Leitsatz (redaktionell)
Die Verwaltung ist im Rahmen einer Neufeststellung gemäß BVG § 62 Abs 1 an den im früheren Verfahren im ärztlichen Gutachten festgestellten Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (hier: 20 %) nicht gebunden, wenn in jedem Verfahren ein bestimmter Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit bescheidmäßig nicht anerkannt worden war.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Oktober 1966 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Auf den Versorgungsantrag des Klägers vom August 1959 stellte das Versorgungsamt W mit Bescheid vom 21. Mai 1960 als Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung fest: "Narbe an der linken Kniescheibe und Granatsplitter im linken Kniegelenk mit Binnenschädigung." Das Versorgungsamt versagte eine Rentenleistung, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) 25 v.H. nicht erreiche. Auf den Verschlimmerungsantrag des Klägers vom Februar 1963 ergänzte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 25. Juli 1963 die Leidensbezeichnung mit dem Zusatz: "Geringfügige Knorpelknochenveränderung des linken Kniegelenks", verneinte aber im übrigen eine wesentliche Änderung gegenüber der Röntgenuntersuchung im Jahre 1960. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes Nordrhein vom 15. April 1964). Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf mit Urteil vom 22. Juli 1965 den Beklagten verurteilt, dem Kläger wegen der anerkannten Schädigungsfolgen Rente nach einer MdE um 30 v.H. vom 1. Februar 1963 an zu gewähren. Die ärztlichen Gutachten hätten 1960 nur einen Meniskusschaden, also Knorpelveränderungen, nicht aber Knochenveränderungen festgestellt. Die 1963 festgestellten Knochenveränderungen hätten Krankheitswert. Sie stellten eine wesentliche Änderung der Verhältnisse dar und erhöhten die MdE auf wenigstens 25 v.H.. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 13. Oktober 1966 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zwar sei seit Februar 1963 in den medizinischen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten. Die 1963 beginnende Arthrosis deformans betrage auch wenigstens 10 v.H., aber die Gesamt-MdE überschreite nicht 20 v.H.. Die in dem Gutachten des Sachverständigen, Facharzt für Orthopädie Dr. S vom 13. Mai 1960 ausgesprochene Bewertung der MdE mit 20 v.H. sei nicht Gegenstand des Bescheides vom 21. Mai 1960 geworden und habe deshalb keine materielle Bindungswirkung.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger dem Sinne nach eine Verletzung des § 62 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Der Bescheid der Versorgungsverwaltung werde durch die wesentlichen tragenden Gründe bestimmt. Die Feststellung der Schädigungsfolgen begründe gleichzeitig die Feststellung einer MdE um 20 v.H., weil die Beurteilung der MdE von den festgestellten Schädigungsfolgen abhängig sei. Bei der Neufeststellung dürfe das unverändert gebliebene Leiden nicht niedriger bewertet werden. Das sei hier geschehen und dadurch habe das LSG das Gesetz verletzt. Das LSG hätte von der ursprünglich festgesetzten Schädigungsfolge und von der dieser Schädigungsfolge entsprechenden MdE um 20 v.H. ausgehen müssen. Zusammen mit der neu eingetretenen Schädigungsfolge, die eine MdE um 10 v.H. bedinge, hätte die neu festzustellende MdE wenigstens 25 v.H. betragen. Der Beklagte hätte schon die MdE um 20 v.H. in den Verfügungssatz des Bescheides vom 20. Mai 1960 aufnehmen müssen. Diese Unterlassung habe zu dem nachträglichen Beurteilungsfehler geführt und dem Erfordernis der Bestimmtheit des Bescheides nicht Rechnung getragen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Es liege zwar ein veränderter Gesundheitszustand vor, weil eine geringfügige Arthrosis deformans zu dem bisher festgestellten Versorgungsleiden hinzugekommen sei; die gesamten Schädigungsfolgen erreichten aber nicht eine MdE um 25 v.H.. Die vor dem Bescheid vom 21. Mai 1960 vom Gutachter angenommene MdE um 20 v.H. sei für den Beklagten nicht bindend geworden. Rechtskraft und Bindung umfaßten nur den entscheidenden Teil des Versorgungsakts, nicht aber die Begründung des Verfügungssatzes (Urteil vom 3. November 1961 - 8 RV 1337/59).
Die Revision des Klägers ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 2 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist jedoch nicht begründet.
Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 BVG idF des 2. Neuordnungsgesetzes (NOG) vom 21. Februar 1964 (BGBl 1 S. 85), der für den Bescheid vom 25. Juli 1963 idF des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1964 die rechtliche Grundlage bildet, ist der Anspruch entsprechend neu festzustellen, wenn in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Versorgung (§ 9 BVG) maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Demgemäß hat die Verwaltung auf den Verschlimmerungsantrag des Klägers das Versorgungsleiden neu festgestellt, indem es die Leidensbezeichnung auf "geringe Knorpelknochenveränderungen des linken Kniegelenks" ausgedehnt hat. Streitig ist, ob dadurch ein MdE-Grad von wenigstens 25 v.H., also eine MdE um 30 v.H., erreicht wird. Ein solcher Grad der MdE kann aus tatsächlichen oder aus formalrechtlichen Gründen erreicht werden.
Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung vom 17. August 1967 - 8 RV 113/67 - (BSG 27, 126 - 128) ausgesprochen, daß sich die für die Feststellung des Versorgungsanspruchs maßgebenden Verhältnisse im Bezug auf die MdE schon dann wesentlich geändert haben, wenn sich nach den späteren Verhältnissen die Erwerbsfähigkeit um mindestens 10 v.H. gegenüber dem bisherigen Leidenszustand geändert hat. In diesen Fällen ist eine Neufeststellung vorzunehmen. Dieser Rechtsprechung hat sich aber das angefochtene Urteil nicht entzogen; denn die Verwaltung hat mit dem angefochtenen Bescheid eine Neufeststellung in der Leidensbezeichnung getroffen, welche die mit 10 v.H. bewertete Veränderung im Versorgungsleiden zum Ausdruck gebracht hat. Sie hat die beginnenden arthrotischen Knorpelknochenveränderungen anerkannt. Streitig ist lediglich, ob das weitere Begehren, nunmehr eine MdE im rentenberechtigenden Grad festzustellen, berechtigt ist. Da das LSG unangegriffen festgestellt hat, daß die Leidensverschlimmerung für sich allein eine MdE um 10 v.H. beträgt, kommt es darauf an, ob die Verwaltung durch ihre erste Feststellung (Bescheid vom 21. Mai 1960) in der Höhe des MdE-Grades gebunden ist. Hinsichtlich einer Versorgungsrente hat die Verwaltung in diesem Bescheid die Gewährung einer Rente mit der Begründung abgelehnt, daß die Erwerbsfähigkeit nicht um wenigstens um 25 v.H. gemindert ist. Diese vom LSG übernommene Feststellung greift die Revision damit an, daß sie dem Erfordernis der Bestimmtheit nicht entspreche. Diesen Angriff hat der Kläger zwar erst in dem nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (18. Januar 1967) eingegangenen Schriftsatz vom 23. Februar 1967 erhoben, aber er kann noch als Erläuterung der in der Revisionsbegründungsschrift vom 12. Januar 1967 enthaltenen Revisionsrügen gegen die Anwendung des § 62 BVG gelten. Die Rüge ist aber nicht begründet.
Wie der 9. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in BSG 7, 126 ausgesprochen hat, besteht in der Kriegsopferversorgung kein Anspruch auf Festsetzung eines ziffernmäßigen Grades der MdE, wenn die MdE weniger als 25 v.H. beträgt. Denn der Grad der MdE hat im wesentlichen nur die Bedeutung, die Höhe der Rente zu bemessen. Der Grad der MdE ist also nur ein von mehreren Tatbestandsmerkmalen, von denen die Rechtsfolge des Versorgungsanspruchs abhängig ist. Eine andere Bedeutung kommt ihm nicht zu (BSG 7, 128). Da auch ein einzelnes Merkmal, von dem später eine Rente abhängen kann, nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann (BSG 4, 184), hat das LSG mithin nicht dadurch gefehlt, daß es den Bescheid vom 21. Mai 1960, der keinen Grad der MdE festgestellt hat, zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat. Das Berufungsgericht konnte und mußte vielmehr davon ausgehen, daß im Verwaltungsverfahren bisher ein bestimmter Grad der MdE nicht festgestellt ist, weil der Vorschlag einer MdE um 20 v.H. in dem o.a. Gutachten des Dr. S nicht Inhalt des Bescheides geworden ist. Hat aber der Beklagte aus der ersten Untersuchung keine bestimmte MdE bescheidsmäßig übernommen, so ist er auch nicht bescheidsmäßig gebunden. Für einen rentenberechtigenden Grad des Versorgungsleidens kommt es mithin darauf an, ob die als Schädigungsfolge anerkannte Gesundheitsstörung insgesamt eine MdE um 25 v.H. erreicht. Hierzu aber hat das LSG, gestützt auf das Gutachten der Sachverständigen, Privatdozent Dr. E vom 21. Januar 1964 und des Privatdozenten Oberarzt Dr. H vom 22. April 1966 (Orthopädische Universitätsklinik D), festgestellt, daß die Gesamt-MdE gegenwärtig lediglich 20 v.H. beträgt. Damit entfällt ein Rentenanspruch des Klägers.
Dieser Rechtsfolge stehen auch nicht die Entscheidungen des BSG in Band 19, 15 und des erkennenden Senats in BSG 19, 77 entgegen, weil die Versorgungsverwaltung in beiden Fällen eine bestimmte, rentenberechtigende MdE bescheidsmäßig anerkannt hatte. Eine derartige Feststellung fehlt aber im vorliegenden Falle, so daß das LSG frei von Rechtsirrtum den Anspruch auf Versorgungsrente davon abhängig machen mußte, ob der Grad der MdE seit Beginn des Monats, in dem der Verschlimmerungsantrag gestellt worden ist, also seit Februar 1963, 25 v.H. erreicht. Da dies nicht der Fall ist, konnte das LSG die Klage als unbegründet abweisen. Demgemäß war die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen