Orientierungssatz
Kriegsopferversorgung - Pflegezulage - Anspruchsberechtigung.
Hilflos im Sinne von § 35 BVG ist derjenige Beschädigte, der für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden - nicht nur für einzelne - Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens ganz oder in erheblichem Umfange fremder Hilfe dauernd bedarf; dabei ist nicht erforderlich, daß die Hilfe tatsächlich fortwährend geleistet wird. Es genügt schon, daß die Hilfskraft ständig in Bereitschaft sein muß. Bei der Entscheidung über die Frage, ob Hilflosigkeit im Sinne von § 35 BVG vorliegt, kommt es nicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte, sondern allein auf den Leidenszustand des Beschädigten und die hierdurch bedingte persönliche Wartung und Pflege an, während die Stellung des Beschädigten in seiner Lebensführung im weiteren Sinne unberücksichtigt bleiben muß. Die Pflegezulage ist mithin auf den höchstpersönlichen Lebensbereich des Beschädigten abzustellen, wobei zB grundsätzlich unbeachtlich ist, ob er verheiratet ist oder nicht. Dabei wird die Pflegezulage nicht schon wegen "Hilfsbedürftigkeit" des Beschädigten, sondern nur wegen "Hilflosigkeit" gewährt. Ob ein Zustand der Hilflosigkeit besteht, ist keine rein medizinische Frage, sondern eine Tatfrage; sie muß in jedem Fall unabhängig von der medizinischen Auffassung geprüft und entschieden werden (vgl BSG 1956-08-24 10 RV 1065/55 = BSGE 3, 217; BSG 1960-02-23 10 RV 1371/58 = BSGE 12, 20).
Normenkette
BVG § 35 Abs. 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 17.03.1960) |
SG Detmold (Entscheidung vom 30.11.1959) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. März 1960 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der ... 1920 geborene Kläger, von Beruf kaufmännischer Angestellter und Inhaber eines Kioskes für den Verkauf von Tabakwaren mit Totoannahme, erhielt mit Umanerkennungsbescheid vom 17. März 1952 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. wegen Verlustes des rechten Oberschenkels im oberen Drittel, Hirnverletzung mit neurologischen und seelischen Störungen, pulsierender Knochenlücke in Scheitelhöhe und linksseitiger geschlossener Lungen-Tuberkulose. Gleichzeitig gewährte ihm das Versorgungsamt (VersorgA) die einfache Pflegezulage, die mit Bescheid vom 6. September 1952 vom 1. November 1952 an entzogen wurde. Einspruch und Klage (Berufung alten Rechts) hatten keinen Erfolg. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) am 29. Mai 1956 schlossen die Beteiligten zur Erledigung des Rechtsstreits folgenden Vergleich: "Der Beklagte verpflichtet sich, den Berufungsschriftsatz zum früheren Oberversicherungsamt (OVA) Detmold vom 16. September 1953 als neuen Antrag auf Gewährung von Pflegezulage anzusehen und nach erneuter Begutachtung und Untersuchung einen neuen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erteilen. Der Kläger und sein Bevollmächtigter sind damit einverstanden".
Nach ärztlicher Begutachtung des Klägers lehnte das VersorgA den Antrag vom 16. September 1953 mit Bescheid vom 20. Oktober 1956 ab. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1958). Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die Klage mit Urteil vom 30. November 1959 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das LSG hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 17. März 1960 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, daß nach dem Erlaß des Entziehungsbescheides vom 6. September 1952 bis zur Ablehnung des Antrages vom 16. September 1953 eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen gemäß § 62 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) im Hinblick auf die Hilflosigkeit nach den von der Versorgungsverwaltung eingeholten Gutachten nicht eingetreten sei. Da sich die Beweggründe für den Vergleich vom 29. Mai 1956 aus der Verhandlungsniederschrift nicht ganz eindeutig ergäben, sei der Senat bereit gewesen, zugunsten des Klägers zu unterstellen, daß der Beklagte ihm mit dem Vergleich ohne Bindung an § 62 BVG die Möglichkeit einer sachlichen Prüfung und Entscheidung des Neuantrages vom 16. September 1953 auf Wiedergewährung von Pflegezulage habe geben wollen. Aber auch insoweit sei die Berufung nicht begründet, da Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG nicht vorliege. Die Tatsache, daß sich der Kläger bei seiner beruflichen Arbeit zeitweise durch dritte Personen vertreten lassen müsse und der Umstand, daß er sich eines Motorfahrzeuges bedienen müsse, um ins Geschäft zu gelangen, schieden bei der Prüfung der Hilflosigkeit gemäß § 35 BVG als rechtlich unerheblich aus. In persönlicher Hinsicht sei der Kläger in der Lage, den größten Teil der Verrichtungen des täglichen Lebens selbst auszuführen, und zwar sowohl bei Betrachtung jeder Schädigungsfolgen für sich allein als auch bei Berücksichtigung des Zusammenwirkens aller anerkannten Gesundheitsstörungen. Da er im Gebrauch der Arme nicht behindert sei, sei er imstande, sich zu waschen, zu rasieren, den Körper zu reinigen, das Essen einzunehmen, die Toilette aufzusuchen und sich an- und auszuziehen. Einer gewissen Hilfe bedürfe er lediglich beim An- und Ablegen der Beinprothese, da er bei dieser Tätigkeit wegen des Bückens durch seine Oberschenkelamputation und auch durch seine mit Kopfschmerzen und Schwindelanfälle verbundene Hirnverletzung behindert sei. Dies allein genüge jedoch nicht zur Annahme von Hilflosigkeit. Der Auffassung des Klägers, daß Hilflosigkeit auch dann zu bejahen sei, wenn ein Beschädigter die Verrichtungen des täglichen Lebens zwar noch selbst ausführen könne, hierzu aber nur unter Aufbietung äußerster Energie und mit Zeitverlust in der Lage sei und ferner infolgedessen die Gefahr einer in Zukunft auftretenden Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes bestehe, habe das LSG nicht zu folgen vermocht. Schon der Wortlaut des § 35 BVG deute auf die Gegenwartsform hin. Ebenso wie bei der Bewertung des Grades der MdE der derzeitige und nicht der künftige Zustand von entscheidender Bedeutung sei, könne auch bei der Prüfung der Hilflosigkeit für die Gewährung der Pflegezulage die Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes bei übermäßiger Anstrengung anläßlich der Ausübung der Tätigkeiten im täglichen Leben nicht maßgebend sein. Im übrigen würden, soweit der Kläger auf eine Verschlechterung seines körperlichen Gesamtzustandes wegen Überanstrengung hinweise, seine Ausführungen durch das Ergebnis der ärztlichen Gutachten widerlegt. Eine entscheidende objektive Verschlimmerung sei keineswegs festzustellen. Seine Behauptungen widersprächen insoweit, wie auch Dr. F ausgeführt habe, den allgemeinen ärztlich-wissenschaftlichen Erfahrungen und dem beim Kläger selbst festgestellten Verlauf seiner Leiden.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat gegen dieses ihm am 4. Juni 1960 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 2. Juli 1960, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 4. Juli 1960, Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Er beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG Detmold vom 30. November 1959, ferner unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids des Landesversorgungsamtes Westfalen vom 27. Januar 1958 und des zugrunde liegenden Bescheides des VersorgA Bielefeld vom 20. Oktober 1956 den Beklagten zu verurteilen, ihm einen neuen Bescheid zu erteilen, mit dem Pflegezulage nach Stufe I ab 1. September 1953 gezahlt wird, hilfsweise, das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG in Essen zurückzuverweisen.
Der Kläger rügt eine Verletzung der §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und des § 35 BVG durch das Berufungsgericht. Er trägt hierzu im wesentlichen vor: Ein außergewöhnlicher Energieaufwand unter Verzicht auf fremde Wartung und Hilfe könne einem Schwerbeschädigten ebensowenig zugemutet werden wie eine weitere Gefährdung seines Gesundheitszustandes durch Überanstrengung bei den Verrichtungen des täglichen Lebens. Mit näherer Begründung, auf die im einzelnen verwiesen wird, ist der Kläger der Auffassung, daß die Voraussetzungen des § 35 BVG auch dann gegeben seien, wenn der Beschädigte fremder Wartung und Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens ständig nur unter außergewöhnlichem Energieaufwand entbehren könne oder Verzicht auf fremde ständige Hilfe die Weiterentwicklung seines Gesundheitszustandes zu gefährden geeignet sei oder wenn er auch ohne gesetzliche Entschädigungsansprüche bei den Verrichtungen des täglichen Lebens täglich Hilfe in Anspruch nehmen würde und sie auch tatsächlich in Anspruch nehme. Bei dieser Auslegung des § 35 BVG bedürfe er - der Kläger - zweifelsohne für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens in erheblichem Umfang dauernd fremder Hilfe. Das LSG habe bei der Feststellung, daß er beim Anziehen und Ablegen der Beinprothese fremder Hilfe bedürfe, übersehen, daß dies beim größten Teil der mit dem Anziehen verbundenen Tätigkeiten und auch beim Waschen erforderlich sei. Nicht berücksichtigt habe das LSG den Hinweis im Gutachten des Dr. von der W vom 26. September 1957, daß die Einschränkung der Atemfunktion und die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Herzens zu einer Situation führen müßten, in der er nicht in der Lage sei, ohne fremde Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens auszukommen. Dies sei auch durch die Zeugen W, L, ... und F nachgewiesen. Durch die Bescheinigung des Dr. B vom 26. Februar 1957 werde dies ebenfalls bestätigt. Er könne infolge seiner Hirnverletzung bei abgeschnallter Prothese weder auf dem verbliebenen Bein hüpfen noch auf Handstützen laufen und müsse deshalb zu Hause getragen werden. Es sei daher vom LSG fehlerhaft, aus der Entwicklung der Leiden zu schließen, daß die von ihm behauptete Gefahr der Verschlimmerung nicht vorliege. Vielmehr werde eine solche Gefahr nur durch die notwendige Pflege und Hilfe durch seine Ehefrau - gelegentlich auch durch andere Personen - verhütet. Der gesamte Fragenkomplex sei durch die vorhandenen Unterlagen nicht hinreichend von Amts wegen aufgeklärt, so daß das LSG den § 103 SGG verletzt habe. Im Tatbestand des angefochtenen Urteils sei auch das Gutachten von Dr. Sch sowie das zweite Gutachten von Dr. H und die Äußerung des Gesundheitsamtes Herford nicht erwähnt, sie seien daher nicht berücksichtigt.
Der Kläger trägt weiter vor, das LSG habe zutreffend festgestellt, daß der angefochtene Bescheid ohne Bindung an § 62 BVG ergehen sollte. Die Frage, ob seit dem 6. September 1952 eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei, sei daher an sich bedeutungslos. Jedoch sei auch diese Frage vom LSG nicht im Sinne des § 62 BVG entschieden worden. Es habe die Ausführungen des Dr. H vom 27. Oktober 1958 überhaupt nicht verwertet. Hinzu komme die bisher vom Beklagten nicht berücksichtigte Lungenverschwartung. Auch neurologisch hätten sich die subjektiven Beschwerden des Klägers erheblich verschlimmert. Vor allem im Hinblick auf die Frage der Nichtzumutbarkeit und der Gefährdung des Gesundheitszustandes durch die Gefahr weiterer Verschlechterungen müßten daher auch bei einer anderen Auslegung des Vergleichs vom 29. Mai 1956 die Voraussetzungen für eine Neufeststellung als gegeben angesehen werden, so daß mindestens unter diesem Gesichtspunkt § 62 BVG hätte Anwendung finden müssen. Im übrigen sei auch insoweit der Sachverhalt im Sinne des § 103 SGG nicht erschöpfend aufgeklärt. Im übrigen wird auf den Inhalt der Revisionsbegründung Bezug genommen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist form- und fristgerecht (§§ 164, 166 Abs. 2 SGG) eingelegt sowie rechtzeitig begründet worden und daher zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Angefochten ist der Bescheid vom 20. Oktober 1956 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1958, mit dem die Versorgungsbehörde den Neuantrag des Klägers vom 16. September 1953 auf Pflegezulage gemäß § 35 BVG abgelehnt hat. Das LSG ist davon ausgegangen, daß der Entziehungsbescheid vom 6. September 1952 bindend geworden ist, so daß die Wiedergewährung der Pflegezulage von einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die für die Entziehung der Pflegezulage maßgebend gewesen sind, abhängig ist (§ 62 BVG). Das LSG hat hierzu festgestellt, daß eine wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen, die dem Entziehungsbescheid vom 6. September 1952 zugrunde gelegen haben, nach den Gutachten von Dr. K und Dr. St nicht eingetreten ist. Die gegen diese Feststellung vom Kläger erhobenen Rügen einer Verletzung der §§ 103, 128 SGG durch das LSG gehen fehl. Nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG muß die Revisionsbegründung die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen und Beweismittel bezeichnen, die den Mangel ergeben. Weiterhin muß der Kläger, sofern er eine Verletzung des § 103 SGG rügt, darlegen, auf Grund welcher Umstände das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen, und in welcher Richtung Ermittlungen im einzelnen hätten vorgenommen werden müssen (BSG in SozR SGG § 103 Bl. Da 5 Nr. 14). Die Rüge einer Verletzung des § 128 SGG entspricht dann nicht den Formerfordernissen des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG, wenn der Kläger nicht angegeben hat, inwiefern im einzelnen das LSG die Grenzen seines Rechts zur freien Beweiswürdigung überschritten hat und zu welchem Ergebnis nach seiner Ansicht eine gesetzesmäßige Beweiswürdigung geführt haben würde (BSG in SozR SGG § 164 Bl. Da 10 Nr. 28).
Der Kläger trägt hierzu vor, das LSG habe das Gutachten des Dr. H vom 27. Oktober 1958 nicht berücksichtigt und auch die Ausführungen des Dr. von der W unbeachtet gelassen. Außerdem sei der Sachverhalt gemäß § 103 SGG im Hinblick auf die von dem Kläger vorgelegten ärztlichen Gutachten nicht erschöpfend aufgeklärt. Soweit der Kläger eine Verletzung des § 103 SGG durch das LSG rügt, greift diese Rüge schon mangels Substantiierung nicht durch, denn der Kläger hat nicht entsprechend § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG die Tatsachen und Beweismittel im einzelnen angegeben, die das LSG zu einer weiteren Sachaufklärung hätten veranlassen müssen. Jedenfalls genügt der Vortrag, das LSG habe im Hinblick auf die von ihm vorgelegten Gutachten den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, nicht, um substantiiert eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch das LSG darzutun. Offensichtlich meint der Kläger mit seinem weiteren Vorbringen, das LSG habe gegen § 128 SGG verstoßen. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil hat es die Gründe anzugeben, die für seine Überzeugung leitend gewesen sind. Eine Verletzung des Rechts der freien Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts überschritten, insbesondere gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat (BSG 2, 236). Das LSG hat jedoch diese Grundsätze nicht verletzt.
Soweit sich der Kläger auf das Gutachten des Dr. H. vom 27. Oktober 1958 beruft, hat das LSG dieses Gutachten in der Urteilsbegründung allerdings nicht ausdrücklich erwähnt. Jedoch bedarf es nicht notwendig für eine hinreichende Würdigung der Sach- und Rechtslage in dem Urteil des LSG eines ausdrücklichen Eingehens auf jedes einzelne Vorbringen eines Beteiligten und einer ausdrücklichen Auseinandersetzung damit, sofern sich aus dem Urteil ergibt, daß das Berufungsgericht alle für seine Entscheidung maßgebenden Umstände sachentsprechend gewürdigt hat (BSG 1, 91 = SozR SGG § 128 Bl. Da 1 Nr. 1). Das LSG hat bei der Gegenüberstellung der Gutachten, die zur Entziehung der Pflegezulage im Jahre 1952 führten und derjenigen, auf die sich der angefochtene Bescheid stützt, festgestellt, daß eine wesentliche Änderung in den jeweiligen Befunden nicht ersichtlich ist. Auch Dr. H hat in seinem Gutachten vom 27. Oktober 1958 ausgeführt, daß eine Änderung in den objektiven Befunden bei der Untersuchung des Klägers am 29. September 1958 gegenüber dem von ihm erstatteten Gutachten im Jahre 1952 nicht festgestellt werden könne - "ich konnte auskultatorisch und perkutorisch an den Lungen nichts Neues feststellen" -, obwohl er röntgenologisch eine gewisse Verdichtung der Lungenherde und die Vergrößerung eines Herdes gefunden hat. Es ist jedenfalls aus dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen, welche Folgerungen er insoweit für die Frage ziehen will, ob gegenüber den im Jahre 1952 erhobenen Befunden eine wesentliche Änderung im Sinne des § 62 BVG eingetreten ist. Gleiches gilt von seinem Vorbringen hinsichtlich des Gutachtens des Dr. von der W. Das LSG hat auch die Verschwartung des Brustraumes entgegen der Auffassung des Klägers berücksichtigt und hierzu ausgeführt, daß dieser Befund über den Zustand einer geschlossenen Lungen-Tuberkulose hinausgehe, sich daraus jedoch keine objektive Verschlechterung ergebe. Ob durch diesen Befund die Fassung des Wortlautes der Schädigungsfolgen durch den Beklagten geändert werden muß, ist weder Gegenstand des Verfahrens noch ergibt sich hieraus ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG. Der Hinweis des Klägers auf eine Verschlechterung seiner subjektiven Beschwerden auf neurologischem Fachgebiet ist ebenfalls nicht geeignet, die Feststellungen des LSG bezüglich der Frage, ob eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen gegenüber 1952 eingetreten ist, zu erschüttern. Abgesehen davon, daß das LSG sich insoweit ohne Verletzung des § 128 SGG auf das neurologische Gutachten von Dr. K stützen durfte, ist der Vortrag des Klägers in dieser Beziehung so allgemein, daß sich hieraus kein substantiiert gerügter Verfahrensmangel ergibt (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG). Das Vorbringen des Klägers, daß nach der gesetzlichen Einführung der Schwerstbeschädigtenzulage der Gesamtzustand des Beschädigten eine "rentenmäßige Bedeutung" habe, stellt keine Verfahrensrüge gegen die Feststellungen des LSG zur Pflegezulage dar; vielmehr handelt es sich hierbei um die Voraussetzungen zur Gewährung der Schwerstbeschädigtenzulage gemäß § 31 Abs. 5 BVG, die keinen Anhalt für eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG bieten können. Unerheblich in verfahrensrechtlicher Hinsicht ist auch die Frage der Nichtzumutbarkeit, ohne fremde Hilfe auskommen zu müssen, und die etwaige Gefahr einer Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Beschädigten durch Aufbietung äußerster Energie in Zusammenhang mit dem Begriff der Hilflosigkeit in § 35 BVG.
Da somit begründete Revisionsrügen gegen die Feststellung des LSG, daß eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen seit dem Erlaß des Entziehungsbescheides vom 6. September 1952 nicht eingetreten ist, nicht erhoben worden sind, ist diese Feststellung gemäß § 163 SGG für das BSG bindend. Insoweit sind das Urteil des LSG und damit der angefochtene Bescheid vom 10. Oktober 1956 nicht zu beanstanden.
Das LSG hat wegen der unklaren Fassung des Vergleichs vom 29. Mai 1956 ferner geprüft, ob ohne Bindung an § 62 BVG dem Kläger ein Anspruch auf Pflegezulage zusteht. Auch insoweit ist der Anspruch des Klägers auf Pflegezulage aber nicht begründet.
Das LSG hat § 35 BVG in der Fassung vor Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes (1.NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) angewandt. Diese Vorschrift ist durch das 1. NOG neu gefaßt worden. Das Revisionsgericht hat nicht allein das Recht anzuwenden, das im Zeitpunkt des Erlasses des Berufungsurteils galt, vielmehr ist das angefochtene Urteil grundsätzlich auf der Grundlage des bei der Verkündung des Urteils des Revisionsgerichts geltenden Rechts zu prüfen, sofern es nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfaßt (BGH 9, 101; BSG 2, 188 und 16, 257; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur SGB, § 162 Anm. 5 g). Der erkennende Senat hat daher im vorliegenden Fall den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Pflegezulage sowohl nach § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG aF als auch nach der neuen Fassung dieser Vorschrift zu prüfen. Nach der vor Inkrafttreten des 1. NOG geltenden Fassung des § 35 BVG ist hilflos, wer nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann; nach der neuen Fassung dieser Vorschrift muß der Beschädigte infolge der Schädigung so hilflos sein, daß er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfange fremder Hilfe dauernd bedarf. Der erkennende Senat hat bereits in seinem Urteil vom 29. Mai 1962 (10 RV 1235/58) mit ausführlicher Begründung entschieden, daß die Neufassung des § 35 BVG durch das 1. NOG an den sachlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage nichts geändert hat. Der Zweck des § 35 BVG, einem hilflosen Beschädigten eine Pflegezulage zu gewähren, um die Nachteile dafür auszugleichen, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann, ist derselbe geblieben. Verfolgen hiernach die verschiedenen Fassungen derselben Vorschrift des Gesetzes ein einheitliches Ziel, so ist daraus grundsätzlich zu folgern, daß der Gesetzgeber mit der neuen Fassung nur zum Ausdruck bringen wollte, wie diese Vorschrift schon in der ursprünglichen Fassung auszulegen war.
Das LSG hat entgegen der Auffassung des Klägers § 35 BVG nicht verletzt. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist hilflos im Sinne des § 35 BVG derjenige Beschädigte, der für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden - nicht nur für einzelne - Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens ganz oder in erheblichem Umfange fremder Hilfe dauernd bedarf; dabei ist nicht erforderlich, daß die Hilfe tatsächlich fortwährend geleistet wird. Es genügt schon, daß die Hilfskraft ständig in Bereitschaft sein muß (BSG 8, 97, 99). Bei der Entscheidung über die Frage, ob Hilflosigkeit vorliegt, kommt es nicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte, sondern allein auf den Leidenszustand des Beschädigten und die hierdurch bedingte persönliche Wartung und Pflege an, während die Stellung des Beschädigten in seiner Lebensführung im weiteren Sinne unberücksichtigt bleiben muß (RVG 12, 218; BSG 8, 97, 99; 12, 20, 22). Die Pflegezulage ist mithin auf den höchstpersönlichen Lebensbereich des Beschädigten abzustellen, wobei z.B. grundsätzlich unbeachtlich ist, ob er verheiratet ist oder nicht. Dabei wird die Pflegezulage nicht schon wegen "Hilfsbedürftigkeit" des Beschädigten, sondern nur wegen "Hilflosigkeit" gewährt (BSG 3, 217, 222). Ob ein Zustand der Hilflosigkeit besteht, ist keine rein medizinische Frage, sondern eine Tatfrage; sie muß in jedem Fall unabhängig von der medizinischen Auffassung geprüft und entschieden werden.
Nach den Feststellungen des LSG ist der Kläger in der Lage, den größten Teil der Verrichtungen des täglichen Lebens selbst vorzunehmen, und zwar sowohl bei Betrachtung jeder der drei anerkannten Schädigungsfolgen für sich allein als auch unter Berücksichtigung des Zusammenwirkens aller Leiden. Das LSG hat im einzelnen festgestellt, daß der Kläger im Gebrauch der Arme nicht behindert und er somit imstande ist, sich zu waschen, zu rasieren, den Körper zu reinigen, das Essen einzunehmen, die Toilette aufzusuchen und sich an- und auszuziehen. Nur beim An- und Ablegen der Beinprothese bedarf der Kläger wegen seiner Hirnverletzung einer Hilfe. Dies allein genügt jedoch nach der zutreffenden Auffassung des LSG nicht zur Annahme von Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG. Die Rüge des Klägers, er bedürfe auch beim An- und Auskleiden und bei sonstigen Verrichtungen des täglichen Lebens, die mit Bücken verbunden sind, fremder Hilfe, greift gegenüber diesen Feststellungen schon deshalb nicht durch, weil er für diese Behauptung keine Beweismittel im Sinne des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG angegeben hat. Im übrigen würde auch eine gewisse Hilfe beim An- und Ausziehen der Beinkleider - um ein Bücken zu vermeiden - noch nicht ausreichen, Hilflosigkeit zu begründen, da der Kläger nach den insoweit nicht angegriffenen und somit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG noch fast alle anderen Verrichtungen des täglichen Lebens selbst ausführen kann. Auch das Vorbringen des Klägers über die Bewegungsbehinderung nach Ablegen der Beinprothese ergibt mangels ausreichender Substantiierung im Sinne des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG nicht eine Verletzung von Verfahrensvorschriften hinsichtlich der vom LSG getroffenen Feststellungen. Im übrigen würde auch dieser Vortrag nur die Notwendigkeit der Hilfeleistung in einem bestimmten Umfang nach dem Ablegen der Beinprothese ergeben.
Mit dem nicht näher erläuterten Hinweis auf das Gutachten des Dr. von der W vom 26. September 1957, nach dessen Auffassung der Kläger nicht in der Lage ist, ohne fremde Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens auszukommen, können die Feststellungen des LSG nicht mit Erfolg angegriffen werden. Wie oben ausgeführt, ist die Frage der Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG nicht rein medizinischer Natur, sie ist vielmehr nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalles zu beurteilen. Das LSG hat unter Berücksichtigung auch der von Dr. von der W erhobenen Befunde, die im wesentlichen von den Befunden in den anderen Gutachten nicht abweichen, ohne Verletzung des § 128 SGG zu der Feststellung gelangen dürfen, daß der Kläger nicht hilflos im Sinne des § 35 BVG ist. Auch die Bekundungen von mehreren dem Kläger bekannten Personen, auf die er in der Revisionsbegründung hingewiesen hat, lassen nicht erkennen, daß die Feststellungen des LSG verfahrensrechtlich nicht einwandfrei zustande gekommen sind. Das LSG hat hierzu ausgeführt, daß diese Personen nur bekundet haben, daß der Kläger bei der Ausübung seines Berufes fremder Hilfe bedarf. Mit Recht ist das LSG der Auffassung, daß solche Hilfeleistungen den Lebenskreis betreffen, der bei der Beurteilung der Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG unberücksichtigt bleiben muß. Wenn der Kläger weiterhin vorträgt, im Hinblick auf die vorgelegten Gutachten sei der Sachverhalt noch nicht erschöpfend aufgeklärt, so greift diese Rüge einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG durch das LSG schon deshalb nicht durch, weil er nicht angegeben hat, in welcher Richtung der Sachverhalt noch weiter hätte aufgeklärt werden müssen, welche Beweismittel dem LSG zur Verfügung gestanden hätten und zu welchem Ergebnis das LSG nach seiner Auffassung bei einer weiteren Beweiserhebung hätte kommen müssen (vgl. dazu BSG in SozR SGG § 103 Bl. Da 5 Nr. 14 und § 164 Bl. Da 10 Nr. 28). Das Vorbringen des Klägers, das LSG habe bei seinen Feststellungen das Gutachten des Dr. Sch vom 28. Mai 1956, das zweite Gutachten von Dr. H und die Bescheinigung des Gesundheitsamtes Herford unberücksichtigt gelassen, ist ebenfalls nicht geeignet, substantiiert eine Verletzung des § 128 SGG durch das LSG darzutun; denn es ist ihm nicht dargelegt worden, zu welchem Ergebnis das LSG bei einer - nach Ansicht des Klägers - gesetzmäßigen Beweiswürdigung zwingend hätte kommen müssen.
Die Frage, ob eine Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 BVG auch dann zu gewähren ist, wenn der Beschädigte fremder Wartung und Hilfe ständig nur unter außergewöhnlichem Energieaufwand entbehren kann oder der Verzicht auf fremde ständige Hilfe die Weiterentwicklung des Gesundheitszustandes des Beschädigten zu gefährden geeignet ist, brauchte im vorliegenden Falle nicht beantwortet zu werden. Das LSG hat festgestellt, daß auch bei Bejahung dieser Rechtsfrage die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage bei dem Kläger nicht gegeben sind. Es hat hierzu die Feststellung getroffen, daß die Ausführungen des Klägers über eine Verschlechterung seines körperlichen Gesamtzustandes wegen Überanstrengung durch das Ergebnis der ärztlichen Gutachten widerlegt sind, weil eine objektive Verschlimmerung des Leidenszustandes nicht nachgewiesen ist und die Behauptungen des Klägers insoweit den allgemeinen ärztlich-wissenschaftlichen Erfahrungen und dem bei ihm festgestellten Verlauf seiner Leiden widersprechen. Soweit sich der Kläger gegen diese Feststellung des LSG mit dem Vorbringen wendet, daß aus dem Ablauf der Leiden bis zur Entscheidung des LSG keine Schlüsse hinsichtlich seines zukünftigen Gesundheitszustandes gezogen werden könnten, will er offenbar eine Verletzung des § 128 SGG durch das LSG rügen. Ein solcher Verstoß ist jedoch nicht substantiiert im Sinne des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG gerügt; insbesondere hat der Kläger keine Tatsachen und Beweismittel angegeben, die dem LSG insoweit noch zur Verfügung gestanden haben. Da somit die Feststellung des LSG, daß eine objektive Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers wegen Überanstrengung infolge Nichtgewährung der Pflegezulage bisher nicht eingetreten ist, für den Senat bindend ist (§ 163 SGG) und das LSG damit zum Ausdruck bringen wollte, daß eine hierdurch bedingte Verschlechterung auch für die Zukunft nicht zu befürchten ist, würde dem Kläger selbst dann, wenn man die von ihm genannten besonderen Umstände als ausreichend für die Annahme von Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG ansehen wollte, kein Anspruch auf Pflegezulage zustehen. Für den Senat bestand daher kein Anlaß, die von dem Kläger insoweit zur Auslegung des § 35 BVG aufgeworfenen Rechtsfragen zu entscheiden.
Die Pflegezulage kann dem Kläger auch nicht deshalb gewährt werden, weil er Hirnverletzter ist. Zwar erhalten erwerbsunfähige Hirnbeschädigte eine Pflegezulage mindestens nach Stufe I (§ 35 Abs. 1 Satz 4 BVG); jedoch ist der Kläger nach den nicht angegriffenen und daher gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG durch die Hirnschädigung allein nicht erwerbsunfähig (vgl. BSG 1, 56).
Da das LSG somit den § 35 BVG nicht verletzt hat, ist die Revision nicht begründet. Sie war daher gemäß § 170 Abs. 1 SGG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Fundstellen