Leitsatz (amtlich)

1. Auf den gegen einen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung gerichteten Erstattungsanspruch des Trägers der Sozialhilfe nach BSHG § 59 Abs 2 - Tuberkulosehilfe - sind die RVO §§ 1531 bis 1543 nicht entsprechend anwendbar.

2. Ist in dem ärztlichen Entlassungsbericht nach stationärer Heilbehandlung wegen aktiver Tuberkulose eine Nachuntersuchung innerhalb einer angemessenen Zeit als erforderlich bezeichnet, so ist diese - 1. - Kontrolluntersuchung noch als Teil jener Heilbehandlung (RVO § 1244a Abs 3) anzusehen.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zu dem Verhältnis der Verpflichtungen des Trägers der Rentenversicherung zu den Aufgaben der Gesundheitsämter in der Tuberkulosehilfe.

2. RVO § 1541 rechtfertigt es im Hinblick auf BSHG § 59 Abs 2 S 2 Halbs 2 nicht, Erstattungsansprüche der Sozialhilfeträger gegen die Rentenversicherungsträger nach BSHG § 59 Abs 2 S 2 Halbs 1 den Regelungen der RVO §§ 1531 ff unterzuordnen; der Rentenversicherungsträger kann deshalb den Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers nicht mit der Begründung ablehnen, es könne gemäß RVO § 1536 nur auf Rente zurückgegriffen werden bzw die Ersatzforderung scheide bereits wegen Ablaufs der Ausschlußfrist des RVO § 1539 aus.

 

Orientierungssatz

Eine stationäre Tuberkulosenachuntersuchung ist eine dem Rentenversicherungsträger obliegende Heilbehandlung iS des RVO § 1237 Abs 2.

 

Normenkette

BSHG § 59 Abs. 2 Fassung: 1961-06-30; RVO § 1244a Abs. 3 Fassung: 1959-07-23, § 1237 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1531 Fassung: 1945-03-29, § 1541 Fassung: 1959-07-23, § 1536 Fassung: 1931-06-05, § 1539 Fassung: 1924-12-15

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 8. Februar 1966 wird insoweit aufgehoben, als die Klage gegen die beigeladene Landesversicherungsanstalt H abgewiesen worden ist. Die Beigeladene wird verurteilt, dem klagenden Land Niedersachsen die Aufwendungen für die stationäre Kontrolluntersuchung des Versicherten Werner S in Höhe von 420,84 DM zu erstatten.

Auch für die Revisionsinstanz sind keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Der Rechtsstreit wird um die Erstattung von Krankenhauskosten geführt, welche das klagende Land Niedersachsen für den in der Krankenversicherung (KrV) und in der Rentenversicherung der Arbeiter (ArV) versicherten Tischler W S aufgewandt hat.

Der Versicherte war von Mai bis Dezember 1961 auf Kosten der beigeladenen Landesversicherungsanstalt (LVA) wegen Urogenitaltuberkulose in stationärer Heilbehandlung im Evangelischen Krankenhaus G. Dort fand vom 30. April bis 4. Mai 1962 eine stationäre Nachuntersuchung statt; diese war bereits bei der Entlassung im Dezember 1961 ärztlich angeordnet worden. Die dadurch entstandenen Kosten in Höhe von 420,84 DM wies das Niedersächsische Landessozialamt als Träger der Sozialhilfe am 5. Juli 1962 zur Zahlung an das Krankenhaus an. Bereits vor der Durchführung der Kontrolluntersuchung war das Staatliche Gesundheitsamt die Beigeladene - ohne Erfolg - um Übernahme der Kosten angegangen. Am 17. Januar 1963 verlangte das Niedersächsische Landessozialamt die Erstattung der Kosten von der Beigeladenen und im Januar 1964 von der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse. Beide Versicherungsträger lehnten die Kostenerstattung ab.

Mit der Klage hat das Land Niedersachsen die Verurteilung der Beklagten, hilfsweise der Beigeladenen, zur Zahlung von 420,84 DM beantragt mit der Begründung, die stationäre Untersuchung hätte dem Versicherten von der Beklagten als Krankenhauspflege oder von der Beigeladenen als nachgehende Maßnahme nach § 1244 a der Reichsversicherungsordnung (RVO) gewährt werden müssen.

Das Sozialgericht Hannover hat mit Urteil vom 25. September 1964 dem Hauptantrag entsprochen, also die Allgemeine Ortskrankenkasse zur Kostenerstattung verurteilt. Auf deren - zugelassene - Berufung hin hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen durch Urteil vom 8. Februar 1966 die Klage abgewiesen. Es hat einen Ersatzanspruch gegen die Beklagte verneint, weil er nicht innerhalb der Ausschlußfrist des § 1539 RVO angemeldet worden sei. Hinsichtlich des gegen die Beigeladene gerichteten Anspruchs hat es ausgeführt: Es könne unentschieden bleiben, ob die Beigeladene die Nachuntersuchung nach § 1244 a RVO hätte durchführen lassen müssen. Der Erstattungsanspruch scheitere schon daran, daß nach § 1536 RVO für den Ersatz aus Leistungen der Rentenversicherung (RentV) nur Renten beansprucht werden könnten, der Versicherte aber für die maßgebliche Zeit keine Rente erhalten habe. §§ 1531 ff RVO - und damit auch § 1536 RVO - seien nämlich bei Erstattungsansprüchen gegen Träger der RentV ebenfalls zu beachten. Dies ergebe sich aus § 1541 RVO in der Fassung des Gesetzes über die Tuberkulosehilfe (THG). Aus § 27 Abs. 1 THG und § 59 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) sei nicht zu folgern, daß §§ 1531 bis 1543 RVO nur auf Erstattungsansprüche gegen die Träger der gesetzlichen KrV anwendbar seien. Hiernach stehe auch § 1539 RVO einer Erstattungspflicht der Beigeladenen entgegen, weil der Anspruch nicht innerhalb von sechs Monaten nach dem Ende der Unterstützung des Versicherten - 5. Juli 1962 - erhoben worden sei.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Das klagende Land hat das Rechtsmittel eingelegt. Es rügt eine unrichtige Anwendung des § 27 Abs. 1 Satz 3 THG, des § 59 Abs. 2 Satz 2 BSHG und des § 1541 RVO bei der Beurteilung des gegen die Beigeladene gerichteten Klageanspruchs. Dazu führt es aus: § 1541 RVO rechtfertige es nicht, Erstattungsansprüche der Träger der Sozialhilfe nach § 27 Abs. 1 Satz 4 THG und § 59 Abs. 2 Satz 2 BSHG gegen Träger der RentV den Regelungen der §§ 1531 ff RVO unterzuordnen. Diese Vorschriften seien nur bei Erstattungsansprüchen gegen Träger der KrV heranzuziehen. Dementsprechend hätten die Träger der RentV in der Praxis immer die vollen Aufwendungen der Tuberkulosehilfe erstattet. Im vorliegenden Falle seien die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs gegen die Beigeladene erfüllt, weil diese zur Gewährung der stationären Nachuntersuchung an den Versicherten nach § 1244 a Abs. 3 RVO verpflichtet gewesen sei. Die bei der Entlassung aus der stationären Behandlung bereits vorgesehene Nachuntersuchung müsse noch zur stationären Heilbehandlung, die ärztliche Untersuchungen einschließe, gerechnet werden. Die Beigeladene sei auch dann leistungspflichtig, wenn man die Nachuntersuchung als nachgehende Maßnahme zu betrachten habe; denn sie sei zur Sicherung des Ergebnisses der vorher durchgeführten stationären Heilbehandlung notwendig gewesen. Die Urogenitaltuberkulose könne nämlich nach ärztlicher Auffassung erst nach fünf Jahren als stabilisiert angesehen werden. Die Ermessensentscheidung nach § 1244 a Abs. 5 RVO, die der Versicherungsträger über Art und Maß der Leistung zu treffen habe, könne hier nur so ausfallen, daß die gewährte Nachuntersuchung gebilligt werde; sie habe wegen der Art der Erkrankung des Versicherten nur stationär in einem Krankenhaus mit entsprechenden Einrichtungen vorgenommen werden können.

Das klagende Land beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beigeladene zu verurteilen, an es 420,84 DM zu zahlen.

Die Beigeladene und die Beklagte beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene pflichtet den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils bei und vertritt darüber hinaus die Auffassung, die bei dem Versicherten durchgeführte Kontrolluntersuchung gehöre weder zu der - zu ihren Lasten gehenden - stationären Heilbehandlung noch zu den nachgehenden Maßnahmen. Auf dem Gebiet der KrV umfasse der Begriff "Heilbehandlung" allerdings die ärztliche Untersuchung; dies entspreche der alleinigen Zuständigkeit des Trägers der KrV und dem Bedürfnis, einen umfassenden Schutz des Versicherten zu gewährleisten. An der Tuberkulosenhilfe seien jedoch mehrere Stellen beteiligt; hier richte sich die Zuständigkeit nach dem Grad der Erkrankung. Da die Nachuntersuchung des Versicherten der Entscheidung über weitere ambulante Maßnahmen gedient habe, sei sie nicht der in ihre - der Beigeladenen - Zuständigkeit fallenden stationären Heilbehandlung zuzurechnen. Die Kontrolluntersuchung sei auch nicht als nachgehende Maßnahme anzusehen. Um eine Sicherung des durch die stationäre Heilbehandlung erzielten Erfolges könne es sich nur handeln, wenn ein Rückfall in eine erneute stationäre Behandlungsbedürftigkeit ausgeschlossen werden solle. Bei dem Versicherten habe jedoch kein Anhalt für eine solche Notwendigkeit bestanden. Wenn man in allen Fällen dieser Art die Träger der RentV für leistungspflichtig halten wollte, entbehrten die Gesundheitsämter jeglicher Funktionen bei der Überwachung der Tuberkulose. Daraus, daß die Beigeladene sich bereit erklärt habe, vom 13. Dezember 1962 an Kontrolluntersuchungen - insbesondere bei extrapulmonaler Tuberkulose - durchzuführen, könne das Land keine Ansprüche für vorher durchgeführte Untersuchungen herleiten.

Die Revision des klagenden Landes ist zulässig und begründet.

Als Klagegrundlage für den mit der Revision nur noch gegen die beigeladene LVA verfolgten Erstattungsanspruch kommen - davon ist das LSG zutreffend ausgegangen - die Vorschriften des § 27 THG und des § 59 BSHG über die Beziehungen zwischen den zur Bekämpfung der Tuberkulose verpflichteten Stellen in Betracht. Nach beiden Vorschriften hat die leistungspflichtige Stelle dem Träger der Sozialhilfe unter gewissen Voraussetzungen die ihm entstandenen Kosten zu erstatten. Für eine solche Erstattungsstreitigkeit ist, wie der Senat bereits früher entschieden hat, der Sozialrechtsweg gegeben (vgl. BSG 26, 102, 103). Es handelt sich dabei um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in einer Angelegenheit der Sozialversicherung (§ 51 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), weil die Tuberkulosehilfe öffentlich-rechtlichen Charakter hat, der Erstattungsanspruch mit dem Anspruch des Erkrankten gegen den Versicherungsträger eng verknüpft ist und sich inhaltlich nach dem Recht der Sozialversicherung richtet.

Das klagende Land Niedersachsen, vertreten durch das Niedersächsische Landessozialamt, ist befugt, den Anspruch auf Erstattung der Krankenhauskosten geltend zu machen. Nach § 100 Abs. 1 Nr. 3 BSHG ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe für die Tuberkulosehilfe sachlich zuständig; er wird von den Ländern bestimmt (§ 96 Abs. 2 BSHG). Für Niedersachsen - mit Ausnahme des Verwaltungsbezirks O - ist nach § 2 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes vom 29. Juni 1962 (GVBl. 1962, 69) das Land überörtlicher Träger der Sozialhilfe. Es nimmt seine Aufgaben durch das Landessozialamt wahr (Abschn. I des Runderlasses des Niedersächsischen Sozialministers betr. Zuständigkeiten für die Durchführung des Bundessozialhilfegesetzes vom 19. Juli 1962, Nds. Min. Bl. 1962, 638).

Obwohl die stationäre Nachuntersuchung des Versicherten - 30. April bis 4. Mai 1962 - noch unter der Geltung des THG stattgefunden hat, ist der Erstattungsanspruch des Landes nach dem am 1. Juni 1962 in Kraft getretenen BSHG zu beurteilen (§ 153 BSHG). Das THG war zur Zeit der Inanspruchnahme der beteiligten Versicherungsträger, ja schon zu der Zeit, als die entstandenen Kosten vom Landessozialamt beglichen wurden, bereits aufgehoben, und das an seine Stelle getretene BSHG enthält für Fälle der hier vorliegenden Art keine Übergangsregelung. Die für Kostenerstattungen zwischen Trägern der Sozialhilfe getroffene Ausnahmeregelung des § 144 BSHG - für solche Fälle gilt unter gewissen Voraussetzungen noch altes Recht - führt zu dem Schluß, daß auf sonstige Sachverhalte der Vergangenheit, also auch auf den vorliegenden, das BSHG Anwendung zu finden hat.

Der in § 59 Abs. 2 BSHG normierte Erstattungsanspruch setzt voraus, daß vor der Durchführung der Tuberkulosehilfe nicht feststand, ob ein anderer als der Träger der Sozialhilfe oder welcher andere zur Hilfe verpflichtet war, und daß zu befürchten war, die notwendigen Maßnahmen würden sonst nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt. Eine solche Kompetenzunklarheit bestand vor der Durchführung der Kontrolluntersuchung - und auch noch nachher - unter allen Beteiligten. Deshalb war der Träger der Sozialhilfe verpflichtet, die Durchführung der ärztlich angeordneten Untersuchung vorläufig sicherzustellen und die entstandenen Kosten zu begleichen. Zur Erstattung dieser Kosten ist die Beigeladene verpflichtet, weil sie der zur Gewährung der Hilfe verpflichtete Kostenträger war.

Nach § 1244 a Abs. 1 RVO haben Versicherte, die an aktiver behandlungsbedürftiger Tuberkulose erkrankt sind - diese Voraussetzungen trafen auf den Tischler S jedenfalls in der Zeit zu, in der die Beigeladene ihm stationär Heilbehandlung wegen Urogenitaltuberkulose gewährte -, "Anspruch auf die Maßnahmen nach §§ 1236 bis 1244 RVO wegen dieser Erkrankung nach Maßgabe der folgenden Vorschriften" des § 1244 a RVO. Die durchzuführenden Maßnahmen erstrecken sich nach § 1237 Abs. 1 RVO auf Heilbehandlung, Berufsförderung und soziale Betreuung. Für die Heilbehandlung von Tuberkulosekranken bestimmt § 1244 a Abs. 3 RVO, daß der Anspruch für die Dauer der ambulanten Behandlung ruht, wenn der Berechtigte einen Anspruch auf Krankenpflege gegen einen Träger der gesetzlichen KrV hat. Demnach trägt bei gleichzeitiger Versicherung eines Berechtigten in der gesetzlichen KrV und der RentV - wie im vorliegenden Falle - der Träger der KrV die ambulante, der Träger der RentV die stationäre Heilbehandlung. Die vom 30. April bis 4. Mai 1962 durchgeführte stationäre Nachuntersuchung ist eine dem Träger der RentV obliegende Heilbehandlung im Sinne des § 1237 Abs. 2 RVO; denn sie gehört zu den dort in erster Linie aufgeführten "erforderlichen medizinischen Maßnahmen, insbesondere Behandlung in Kur- und Badeorten und in Spezialanstalten" (so auch Komm. zur RVO, Viertes und Fünftes Buch, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, § 1237, Anm. 2). Dieser Annahme tritt die Beigeladene im Grundsätzlichen nicht entgegen, sie zieht nur die "Erforderlichkeit" der Untersuchung im konkreten Falle in Zweifel und hält sich auch um deswillen nicht für leistungspflichtig, weil zur Zeit der Durchführung der Untersuchung eine aktive behandlungsbedürftige Tuberkulose nicht mehr vorgelegen, jedenfalls eine stationäre Behandlung derselben nicht mehr stattgefunden habe. Auf eine Aufklärung des mit diesem Vorbringen angesprochenen Sachverhalts, insbesondere auf die Feststellung, ob die Tuberkulose des Versicherten noch in den Monaten April/Mai 1962 aktiv und stationär behandlungsbedürftig war, kommt es jedoch aus Rechtsgründen nicht an. Die hier in Rede stehende Kontrolluntersuchung ist nämlich nicht als isolierte Heilbehandlung, sondern als eine medizinische Maßnahme in untrennbarem Zusammenhang mit der dem Versicherten im Jahre 1961 auf Kosten der Beigeladenen gewährten stationären Heilbehandlung wegen Urogenitaltuberkulose zu sehen. Sie war bereits während dieser Behandlung ärztlich angeordnet und nur deshalb erst einige Monate nach der Entlassung des Erkrankten durchgeführt worden, weil sie - entsprechend ihrem Wesen als Kontrolluntersuchung - die vor der Entlassung erhobenen ärztlichen Befunde bestätigen oder widerlegen, also zu einer Überprüfung derselben führen sollte, was naturgemäß erst nach Ablauf einer angemessenen Zeit geschehen konnte. Diese - erste - Kontrolluntersuchung war also gewissermaßen der Schlußakt und deshalb ein Bestandteil der vorangegangenen stationären Heilbehandlung; sie ist ihr deshalb auch versicherungsrechtlich zuzurechnen. Für eine solche Betrachtungsweise spricht auch die Notwendigkeit, Kompetenzkonflikten zwischen den Kostenträgern, die bei Tuberkuloseerkrankungen als zuständig in Frage kommen, im Interesse der Erkrankten weitgehend entgegenzuwirken. Rechnet man die Kontrolluntersuchung der Heilbehandlung zu, in deren Rahmen sie konkret und zeitnahe angeordnet wurde, so wird der Kostenträger nicht erst durch das Ergebnis der Untersuchung festgelegt, sondern ist bereits vorher bekannt. Dies bietet eine bessere Gewähr für die rechtzeitige Durchführung der Untersuchung und die Begleichung der durch sie verursachten Kosten. - Ist hiernach die Kontrolluntersuchung als Teil der dem Versicherten von der Beigeladenen im Jahre 1961 gewährten Heilbehandlung anzusehen, so verbietet es sich für die Beigeladene, die Erforderlichkeit einer aus der Gesamtbehandlung herausgegriffenen Einzelmaßnahme, nämlich der ärztlich verordneten Kontrolluntersuchung, nachträglich in Zweifel zu ziehen.

Der Klageanspruch scheitert nicht daran, daß das Land seiner Obliegenheit, die zur Gewährung der Tuberkulosehilfe verpflichtete Stelle unverzüglich über seine Maßnahmen zu unterrichten (§ 59 Abs. 2 Satz 1 BSHG), möglicherweise nicht nachgekommen ist. Abgesehen davon, daß die Beigeladene - unstreitig - im März 1962 vom Staatlichen Gesundheitsamt auf die anstehende Untersuchung hingewiesen und - ohne Erfolg - um Kostenübernahme gebeten worden ist, knüpft das Gesetz an eine Verletzung der vorerwähnten Mitteilungspflicht nicht ohne weiteres den Ausschluß des Erstattungsanspruchs.

Schließlich ist der Klageanspruch auch nicht, wie das LSG meint, auf Grund des § 1541 RVO in Verbindung mit § 1536 RVO (Zugriff nur auf Renten) oder § 1539 RVO (Versäumung der Anmeldefrist) ausgeschlossen. Nach § 1541 RVO idF des § 31 Nr. 1 Buchst. c THG gilt allerdings das, was im 2. Abschnitt des Fünften Buches - hierhin gehören auch die §§ 1531 bis 1541 RVO - "für Gemeinden und Träger der Armenfürsorge vorgeschrieben ist, auch für ... die Landesfürsorgeverbände als Träger der Tuberkulosehilfe (seit dem Inkrafttreten des BSHG: für die überörtlichen Träger der Sozialhilfe - § 139 BSHG -), die statt solcher Verpflichteten nach gesetzlicher Pflicht Hilfsbedürftige unterstützen". Diese Vorschrift bietet jedoch keine hinreichende Stütze für die Auffassung des LSG, daß auch der gegen den Träger der gesetzlichen RentV gerichtete Erstattungsanspruch des § 59 Abs. 2 BSHG den §§ 1531 ff RVO unterläge. Dagegen spricht bereits, daß in § 59 Abs. 2 Satz 2 BSHG - ebenso wie früher in § 27 Abs.1 Satz 4 THG - die §§ 1531 bis 1543 RVO zwar für die Erstattungspflicht der Träger der gesetzlichen KrV, nicht aber für diejenige sonstiger Versicherungsträger als entsprechend anwendbar bezeichnet sind. Schon diese Gesetzestechnik deutet auf eine Sonderregelung für Erstattungsansprüche gegen die ausdrücklich genannten Träger der KrV hin. Daß die Regelung jedenfalls nicht für Erstattungsansprüche gegen Träger der RentV gedacht ist, läßt sich auch den Gesetzesmaterialien entnehmen. Nach der Begründung zum Entwurf des THG - auf die darin getroffene Regelung wird in der Begründung zu § 59 BSHG verwiesen - kommt ein nach §§ 1531 ff RVO zu beurteilender Erstattungsanspruch des Landesfürsorgeverbandes gegen den Träger einer gesetzlichen RentV nur bei Erkrankten in Betracht, denen weder Heilbehandlung noch Berufsförderung noch soziale Betreuung zu gewähren ist (vgl. § 1244 a RVO, § 21 a AVG, § 43 a RKnG); dagegen soll sich der Erstattungsanspruch nach § 28 des Entwurfs (= § 27 Abs. 1 Sätze 3 und 4 THG, jetzt § 59 Abs. 2 Satz 2 BSHG) regeln, wenn der Landesfürsorgeverband - wie im vorliegenden Falle - vorsorglich eintritt für Leistungen, die durch den Träger einer gesetzlichen RentV sichergestellt sind (BT-Drucks. III/349 S. 20 zu § 32 THG; BT-Drucks. III/1799 S. 48 zu § 56 BSHG). - Die Richtigkeit der von dem klagenden Land vertretenen Auffassung, die in § 59 Abs. 2 Satz 2 RVO enthaltene Verweisung auf §§ 1531 bis 1543 RVO stelle eine Sonderregelung für die KrV dar, wird durch andere gesetzliche Zusammenhänge bestätigt. Für Ersatzansprüche aus §§ 1531 ff RVO stehen immer nur gleichartige Leistungen zur Verfügung. Ausdrücklich ist dies zwar nur für die KrV (§ 1533 RVO) und für die Unfallversicherung (§ 1535 RVO) gesagt; in diesen Vorschriften wird jedoch ein allgemeiner, auch auf dem Gebiet der RentV anzuwendender Grundsatz gesehen (vgl. BSG 3, 57, 59; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. III 970 b; RVO-Gesamtkommentar, Anm. 1 zu § 1536; Kommentar zur RVO, Viertes und Fünftes Buch, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger Anm. 3 zu § 1536). Da für den Ersatz aus Leistungen der ArV nach § 1536 RVO nur die Renten - und das Übergangsgeld (BSG 28, 92) - zur Verfügung stehen, solche Barleistungen aber nicht dem auf Sachleistungen (Heilbehandlung) gerichteten Anspruch des Versicherten nach § 1244 a RVO entsprechen, ließe sich der geltend gemachte Erstattungsanspruch, wenn die Rechtsauffassung des LSG zum Verhältnis des § 59 Abs. 2 BSHG zu §§ 1531 ff RVO zuträfe, nicht realisieren. Das wäre aber mit dem Zweck des § 59 BSHG nicht zu vereinbaren, der dem Träger der Sozialhilfe ein vorläufiges Tätigwerden gebietet, um zu verhindern, "daß notwendige Maßnahmen deshalb nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt werden, weil noch nicht feststeht, wer Hilfe zu gewähren hat" (vgl. BT-Drucks. III, 1799 S. 48 zu § 56). Die in diesem Zusammenhang vorgenommene Verweisung des Trägers der Sozialhilfe auf einen Erstattungsanspruch gegen die für die Leistung zuständige Stelle ist als ein Ausgleich zu verstehen, durch den der in § 2 BSHG verankerte Nachrang der Sozialhilfe wiederhergestellt wird. Für das im Vorstehenden aus dem Gedanken der Nichtrealisierbarkeit hergeleitete Argument ist kein Raum, wenn es sich um einen Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers - wegen gewährter Heilbehandlung - gegen den Träger der KrV handelt. In einem solchen Falle steht für den Zugriff des Trägers der Sozialhilfe eine gleichartige Leistung der KrV zur Verfügung (§ 1533 Nr. 2 RVO). Insofern ist ein Grund für die andersartige Regelung der Erstattungspflicht der Krankenversicherungsträger in § 59 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 RVO erkennbar.

In Übereinstimmung mit der vorstehenden Auffassung des erkennenden Senats, die bereits in seinem oben erwähnten Urteil vom 31. Januar 1967 (BSG 26, 102, 103) angeklungen ist, wird auch im Schrifttum, soweit ersichtlich, allgemein die in § 59 Abs. 2 Satz 2 BSHG - und schon früher in § 27 Abs. 1 Satz 4 THG - angeordnete Anwendung der §§ 1531 bis 1543 RVO auf Erstattungsansprüche gegen Träger der gesetzlichen KrV als Sonderregelung für diesen Zweig der Sozialversicherung bezeichnet (Brackmann aaO S. 970 c; Kommentar zur RVO, Viertes und Fünftes Buch, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Anm. 2 zu § 1541; Luber, Tuberkulosehilfe im Rahmen des BSHG, Anm. V, 4 zu § 59 BSHG; Oestreicher, Kommentar zum BSHG, Anm. 6 zu § 59; Muthesius/Spahn/Caesar, Recht der Tuberkulosehilfe, Anm. 1 zu § 27 THG; Schewe, Wege zur Sozialversicherung 1959, 257, 262).

Die Bejahung der Verpflichtung des Trägers der RentV, die durch die Kontrolluntersuchung des Versicherten S entstandenen Kosten zu tragen, hat nicht, wie die Beigeladene meint, zur Folge, daß die Gesundheitsämter jeglicher Funktionen bei der Überwachung der Tuberkulose entbehren. Die Beigeladene verkennt, daß die Gesundheitsämter für Untersuchungen im Rahmen der Tuberkulosefürsorge immer dann - ausschließlich - zuständig sind, wenn der Erkrankte nicht unter dem Schutz der gesetzlichen RentV oder der KrV steht. Besteht aber Versicherungsschutz, so beeinträchtigt eine Überschneidung der Zuständigkeit zwischen einem Träger der RentV und dem Gesundheitsamt den Anspruch aus der RentV nicht; der nach § 1244 a RVO berechtigte Erkrankte hat keine Leistungsansprüche gegen das Gesundheitsamt, auf die er verwiesen werden könnte.

Nach alledem hat die beigeladene LVA dem klagenden Land die - in ihrer Höhe nicht streitigen - Aufwendungen für die stationäre Kontrolluntersuchung des Versicherten zu erstatten. Soweit das LSG dies verneint hat, muß sein Urteil aufgehoben und die Beigeladene für erstattungspflichtig erklärt werden.

Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2284832

BSGE, 87

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