Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des BVG § 43 über die Witwerrente verstößt nicht gegen GG Art 3 Abs 2, die des BVG § 45 Abs 5 S 1 über die Waisenrente im Falle des Todes der Mutter an einer Schädigungsfolge nicht gegen GG Art 3 Abs 1.
Normenkette
BVG § 43 Fassung: 1950-12-20, § 45 Abs. 5 S. 1 Fassung: 1956-06-06; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Abs. 2 Fassung: 1949-05-23
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. September 1954 insoweit aufgehoben, als es der Berufung der Kläger gegen das Urteil des Oberversicherungsamts K vom 18. Dezember 1952 stattgegeben hat. Die Berufung wird auch insoweit als unbegründet zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Ehefrau des Klägers zu 1.) und Mutter der Kläger zu 2.) bezog bis zu ihrem Tode am 1. Januar 1951 wegen einer Lungentuberkulose nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) die Rente einer Erwerbsunfähigen und Pflegezulage. Der Kläger zu 1.) übte, obwohl er erwerbsfähig war, keine Erwerbstätigkeit aus; er versorgte vielmehr anstelle seiner kranken Ehefrau den Haushalt. Der Lebensbedarf der Familie wurde mit den Versorgungsbezügen der Beschädigten und einer Fürsorgeunterstützung bestritten.
Das Versorgungsamt (VersorgA.) H lehnte den Antrag vom 26. Januar 1951 auf Bewilligung von Witwer- und Waisenrente mit Bescheid vom 11. Februar 1952 ab, weil die Voraussetzungen des § 43 BVG nicht erfüllt seien. Das Oberversicherungsamt (OVA.) K wies die Berufung gegen diesen Bescheid aus denselben Gründen zurück.
Das Landessozialgericht (LSG.) Baden-Württemberg hat durch Urteil vom 22. September 1954 den Beklagten dem Grunde nach verurteilt, den Klägern vom 1. April 1953 ab Hinterbliebenenrente zu zahlen, und im übrigen die Berufung zurückgewiesen. Es hat ferner die Zahlung einer monatlichen vorläufigen Leistung von 40,- DM für den Kläger zu 1.) und von je 10,- DM für die Kläger zu 2.) angeordnet und die Revision zugelassen. Es hält den § 43 BVG für verfassungswidrig. Die ungleiche Regelung für die Witwen- und Witwerrente widerspreche dem Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG). Sie lasse sich nicht dadurch rechtfertigen, daß Mann und Frau in der Ehe verschiedene Aufgabenkreise hätten. Zwar sei die Frau auch heute noch in der Regel in der Hauswirtschaft tätig, während der Mann im Erwerbsleben stehe. Das Einkommen der Frau sei aber vielfach neben oder anstelle des Einkommens des Mannes für den Unterhalt entscheidend; denn die Frau sei in den sozial schwächeren Bevölkerungsschichten seit langer Zeit gezwungen, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Der Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG sei dadurch verletzt, daß bei der Witwerrente im Gegensatz zum Rentenanspruch der Witwe gefordert werde, daß der Witwer bedürftig und wegen seiner Erwerbsunfähigkeit von seiner Ehefrau überwiegend aus deren Arbeitsverdienst unterhalten worden sei. Das LSG. könne die Verfassungswidrigkeit des § 43 BVG selbst feststellen, weil Art. 117 Abs. 1 GG gegenüber Art. 100 GG eine Sondervorschrift sei. Der Gesetzgeber habe bis 31. März 1953 die Voraussetzungen für die Witwen- und Witwerrente unterschiedlich regeln können, weil Art. 117 Abs. 1 GG eine unmittelbare Anwendung des Art. 3 Abs. 2 GG bis zu diesem Zeitpunkt ausgeschaltet habe. Die vor dem 1. April 1953 ergangene Entscheidung des OVA. sei somit "für die damalige Rechtslage zutreffend". Vom 1. April 1953 ab stehe den Klägern die Grundrente zu. Über die Höhe der Ausgleichsrente habe der Beklagte zu entscheiden.
Der Beklagte rügt mit der Revision die Verletzung der Art. 3 Abs. 2, 100, 117 GG und der §§ 38 Abs. 1, 39, 40, 41, 43, 45 Abs. 5 BVG. Das LSG. habe die Verfassungsmäßigkeit des § 43 BVG nicht in eigener Zuständigkeit verneinen können. Auf Art. 117 GG könne es sich nicht berufen; denn diese Vorschrift betreffe nur solches Recht, das im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Grundgesetzes bereits gegolten habe. § 43 BVG sei nicht verfassungswidrig. Art. 3 GG gebiete, daß nur diejenigen tatsächlichen Ungleichheiten im Recht unterschiedlich behandelt würden, denen aus Erwägungen der Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit eine unterschiedliche Bedeutung zukomme. Die unterschiedliche Regelung der Anspruchsvoraussetzungen für die Witwen- und Witwerrente beruhten auf den soziologischen und funktionalen Unterschieden der Geschlechter. Die Witwenrente werde ohne die Erfüllung besonderer Voraussetzungen gewährt, weil die Frau nach dem Tod des Mannes in der Regel nur mit Hilfe des Staates ihre Aufgaben - Aufrechterhaltung der Familie, Erziehung der Kinder - erfüllen könne. Durch den Tod der Frau werde dagegen die soziologische Struktur der Familie nicht entscheidend verändert, weil der erwerbsfähige Witwer auch nach dem Tode der Frau den Lebensunterhalt der Familie verdiene. Erst wenn er dazu wegen seiner Erwerbsunfähigkeit nicht in der Lage sei, müsse der Staat den Verlust der Frau (als Ernährer) durch die Witwerrente ausgleichen. § 43 BVG widerspräche auch dann nicht Art. 3 Abs. 2 GG, wenn - wie das LSG. zu Unrecht meine - die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Witwer- und Witwenrente auf der vor dem 1. April 1953 geltenden bürgerlich-rechtlichen Regelung der Unterhaltspflicht der Ehegatten (§§ 1360 ff. BGB) beruhten. Zwar seien die Ehegatten jetzt einander in gleichem Maße zur Unterhaltsleistung verpflichtet. Die Frau trage ihren Teil aber in der Regel nach wie vor durch ihre Tätigkeit im Haushalt bei, während der Mann erwerbstätig sei. Ob die Bewilligung der Witwerrente noch von der Bedürftigkeit abhängig zu machen sei, wolle sie - die Revision - offen lassen. Da der Kläger zu 1.) keinen Anspruch auf Witwerrente habe, könnten die Kläger zu 2.) nach § 45 Abs. 5 Satz 1 BVG keine Waisenrente beanspruchen. Auch diese Vorschrift verstoße nicht gegen den Art. 3 Abs. 2 GG.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG. Baden-Württemberg vom 22. September 1954 insoweit aufzuheben, als es der Berufung der Kläger gegen das Urteil des OVA. K vom 18. Dezember 1952 stattgegeben hat, und die Berufung insoweit als unbegründet zurückzuweisen;
hilfsweise: unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache an das LSG. zurückzuverweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen;
hilfsweise: das Verfahren auszusetzen und die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.
Die Kläger meinen, daß das LSG. Art. 100 GG nicht verletzt habe; es habe vielmehr die für seine Entscheidung erheblichen Vorschriften des BVG in eigener Zuständigkeit dem Art. 3 Abs. 2 GG anpassen müssen. Wenn eine Frau an den Folgen einer Schädigung sterbe, dann müsse der Witwer die Rente unter denselben Voraussetzungen erhalten wie die Witwe nach dem Tode ihres Mannes. Da der Unterhalt von Mann und Frau nunmehr wechselseitig gleichwertig sei, müßten auch die auf den Unterhaltsansprüchen der Ehegatten aufbauenden Hinterbliebenenrenten des BVG von gleichwertigen Voraussetzungen ausgehen. Auch § 45 Abs. 5 Satz 1 BVG verstoße gegen Art. 3 Abs. 2 GG. Das Berufungsgericht habe daher den Klägern mit Recht Rente zuerkannt.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG). Sie ist daher zulässig.
Die Revision ist auch begründet, weil das angefochtene Urteil auf der Verletzung formellen und materiellen Rechts beruht. Das Berufungsgericht hat zunächst gegen Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG verstoßen. Nach dieser Vorschrift hat ein Gericht, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei seiner Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält, das Verfahren auszusetzen und bei Verletzung des Grundgesetzes die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG.) einzuholen. Die Ansicht des LSG., daß es die von ihm angenommene Verfassungswidrigkeit des § 43 BVG in eigener Zuständigkeit feststellen könne, beruht auf einem Rechtsirrtum. Art. 100 GG schließt es aus, daß Gerichte sich über den Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen und auf Grund eigener Entscheidung einem Gesetz wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit die Anwendung versagen können (BVerfG. 1 S. 184 (197) = NJW. 1952 S. 497; 2 S. 124 (129) = NJW. 1953 S. 497). Für alle nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes (23.5.1949) erlassenen Gesetze ist die ausschließliche Verwerfungskompetenz des BVerfG. nach Art. 100 Abs. 1 GG gegeben. Die Gerichte haben im Falle der Verneinung der Verfassungsmäßigkeit nur ein Vorprüfungsrecht (BVerfG. 4 S. 331 (340); 2 S. 124 (132)). Sie können daher - soweit es sich um nachkonstitutionelles Recht handelt - nur die Vereinbarkeit der für ihre Entscheidung in Betracht kommenden Rechtsvorschriften mit dem Grundgesetz in eigener Zuständigkeit bejahen. Dagegen müssen sie die Entscheidung des BVerfG. einholen, wenn sie ein für ihre Entscheidung erhebliches Gesetz für grundgesetzwidrig halten. Der Ansicht des Berufungsgerichts, daß Art. 117 Abs. 1 GG das von ihm eingeschlagene Verfahren rechtfertige, kann nicht gefolgt werden. Art. 117 Abs. 1 GG, wonach das dem Art. 3 Abs. 2 GG entgegenstehende Recht bis zu seiner Anpassung an diese Bestimmung des Grundgesetzes, jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953 in Kraft bleibt, ist keine Sondervorschrift gegenüber Art. 100 GG. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine Übergangsvorschrift, nicht nur der Stellung im Grundgesetz nach - Art. 117 Abs. 1 GG steht unter dem Abschnitt XI. "Übergangs- und Schlußbestimmungen" -, sondern auch seinem Inhalt nach (vgl. BVerfG. 3 S. 225 (229); BGHZ. 11 Anh. S. 34 (47)). Ohne diese Vorschrift wäre das gesamte, dem Art. 3 Abs. 2 GG entgegenstehende Recht mit dem Tage des Inkrafttretens des Grundgesetzes außer Kraft getreten. Deswegen ist die Weitergeltung dieses Rechts bis zu seiner Anpassung (längstens jedoch bis zum 31.3.1953) durch diese Übergangsvorschrift ausgesprochen worden. Durch Art. 117 Abs. 1 GG wurde aber der Gesetzgeber nicht davon befreit, bei allen etwaigen Neuregelungen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 und die besonderen persönlichen Gleichheitssätze der Absätze 2 und 3 bei der Rechtsetzung zu beachten. Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Gesetzgeber bei der Schaffung des BVG, das mit Wirkung vom 1.10.1950 in Kraft getreten ist, also nachkonstitutionelles Recht darstellt, zunächst an den Gleichberechtigungsgrundsatz nicht gebunden, sondern nur verpflichtet gewesen sei, die Vorschriften des BVG bis zum 31.3.1953 dem Gleichberechtigungsgrundsatz anzupassen, ist nicht zutreffend. Denn der Gesetzgeber war nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes im Hinblick auf Art. 1 Abs. 3 GG ("die nachstehenden Grundrechte binden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht") nach allgemeiner Ansicht sowohl an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG als auch an die besonderen Gleichheitssätze der Absätze 2 und 3 gebunden (vgl. z. B. BVerfG. 2 S. 237 (258); 4 S. 331 (341); BGHZ. 11 Anh. S. 34 (47); Wernicke, im Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand 2.11.1956, II 1 b und 2 b zu Art. 3; von Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., 1. Lieferung, Anm. II 6 und III 4 e zu Art. 3; Giese, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Anm. II 5 zu Art. 1; Leibholz, DVBl. 1951 S. 193 (194); Ipsen, in: Neumann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, S. 111 f. (146); ebenda Beitzke, S. 199 ff (208). Dieselbe Ansicht vertritt entgegen der Meinung des LSG. auch Holtkotten im Bonner Kommentar zum Grundgesetz (vgl. Holtkotten a. a. O. II A 1 a und 2 aa zu Art. 117 GG). Hiernach konnte das LSG. nicht in eigener Zuständigkeit feststellen, daß § 43 BVG verfassungswidrig sei. Die Unterlassung der Vorlage an das BVerfG. ist ein wesentlicher Verfahrensmangel. Da das angefochtene Urteil auf diesem Verstoß gegen Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG beruht, ist die Revision des Beklagten schon aus diesem Grund erfolgreich (§ 162 Abs. 2 SGG).
Der Senat hat bei seiner Prüfung die Verfassungsmäßigkeit der in Frage kommenden Vorschriften des BVG bejaht. Zunächst bedeutet § 43 BVG keine ungerechtfertigte Benachteiligung des männlichen Geschlechts und widerspricht nicht der in Art. 3 Abs. 2 GG festgelegten Gleichberechtigung von Mann und Frau. Der Senat ist davon ausgegangen, daß der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG den Gesetzgeber in dem Sinne bindet, daß er weder Gleiches ohne sachgerechten Grund ungleich noch wesentlich Ungleiches gleich behandeln darf. Demgegenüber schränkt der Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG die Ermessensfreiheit des Gesetzgebers für eine unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau ein und gebietet, daß der naturgegebene Unterschied der Geschlechter grundsätzlich keine unterschiedliche rechtliche Behandlung von Mann und Frau gestattet. Dennoch "erfordert der Gleichberechtigungsgrundsatz keine schematische Gleichbehandlung der Geschlechter. Vielmehr hat das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 GG ebenso wie das des Art. 3 Abs. 3 GG nur die Bedeutung, daß die aufgeführten sachlichen Verschiedenheiten keine rechtliche Bedeutung, nicht aber, daß sie keine gesellschaftliche, soziologische, physiologische oder sonstige Wirkung haben dürfen. Differenzierungen, die auf Unterschiedlichkeiten der Lebensverhältnisse beruhen, bleiben von dem Differenzierungsverbot unberührt. Insbesondere ist im Hinblick auf die objektiven biologischen oder funktionalen (in der Arbeitsteilung begründeten) Unterschiede von Mann und Frau nach der Natur des jeweiligen Lebensverhältnisses auch eine besondere Regelung erlaubt oder sogar notwendig" (BVerfG. 5 S. 9 (12); 3 S. 225 (241, 242); BAG. 1 S. 51 (54); Beitzke a. a. O., S. 208, 228). Das Grundgesetz behandelt den Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG als einen Unterfall der Gleichheit aller vor dem Gesetz (BVerfG. 3 S. 225 (239, 240); BAG. 1 S. 51; von Mangoldt-Klein a. a. O., Anm. IV 3 zu Art. 3 GG). Daher müssen für seine Auslegung die Grundsätze herangezogen werden, die für den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG entwickelt worden sind (BGHZ. 11 Anh. S. 34 ff. (36, 58); BAG. a. a. O.; von Mangoldt-Klein, a. a. O., Anm. IV 6 zu Art. 3 GG; Beitzke a. a. O., S. 207).
Ebenso wie der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Satz 1 GG nicht dazu benutzt werden darf, den weiten Ermessensspielraum einzuengen, den das Grundgesetz dem Gesetzgeber einräumt, und auch nur die Überschreitung oder der Mißbrauch des gesetzgeberischen Ermessens gegen den Gleichheitssatz verstoßen (BVerfG. 4 S. 7 (18), S. 144 (155) und S. 219 (243, 244); 3 S. 58 (135), 288 (337); BSG. 2 S. 201 (217 f.); BVerwG. 2 S. 151 (153, 154); 3 S. 254 (257, 258)), darf der Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG (als Unterfall des allgemeinen Gleichheitssatzes) nicht dazu verleiten, dem Gesetzgeber schon dann einen Mißbrauch seines Ermessens vorzuwerfen, wenn er tatsächliche Verschiedenheiten, die in den Lebensverhältnissen von Mann und Frau ihren Grund haben, unter Zugrundelegung einer am Gerechtigkeitsgedanken ausgerichteten Betrachtungsweise bei der Gesetzgebung berücksichtigt.
Nach §§ 38 Abs. 1 Satz 1, 39 Satz 1 BVG hat die Witwe eines an den Folgen einer Schädigung gestorbenen Beschädigten stets einen Anspruch auf eine Witwengrundrente. Bei Erfüllung der in § 41 BVG festgelegten Voraussetzungen erhält sie auch eine Ausgleichsrente (§ 39 Satz 2 BVG). Der Witwer dagegen hat nach § 43 BVG nur für die Dauer der Bedürftigkeit Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn die an den Folgen einer Schädigung gestorbene Ehefrau seinen Lebensunterhalt wegen seiner Erwerbsunfähigkeit überwiegend aus ihrem Arbeitsverdienst bestritten hat. Eine solche Witwerrente wurde in der Reichsversorgung erstmals durch § 7 des Personenschädengesetzes vom 15. Juli 1922 (RGBl. I S. 620) eingeführt, und zwar "aus Gründen der Billigkeit im Hinblick auf § 592 RVO, da der Militärdienst in der Regel von Männern geleistet wird". Die Voraussetzungen für die Witwerrente wurden damals "mit Rücksicht auf die für den Mann als solchen gegebenen besseren Erwerbsmöglichkeiten gegenüber den Voraussetzungen für die Witwenrente verschärft" (vgl. Begründung zu § 7 des Personenschädengesetzes, abgedruckt bei Nilson, Reichsversorgungsrecht und Fürsorgewesen, Bd. III S. 254). Durch Art. I Nr. 45 des Gesetzes zur Abänderung des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) und anderer Versorgungsgesetze vom 22. Juni 1923 (RGBl. I S. 513) ist die Witwerrente dann in das RVG eingefügt worden (§ 97 RVG i. d. F. vom 30.6.1923 (RGBl. I S. 523)), und zwar hinsichtlich ihrer Voraussetzungen nahezu gleichlautend mit § 7 des Personenschädengesetzes. Das BVG hat diese Regelung in dem wörtlich fast übereinstimmenden § 43 übernommen. Nach der Überzeugung des Senats ist der Gesetzgeber bei der unterschiedlichen Regelung der Voraussetzungen für die Witwen- und Witwerrente im BVG davon ausgegangen, daß in der Regel der Ehemann der Haupternährer der Familie ist, indem er durch Erwerbstätigkeit die Geldmittel für den Unterhalt der Ehefrau und gegebenenfalls der Kinder verdient, während sich die Ehefrau der Führung des Haushalts widmet und die Kinder versorgt. Beim Tode des Ehemannes fallen diese seine Einkünfte weg. Zweck und Aufgabe der Hinterbliebenenrente für die Ehefrau ist, den durch den vorzeitigen Tod des Ernährers eingetretenen Unterhaltsausfall in gewissem Umfange auszugleichen (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf des BVG, Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949, Drucksache Nr. 1333 S. 59). Der Witwe soll eine von ihr während der Ehe nicht geleistete Erwerbstätigkeit nach dem Tode des Ehemannes nicht mehr zugemutet werden, zumal die Erwerbsfähigkeit bei Frauen früher nachläßt als bei Männern. Es wurde daher als gerechtfertigt angesehen, der Witwe eines an den Folgen einer Schädigung gestorbenen Ehemannes stets eine Rente als Ausgleich für den weggefallenen Unterhalt zu gewähren. Demgegenüber werden die Erwerbstätigkeit und damit der Arbeitsverdienst des Mannes durch den Tod der Frau regelmäßig nicht beeinflußt. Zwar wird der Tod der Ehefrau den Ehemann schwer treffen, er kann aber seiner Erwerbstätigkeit weiter nachgehen und seinen Lebensunterhalt selbst verdienen, ebenso wie er seiner Funktion entsprechend während der Ehe für den Lebensunterhalt gesorgt hat. Kann der Mann während der Ehe seine Funktion als Haupternährer der Familie nicht erfüllen, weil er wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen nicht in der Lage ist, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, und sorgt die Ehefrau durch ihre Berufstätigkeit für den Lebensunterhalt der Familie an Stelle des erwerbsunfähigen Mannes, so gerät durch den Tod der Frau der Frau der erwerbsunfähig hinterbliebene Witwer in eine schwere finanzielle Notlage, weil das Arbeitseinkommen der Frau weggefallen ist. Ist der Tod eine Schädigungsfolge, so sieht es der Staat in einem solchen Falle als seine Pflicht an, diese Notlage durch die Gewährung einer Witwerrente an den bedürftigen Witwer auszugleichen. Die sich aus der Stellung von Mann und Frau in der Ehe ergebende Ungleichheit ihrer auf biologischen Unterschieden beruhenden Funktionen rechtfertigt daher die unterschiedliche Regelung der Voraussetzungen für die Gewährung der Hinterbliebenenrente. Die Verteilung dieser Funktionen hat sich auch heute nicht geändert. Grundsätzlich ist der Mann in unserer Gesellschaftsordnung trotz der Zunahme der Erwerbstätigkeit der Frau der Haupternährer der Familie, während der Wirkungskreis der verheirateten Frau auch heute noch der Haushalt ist. Wenn die verheiratete Frau neben dem Ehemann einen Beruf ausübt, dann geschieht dies in den meisten Fällen nicht deshalb, weil der Mann allein nicht genügend Geldmittel für den Lebensunterhalt der Frau und der etwa vorhandenen Kinder beschaffen kann. Vielmehr üben verheiratete Frauen meistens deshalb einen Beruf aus, um die Lebenshaltung der Familie zu verbessern. Auch die Angleichung des Unterhaltsrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches an den Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG hat die Verteilung der Funktionen von Mann und Frau in der Ehe nicht geändert. Zwar trifft gemäß Art. 3 Abs. 2 GG seit dem 1. April 1953 die Ehefrau die gleiche Unterhaltspflicht wie den Mann. Sie erfüllt diese aber weiterhin durch ihre Tätigkeit in der Hauswirtschaft, die der Erwerbstätigkeit des Mannes als gleichwertig angesehen wird. Nur dann, wenn der Erwerb des Mannes nicht zu seinem und dem Unterhalt der Familie ausreicht, ist die Frau, sofern ihr zumutbar zu eigener Erwerbstätigkeit verpflichtet (allgemeine Meinung; vgl. Palandt, bürgerliches Gesetzbuch, 15. Aufl., Vorbem. B und Anm. 5 zu § 1360; Ermann, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Anm. 7 zu § 1360, beide mit weiteren Hinweisen). Von der Ehefrau wird also Berufsarbeit regelmäßig auch heute nicht gefordert. Diese Auffassung ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn man funktionale Unterschiede überhaupt als beachtlich ansieht (Beitzke a. a. O., S. 228). Aus diesen Gründen kann dem Gesetzgeber kein Vorwurf gemacht werden, wenn er diese funktionalen Unterschiede berücksichtigt und die Gewährung der Witwen- und Witwerrente nach dem BVG an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft hat. § 43 BVG verstößt daher nicht gegen Art. 3 Abs. 2 GG.
Mit diesem Ergebnis setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu dem Urteil des 4. Senats des BSG. vom 7. März 1957 - 4 RJ 26/56, in dem ausgesprochen worden ist, daß § 1257 RVO in der bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Fassung insofern gegen Art. 3 Abs. 2 GG verstoße, als der Anspruch auf Witwerrente sowohl davon abhängig gemacht wird, daß der Ehemann vor dem Tode seiner Ehefrau erwerbsunfähig und bedürftig war, als auch davon, daß die verstorbene Ehefrau den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat. Die Vorschrift des § 1257 RVO a. F. enthält gegenüber § 43 BVG weitergehende Voraussetzungen für die Bewilligung der Witwerrente. Sie verlangt im Gegensatz zu § 43 BVG als Anspruchsvoraussetzungen Erwerbsunfähigkeit und Bedürftigkeit im Zeitpunkt des Todes der Ehefrau und ferner das überwiegende Bestreiten des Unterhalts für die Familie, während nach § 43 BVG die Bedürftigkeit des Ehemannes im Zeitpunkt des Todes der Ehefrau keine Voraussetzung für den Anspruch auf Witwerrente ist. Damit entfiel für den Senat die Notwendigkeit, die Sache nach § 42 SGG dem Großen Senat zur Entscheidung vorzulegen.
Aus diesen Gründen ist die Revision des Beklagten zunächst insoweit erfolgreich, als er die Verurteilung zur Zahlung der Witwerrente an den Kläger zu 1.) angefochten hat. Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden, weil die nicht angegriffenen und deshalb das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG. (§ 163 SGG) für eine Sachentscheidung ausreichen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Anspruch auf Witwerrente scheitert schon daran, daß der Kläger vor dem Tode seiner Ehefrau nicht erwerbsunfähig war. Es bestehen keine Bedenken, das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit in entsprechender Anwendung des § 41 Abs. 2 BVG dann anzunehmen, wenn der Ehemann durch Krankheit oder andere Gebrechen nicht nur vorübergehend wenigstens die Hälfte seiner Erwerbsfähigkeit verloren hatte (ebenso Nr. 2 Satz 2 der VerwV. zu § 43 BVG). Diese Voraussetzungen waren bei dem Kläger zu 1.) nicht erfüllt. Er war vielmehr nach den Feststellungen des Berufungsgerichts voll erwerbsfähig und übte nur deshalb keine Erwerbstätigkeit aus, weil er wegen der Krankheit seiner Ehefrau den Haushalt versorgte. Bei dieser Sachlage erübrigt sich eine Prüfung der Frage, ob der Umstand, daß die Verstorbene ihre Versorgungsrente für den Lebensunterhalt ihrer Familie zur Verfügung gestellt hat, einer "Bestreitung des Lebensunterhalts aus ihrem Arbeitsverdienst" gleichkommt. Es kann ferner dahingestellt bleiben, ob der Kläger bedürftig ist.
Auch die Kläger zu 2.) haben keinen Anspruch auf Rente nach dem BVG. Das LSG. hat zunächst mit Recht festgestellt, daß der Streit über die Waisenrenten in die Berufungsinstanz gelangt ist. Zwar ist das VersorgA. in seinem Bescheid vom 11. Februar 1952 auf den vom Kläger zu 1.) als dem gesetzlichen Vertreter der Kläger zu 2.) zugleich mit dem Antrag auf Witwerrente gestellten Antrag auf Waisenrente nicht ausdrücklich eingegangen. Der Bescheid des VersorgA. muß aber dahin ausgelegt werden, daß über diesen Anspruch entschieden ist. Denn vom Standpunkt des VersorgA. aus hatte die Ablehnung der Witwerrente zwingend auch die Ablehnung der Waisenrenten zur Folge, weil Waisen, deren Mutter an den Folgen einer Schädigung gestorben ist, nach § 45 Abs. 5 Satz 1 BVG nur dann Rente erhalten können, wenn der Vater nicht mehr lebt oder Witwerrente bezieht. Diese Voraussetzungen lagen bei den Klägern zu 2.) aber nicht vor. Die Bezugnahme des VersorgA. auf den Antrag auf Witwer- und Waisenrente ist im übrigen ein weiterer Anhaltspunkt dafür, daß durch den Bescheid vom 11. Februar 1952 auch der Antrag auf Gewährung der Waisenrenten abgelehnt worden ist. Die Vorinstanzen haben daher mit Recht über den Waisenrentenanspruch entschieden.
Das LSG. hat den Beklagten zur Zahlung der Waisenrenten verurteilt, weil es den Anspruch des Klägers zu 1.) auf Witwerrente für gerechtfertigt gehalten hat. Bei dieser Sachlage hatte das Berufungsgericht nicht darüber zu entscheiden, ob § 45 Abs. 5 Satz 1 BVG verfassungsgemäß ist oder ob er dem Grundgesetz widerspricht. Der Senat mußte diese Frage prüfen, weil er § 43 BVG nicht als verfassungswidrig angesehen hat. Die Kläger zu 2.) machen nun geltend, daß § 45 Abs. 5 Satz 1 BVG gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG verstoße. Die Revision bekämpft diese Ansicht, mißt aber § 45 Abs. 5 Satz 1 BVG ebenfalls am Gleichberechtigungsgrundsatz. Art. 3 Abs. 2 GG betrifft jedoch nur solche Vorschriften, durch die das weibliche Geschlecht gegenüber dem männlichen (oder umgekehrt) rechtlich benachteiligt wird. § 45 Abs. 5 Satz 1 BVG behandelt indessen den Waisenrentenanspruch von ehelichen Kindern, deren Mutter an den Folgen einer Schädigung gestorben ist, ohne Rücksicht auf das Geschlecht der Waisen, und knüpft ihn an andere Voraussetzungen als den Anspruch der ehelichen Kinder, deren Vater an den Folgen einer Schädigung gestorben ist. Letztere erhalten die Rente stets (§ 45 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 46 Halbsatz 1 BVG), erstere nur dann, wenn entweder der Vater nicht mehr lebt oder Witwerrente bezieht (§ 45 Abs. 5 Satz 1 BVG). Es handelt sich bei § 45 Abs. 5 Satz 1 BVG also nicht darum, ob ein Geschlecht gegenüber dem anderen benachteiligt wird, sondern um die Frage, ob die ehelichen Kinder nach dem Tode der Mutter gegenüber den ehelichen Kindern nach dem Tode des Vaters versorgungsrechtlich benachteiligt werden. Es kommt daher nur darauf an, ob die unterschiedlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Waisenrente im § 45 Abs. 5 Satz 1 BVG mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind. Dies trifft nach der Überzeugung des Senats zu. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, daß er weder Gleiches ungleich noch Ungleiches gleich behandelt. Eine hiernach unzulässige Behandlung ist aber nur dann anzunehmen, wenn ein sachgerechter Grund für eine solche Behandlung nicht vorliegt. Dabei genügt die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der Regelung in bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand (vgl. BVerfG. 4 S. 144 (155) und S. 219 (243) und die darin angeführten Entscheidungen; BSG. 2 S. 201 (217 ff.); BVerwG. 2 S. 151 (153, 154); 3 S. 254 (257, 258)). Der Gesetzgeber hat im § 45 Abs. 1 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1 BVG verschiedenartige Tatbestände verschieden geregelt, ohne die ihm durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gesetzten Grenzen zu überschreiten. Wenn der Vater eines ehelichen Kindes an den Folgen einer Schädigung stirbt, hat dieses in der Regel den Haupternährer verloren. Es wird zwar durch den Tod der Mutter ebenfalls hart betroffen, der Vater stellt durch seine Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt des Kindes aber ebenso sicher wie vor dem Tode der Mutter. Nur dann, wenn er für das Kind nicht sorgen kann, soll dieses eine Rente erhalten. Diese Verschiedenheit der Tatbestände läßt eine unterschiedliche Behandlung der Waisen im BVG, je nachdem, ob die Mutter oder der Vater an den Folgen einer Schädigung gestorben ist, als sachgemäß erscheinen. Der Richter hat nicht zu prüfen, ob diese Regelung zweckmäßig oder sozialpolitisch gut oder schlecht ist (Urteil des erkennenden Senats vom 26.10.1956 - 8 RV 469/56 - mit weiteren Hinweisen). § 45 Abs. 5 Satz 1 BVG verstößt somit nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Wenn sich aus dieser Regelung Härten ergeben, kann in besonders begründeten Fällen im Wege des Härteausgleichs (§ 89 BVG) geholfen werden.
Den Klägern zu 2.) steht keine Waisenrente zu, weil ihr Mater noch lebt und keine Witwerrente bezieht. Die Revision des Beklagen ist daher auch insoweit erfolgreich, als er sich gegen die Verurteilung zur Zahlung der Waisenrente wendet.
Aus diesen Gründen ist das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als es der Berufung der Kläger gegen das Urteil des OVA. Karlsruhe vom 18. Dezember 1952 stattgegeben hat, und die Berufung gegen dieses Urteil auch insoweit zurückzuweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen