Leitsatz (redaktionell)
1. Verschärfung eines (wegen Fahnenflucht) auf Zuchthausstrafe lautenden rechtskräftigen Urteils in ein Todesurteil als offensichtliches Unrecht iS des BVG § 1 Abs 2 Buchst d.
2. Die Möglichkeit für eine Wiederaufnahme des Verfahrens auch zuungunsten des Angeklagten ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar. Anders ist jedoch die Regelung in KrStrVfO § 91 zu beurteilen; die hier vorgesehene Erweiterung der Wiederaufnahme ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 2 Buchst. d Fassung: 1950-12-20; KrStrVfO § 91
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Juli 1966 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14. Mai 1963 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des zweiten und dritten Rechtszuges zu erstatten.
Gründe
Die Kläger begehren die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung, weil ihr Ehemann bzw. Vater, der wegen Fahnenflucht durch ein Feldkriegsgerichts im August 1943 rechtskräftig zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, im Februar 1944 durch ein anderes Wehrmachtgericht erneut, und zwar zum Tode verurteilt und das Todesurteil vollstreckt worden ist. Ihr erster Antrag aus dem Jahre 1956 wurde abgelehnt, weil die Fristvorschriften der §§ 57, 58 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) aF nicht beachtet seien und ein Fall besonderer Härte i.S. des § 89 BVG nicht vorliege (Bescheid vom 16. Dezember 1957 und Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1959). Die Klage war zurückgenommen worden.
Ansprüche der Kläger wegen Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) hatte das Landgericht Arnsberg durch Urteil vom 25. Februar 1960 abgelehnt. Die Strafkammer des Landgerichts Hagen hat durch Beschluß vom 14. April 1966 dem verurteilten Ehemann der Klägerin bezüglich der durch Urteil des Zentralgerichts des Heeres vom 8. Februar 1944 verhängten und am 15. Mai 1944 vollstreckten Todesstrafe Straffreiheit gewährt. Diese Entscheidungen sind sämtlich rechtskräftig.
Den erneuten Antrag der Kläger vom Dezember 1960 lehnte das Versorgungsamt durch Bescheid vom 30. Januar 1961 ab und bezog sich auf die bindende Wirkung des Bescheides vom 16. Dezember 1957, weil durch diesen der Versorgungsantrag nicht nur wegen Versäumnis der Ausschlußfrist, sondern auch deswegen abgelehnt worden sei, weil der Tod des Ehemannes der Klägerin nicht die Folge einer Schädigung i.S. des § 1 BVG gewesen sei. Der Widerspruch blieb aus den gleichen Gründen erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 1961).
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) nach Beiziehung der Akten des Regierungspräsidenten, des Landgerichts Arnsberg und der Staatsanwaltschaft Hagen sowie nach Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung durch Urteil vom 14. Mai 1963 die Verwaltungsbescheide aufgehoben und den Beklagten zur Gewährung von Hinterbliebenenrente ab 1. Dezember 1960 verurteilt. Es hat die Vorschrift des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG als Teil des Wiedergutmachungsrechts, nicht des Versorgungsrechts, und grundsätzlich als nicht verfassungsmäßig angesehen, weil nur die Folgen eines offensichtlichen, nicht aber jedes Unrechts entschädigt werden sollen. Es hat diese Vorschrift aber doch seiner Entscheidung zugrunde gelegt, da es in der Ersetzung des rechtskräftigen, auf eine Verurteilung zu Zuchthausstrafe lautenden Urteils des Feldkriegsgerichts durch eine Verurteilung zum Tode ein schweres und auch offensichtliches Unrecht i.S. dieser Vorschrift gesehen hat.
Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 13. Juli 1966 die Entscheidung des SG abgeändert und die Klage abgewiesen; es hat die Revision zugelassen. Das Berufungsgericht hat dahingestellt gelassen, ob sich die Verwaltung zu Recht auf die bindende Wirkung der früheren Ablehnung bezogen hat; denn die Ablehnung von Versorgungsansprüchen sei sachlich gerechtfertigt. Entgegen der Ansicht des SG gehöre die Vorschrift des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG zum Kriegsopfer- und nicht zum Wiedergutmachungsrecht. Gegen die Verfassungsmäßigkeit bestünden auch insoweit keine Bedenken, als Leistungen davon abhängig seien, daß eine Zwangsmaßnahme ein offensichtliches Unrecht sei. Auch nach der vom Landgericht Hagen gewährten Straffreiheit sei das Todesurteil nicht als offensichtliches Unrecht anzusehen, denn es sei nicht aufgehoben, sondern nur die Strafe sei erlassen worden. Die Todesstrafe sei nicht etwa aufgrund von Gesetzen ausgesprochen, welche durch die Verordnung des Zentral-Justizamts für die britische Zone vom 3. Juni 1947 (VOBl BrZ S. 68) aufgehoben worden seien. Insbesondere habe sich kein Anhalt dafür ergeben, daß politische Umstände, sei es in der Person des Ehemannes der Klägerin, sei es seiner Schwester, bei der Verhängung der Todesstrafe eine Rolle gespielt hätten. Die nochmalige Verhandlung nach Rechtskraft des feldgerichtlichen Urteils vom August 1943 sei ebenfalls kein offensichtliches Unrecht, denn sie beruhe auf den Wiederaufnahmevorschriften der Kriegsstrafverfahrensordnung (KStVO) vom 17. August 1938 (RGBl 1939 I S. 1457) und wohl nicht auf dem Erlaß des Führers und obersten Befehlshabers der Wehrmacht vom 6. Januar 1942. Auch sachlich sei in der Verhängung der Todesstrafe ein offensichtliches Unrecht nicht zu erblicken, weil die Fahnenflucht im Felde vor dem Feinde begangen und als Feigheit angesehen werden könne.
Die Kläger haben Revision eingelegt; sie beantragen dem Sinne nach,
unter Aufhebung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13. Juli 1966 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Sie rügen mit näherer Begründung eine unzureichende Sachaufklärung durch das Berufungsgericht, weil es nicht versucht habe, das strafverschärfende Urteil vom Februar 1944 von dem Deutschen Zentralarchiv in P heranzuziehen, sowie eine Verletzung des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG, weil die Durchführung des zweiten kriegsgerichtlichen Verfahrens in Berlin verfahrensrechtlich nicht zulässig und deshalb ein offensichtliches Unrecht gewesen sei.
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Kläger zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend, insbesondere habe das LSG unbedenklich von einer Anfrage beim Zentralarchiv in P absehen können.
Die Revision der Kläger ist durch Zulassung statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und mußte auch Erfolg haben.
Das LSG hätte zwar die Frage nicht dahingestellt lassen dürfen, ob über den jetzt streitigen Versorgungsanspruch bereits früher, durch die Verwaltungsbescheide vom 16. Dezember 1957 und 27. Januar 1959, bindend befunden ist oder nicht. Denn hiervon hängt das ganze gerichtliche Verfahren und der Umfang ab, in welchem das Verwaltungshandeln von den Gerichten nachgeprüft werden kann. Trotzdem brauchte der Senat hierauf nicht näher einzugehen, zumal das Berufungsgericht trotz seiner Rechtsansicht zu Recht die Anspruchsvoraussetzungen der Kläger sachlich geprüft hat. Denn die frühere Ablehnung bezog sich nur auf die verspätete Geltendmachung. Dieser Grund ist inzwischen durch die Änderung des BVG weggefallen. Wenn darüber hinaus damals eine Versorgung im Wege des Härteausgleichs - also als Kannleistung - abgelehnt worden ist, so hat dies für den jetzigen Rechtsstreit, in dem Rechtsansprüche verfolgt werden, keine Bedeutung. Vielmehr steht die bindende Wirkung der Verwaltungsbescheide von 1957/1959 einer sachlichen Nachprüfung der nunmehr geltend gemachten Rechtsansprüche auf Hinterbliebenenversorgung nicht entgegen.
In der Sache selbst hat das Berufungsgericht zu Recht seiner Entscheidung die Vorschrift des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG zugrunde gelegt. Nach ihr steht einer Schädigung durch eine militärische usw. Dienstverrichtung eine Schädigung gleich, die herbeigeführt worden ist durch eine mit militärischem oder militärähnlichem Dienst oder mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist. Diese Vorschrift ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies hat das LSG bedenkenfrei ausgeführt. Hierauf näher einzugehen erübrigt sich, zumal die Revision insoweit keine Rügen erhoben und das Bundessozialgericht (BSG) die Vorschrift in zahlreichen Entscheidungen angewendet hat (vgl. statt anderen BSG 6, 195 ff; 12, 175 ff, 216 ff; 13, 51 ff).
Es kommt also darauf an, ob die Verurteilung zum Tode und die Vollstreckung der Todesstrafe als offensichtliches Unrecht anzusehen sind. Das Berufungsgericht ist zutreffend von dem Beschluß des Landgerichts Hagen über die Gewährung von Straffreiheit ausgegangen. In Übereinstimmung mit diesem Gericht hat es richtig ausgeführt, daß die Verurteilung zum Tode nicht auf Gesetzen beruht, welche durch die Verordnung des Zentral-Justizamts für die britische Zone vom 3. Juni 1947 aufgehoben worden sind. Infolgedessen ist nicht etwa das Todesurteil beseitigt, sondern es ist nur Straffreiheit gewährt worden, das Urteil selbst aber ist aufrechterhalten geblieben. Deshalb mußte, unabhängig von dem Beschluß des Landgerichts Hagen, der Unrechtsgehalt des Todesurteils nachgeprüft werden (s. dazu BSG 12, 216 ff; 21, 222 ff).
Das erste kriegsgerichtliche Urteil vom August 1943 ist erhalten geblieben. Hingegen ist das strafverschärfende Urteil vom Februar 1944 nicht vorhanden. Insoweit liegen die Benachrichtigungen des Zentralgerichts des Heeres vom 19. Mai 1944 an die Wehrmachtsauskunftsstelle und an die Klägerin vor. Aus ihnen ergibt sich, daß das Todesurteil wegen Fahnenflucht erlassen ist. Welches Gericht das Urteil vom Februar 1944 erlassen hat und wie es überhaupt zu diesem zweiten Urteil gekommen ist, läßt sich nicht mit letzter Gewißheit sagen. Das Berufungsgericht hat die nach der damaligen Rechtslage, insbesondere der Verfahrensgesetze und sonstigen Vorschriften, hierfür bestehenden Möglichkeiten im einzelnen erörtert, ohne daß insoweit Rechtsirrtümer erkennbar sind.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist das zweite Urteil von dem Gericht der Wehrmachtskommandantur B gefällt worden. Das Zentralgericht des Heeres, welches die Auskünfte und Benachrichtigungen vom 19. Mai 1944 erteilt hat, hat das LSG als verurteilendes Gericht deshalb ausgeschlossen, weil es erst nach dem Erlaß des Urteils - nämlich im April 1944 - eingerichtet worden ist. Da auf das Zentralgericht des Heeres die Entscheidungen über eine Wiederaufnahme des Verfahrens, für die vorher das Gericht der Wehrmachtskommandatur B zuständig gewesen war, übergegangen sind, mußte die Strafsache des Ehemannes der Klägerin nach der Verurteilung auf das Zentralgericht übergehen, weil dieses für die Vollstreckung zuständig geworden war. Eine neue Hauptverhandlung vor dem Reichskriegsgericht hat das LSG überzeugend ausgeschlossen und damit die Anwendung des Führererlasses vom 6. Januar 1942 verneint. Dem schließt sich der Senat an.
Der Revision mag zugegeben werden, daß außer den vom Berufungsgericht behandelten Möglichkeiten noch weitere bestehen, welche eine andere Beurteilung der gerichtlichen Zuständigkeit rechtfertigen könnten, so daß das zweite Verfahren ohne weiteres als nicht rechtmäßig erscheint. Die Revision irrt jedoch, wenn sie der Auffassung ist, das gleiche Gericht habe das Wiederaufnahmeverfahren durchführen müssen, welches die erste Verurteilung ausgesprochen hatte. Diese Ausführungen beruhen auf einer unrichtigen Auslegung des § 99 KStVO. Hiernach ist zunächst über die Zulassung des Antrags auf Wiederaufnahme durch ein Feldkriegsgericht zu entscheiden, welches der Gerichtsherr beruft. Dieses kann nach der Zulassung des Antrags sofort in die Hauptverhandlung eintreten. Aus der gesetzlichen Regelung kann nicht entnommen werden, daß das vom Gerichtsherrn zu berufende und sodann tätig werdende Gericht das gleiche sein muß, wie dasjenige, dessen Urteil im Wege der Wiederaufnahme überprüft werden soll.
Des weiteren hat das Berufungsgericht angenommen, im Februar 1944 sei eine Wiederaufnahme des im August 1943 durch das rechtskräftige erste Urteil abgeschlossenen Verfahrens durchgeführt worden. Dies hat es insbesondere auch daraus geschlossen, daß die zweite Verurteilung ebenso wie die erste wegen Fahnenflucht ausgesprochen worden ist. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Wenn das LSG im Anschluß an diese Erörterungen die Wiederaufnahme des Verfahrens nach der KStVO für rechtmäßig erachtet hat, so kann ihm jedoch nicht mehr gefolgt werden. Vielmehr haben die Kläger zu Recht darauf hingewiesen, daß eine solche Wiederaufnahme mit den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar ist. Sie gehen allerdings zu weit, wenn sie eine Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten stets ausgeschlossen wissen wollen. Vielmehr ist die Möglichkeit für eine Wiederaufnahme des Verfahrens auch zuungunsten des Angeklagten mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar (s. insbes. § 362 der Strafprozeßordnung in der Fassung vom 22. Marz 1924).
Die Regelung in § 91 KStVO aber ist anders zu beurteilen. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift wird ein durch Urteil oder Strafverfügung rechtskräftig geschlossenes Verfahren wiederaufgenommen, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allgemein oder in Verbindung mit den früheren Beweisen geeignet gewesen wären:
1. ...
2. ... eine wesentlich schwerere Bestrafung ...
des Angeklagten zu begründen. Dagegen kann sich nach Abs. 2 der Angeklagte nur auf solche neuen Tatsachen oder Beweismittel berufen, die er in dem früheren Verfahren ohne Verschulden nicht geltend machen konnte. Es muß bereits zu erheblichen Bedenken Anlaß geben, wenn die Rechtsverteidigung des Angeklagten und die ihm eingeräumten prozessualen Möglichkeiten gegenüber den Wiederaufnahmegründen zu seinen Ungunsten so wesentlich beschnitten worden sind. Hierauf näher einzugehen, erübrigt sich. Denn die hier vorgesehene Erweiterung der Wiederaufnahme ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht mehr vereinbar. Durch das Gesetz vom 12. Mai 1933 über die Wiedereinführung der militärischen Gerichtsbarkeit (RGBl I S. 264) ist diese auf der Grundlage der Militärstrafgerichtsordnung (MStGO) vom 1. Dezember 1898 allgemein vorgesehen worden. Durch die Bekanntmachung des Reichswehrministers vom 4. November 1933 (RGBl I S. 921) sind die Militärstrafgerichtsordnung und das Einführungsgesetz zu ihr im neuen Wortlaut bekanntgegeben worden. Dabei sind u.a. die ordentlichen Rechtsmittel, die Rechtsbeschwerde, die Berufung und die Revision beibehalten worden (§ 282 MStGO). Lediglich für das sog. mobile Verfahren der Feld- oder Bordurteile sind - übereinstimmend mit der MStGO von 1898 - die Rechtsmittel ausgeschlossen gewesen. Diese Urteile unterlagen einer Nachprüfung durch den Gerichtsherrn, welche zur Bestätigung oder Aufhebung (§§ 336 ff MStGO) führte. Durch die Bestätigung wurden die Feld- und Bordurteile rechtskräftig und vollstreckbar. Der Senat brauchte nicht näher darauf einzugehen, daß bereits das Bestätigungsverfahren aus heutiger Sicht erheblichen rechtsstaatlichen Bedenken deshalb begegnet, weil die Trennung der Gewalten insoweit nicht durchgeführt worden ist. Die aus der für Preußen geltenden MStGO vom 3. April 1845 in die MStGO von 1898 übernommene Bestätigung mag damals noch staatsrechtlichen Grundsätzen entsprochen haben, weil die Trennung der Gewalten noch nicht durchgeführt war und es noch hingenommen werden konnte, daß ein Akt einer justizfremden Gewalt eine Entscheidung der dritten Gewalt beeinflussen und ihr die Rechtskraft verleihen konnte. Aber auch die Militärstrafgerichtsordnung von 1933 sah eine Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten nur in wenigen, mit der StPO übereinstimmenden Fällen vor (§ 352). Sie kannte keine Wiederaufnahme zum Zweck der Änderung der Strafe innerhalb des durch dasselbe Gesetz bestimmten Strafmaßes. Vor Ausbruch des letzten Krieges ist durch die KStVO ein vereinfachtes Verfahren eingeführt worden. Dieses war zwar nur als eine vorläufige Regelung gedacht und sollte durch die später vorzunehmende allgemeine Strafrechtsreform ersetzt werden. Es wurde als ein unabweisbares militärisches Bedürfnis angesehen, im Kriege eine straffe und schnelle militärische Justiz durchzuführen. Dementsprechend ist das frühere ordentliche Verfahren abgeschafft und nur das mobile Verfahren beibehalten worden. Die Abschaffung der ordentlichen Rechtsmittel ist amtlich als "Verzicht auf Rechtsmittel" und als eine "durch die außergewöhnlichen Verhältnisse des Krieges gebotene Notmaßnahme" bezeichnet worden (Befehl des "Führers" und obersten Befehlshabers der Wehrmacht vom 6. Januar 1942 - HVBl 1942 (B) Nr. 34 -). Bereits diese authentische Bezeichnung deutet auf die rechtsstaatlichen Bedenken der Neuregelung durch die Kriegsstrafverfahrensordnung hin. Denn durch sie sind zwar die ordentlichen Rechtsmittel beseitigt, ein echter Verzicht auf eine Überprüfbarkeit der kriegsgerichtlichen Entscheidung ist aber nicht ausgesprochen worden. Vielmehr ist an die Stelle der Überprüfung von Entscheidungen der unteren Instanzen durch die höheren die verwaltungsmäßige Nachprüfung und Bestätigung allgemein getreten. Damit ist praktisch nicht auf Rechtsmittel verzichtet, sondern eine Entwicklung zur Durchsetzung rechtsstaatlicher Grundsätze, welche mit der MStGO von 1898 begonnen und in diesem Sinne von der Rechtslehre begrüßt worden war, abgebrochen und durch eine Regelung i.S. des Polizeistaats in ihr Gegenteil verkehrt worden. Zu der erweiterten Nachprüfung durch justizfremde Stellen ist außerdem die Erweiterung der Wiederaufnahmegründe durch § 91 KStVO getreten. Denn hiernach konnten neue Tatsachen oder Beweismittel ohne jede Einschränkung auf gravierende Fehler des rechtskräftig beendeten Verfahrens die Wiederaufnahme zulässig machen und auch die Strafe innerhalb des durch dasselbe Gesetz bestimmten Strafmaßes erhöht werden, während nach § 439 MStGO 1898, und übereinstimmend § 353 MStGO 1933, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zum Zwecke der Änderung der Strafe innerhalb des durch dasselbe Gesetz bestimmten Strafmaßes nicht zulässig gewesen ist. Zu Recht hat die Revision hiergegen Bedenken vorgetragen. Durch die erweiterten Möglichkeiten im Wiederaufnahmeverfahren waren die geringen rechtsstaatlichen Garantien des militärischen Strafverfahrens für den Angeklagten beseitigt worden. Das gerichtliche Verfahren hatte insoweit weitgehend seinen Charakter als eine Tätigkeit der dritten Gewalt verloren und konnte als Möglichkeit der Disziplinargewalt, also als ein Werkzeug der zweiten Gewalt, mißbraucht werden. Es ist - auch unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse im Kriege - mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar, ordentliche Rechtsmittel zu beseitigen, um gleichzeitig durch eine erweiterte Wiederaufnahme ohne Beachtung von Fristen eine schrankenlose Wiederaufrollung eines rechtskräftig abgeschlossenen Prozesses mit dem Ziel einer Strafverschärfung einzuführen. Dieser Widerspruch der KStVO in sich selbst kann das auf Grund des § 91 aaO durchgeführte Wiederaufnahmeverfahren im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des LSG nicht mehr als rechtmäßig erscheinen lassen.
Darüber hinaus muß die Wiederaufnahme auch als ein Unrecht im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG angesehen werden. Denn der Ehemann der Klägerin ist als Soldat - wenn auch durch eine strafbare Handlung - in die Gefahrenlage gekommen, einem nicht rechtmäßigen Verfahren unterworfen zu werden. Die Offensichtlichkeit des Unrechts ergibt sich vor allem daraus, daß eine zeitliche Zuchthausstrafe, auf die rechtskräftig erkannt worden war, in die Todesstrafe umgewandelt worden ist. Legt schon die Änderung des Strafmaßes die Annahme eines offensichtlichen Unrechts nahe, so wird dies bestätigt und erhärtet durch das nicht rechtsstaatliche Verfahren, in welchem das zweite Urteil ergangen ist.
Bei dieser Rechtslage brauchte der Senat auf die Verfahrensrüge der Revision, das LSG habe es zu Unrecht unterlassen, das Urteil aus dem Februar 1944 anzufordern, ebensowenig einzugehen wie darauf, daß auf Fahnenflucht vor dem Feinde an sich als mögliches Strafmaß auch die Todesstrafe in Betracht gekommen ist, wie das LSG festgestellt und das BSG in verschiedenen Entscheidungen ausgesprochen hat.
Da demgemäß die Revision begründet und andererseits das Urteil des SG im Ergebnis zutreffend war, mußte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Beklagten gegen die Entscheidung des SG - wie geschehen - zurückgewiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen