Leitsatz (amtlich)
Die Annahme, daß eine Unterhaltsverpflichtung oder ein tatsächlicher Unterhalt iS des RKG § 65 (= RVO § 1265) vorgelegen hat, setzt voraus, daß die Unterhaltsverpflichtung oder der Unterhalt eine ins Gewicht fallende Höhe hatten (Anschluß an BSG 1964-10-27 4 RJ 383/61 = BSGE 22, 44).
Normenkette
RKG § 65 S. 1 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. April 1965 und des Sozialgerichts Köln vom 4. Dezember 1963 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist die Gewährung der sog. Geschiedenen-Witwenrente nach § 65 Reichsknappschaftsgesetz (RKG).
Die Klägerin war mit dem H B, der von Beruf Heizer in einem Zechenkraftwerk war, verheiratet. Diese Ehe wurde durch Urteil des Landgerichts Köln vom 4./11. August 1948 aus alleinigem Verschulden des Versicherten rechtskräftig geschieden. Der Versicherte bezog seit August 1950 Rente wegen Invalidität in Höhe von 121,60 DM. Im Jahre 1957 erhöhte sie sich auf 354,40 DM. Anläßlich der Rentenanpassungen der Jahre 1959 und 1960 wurde sie auf 376,10 DM und 398,50 DM erhöht. Der Versicherte hatte sich am 19. Januar 1951 in einem gerichtlichen Vergleich verpflichtet, an die Klägerin monatlich 20,- DM Unterhalt zu zahlen. Dieser Betrag wurde der Klägerin aus dessen Rente von der Beklagten laufend überwiesen. Die Klägerin übt seit Juni 1956 eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung als Wäschestopferin aus. Sie verdiente vom 1. Januar 1960 bis zum 31. März 1960 monatlich brutto 240.- DM und vom 1. April 1960 bis zum 30. November 1960 monatlich brutto 300.- DM. Am 18. November 1960 ist der Versicherte gestorben.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Gewährung der sog. Geschiedenen-Witwenrente nach § 65 RKG mit Bescheid vom 25. März 1963 ab. Sie vertrat die Auffassung, daß der Klägerin diese Rente nicht zustehe, weil der Versicherte weder verpflichtet gewesen sei, ihr Unterhalt zu gewähren, noch tatsächlich Unterhalt geleistet habe. Sie sah den monatlichen Unterhalt von 20.- DM nicht als echten Unterhalt im Sinne dieser Vorschrift an, weil dieser zu geringfügig gewesen sei. Der gegen diesen Bescheid gerichtete Widerspruch blieb erfolglos.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage durch Urteil vom 4. Dezember 1963 stattgegeben. Es hat dahingestellt sein lassen, ob die monatlichen Zahlungen von 20.- DM als echte Unterhaltsleistungen angesehen werden können, jedenfalls sei der Versicherte nach dem Ehegesetz (EheG) verpflichtet gewesen, der Klägerin monatlichen Unterhalt in Höhe von 50.- DM zu leisten. Denn das Nettoeinkommen der Klägerin hätte nicht ausgereicht, ihren Unterhalt in ausreichender Weise zu bestreiten.
Durch Urteil vom 29. April 1965 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Beklagten zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen.
Es hat es dahingestellt sein lassen, ob der Versicherte zur Zeit seines Todes der Klägerin Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten gehabt habe, Selbst wenn das nicht der Fall gewesen sei, stünde der Klägerin die Hinterbliebenenrente nach § 65 RKG zu. Der Versicherte habe der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tode monatlich 20.- DM Unterhalt geleistet und sei auf Grund des Unterhaltsvergleichs, d.h. aus einem sonstigen Grunde, auch zum Unterhalt in dieser Höhe verpflichtet gewesen. Unbeachtlich sei, daß die Klägerin mit diesen Leistungen nur einen kleineren Teil ihres Unterhalts habe bestreiten können. Es sei nach § 65 RKG nicht erforderlich, daß die Unterhaltsansprüche oder die Unterhaltsleistungen ausgereicht haben, den gesamten Unterhalt der geschiedenen Ehefrau oder zumindest den größten Teil ihres Unterhaltsbedarfs zu decken. Vielmehr genügten Unterhaltsansprüche und Unterhaltsleistungen, die in mehr als nur ganz oder verschwindend geringfügigem Umfang zum Unterhalt der früheren Ehefrau beigetragen hätten. Der der Klägerin in dem Vergleich vom 19. Januar 1951 eingeräumte Anspruch auf Zahlung eines Unterhaltsbeitrages von monatlich 20,- DM und die zur Erfüllung dieses Anspruchs erbrachten Unterhaltsleistungen in gleicher Höhe erfüllten diese Voraussetzungen; sie überstiegen das Maß des Geringfügigen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 65 RKG. Entgegen der Auffassung des LSG seien die Voraussetzungen des § 65 RKG nicht erfüllt. Der Versicherte sei während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor seinem Tode nach § 58 EheG 1946 nicht verpflichtet gewesen, der Klägerin Unterhalt zu leisten, weil diese wegen eigener Einkünfte in Höhe von mtl. DM 300,- brutto nicht bedürftig gewesen sei. Für die Beurteilung der Frage, was als der nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessene Unterhalt der geschiedenen Frau i.S. des § 58 Abs. 1 EheG 1946 anzusehen ist, seien die Lebensverhältnisse der früheren Ehegatten zur Zeit der Scheidung maßgebend. In der Regel seien ein Drittel bzw. ein Viertel des Nettoeinkommens des Mannes zur Zeit der Scheidung als angemessener Unterhalt der Frau anzusehen. Der Versicherte habe zur Zeit der Scheidung im August 1948 ein monatliches Bruttoeinkommen von DM 237,- gehabt. Der angemessene Unterhalt der Klägerin belaufe sich somit im Zeitpunkt der Scheidung auf monatlich 79.- DM. Unter Berücksichtigung der inzwischen eingetretenen allgemeinen Erhöhung der Lebenshaltungskosten werde von einem Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen den Versicherten zur Zeit seines Todes von monatlich 90.- DM netto ausgegangen werden müssen. Das eigene Erwerbseinkommen der Klägerin in Höhe von monatlich 300.- DM habe aber ausgereicht, diesen angemessenen Unterhalt zu decken.
Der Versicherte sei auch nicht verpflichtet gewesen, der Klägerin "aus sonstigen Gründen" Unterhalt zu erbringen, weil er "zur Zeit seines Todes" die Wirkungen des Vergleichs vom 19. Januar 1951 nach den Grundsätzen der §§ 323, 767 der Zivilprozeßordnung (ZPO) hätte beseitigen können. Da die Klägerin nicht bedürftig und somit auch nicht unterhaltsberechtigt gewesen sei, würde eine Abänderungsklage des Versicherten (§ 323 ZPO) zur Beseitigung des Vergleichs vom 19. Januar 1951 geführt haben. Als zwischen den früheren Ehegatten am 19. Januar 1951 der Unterhaltsvergleich vor dem Amtsgericht Bergheim geschlossen worden sei, habe die Klägerin kein eigenes Einkommen gehabt. Diese Verhältnisse hätten sich aber seit dem 18. Juni 1956 durch die spätere Arbeitsaufnahme wesentlich geändert, so daß der Versicherte berechtigt gewesen wäre, im Wege der Klage eine entsprechende Abänderung des Vergleichs vom 19. Januar 1951 zu verlangen.
Der Betrag von DM 20,-, den der Versicherte der Klägerin bis zu seinem Tode monatlich gezahlt hat, könne entgegen der Auffassung des LSG nicht als "Unterhalt" angesehen werden; denn es habe sich nicht um eine wesentliche Zuwendung gehandelt, durch die die Lebensführung der Klägerin merklich verbessert worden wäre. Als "Leistung von Unterhalt" im Sinne der 2. Alternative des § 65 RKG könnten seiner Wesensart und Zweckbestimmung nach nur Zuwendungen angesehen werden, die der Deckung des laufenden Lebensbedarfs dienten. Zuwendungen, die ihrer Höhe nach für den Stand der Lebensführung unerheblich sind, könnten dagegen nicht als Unterhaltsleistung nach § 65 RKG 2. Alternative gelten. Ein Geldbetrag, der wegen seiner Geringfügigkeit für die Lebensführung der Frau ohne nennenswerte wirtschaftliche Bedeutung sei, stelle keine Unterhaltsleistung im Sinne von § 65 RKG dar. Als "Unterhalt" seien vielmehr etwa 25 Prozent des zeitlich und örtlich notwendigen Mindestbedarf eines Unterhaltsberechtigten zu fordern. Der Mindestbedarf der Klägerin müsse für das Jahr 1960 mit DM 200.- monatlich angesetzt werden, so daß als Unterhaltsleistungen nur Beträge von mindestens DM 50,- mtl. anzusehen seien. Die Unterhaltszahlungen des Versicherten in Höhe von DM 20,- monatlich seien daher zu gering gewesen, um als "Unterhalt" im Sinne der 2. Alternative des § 65 RKG angesehen werden zu können.
Der durch Art. 1 § 3 Nr. 21 Rentenversicherungsänderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 - BGBl I S. 476 - dem § 65 RKG angefügte Satz 2 räume der Klägerin einen Rentenanspruch nicht ein. Da die Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten im November 1960 keines Unterhalts bedurft habe, weil sie ein ausreichendes eigenes Einkommen hatte, habe für den Versicherten keine Unterhaltsverpflichtung bestanden. Der Versicherte sei im Zeitpunkt seines Todes wegen seines Einkommens von DM 398,50 zwar zahlungsfähig, aber dennoch nicht zum Unterhalt verpflichtet gewesen, weil die Klägerin nicht bedürftig gewesen sei. Daher sei ein Anspruch nach § 65 RKG nF nicht gegeben, weil dessen Satz 2 es nur auf die unzureichenden Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten abstelle.
Sie beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. April 1965 und das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 4. Dezember 1963 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht haben das SG und das LSG der Klägerin die sog. Geschiedenenwitwenrente nach § 65 RKG zugesprochen. Denn die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor.
Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten ist zwar rechtskräftig geschieden worden, doch hatte der Versicherte der Klägerin während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor seinem Tode weder nach dem EheG noch aus sonstigen Gründen Unterhalt zu leisten noch hat er ihr im Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet.
Nach § 58 des EheG vom 20. Februar 1946 hat der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Mann der geschiedenen Frau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen. Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten ist zwar aus alleinigen Verschulden des Versicherten geschieden worden, doch hatte die Klägerin während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode des Versicherten gegen diesen keinen Unterhaltsanspruch nach dem EheG. Eine Unterhaltsverpflichtung besteht nach § 58 Abs. 1 EheG in Höhe des nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalts wobei die Lebensverhältnisse der Ehegatten zur Zeit der Ehescheidung maßgebend sind. Diese richten sich nach Stand und Beruf sowie dem Einkommen und den Vermögensverhältnissen der Ehegatten. Ein Drittel bis ein Viertel des Nettoeinkommens wird im allgemeinen als angemessener Unterhalt der Frau anzusehen sein, wobei die bis zum Tode des Versicherten eingetretenen allgemeinen Veränderungen des Lohn- und Preisgefüges zu berücksichtigen sind. Unter Beachtung all dieser Umstände kann der angemessene Unterhalt der Klägerin in diesem Sinne keinesfalls höher gewesen sein als der Betrag, welcher ihr während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode des Versicherten, d.h. vom 1. April 1960 bis zum 30. November 1960, aus ihrem eigenen monatlichen Bruttoeinkommen von 300.- DM unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge zur Verfügung gestanden hat. Daher hatte sie während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode des Versicherten keinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten, ohne daß es darauf ankommt, ob dieser seinerseits überhaupt wegen seiner eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse unterhaltsfähig war. Dieses Ergebnis kann durch Satz 2 § 65 RKG nF schon deshalb nicht berührt werden, weil ein Unterhaltsanspruch nicht wegen der Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten, sondern wegen der Erwerbsverhältnisse der Klägerin zu verneinen ist.
Die Klägerin hatte während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode des Versicherten auch keinen Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten aus einem sonstigen Grunde. Der gerichtliche Vergleich ist zwar grundsätzlich als sonstiger Grund in diesem Sinne anzusehen, doch kann eine Verpflichtung zur Zahlung von 20.- DM monatlich auch unter Berücksichtigung des Preis- und Lohngefüges zur Zeit des Todes des Versicherten nicht als echte Unterhaltsverpflichtung im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG) kann hierunter nur eine Unterhaltsverpflichtung oder eine tatsächliche Unterhaltsleistung verstanden werden, die für den Unterhalt der geschiedenen Frau eine praktisch ins Gewicht fallende Bedeutung hatte. Eine andere Auffassung würde zu sehr den Unterhaltsersatzcharakter der Geschiedenenwitwenrente außer Betracht lassen. Wenn diese Rente auch nicht durch die Höhe des weggefallenen Unterhaltsanspruchs oder des weggefallenen tatsächlichen Unterhalts, die sie ersetzen soll, bestimmt ist, so würde doch die Anerkennung selbst eines nicht ins Gewicht fallenden Unterhaltsanspruchs oder einer nicht ins Gewicht fallenden Unterhaltsleistung als Begründung für einen vollen Rentenanspruch den Unterhaltscharakter der Geschiedenenwitwenrente so sehr widersprechen, daß dies nicht mehr als mit dem Zweck dieser Vorschrift in Einklang stehend angesehen werden kann. Nach dieser Rechtsprechung des BSG wird ein Unterhaltsanspruch oder ein tatsächlich geleisteter Unterhalt von weniger als 25 % des zeitlich und örtlich notwendigen Unterhalts des Unterhaltsberechtigten nicht als ins Gewicht fallender Unterhalt in diesem Sinne angesehen (BSG 22, 44 = SozR Nr. 26 zu § 1265 RVO). Im vorliegenden Fall steht fest, daß ein Unterhaltsanspruch von 20.- DM monatlich im Jahre 1960 diese Voraussetzung nicht erfüllt, weil er ohne Zweifel geringer als 25 % des notwendigen Unterhalts der Klägerin ist.
Auch die Voraussetzungen der weiteren Alternative dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Der Versicherte hat zwar der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tode 20.- DM Unterhalt monatlich geleistet. Doch kann dieser Unterhalt aus denselben Gründen, die für die Unterhaltspflicht maßgebend sind, nicht im Sinne dieser Rechtsprechung als ins Gewicht fallend angesehen werden.
Da die Klägerin somit vor dem Tode des Versicherten keinen Unterhaltsanspruch nach dem EheG hatte, noch ihr ein ins Gewicht fallender Unterhaltsanspruch aus dem gerichtlichen Vergleich zustand, noch der Versicherte ihr einen ins Gewicht fallenden Unterhalt geleistet hat, steht der Klägerin der Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente nach § 65 RKG nicht zu.
Die Revision der Beklagten erweist sich somit als begründet, so daß das angefochtene Urteil und das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen