Entscheidungsstichwort (Thema)

orthopädische Versorgung. gesetzliches Auftragsverhältnis. zuständiger Leistungsträger. Erstattung irrtümlich gemachter Leistungen

 

Orientierungssatz

1. Hat die Krankenkasse für eine bei ihr versicherte versorgungsberechtigte Person orthopädische Hilfsmittel beschafft, obwohl sie hierfür nicht zuständig war (§ 18 Abs 1 S 2 BVG), kann sie die Erstattung der dafür irrtümlich gemachten Aufwendungen von der Versorgungsverwaltung verlangen.

2. Die - ohne Rückwirkung für ältere Fälle - seit dem 1.1.1989 geltende Regelung des § 19 Abs 4 Halbs 1 BVG hatte in der davor liegenden Zeit ihre Entsprechung in § 105 SGB 10.

3. Vom 1.1.1989 an nach § 19 Abs 4 BVG zu erstattende Aufwendungen, sind nach § 105 SGB X zu erstatten, wenn sie vor dem 1.1.1989 entstanden sind und der Anspruch auf Erstattung nicht nach § 111 SGB X ausgeschlossen ist.

4. Auch im Verhältnis der Krankenversicherung zu den Trägern der Kriegsopferversorgung gelten die Regelungen über Erstattungsansprüche nach § 102 SGB 10. Die Einführung des allgemeinen Erstattungsanspruchs mit den §§ 102 ff SGB 10 nach den Grundsätzen ungerechtfertigter Bereicherung hat den früheren Rechtszustand beendet, den die Rechtsprechung so verstanden hatte, daß über spezielle Regelungen wie die der §§ 19 und 20 BVG hinaus den Krankenkassen kein allgemeiner Erstattungsanspruch gegen die Träger der Kriegsopferversorgung zustand.

 

Normenkette

BVG § 18c Abs. 1 S. 2, § 19 Abs. 4; RVO § 184b; SGB 10 § 105 Abs. 1; BVG § 19 Abs. 4 Hs. 1; SGB 10 §§ 111, 102; BVG § 20

 

Verfahrensgang

SG Reutlingen (Entscheidung vom 13.04.1988; Aktenzeichen S 8 V 1655/86)

 

Tatbestand

Die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) verlangt vom beklagten Versorgungsträger die Erstattung von 1.462,80 DM, die sie 1985 irrtümlich anstelle der Orthopädischen Versorgungsstelle für zwei bei ihr krankenversicherte und zugleich versorgungsberechtigte Personen aufgewendet hat. Der einen hat sie einen Schuhausgleich für 47,65 DM, der anderen ein Hörgerät für 1.415,15 DM wegen anerkannter Schädigungsfolgen gewährt. Das Sozialgericht (SG) hat die auf die Erstattung gerichtete Leistungsklage abgewiesen (Urteil vom 13. April 1988). Es hält den Anspruch deshalb nicht für begründet, weil die allein in Betracht kommende Vorschrift des § 19 Bundesversorgungsgesetz (BVG) eine Erstattung wie in diesen Fällen nicht vorsehe. Diese abschließende Regelung, die den Vorschriften der §§ 86 ff Sozialgesetzbuch Verwaltungsverfahren (SGB X) vorgehe, verpflichte die Versorgungsverwaltung nicht zum Ersatz von Aufwendungen für orthopädische Versorgung, die nach § 18c Abs 1 Satz 2 BVG allein die Verwaltung der Kriegsopferversorgung zu leisten habe. Der Anspruch könne auch nicht wegen ungerechtfertigter Bereicherung oder Geschäftsführung ohne Auftrag begründet sein; denn die Klägerin habe die vollen Leistungen nach dem Krankenversicherungsrecht zu erbringen gehabt.

Die Klägerin begründet ihre - vom SG zugelassene - Revision damit, daß die durch Schädigungsfolgen verursachten Aufwendungen nach Art 120 Grundgesetz (GG) ausschließlich von der Versorgungsverwaltung zu tragen seien. Bei sinnvoller Gesetzesauslegung seien die Auslagen für die orthopädische Versorgung, die nicht von den Sondervorschriften der §§ 19 und 20 BVG erfaßt würden, nach § 105 SGB X zu erstatten.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, den Betrag von 1.462,80 DM zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, die Ergänzung des § 19 BVG durch den Abs 4 im Gesundheitsreformgesetz (GRG), die den Anspruch dieses Falles betreffe, gelte nur für die nach dem Inkrafttreten des GRG - 1. Januar 1989 - entstandenen Aufwendungen. Übereinstimmend mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, dem Vertreter der Beigeladenen, hält der Beklagte für die vorhergehende Zeit nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) einen Anspruch für ausgeschlossen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Der Leistungsklage ist stattzugeben.

Entgegen der Rechtsansicht des Sozialgerichts hat das beklagte Land der klagenden AOK ihre Aufwendungen für orthopädische Leistungen in der Gesamthöhe von 1.462,80 DM zu erstatten.

Nach der seit dem 1. Juli 1984 geltenden Vorschrift des § 105 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten - vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) -SGB X- hat ein zuständiger Leistungsträger einem unzuständigen, der Sozialleistungen erbracht hat, diese zu erstatten, soweit der zuständige nicht selbst vor Kenntnis der Leistung des anderen geleistet hat und soweit ein Leistungsträger nicht vorläufig aufgrund gesetzlicher Verpflichtung eingesprungen ist (§ 102 SGB X). Dies trifft für die orthopädischen Hilfsmittel - Schuhausgleich und Hörgerät - zu, die die Klägerin zwei ihrer Versicherten gewährt hat. Sie hätte zwar diese Leistungen grundsätzlich aus der Krankenversicherung nach § 184b Reichsversicherungsordnung (RVO - idF seit dem Rehabilitationsangleichungsgesetz vom 7. August 1974 - BGBl I 1881 - und des Gesetzes vom 22. Dezember 1981 - BGBl I 1578 -) erbringen müssen, war aber in diesen beiden Fällen ausnahmsweise nicht "zuständig" iS des § 105 Abs 1 SGB X, dh sie leistete ohne sachlich-rechtliche Verpflichtung (BSGE 63, 134, 138 = SozR 3100 § 18c Nr 19; BSG 25. April 1989 - 4/11a RK 4/87 -). Vielmehr war speziell zuständig für dieses orthopädische Hilfsmittel aus der Kriegsopferversorgung das Land als Versorgungsträger (§§ 1, 10 Abs 1, § 11 Abs 1 Satz 1 Nr 8, § 13 BVG idF der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 - BGBl I 21 -/20. Juni 1984 - BGBl I 761 -; § 1 Satz 1 Nr 12, § 2 Satz 1 Nr 9, § 6 der Verordnung zur Durchführung des § 11 Abs 3 und des § 13 BVG vom 23. August 1976 - BGBl I 2422 -) und kraft der Zuständigkeitsregelung des § 18c Abs 1 Satz 1 und 2 BVG die zuständige Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung, dh die Orthopädische Versorgungsstelle. Für diese Versorgungsleistung oblag die Durchführung nicht der Krankenkasse nach der allgemeinen Regelung des § 18c Abs 1 Satz 3 und Abs 2 BVG, so daß sie nicht den in § 19 BVG besonders geregelten Ausgleichsanspruch aus einem gesetzlichen Auftrag (§ 93 SGB X) hatte. Die besondere Leistungspflicht des Trägers der Kriegsopferversorgung aus diesem Entschädigungsbereich nach dem Verursachungsgrundsatz (§ 1 Abs 1 BVG) geht der allgemeinen Leistungspflicht der Klägerin aus dem Krankenversicherungsrecht vor (zum Verhältnis zur Rentenversicherung: BSGE 46, 286, 287 f = SozR 2200 § 1236 Nr 10). Diese soll nicht den Versorgungsträger, der für die Folgen der Einwirkungen iS des § 1 BVG einzustehen hat, entlasten.

Die Einführung des allgemeinen Erstattungsanspruches mit den §§ 102 ff SGB X nach den Grundsätzen ungerechtfertigter Bereicherung hat den früheren Rechtszustand beendet, den die Rechtsprechung so verstanden hatte, daß über spezielle Regelungen wie die der §§ 19 und 20 BVG hinaus den Krankenkassen kein allgemeiner Erstattungsanspruch gegen die Träger der Kriegsopferversorgung zustand (st Rspr des BSG, zB BSGE 49, 250, 251 f, 253 = SozR 3100 § 19 Nr 11; SozR 3100 § 19 Nr 12; aA BSG SozR Nr 5 zu § 14 BVG, überholt durch SozR 3100 § 19 Nr 12 S 38 f; BSG 5. Mai 1982 - 9a/9 RVg 5/81 - = USK 82139; RdSchr des BMA vom 18. März 1985, Schönleiter, Handbuch der Bundesversorgung, § 19 S 28). Was in der Zeit seit Juli 1984 nach dem allgemeinen Erstattungsrecht des § 105 SGB X galt, ist für Fälle wie den gegenwärtigen seit Januar 1989, aber ohne ausdrückliche Rückwirkung für ältere Fälle durch die Sondervorschrift des § 19 Abs 4 Halbs 1 BVG idF des Art 37 Nr 12 Buchst c GRG vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477, 2584 f) geregelt.

Die Höhe der Leistung, die sich nach dem Recht der Kriegsopferversorgung bemißt (§ 105 Abs 2 SGB X; vgl § 11 Abs 1 Satz 2 BVG), ist nicht umstritten.

Der Erstattungsanspruch ist nicht nach § 111 SGB X ausgeschlossen. Das gilt nach Satz 1 dieser Vorschrift, wenn ihn der Erstattungsberechtigte nicht spätestens 12 Monate nach Ablauf des Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht; nach Satz 2 beginnt die Frist frühestens mit dem Entstehen des Erstattungsanspruchs, dh mit den Aufwendungen der Krankenkasse. Nach den Verwaltungsakten, auf die das angefochtene Urteil Bezug nimmt, ist die Frist in beiden Fällen gewahrt gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658685

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