Leitsatz (amtlich)
1. Eine versicherungspflichtige Beschäftigung (oder Tätigkeit) ist nicht durch Arbeitslosigkeit unterbrochen, wenn zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung (oder Tätigkeit) und dem Beginn der Arbeitslosigkeit ein voller Kalendermonat liegt.
2. Der bloße Bezug eines tariflichen Übergangsgeldes im öffentlichen Dienst stellt keinen Überbrückungstatbestand dar, der den Anschluß zu einer Ausfallzeit wahrt und diese anrechnungsfähig macht.
Normenkette
RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 3 Fassung: 1965-06-09
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 08.01.1980; Aktenzeichen L 16 Ar 441/78) |
SG Landshut (Entscheidung vom 07.07.1978; Aktenzeichen S 2 Ar 83/77) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die rentensteigernde Anrechnung einer Ausfallzeit.
Der 1912 geborene Kläger war zuletzt bis zum 31. Mai 1975 bei der Standortverwaltung I beschäftigt. Anschließend erhielt er bis zum 5. Juli 1975 Übergangsgeld nach dem Manteltarifvertrag für Arbeiter des Bundes (MTB II). Am 1. Juli 1975 meldete er sich bei dem Arbeitsamt in Landshut arbeitslos. Vom 1. Juli 1975 an bezog er zunächst Arbeitslosengeld (Alg), später ab 28. Juni 1976 Arbeitslosenhilfe (Alhi).
Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 23. September 1976 Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit für die Zeit ab Juli 1976; sie legte der Rentenberechnung nur Zeiten bis Mai 1975 zugrunde. Die Klage, mit der der Kläger ua die Berücksichtigung der Zeit vom 1. Juli 1975 bis zum 30. Juni 1976 als Ausfallzeit begehrte, hat das Sozialgericht (SG) Landshut abgewiesen (Urteil vom 7. Juli 1978). Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und im Urteil vom 8. Januar 1980 ausgeführt:
Die Zeit der Arbeitslosigkeit von Juli 1975 bis Juni 1976 könne nicht als Ausfallzeit berücksichtigt werden, weil sie keine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen habe. Der Kläger sei zwischen der Beendigung des letzten Arbeitsverhältnisses (31. Mai 1975) und dem Einsetzen des Alg (1. Juli 1975) weder beim Arbeitsamt gemeldet noch nachweisbar um Arbeit bemüht gewesen. Der Bezug des tariflichen Übergangsgeldes im Juni 1975 lasse sich auch nicht als sogenannter Überbrückungstatbestand werten; denn dafür verlange die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), daß der Versicherte unfreiwillig ohne Arbeit, arbeitswillig und arbeitsfähig sei (Hinweis auf das Urteil vom 30. Januar 1969 - 5 RKn 133/65 - BSGE 29, 120 = SozR Nr 22 zu § 1259 Reichsversicherungsordnung -RVO-).
Der Kläger hat die vom Senat durch Beschluß zugelassene Revision eingelegt. Er macht geltend, es sei sachgerecht, die Zeit der Zahlung von tariflichem Übergangsgeld im öffentlichen Dienst als Überbrückungstatbestand gelten zu lassen. Entgegen der Ansicht des LSG könne es nicht darauf ankommen, ob in dieser Zeit Arbeitslosigkeit im Sinne der Definition des Leistungsrechts der Arbeitslosenversicherung vorgelegen habe.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 8. Januar 1980 sowie des Sozialgerichts Landshut
vom 7. Juli 1978 aufzuheben und die Beklagte in
Abänderung ihres Bescheides vom 23. September 1976
zu verpflichten,
die Zeit vom 1. Juli 1975 bis zum 30. Juni 1976 als
Ausfallzeit wegen Arbeitslosigkeit rentensteigernd
zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und meint, das tarifliche Übergangsgeld im öffentlichen Dienst diene anders als etwa das knappschaftliche Anpassungsgeld nicht der Überbrückung in ein anderes Beschäftigungsverhältnis, sondern in der Regel nur als Übergang bis zur Rentengewährung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß die streitige Zeit nicht als Ausfallzeit bei der Berechnung des Altersruhegeldes berücksichtigt werden kann.
Nach § 1259 Abs 1 S 1 Nr 3 RVO sind Ausfallzeiten ua Zeiten, in denen eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch eine mindestens einen Kalendermonat andauernde Arbeitslosigkeit unterbrochen worden ist. An einem solchen Unterbrechungstatbestand fehlt es allerdings entgegen dem Sprachgebrauch nach der Rechtsprechung des BSG nicht schon dann, wenn - wie hier - später keine weitere versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit mehr folgt, die Zeit der Arbeitslosigkeit also nicht von Pflichtbeitragszeiten "umrahmt" wird (zB Urteile vom 18. Januar 1962 - 1 RA 21/61 - BSGE 16, 120 = SozR Nr 4 zu § 1259 RVO und vom 16. April 1964 - 11 RA 272/62 - BSGE 21, 21 = SozR 12 zu § 1259 RVO). Zumindest grundsätzlich setzt jedoch die Unterbrechung voraus, daß die Arbeitslosigkeit der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit unmittelbar folgt (BSG aaO); dieser Grundsatz duldet lediglich in den Fällen eine Ausnahme, in denen - wie noch auszuführen sein wird - gleichsam ersatzweise an die Stelle der unmittelbar folgenden Arbeitslosigkeit ein sogenannter Überbrückungstatbestand tritt. Dabei gehört zur Arbeitslosigkeit iS des § 1259 Abs 1 S 1 Nr 3 RVO nicht auch die Meldung beim Arbeitsamt; sie ist nur insofern erheblich, als vor der Meldung liegende Zeiten nicht als Ausfallzeiten berücksichtigt werden können (BSGE 21, 21).
Der für die Unterbrechung im vorbezeichneten Sinn erforderliche unmittelbare Anschluß bedeutet nun nicht, es dürfe überhaupt keine Zeitlücke zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit und dem Beginn der Arbeitslosigkeit (oder des Überbrückungstatbestandes) liegen. Der 11. Senat hat "jedenfalls" einen Zeitraum von mehr als einem vollen Kalendermonat als schädlich angesehen (SozR 2200 § 1259 Nr 48), wobei es sich dort um den etwas anderen, aber vergleichbaren Fall handelte, daß zunächst eine auch als Ausfallzeit angerechnete Zeit der Arbeitslosigkeit zurückgelegt worden war, ein Auslandsaufenthalt aber die Berücksichtigung der wiederum folgenden Arbeitslosigkeit als weitere Ausfallzeit verhinderte. Der erkennende Senat geht, dies präzisierend und zugleich der Praxis der Rentenversicherungsträger folgend, davon aus, daß bereits dann, wenn ein voller Kalendermonat zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit und dem Beginn der Arbeitslosigkeit liegt, der erforderliche Anschluß nicht gewahrt ist und es an der Unterbrechung "durch" Arbeitslosigkeit fehlt. Dieses Abstellen auf den Kalendermonat ist systemgerecht, auch wenn eine dermaßen pauschalierende, weil auf volle Kalendermonate "aufrechnende" Betrachtungsweise im Einzelfall zu einer gewissen Vergünstigung des Versicherten führen kann. Denn der Kalendermonat stellt die kleinste Zeiteinheit für die Rentenberechnung dar. Er wird für die Zahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre (§ 1258 RVO) voll berücksichtigt, wenn er auch nur zum Teil mit einem für die Rentenbemessung wirksamen Tatbestand belegt ist; das gilt gleichermaßen für Beitrags- und Ersatzzeiten sowie Ausfall- und Zurechnungszeiten (§§ 1250 Abs 1 und 3, 1259 Abs 4, 1260 Abs 2 RVO). Im Zusammenhang damit steht, daß die versicherungsrechtlich stärkere Zeit die schwächere verdrängt, somit ein teilweise mit Beiträgen belegter Kalendermonat als Beitragszeit nicht zugleich Ausfallzeit sein kann (vgl zB Beschluß des Großen Senats des BSG vom 9. Dezember 1975 - GS 1/75 = BSGE 41, 41, 51 = SozR 2200 § 1259 Nr 13; Urteil vom 29. Juli 1976 - 4/12 RJ 64/75 = BSGE 42, 123, 125 = SozR 2200 § 1259 Nr 19).
Der Kläger war im (gesamten) Monat Juni 1975 nicht arbeitslos. Er hat nach den von der Revision unangegriffen gebliebenen und daher den Senat bindenden Feststellungen des LSG in diesem Zeitraum weder schon beim Arbeitsamt vorgesprochen noch sich selbst um Arbeit bemüht. Damit fehlt es an der Arbeitsbereitschaft des § 103 Abs 1 S 1 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) als einer der Voraussetzungen der Verfügbarkeit, die ihrerseits zur Arbeitslosigkeit iS des § 1259 Abs 1 S 1 Nr 3 RVO gehört (vgl BSG SozR 2200 § 1259 Nr 48; BSG, Urteil vom 18. August 1971 - 4 RJ 107/71 - SozR Nr 39 zu § 1259 RVO).
Allerdings scheint der Kläger in der Revisionsinstanz selbst einzuräumen, die Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit vor dem 1. Juli 1975 nicht erfüllt zu haben. Seine Rechtsausführungen beschränken sich auf den Standpunkt, der Bezug des tarifvertraglichen Übergangsgeldes müsse als unschädlicher Überbrückungstatbestand gewertet werden. Diese Ansicht teilt der Senat nicht.
Mit "Überbrückungstatbeständen" wollte die Rechtsprechung aufgrund des dem § 1259 Abs 1 S 1 Nr 3 RVO innewohnenden sozialen Schutzzweckes Lücken schließen, die dadurch entstehen, daß der Versicherte vor der Meldung beim Arbeitsamt durch von ihm nicht zu vertretende Umstände gehindert war, einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen und Beiträge zu entrichten (vgl zuerst Urteil vom 30. Januar 1969 - 5 RKn 133/65 - BSGE 29, 120 = SozR Nr 22 zu § 1259 RVO und zusammenfassend Beschluß des GS vom 11. Dezember 1973 - GS 1/73 - BSGE 37, 10, 17 = Nr 62 zu § 1259 RVO). Derartige Zeiten, die keine Ausfallzeiten sind, sollen den Anschluß zu Ausfallzeiten herstellen und diese anrechnungsfähig machen. Hauptanwendungsgebiet ist bisher die gescheiterte Selbsthilfe gewesen; es sind Zeiten als unschädlich für die Unterbrechung durch Arbeitslosigkeit angesehen worden, in denen der Versicherte erfolglos versucht hatte, durch eine selbständige Tätigkeit oder auch unselbständige Beschäftigung seinen Lebensunterhalt zu verdienen (Urteile vom 8. März 1972 - 11 RA 190/71 = BSGE 34, 93 = SozR Nr 44 zu § 1259 und vom 16. November 1972 - 11 RA 168/72 = Nr 50 zu § 1259 RVO) oder mit Hilfe der Auswanderung einer Arbeitslosigkeit zu entgehen (Urteil vom 26. Juni 1975 - 12 RJ 244/74 = SozR 2200 § 1259 Nr 8). In einem weiteren Sinn wird man hierzu auch die an sich sogar noch näher liegenden Sachverhalte rechnen können, bei denen der Endzeitpunkt der versicherungspflichtigen Beschäftigung für den Versicherten unklar geblieben und/oder die Beitragsleistung durch den Arbeitgeber unterblieben ist (vgl Urteil vom 17. Februar 1970 - 1 RA 145/69 = SozR Nr 29 zu § 1259 RVO: Unterbrechungswirkung gewahrt, wenn der Arbeitgeber wegen Zahlungsunfähigkeit für die letzten drei Monate keine Beiträge zur Rentenversicherung mehr geleistet hat; Beschluß des GS vom 11. Dezember 1973 = BSGE 37, 10: Unterbrechungswirkung gewahrt, solange ein gewerkschaftlich geführter Streik andauert, wenn mit dem Ende des Streiks auch das Beschäftigungsverhältnis endet und sich der Versicherte anschließend arbeitslos meldet).
Keines der vorgenannten Charakteristika kennzeichnet die Situation, in der sich der Kläger im Monat Juni 1975 befand. Das Beschäftigungsverhältnis des Klägers bei der Standortverwaltung war mit dem 31. Mai 1975 beendet. Auch die Zahlung von tariflichem Übergangsgeld ist kein Indiz für ein irgendwie geartetes Fortbestehen dieses Arbeitsverhältnisses, sondern setzt im Gegenteil gerade dessen Beendigung voraus (§ 65 Abs 1 MTB II). Deshalb wird das Übergangsgeld auch nicht als Einnahme aus einer Beschäftigung nach § 14 Abs 1 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) angesehen; die Praxis geht davon aus, daß es keine Beitragspflicht in der Sozialversicherung begründet. Das Übergangsgeld wird in erster Linie in Erfüllung einer tariflichen arbeitgeberischen Fürsorgepflicht gewährt, um dem Ausgeschiedenen seine bisherigen Bezüge für einen Übergangszeitraum zu sichern, bis er einen neuen Arbeitsplatz oder eine andere Erwerbsgrundlage gefunden hat bzw Rentenempfänger geworden ist (vgl Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. August 1976 - 4 AZR 284/75 = AP Nr 2 zu § 62 BAT).
Dafür, daß auf die Arbeitsbereitschaft des Übergangsgeldbeziehers oder auf andere Aktivitäten, die einen Übergangstatbestand auslösen, nicht verzichtet werden kann, spricht auch folgendes: Nach § 66 Abs 5 MTB II erhält der ausgeschiedene Arbeiter das Übergangsgeld nur insoweit, als dieses für denselben Zeitraum ua Alg oder Alhi nach dem AFG übersteigt; das gilt auch, wenn der ausgeschiedene Arbeiter, der weder Altersruhegeld noch Rente wegen Berufsunfähigkeit bezieht, bei unverzüglicher Antragstellung nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses Anspruch auf Alg oder Alhi hätte. Durch diese tarifvertragliche Bestimmung soll der Ausgeschiedene gezwungen werden, Antrag auf Alg zu stellen. Auch wenn er dies unterläßt, kann ihm nämlich gleichwohl der dem Alg entsprechende Betrag angerechnet werden (vgl Scheuring-Steingen, MTB II, 3. Aufl, Anm 12 zu § 66 und das dort zitierte Urteil). Daraus wird deutlich, daß das Übergangsgeld jedenfalls in der Regel, möglicherweise von besonderen, hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen abgesehen, weder eine Leistung nach dem AFG ersetzen noch die Meldung beim Arbeitsamt überflüssig machen soll. Die Tarifparteien erwarten, daß der Ausgeschiedene sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt; denn es wird nicht nur - wie dargelegt - das Alg angerechnet, sondern der Anspruch auf Übergangsgeld entfällt auch vorzeitig mit dem Beginn eines neuen Beschäftigungsverhältnisses oder - für den Fall des Nachweises einer billigerweise annehmbaren Arbeitsstelle - bereits von dem Tage an, an dem der Ausgeschiedene das neue Beschäftigungsverhältnis hätte antreten können (§ 65 Abs 4 MTB II). Der soziale Schutzzweck des § 1259 Abs 1 S 1 Nr 3 RVO, aus dem heraus die Rechtsfigur des Überbrückungstatbestandes geschaffen worden ist, spricht mithin dagegen, den bloßen Bezug des tariflichen Übergangsgeldes der grundsätzlich erforderlichen Arbeitslosigkeit gleichzusetzen.
Zu einem anderen Ergebnis vermag auch nicht der Hinweis des Klägers zu führen, in der Praxis der Rentenversicherungsträger würden teilweise Bezugszeiten von knappschaftlichem Anpassungsgeld der Arbeitslosigkeit gleichgesetzt. Denn ob die Gewährung jener 1971 ins Leben gerufenen Leistung (vgl Richtlinien des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen vom 13. Dezember 1971 - BAnZ Nr 233) als Überbrückungstatbestand zu werten ist, kann hier nicht entschieden werden. Um so weniger bedarf es der Erörterung, ob das Anpassungsgeld auch nur in den Grundzügen oder gar im Detail mit dem tariflichen Übergangsgeld nach MTB II vergleichbar ist. Im übrigen hat sich der 5. Senat des BSG im Urteil vom 26. Juli 1978 - 5 RKn 34/76 - (SozR 2600 § 57 Nr 1) über den Bezug des Anpassungsgeldes als Überbrückungstatbestand zweifelnd und eher ablehnend geäußert (aaO S 3); er hat entschieden, daß bei einem Empfänger von Knappschaftsausgleichsleistung (§ 98a Reichsknappschaftsgesetz) eine ernsthafte Arbeitsbereitschaft ganz allgemein nicht unterstellt und damit Arbeitslosigkeit nicht angenommen werden kann.
Die Revision des Klägers konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 1659389 |
BSGE, 54 |
Breith. 1982, 882 |