte damals ein Einkommen, das jährlich mehr als 7800 DM betrug.

Mit Bescheid vom 22. Juni 1966 lehnte es das Arbeitsamt K - Kindergeldkasse - ab, dem Kläger die begehrten Leistungen zu zahlen. Sein Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 1966).

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Kassel die Beklagte durch Urteil vom 21. September 1966 verurteilt, dem Kläger Kindergeld und Ausbildungszulage unter Berücksichtigung seiner beiden Brüder zu zahlen. Soweit der Kläger Leistungen für seine eigene Person verlangt, hat es die Klage abgewiesen. Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil dahin abgeändert, daß dem Kläger nur Ausbildungszulage für seine Brüder für die Zeit vom 1. Juni 1966 bis 31. Dezember 1967 zu zahlen ist. Insoweit hat es ausgeführt:

Der Kläger habe keinen Anspruch auf Kindergeld und Ausbildungszulage für sich selbst. Er könne nicht zu sich selbst in einem Kindschaftsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) stehen. In Betracht könne deshalb allenfalls ein Anspruch des Klägers auf Zweitkindergeld kommen, weil nur die beiden von ihm betreuten Geschwister als Kinder zu zählen seien. Einem solchen Anspruch stehe aber entgegen, daß die Einkommensgrenze des § 4 BKGG - damals 7800 DM - überschritten sei.

Der Kläger hat - die vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Er rügt die unrichtige Anwendung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BKGG und des § 14 a BKGG in der zuletzt bis zum 31. Dezember 1967 geltenden Fassung. Er führt dazu aus: Er müsse bei der Feststellung der Anzahl der zu berücksichtigenden Kinder neben den von ihm in seinen Haushalt aufgenommenen jüngeren Geschwistern mitgezählt werden, weil er auch im Falle des Überlebens seiner Eltern oder bei der Aufnahme durch einen Großelternteil mitgezählt worden wäre und an dem der Familie gewährten Kindergeld teilgehabt hätte. Nur eine solche Auslegung des Gesetzes entspreche seinem Sinn und Zweck, der darin bestehe, die sich aus der Erziehung und Ernährung einer größeren Anzahl von Kindern ergebenden Familienlasten zu mildern.

Der Kläger beantragt inhaltlich,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Juni 1966 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 1966 zu verurteilen, ihm ab 1. November 1965 Ausbildungszulage und Kindergeld unter Berücksichtigung seiner Brüder H W und G und seiner eigenen Person zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie führt dazu aus: Aus der Systematik des BKGG folge als gesetzgeberische Zielvorstellung, daß mit dem Kindergeld Erziehung und Unterhalt nur von Kindern unterstützt werden solle, nicht aber der Unterhalt der Personen, die für die Erziehung der Kinder verantwortlich, mithin kindergeldberechtigt seien. Das Urteil des LSG sei daher richtig.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

II

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß dem Kläger weder für sich selbst noch für seine Brüder ein Anspruch auf Kindergeld zusteht und er auch für sich selbst keine Ausbildungszulage nach dem am 31. Dezember 1967 außer Kraft getretenen § 14 a BKGG verlangen kann.

Nach § 1 Abs. 1 BKGG erhalten Personen, die im Geltungsbereich des BKGG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, Kindergeld "für das zweite und jedes weitere Kind nach den Vorschriften dieses Gesetzes". Als Kinder im Sinne des BKGG werden auch berücksichtigt, "Geschwister, die der Berechtigte in seinen Haushalt aufgenommen hat oder überwiegend unterhält" (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BKGG). Mit Recht hat das Berufungsgericht aus dem Wortlaut, der Systematik und dem Zusammenhang dieser Vorschriften den Willen des Gesetzes entnommen, daß das Kindergeld nicht dem Kind, sondern dem zustehen soll, der in irgendeiner Form die Lasten für die Erziehung und Ausbildung des Kindes trägt (vgl. BSG SozR Nr. 1 zu § 14 a BKGG). Es ist deshalb auch notwendig, daß das Kind zu dem Anspruchsberechtigten in einem Kindschaftsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 BKGG steht. Ein solches Kindschaftsverhältnis besteht unter Geschwistern im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BKGG nur, wenn ein Geschwisterteil seine Geschwister in seinen Haushalt aufgenommen hat oder sie überwiegend unterhält. Nach den unangefochtenen und deshalb für das Revisionsgericht nach § 163 SGG bindenden Feststellungen ist die Schlußfolgerung des LSG nicht zu beanstanden, daß der Kläger seine beiden jüngeren Geschwister in seinen Haushalt aufgenommen hat. Er ist damit im Sinne des § 1 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BKGG der Berechtigte, von dem fingiert wird, daß er seine jüngeren Geschwister als Kinder hat (Wickenhagen/Krebs, BKGG § 2 Anm. 11). Da der Kläger zu sich selbst aber in keinem Kindschaftsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 BKGG stehen kann, vielmehr der Anspruchsberechtigte ist, kann er auch in der Reihe der Kinder, für die ein Anspruch begründet wird, nicht mitgezählt werden (ebenso Wickenhagen/Krebs aaO). Der Kläger kann deshalb nur für seine beiden Brüder, die im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BKGG als seine Kinder gelten, Zweitkindergeld begehren. Dies ist ihm von der Beklagten indessen zu Recht verweigert worden, weil er nach den ebenfalls unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts in dem maßgebenden Berechnungsjahr die damals festgesetzte Einkommensgrenze von 7800 DM überschritten hatte (§ 4 Abs. 1 BKGG). Da § 14 a Abs. 2 BKGG ausdrücklich auf § 2 Abs. 1 BKGG verweist, nach § 14 a Abs. 1 BKGG dem Berechtigten Ausbildungszulage auch nur für seine Kinder zusteht, hat die Beklagte dem Kläger auch zutreffend für ihn selbst keine Ausbildungszulage gewährt.

Zu Unrecht ist die Revision davon ausgegangen, daß die vom LSG getroffene Auslegung des Gesetzes, der der erkennende Senat beitritt, gegen den Sinn und Zweck des BKGG verstoße. Das ist nicht der Fall. Ziel und Zweck der Kindergeldgesetzgebung ist es, den durch Kinder bedingten erhöhten finanziellen Mehraufwand einer Familie - zumindest teilweise - auszugleichen (BVerfG 11, 105, 115) und dadurch die soziale Deklassierung der Mehrkinderfamilie abzustellen oder zu mildern (Bundestags-Protokoll, 21. Sitzung, 1954 S. 719 - 721; BSG 26, 160). Es liegt jedoch - entgegen der Annahme der Revision - keine vom Gesetzgeber nicht gewollte Unbilligkeit darin, daß der Kläger für sich und die in seinem Haushalt lebenden beiden Geschwister keinen Anspruch auf Kindergeld hat, während seine Eltern - würden sie noch leben - oder ein Großelternteil, der alle drei Geschwister in seinem Haushalt aufgenommen hätte, Anspruch auf Drittkindergeld ohne Rücksicht auf die Einkommensverhältnisse hätten. Die Revision übersieht dabei, daß die Kindergeldgesetzgebung nur zum Ausgleich der Lasten beitragen will, die dem Berechtigten durch die Erziehung der Kinder entstehen, nicht aber dazu gedacht ist, für die Kinder selbst einen Anspruch zu begründen oder dem Berechtigten einen sozialen Ausgleich für sich selbst zu verschaffen. Ferner berücksichtigt die Revision dabei auch nicht, daß die Familiensituation vor dem Tod der Eltern des Klägers oder bei Aufnahme des Klägers und seiner Geschwister in den Haushalt eines Großelternteils sich von der hier gegebenen unterscheidet, und daß deshalb auch ein verschiedener Lastenausgleich gerechtfertigt ist. Würden nämlich die Eltern des Klägers noch leben, dann bestünde die Familie nicht aus drei, sondern aus fünf Personen mit der einer solchen Familie entsprechenden wirtschaftlichen Belastung. Auch bei Aufnahme des Klägers und seiner beiden Geschwister in den Haushalt eines Großelternteils würde eine andere Familiensituation bestehen. Auch dann bestünde die Familie nicht nur aus drei, sondern aus vier Personen mit der entsprechend höheren finanziellen Last. Nach allem ergibt sich somit aus dem Wortlaut, aus der Systematik und aus dem Zweck des BKGG, daß der Geschwisterteil, der seine jüngeren Geschwister in seinen Haushalt aufnimmt, als Kind im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BKGG nicht mitzählt. Der Kläger kann daher weder für sich und für seine Geschwister Kindergeld beanspruchen noch für sich selbst Ausbildungszulage (§ 14 a BKGG) für die streitige Zeit verlangen. Die Revision muß deshalb zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 113

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