Leitsatz (amtlich)
Für die Berechnung des Übergangsgeldes gilt bei einem selbständigen Handelsvertreter als Bemessungszeitraum auch dann das letzte Kalenderjahr (BVG § 16b Abs 1 S 2), wenn er für nur ein Unternehmen tätig ist.
Normenkette
BVG § 16 Abs. 1 Buchst. a Fassung: 1974-08-07, Abs. 2 Fassung: 1974-08-07, § 16a Abs. 1 Fassung: 1974-08-07, Abs. 2 Fassung: 1974-08-07, Abs. 3 Fassung: 1974-08-07, § 16b Abs. 1 S. 2 Fassung: 1974-08-07; HGB § 84
Verfahrensgang
SG Detmold (Entscheidung vom 15.02.1977; Aktenzeichen S 2 V 89/75) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 15. Februar 1977 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger ein höheres Übergangsgeld zusteht.
Der Kläger, ein Handelsvertreter auf Provisionsbasis bei einer Versicherungsgesellschaft, befand sich vom 22. Oktober 1974 bis 19. November 1974 zu einer vom Beklagten wegen der anerkannten Schädigungsfolgen (Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - 40 vH) bewilligten Badekur in Berchtesgaden. Er beantragte am 3. Januar 1975 Übergangsgeld für die Kur und Schonungszeit. Während der Beklagte ursprünglich mit Bescheid vom 22. Januar 1975 wegen verspäteter Antragstellung Übergangsgeld ablehnte, gewährte er mit Abhilfebescheid vom 5. April 1976 für die Zeit vom 22. Oktober 1974 bis 26. November 1974 ein Übergangsgeld von täglich 3,58 DM, das er auf der Basis von 80 vH der Einkünfte aus Gewerbebetrieb für das Steuerjahr 1973 (Einkommenssteuerbescheid 1973) von 4.198,- DM abzüglich 80 vH der in den Monaten Oktober und November 1974 fortlaufenden Einnahmen errechnete. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage gegen den Ursprungsbescheid, zu deren Gegenstand der Abhilfebescheid gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geworden war, mit Urteil vom 5. Februar 1977 ab und ließ die Berufung zu. Zur Begründung führte es aus: Der Beklagte habe zu Recht als Bemessungszeitraum für die Berechnung des Übergangsgeldes das Kalenderjahr 1973 zugrunde gelegt, weil dafür ein Einkommensteuerbescheid vorgelegen habe (§ 16 b Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz - BVG -). Zwar könne daraus eine gewisse Härte entstehen, weil das Einkommen 1974 höher gewesen sei. Diese müsse aber wegen des eindeutigen Wortlautes des § 16b Abs. 1 Satz 2 BVG hingenommen werden. Mit Beschluß vom 11. Mai 1977 hat das SG auf fristgerechten Antrag des Klägers und mit Einverständnis des Beklagten die Revision zugelassen.
Mit der Sprungrevision macht der Kläger geltend, nicht § 16 b Abs. 1 BVG, sondern § 16a BVG hätte auf den unstreitigen Sachverhalt angewendet werden müssen, weil damit unbillige Härten vermieden würden. Das Übergangsgeld solle soziale Nachteile verhindern, die aus der Teilnahme an einer notwendigen Heilmaßnahme entstünden. Dieser Zweck werde nur erreicht, wenn der Berechnung das kurz vor der Badekur erzielte "Einkommen" zugrunde gelegt werde. Zwar führe die Regelung des § 16 b Abs. 1 BVG in vielen Fällen zu gerechten Ergebnissen, bringe aber auch Vor- und Nachteile. Wegen der Vergleichbarkeit von nur für ein Unternehmen tätigen Handelsvertretern mit abhängig Beschäftigten gebiete es die Gerechtigkeit, bei Vorlage einer neutralen Verdienstbescheinigung dieses Unternehmens vom aktuellen "Einkommen" vor der Badekur und nicht vom Einkommensteuerbescheid des Vorjahres auszugehen. Dies müsse insbesondere dann gelten, wenn das Einkommen des Vorjahres aus bestimmten Gründen wesentlich geringer gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Detmold vom 15. Februar 1977 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Februar 1976 zu verurteilen, bei der Berechnung des Übergangsgeldes das in den Monaten Juli bis September 1974 erzielte Einkommen des Klägers zugrunde zu legen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Da der Kläger unstreitig als selbständiger Handelsvertreter zur Einkommensteuer veranlagt werde, könne auf ihn nur § 16 b Abs. 1 BVG, nicht aber § 16 a BVG Anwendung finden.
Entscheidungsgründe
Die vom SG gemäß § 161 Abs. 1 SGG zugelassene Sprungrevision ist nicht begründet. Streitig ist nur noch, ob der Beklagte das Übergangsgeld, auf das der Kläger während der Badekur und der anschließenden Schonungszeit (Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung) dem Grunde nach Anspruch hat (§ 16 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 2 BVG i.d.F. des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 - BGBl I S. 1881 -), nach § 16 a BVG unter Zugrundelegung der Einkünfte des Klägers in den Monaten Juli bis September 1974 oder nach § 16 b BVG unter Heranziehung seines Einkommens im Jahre 1973 zu berechnen hat.
Die §§ 16 bis 16 f BVG wurden mit Wirkung vom 1. Oktober 1974 durch das oben genannte Gesetz anstelle des vorherigen § 17 BVG, der den Einkommensausgleich bei Arbeitsunfähigkeit regelte, in das BVG eingefügt.
In § 16 a Abs. 1 BVG wird bestimmt, daß das Übergangsgeld 80 vH des entgangenen Entgeltes (Regellohn) beträgt, welches nach den Abs. 2 und 3 zu berechnen ist; § 16 a Abs. 2 BVG macht zur Berechnungsgrundlage den letzten abgerechneten Lohnabrechnungszeitraum, wenn der Berechtigte bis zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit gegen Entgelt beschäftigt war. Wenn der Berechtigte unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§§ 15 bis 17 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) erzielt hat, ist nach § 16 b Abs. 1 Satz 1 BVG § 16 a BVG entsprechend anzuwenden. Nach § 16 b Abs. 1 Satz 2 BVG ist Bemessungszeitraum in diesem Falle das letzte Kalenderjahr, für das ein Einkommensteuerbescheid vorliegt, und als Regellohn gelten nach § 16 b Abs. 1 Satz 4 BVG die Gewinne, die der Veranlagung zur Einkommensteuer zugrunde gelegt worden sind. Werden während des Bezugs von Übergangsgeld u.a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt, dann ist es um 80 vH der als Regellohn geltenden Beträge zu kürzen (§ 16 f Abs. 1 Satz 2 BVG). Diese Berechnungsweise ist vom Gesetz zwingend angeordnet und von dem Beklagten richtig durchgeführt worden.
Die in § 16 b Abs. 1 Satz 1 BVG vorgeschriebene entsprechende Anwendung des § 16 a BVG bezieht sich nämlich nicht auf den Bemessungszeitraum, der in § 16 b Abs. 1 Satz 2 BVG näher, aber anders als in § 16a Abs. 2 Satz 1 BVG bezeichnet worden ist.
Diese unterschiedliche Regelung bei den verschiedenen Einkunftsarten rechtfertigt sich daraus, daß von unselbständig Beschäftigten in der Regel für einen Lohnabrechnungsabschnitt feststellbare Einkünfte erzielt werden, während der Gewinn Gewerbetreibender, deren Einkünfte rückblickend für ein Kalenderjahr ermittelt werden, nicht in gleicher Weise für einen kürzeren Zeitraum bemessen werden kann (vgl. § 16 b Abs. 1 Sätze 9-11 BVG; § 17 Abs. 6 BVG a.F.; Verwaltungsvorschrift Nrn. 9 und 12 b zu § 17 BVG a.F. - Wilke/Wunderlich, Hand-Komm. zu BVG 1973 4. Aufl., Anm. III S. 173 zu § 17 BVG a.F.). Deshalb hat der Gesetzgeber für diesen Personenkreis angeordnet, daß der letzte vorliegende Einkommensteuerbescheid als Berechnungsgrundlage maßgebend sein soll (Protokoll Nr. 35 vom 27. April 1960 des 22. Ausschusses, 3. Wahlperiode S. 8 bis 11). Ausnahmen hiervon gelten nur, wenn eine Einkommensteuerveranlagung nicht stattfindet; aber auch dann wird nicht auf einzelne Monatseinnahmen, sondern evtl. auf ein Durchschnittsjahreseinkommen zurückgegriffen (§ 16 b Abs. 1 Satz 9 BVG). Bereits § 17 Abs. 3 BVG a.F. hatte - anders als bei unselbständig Beschäftigten - für die Ermittlung des Nettoeinkommens bei Einkünften aus Gewerbebetrieb grundsätzlich den Durchschnitt des in dem Kalenderjahr vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielten Einkommens als maßgebend angesehen (vgl. Urt. des 8. Senats vom 22.2.1967, SozEntsch., 2. Folge, BSG IX/3 § 17 Nr. 2). Auf dieses, dem Einkommensausgleich zugrunde zu legende Einkommen waren nach § 17 Abs. 5 BVG a.F. das während des Ausgleichszeitraumes erzielte Nettoeinkommen und sonstige Geldleistungen anzurechnen, die wegen der Arbeitsunfähigkeit gewährt wurden.
Da der Kläger im Jahr vor seiner Kur zur Einkommensteuer veranlagt wurde und der Steuerbescheid 1973 vorlag, mußte der Beklagte das Jahr 1973 als Bemessungszeitraum und den erzielten Gewinn als Regellohn ansehen. Die von ihm danach vorgenommene Berechnung des Übergangsgeldes ist nicht zu beanstanden. Ob der Beklagte im übrigen berechtigt gewesen wäre, das Übergangsgeld auch um die vom Kläger in der Zeit vom 22. Oktober bis 26. November 1974 erzielte Abschlußprovision teilweise gem. § 16 f Abs. 1 Satz 2 BVG zu kürzen, kann dahinstehen, da insoweit der Kläger jedenfalls nicht beschwert ist.
Die Auffassung der Revision, der Kläger sei mit einem abhängig Beschäftigen vergleichbar, weil er nur für ein einziges Unternehmen tätig sei und auch aktuelle, neutrale Verdienstbescheinigungen vorgelegt habe, ist kein Grund, für ihn die Vorschrift des § 16 a BVG (analog) anzuwenden. Zum einen ist nicht ersichtlich, daß der Kläger tatsächlich nicht als selbständiger Handelsvertreter für nur eine Gesellschaft (§§ 84 ff Handelsgesetzbuch - HGB -; vgl. Schlegelberger/Schröder, HGB Komm. 5. Aufl. 2. Bd. RdNr. 4 zu § 84), sondern als reisender Handlungsgehilfe (§§ 59 ff HGB) in Wirklichkeit keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt - wie er sie seit langem entsprechend seinen Steuerbescheiden deklariert - sondern Entgelt für eine (abhängige) Beschäftigung bezieht. Weder die Revision hat hierfür wesentliche Tatsachen vorgetragen noch sind sie sonst aus den Akten zu entnehmen; insbesondere ist der Umstand allein nicht entscheidend, daß der Kläger nur für ein einziges Unternehmen tätig ist oder sogar nur tätig sein darf; zum anderen sind aber die Einnahmen des Klägers, die ihm von der Versicherungsgesellschaft, für die er arbeitet, ausgezahlt werden, derart, wie sie bei Gewerbetreibenden häufig sind: Sie fallen in den einzelnen Abrechnungszeiträumen in unterschiedlicher Höhe an und sind weder um Steuern und Sozialabgaben gekürzt, noch berücksichtigen sie die für die Erzielung der Einnahmen aufgewendeten Betriebsausgaben. Die Summe der monatlichen Einnahmen des Klägers ist deshalb auch im Jahre 1974 erheblich höher gewesen als der endgültige Gewinn, der mit 5.151,- DM nicht wesentlich höher als 1973 ausfiel. Nur der Gewinn kann als Regellohn gelten (§ 16 b Abs. 1 Satz 4 BVG) wie das Arbeitsentgelt des abhängig Beschäftigten, denn nur für ihn besteht ein Bedürfnis zur Ausgleichung durch Übergangsgeld, das bei Arbeitsunfähigkeit gewährt wird (§ 16 BVG). Über den entgangenen Gewinn besagen die von der Versicherung ausgestellten Auszahlungsbescheinigungen jedoch nichts. Damit ist aber das klageabweisende Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Revision des Klägers ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen