Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Verfügbarkeit. Anwartschaftszeit. Student. Arbeitnehmer. Erscheinungsbild. Beitragsfreiheit. Beitragspflicht. Vermutung. Widerlegung. Darlegungslast. Beweisführungslast. Ausbildungsbestimmung. Prüfungsbestimmung. Studienordnung. Prüfungsordnung. vorschreiben. vorgeschrieben. Anforderung. Regelstudienzeit. Regelanforderung. Semesterwochenstunde. Werkstudenten-Privileg
Leitsatz (amtlich)
- Ein Student hat die Vermutung des § 103a Abs 1 AFG, er könne neben dem Studium nur eine nach § 169b AFG beitragsfreie Beschäftigung ausüben, widerlegt, wenn er darlegt und nachweist, daß weder die für ihn geltenden abstrakten Regelungen in den Studien- und Prüfungsordnungen noch seine konkrete Studiengestaltung eine Beschäftigung ausschließen, die mehr als kurzzeitig ist und bei der das Studium hinsichtlich der Gesamtbelastung hinter der Arbeitnehmertätigkeit zurücktritt.
- Die Einhaltung einer Regelstudiendauer gehört nicht zu den Anforderungen iS des § 103a Abs 2 AFG, deren ordnungsgemäße Erfüllung dem Studenten verbindlich “vorgeschrieben” ist.
Normenkette
AFG § 103 Abs. 1 S. 1, §§ 103a, 169b
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 14. Dezember 1993 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Arbeitslosengeld (Alg) ab 1. Oktober 1991 beanspruchen kann.
Der 1961 geborene Kläger war vom 1. Juli 1988 bis 30. April 1991 als Sozialpädagoge in München beschäftigt. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug 19,25 Stunden. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung wurden abgeführt. Ab Wintersemester (WS) 1988/89 war der Kläger zugleich an der Ludwig-Maximilian-Universität in München im Studiengang “Politische Wissenschaften” immatrikuliert. Ab Sommersemester (SS) 1991 setzte er dieses Studium an der Freien Universität (FU) in Berlin fort.
Am 17. Mai 1991 meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt (ArbA) IV Berlin arbeitslos und beantragte Alg. Er erklärte, trotz seines Studiums eine Teilzeitbeschäftigung von 20 Wochenstunden ausüben zu können; sein Studium nehme ihn wöchentlich 18 Stunden (ohne Vor- und Nacharbeiten) in Anspruch, weshalb er an drei Wochentagen nur nachmittags, an einem Wochentag nur vormittags und am Freitag ab 11:00 Uhr arbeiten könne. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, nach der Vermutung des § 103a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) sei davon auszugehen, daß er wegen seines Studiums nur beitragsfreie Beschäftigungen ausüben könne und daher dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehe (Bescheid vom 19. August 1991; Widerspruchsbescheid vom 25. September 1991).
Im Klageverfahren trug der Kläger unter Bezugnahme auf eine vorgelegte Bescheinigung von Prof. Dr. M.… (Fachbereich Politische Wissenschaft an der FU) vom 30. Oktober 1991 vor, die Studien- und Prüfungsordnungen der FU legten nicht die Zahl der zu absolvierenden Semesterwochenstunden fest. Das Hauptstudium, in dem er sich nach Abschluß des Grundstudiums seit dem WS 1991/92 befinde, sei zwar auf vier Fachsemester angelegt, könne jedoch “in die Länge gezogen werden”. Für die Anerkennung eines Fachsemesters seien zwingend nur vier Semesterwochenstunden zu belegen. Im übrigen stehe der Umfang der Belegung im Belieben des Studenten. Von dieser Gestaltungsmöglichkeit habe er, der Kläger, Gebrauch gemacht, so daß er auch unter Berücksichtigung der von ihm tatsächlich belegten Wochenstunden sowie der damit verbundenen Vor- und Nacharbeiten für beitragspflichtige Beschäftigungen zur Verfügung stehe.
Nach Einholung einer weiteren Auskunft von Prof. Dr. M.… vom 23. März 1992 hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Oktober 1991 dem Grunde nach Alg auf der Basis einer wöchentlich möglichen Arbeitszeit von mindestens 20 Stunden zu gewähren. Für die vorhergehende Zeit ist die Klage abgewiesen worden (Urteil vom 26. Februar 1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen sowie auf die Berufung der Beklagten die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage in vollem Umfang abgewiesen (Urteil vom 14. Dezember 1993). Zur Begründung ist ausgeführt worden, der Alg-Anspruch scheitere an der fehlenden Verfügbarkeit. Der Kläger habe die Vermutung des § 103a Abs 1 AFG nicht widerlegt. Das setze nach Abs 2 dieser Regelung voraus, daß der Student bei ordnungsgemäßer Erfüllung des verbindlich festgelegten Zeitaufwandes für ein Regelstudium – dessen Dauer Prof. Dr. M.… mit vier Semestern angegeben habe – einer beitragspflichtigen Beschäftigung nachgehen könne. Dies könne der Kläger jedoch nicht, weil eine neben seinem Hauptstudium ausgeübte Berufstätigkeit zu einer Überschreitung der Normalstudienzeit führe und damit nicht mehr ordnungsgemäß sei. Selbst dann, wenn sich die zeitlichen Bindungen durch das Studium und die Berufstätigkeit derart aufeinander abstimmen ließen, daß der Kläger beiden ordnungsgemäß nachgehen könnte, gelinge die Widerlegung der Vermutung nach § 103a Abs 2 AFG nicht. Denn der Kläger gehöre nach seinem Erscheinungsbildung nicht zum Kreis der beitragspflichtigen Arbeitnehmer, wenn er die für die Einhaltung der Regelstudienzeit erforderlichen 20 Semesterwochenstunden belege.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 103 Abs 1, 103a Abs 2, 169b AFG. Er ist der Auffassung, er habe die gesetzliche Vermutung widerlegt, ein Student könne nur beitragsfreie Beschäftigungen ausüben. Als “geregelt” und “ordnungsgemäß” sei ein Studium immer dann zu bezeichnen, wenn es im Rahmen der Ausbildungs- und Prüfungsordnungen betrieben werde. Die entsprechenden Ordnungen der FU legten keine Studienhöchstdauer fest. Somit gehe das Argument fehl, ein Studium, das “in die Länge gezogen” werde, werde nicht innerhalb einer ordnungsgemäßen Studienzeit absolviert. Den Anforderungen in jenen Ordnungen habe er mit der tatsächlichen Belegung von acht bzw zehn Wochenstunden im WS 1991/92, SS 1992 und WS 1992/93 genügt. Im übrigen sei eine neunsemestrige Studiendauer in der Politologie nicht die Regel. Nach einer Verbleibensuntersuchung der Absolventenjahrgänge 1979 bis 1986 habe die durchschnittliche Semesterzahl an der FU bis zum Diplom 11,7 Fach- und 13,4 Hochschulsemester betragen. Er habe daher neben dem Studium eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausüben können und erfülle ab WS 1991/92 alle Voraussetzungen für den Bezug von Alg.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Berlin vom 14. Dezember 1993 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Februar 1993 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen;
Sie bezieht sich auf die Ausführungen im Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist iS der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 19. August 1991 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 1991, mit dem die Beklagte die Zahlung von Alg abgelehnt hat. Der Streitgegenstand beschränkt sich auf die Leistungsgewährung ab 1. Oktober 1991, weil der Kläger mit seiner Revision das Berufungsurteil nicht angreift, soweit seine Berufung (die Alg für die Zeit vom 17. Mai bis 30. September 1991 betraf) zurückgewiesen, sondern nur, soweit der Berufung der Beklagten stattgegeben worden ist. Demzufolge begehrt er mit seinem Sachantrag allein die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Ob das LSG einen Anspruch auf Alg zu Recht verneint hat, läßt sich mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend entscheiden. Das LSG hat den Anspruch bereits wegen fehlender objektiver Verfügbarkeit verneint und ausgeführt, der Kläger habe die Vermutung des § 103a Abs 1 AFG nicht widerlegt. Der dazu geäußerten Rechtsauffassung kann der Senat nicht folgen.
Nach § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG in der seit dem 1. Januar 1988 geltenden Fassung durch das Achte Gesetz zur Änderung des AFG vom 14. Dezember 1987 (BGBl I 2602), geändert ab 1. Januar 1989 durch das Gesetz zur Änderung des AFG und zur Förderung eines gleitenden Übergangs älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2343; vgl im übrigen zur Gesetzesentwicklung bis 1988 BSGE 72, 206, 210 f = SozR 3-4100 § 103a Nr 1), steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine zumutbare, nach § 168 AFG die Beitragspflicht begründende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf (objektive Verfügbarkeit). Nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG sind beitragspflichtig Personen, die als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt sind, soweit sie nicht ua nach den §§ 169 bis 169c AFG beitragsfrei sind. Nach § 169b Satz 1 Nr 2 AFG sind beitragsfrei ua Arbeitnehmer, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule eine Beschäftigung ausüben (sog Werkstudenten-Privileg).
Die objektive Verfügbarkeit ist somit ua nur dann zu bejahen, wenn dem Arbeitslosen die Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung tatsächlich und rechtlich möglich ist. Die ab 1. Januar 1988 geltende Regelung hat für die Gruppe der arbeitslosen Studenten leistungsrechtlich eine Verschlechterung gegenüber dem früheren Recht bewirkt. Es kommt seither nicht allein darauf an, ob sie eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung (mindestens 18 Wochenstunden, § 102 AFG) neben dem Studium ausüben können, sondern es darf auf sie auch nicht das sog Werkstudenten-Privileg des § 169b Satz 1 Nr 2 AFG zutreffen, der eine Beitragsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung entsprechend dem § 172 Abs 1 Nr 5 Reichsversicherungsordnung aF (jetzt § 6 Abs 1 Nr 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch) statuiert (vgl hierzu die zuletzt ergangenen Entscheidungen des 11. Senats des Bundessozialgerichts ≪BSG≫, nämlich Urteil vom 21. April 1993 – 11 RAr 25/92 –, BSGE 72, 206, 208 f = SozR 3-4100 § 103a Nr 1; Urteil vom 21. April 1993 – 11 RAr 79/92 –, Die Beiträge 1994, 431 = DBlR Nr 4034a zu § 103 AFG; Urteil vom 30. März 1994 – 11 RAr 67/93 –, Die Beiträge 1994, 604 = DBlR Nr 4120 zu § 103a AFG).
Eine weitere Verschlechterung der Rechtsposition für Studenten hat der ebenfalls mit Wirkung zum 1. Januar 1988 eingefügte § 103a Abs 1 AFG mit seiner Vermutung geschaffen, ein Student könne nur Beschäftigungen ausüben, die nach § 169b AFG beitragsfrei sind. Diese Vermutung ist nach Abs 2 des § 103a AFG widerlegt, wenn der Arbeitslose darlegt und nachweist, daß der Ausbildungsgang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zuläßt. Damit ist die Widerlegung der nach Abs 1 vermuteten Tatsachen eröffnet, wobei zum Nachteil des Studenten der Grundsatz der amtlichen Sachaufklärungspflicht durchbrochen und dem Arbeitslosen eine Darlegungs- und Beweisführungslast auferlegt wird (vgl BSGE 72, 206, 209 = SozR 3-4100 § 103a Nr 1). Der Student muß demzufolge nicht nur darlegen und nachweisen, daß er neben seinem Studium mehr als kurzzeitig (mindestens 18 Wochenstunden) tätig sein kann bzw konnte, sondern auch, daß das Werkstudenten-Privileg auf ihn nicht anzuwenden ist (vgl insbesondere BSG, Urteil vom 30. März 1994, aaO).
Der Kläger hat in der streitigen Zeit ab 1. Oktober 1991 als ordentlicher Studierender an der FU im Studiengang Politische Wissenschaft studiert. Auf ihn trifft damit zunächst die Vermutung des § 103a Abs 1 AFG zu, daß er neben seinem Studium nur Beschäftigungen ausüben kann, die wegen des Werkstudenten-Privilegs beitragsfrei sind. Ob ihm eine Widerlegung dieser Vermutung gelungen ist, kann der Senat nicht entscheiden. Das LSG hat dies mit der Begründung verneint, daß der Kläger bei Einhaltung der Regelstudienzeit nicht beitragspflichtig beschäftigt sein könne. Seine Ausführungen hierzu halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Das LSG hat insoweit der Auskunft des Prof. Dr. M.… vom 23. März 1992 entnommen, daß für den Ausbildungsgang des Klägers – Hauptstudium der Politischen Wissenschaft – ein Zeitaufwand für das Regelstudium von vier Semestern verbindlich festgelegt sei; daraus hat es geschlossen, daß der Kläger die iS von § 103a Abs 2 AFG vorgeschriebenen Ausbildungsanforderungen nur dann ordnungsgemäß erfülle, wenn er die Regelstudiendauer einhalte; daneben sei eine beitragspflichtige Beschäftigung nicht möglich, weil der Kläger, wenn er die für die Einhaltung der Regelstudienzeit erforderlichen 20 Semesterwochenstunden belege, seinem Erscheinungsbild nach zum Kreis der beitragsfreien Studenten gehöre. Diese Auslegung entspricht nicht dem Gesetz.
§ 103a Abs 2 AFG fordert für die Widerlegung der Vermutung des Abs 1 dieser Bestimmung – in einem ersten Schritt – Darlegungen des Studenten, daß nicht bereits die abstrakten Regelungen in den einschlägigen Studien- und Prüfungsordnungen der Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung entgegenstehen. Inwieweit diese Ordnungen eine beitragspflichtige Beschäftigung zulassen, beurteilt sich allein nach den “vorgeschriebenen” Anforderungen, die an den jeweiligen Studiengang gestellt werden. “Vorgeschrieben” sind schon nach dem Wortsinn (vgl Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 6. Band, 1984; Duden, Das große Wörterbuch der Deutschen Sprache, Band 6, 1981, jeweils Stichwort: vorschreiben) nur solche Anforderungen, die zwingend, also für den Studenten verbindlich, ein bestimmtes Verhalten bei der Studiengestaltung fordern, etwa die Einhaltung einer bestimmten Studienzeit. Das ergibt sich auch aus dem korrespondierenden Begriff der “ordnungsgemäßen Erfüllung”, der in bezug auf die “vorgeschriebenen Anforderungen” eine Pflicht zur Erfüllung dieser Anforderungen voraussetzt. Sind in den einschlägigen Bestimmungen hinsichtlich des hier allein relevanten studienbedingten Zeitaufwandes lediglich “Regelstudienzeiten” in dem Sinne festgelegt, daß das Studium “in der Regel” nach einer bestimmten Semesterzahl abgeschlossen werden soll, handelt es sich nicht um “vorgeschriebene” Anforderungen, deren Überschreitung zu einer nicht ordnungsgemäßen Erfüllung führt. Sind vielmehr die maßgeblichen Bestimmungen insoweit “offen”, dh schreiben sie weder die Einhaltung einer bestimmten Studiendauer (Studienhöchstdauer) noch für die jeweiligen Semester die Belegung und den Besuch bestimmter Vorlesungen, Seminare etc als Pflichtveranstaltungen verbindlich vor, schließen sie nicht generell die Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung aus. Regelanforderungen bzw Regelstudienzeiten, deren Beachtung sich zwar im Interesse einer zügigen und effektiven Studiengestaltung empfiehlt, enthalten entgegen der Auffassung des LSG keinen für den Studiengang verbindlich festgelegten Zeitaufwand iS des § 103a Abs 2 AFG. Sofern Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen einer Überschreitung solcher “Regelstudienzeiten” nicht entgegenstehen bzw eine längere Studienzeit zulassen, wird dies vom Leistungsrecht des AFG hingenommen. Für die Gewährung von Alg ist allein entscheidend, ob der Student bei ordnungsgemäßer Erfüllung der für seinen Ausbildungsgang vorgeschriebenen Anforderungen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, nicht aber, ob er sein Studium sinnvoll und effektiv gestaltet.
Diese bereits aus dem Gesetzeswortlaut herzuleitende Auslegung entspricht dem Gebot einer verfassungskonformen Auslegung des § 103a Abs 2 AFG. Der Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) fordert, daß Studenten, die die Anwartschaftszeit für den Bezug von Alg erfüllt haben, wie insoweit vergleichbare andere Arbeitslose eine reale Chance haben, ihren Leistungsanspruch ggf auch zu verwirklichen. Das bedeutet nicht, daß es verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist, bei Studenten wegen der studienbedingten Bindungen strengere Anforderungen an den Nachweis der Verfügbarkeit zu stellen als bei Arbeitslosen, die nicht studieren. So hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluß vom 18. November 1986 (BVerfGE 74, 9, 27 f = SozR 4100 § 118a Nr 1), mit dem der frühere § 118a Abs 1 AFG (vollständiger Ausschluß der Studenten aus dem Leistungsbezug) für nichtig erklärt worden ist, eine Regelung für unbedenklich angesehen, die der Rechtsprechung des 7. Senats des BSG zu der Vorgängervorschrift in § 118 Abs 2 AFG entspricht. Danach mußten Studenten die Vermutung widerlegen, daß sie während eines Vollstudiums dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen (BSGE 46, 89 = SozR 4100 § 118 Nr 5). Der Gesetzgeber hat den Hinweis des BVerfG aufgegriffen und die genannte Rechtsprechung in § 103a AFG umgesetzt (vgl hierzu den Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BT-Drucks 11/800 S 20; Regierungsentwurf, BT-Drucks 11/890 S 21). Die Anwendung dieser Regelung genügt mithin nur dann den Anforderungen des Art 3 Abs 1 GG, wenn die Widerlegung der Vermutung nicht gänzlich oder doch praktisch ausgeschlossen ist. Dies liegt aber nahe, wenn bei Studenten, die ein Vollstudium absolvieren, generell und typisierend auf die zeitlichen Belastungen eines Regelstudiums abgestellt, dh immer unterstellt wird, daß ihre zeitliche Inanspruchnahme derjenigen entspricht, der ein Student bei Einhaltung der Regelstudiendauer unterliegt.
Der in den Gesetzesmaterialien erkennbar gewordene Wille des Gesetzgebers gebietet keine abweichende Auslegung. Danach sollen zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung Darlegungen des Arbeitslosen nicht ausreichen, daß er durch das Studium nicht voll in Anspruch genommen werde, weil er besonders begabt sei oder weil er “länger als die übliche Dauer” studieren wolle; den Arbeitsämtern würde es kaum möglich sein, darüber einigermaßen sichere Feststellungen zu treffen (vgl BT-Drucks 11/890, aaO). Der Senat kann hierbei offenlassen, wie der Hinweis auf die “übliche” Dauer zu verstehen ist, ob der Gesetzgeber insoweit an eine tatsächliche Durchschnittsdauer des Studiums oder an eine Regelstudienzeit gedacht hat. Im Gesetzestext haben diese Begriffe jedenfalls keine Berücksichtigung gefunden; es kommt vielmehr allein auf die “vorgeschriebenen”, also rechtlich verbindlich vorgegebenen Anforderungen an. Hätte der Gesetzgeber etwas anderes gewollt, hätte er in § 103a Abs 2 AFG auf die Regelanforderungen oder jedenfalls auf die üblichen Anforderungen des Ausbildungsgangs abgestellt.
Das LSG wird mithin bei seiner erneuten Entscheidung zu beachten haben, daß es für die Widerlegung der Vermutung auf die “vorgeschriebenen” Ausbildungsanforderungen ankommt, wie sie sich objektiv aus den maßgeblichen Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen ergeben, und daß eine dort vorgegebene “Regelstudienzeit” nicht zu den Anforderungen gehört, deren Einhaltung – für den Studenten verbindlich – vorgeschrieben ist. Über die objektiven Ausbildungsanforderungen für Studenten, die – wie der Kläger – ein Hauptstudium der Politischen Wissenschaft absolvieren, sind bisher noch keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden. Insbesondere ist nicht festgestellt, aus welcher Regelung der einschlägigen Studienordnung sich die Einhaltung eines “verbindlich festgelegten Zeitaufwandes” für die Studiendauer bzw für die Belegung von 20 Semesterwochenstunden ergeben soll. Derartige Feststellungen sind auch nicht im Hinblick auf die vom LSG in Bezug genommen Auskünfte des Prof. Dr. M.… entbehrlich, denen nähere Einzelheiten über die “vorgeschriebenen” Ausbildungsanforderungen nicht zu entnehmen sind. Das LSG wird diese Anforderungen vielmehr unmittelbar anhand der vom SG beigezogenen Studien- und Diplomprüfungsordnungen des Fachbereichs Politische Wissenschaft der FU vom 22. Oktober 1986 zu prüfen und hierbei auch zu beachten haben, daß diese Ordnungen eine Beurteilung nur für die Zeit bis 31. März 1992, also nicht für die gesamte Dauer des streitigen (möglicherweise inzwischen abgeschlossenen) Studiums erlauben. Die Geltung der genannten Ordnungen ist aufgrund der Entscheidung der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung vom 14. März 1990 nur bis zum 31. März 1992 verlängert worden, so daß auch die ab 1. April 1992 bis zum Ende der streitigen Studienzeit geltenden Fassungen in die Prüfung einzubeziehen sind.
Sollte sich – wie vom Kläger dargelegt – bestätigen, daß die maßgeblichen Ausbildungs- und Prüfungsordnungen hinsichtlich der Einhaltung bestimmter zeitlicher Vorgaben keine verbindlich vorgeschriebenen Anforderungen enthalten, hat der Kläger insoweit die Vermutung des § 103a Abs 1 AFG widerlegt. Damit sind aber die Voraussetzungen des § 103a Abs 2 AFG noch nicht vollständig erfüllt. Der Kläger muß vielmehr darüber hinaus – in einem zweiten Schritt – darlegen und nachweisen, wie er sein Studium bei ordnungsgemäßer Erfüllung der vorgeschriebenen Anforderungen, hier also im Rahmen der ggf zulässigen Erstreckung seines Studiums über eine mögliche Regeldauer hinaus, ab 1. Oktober 1991 gestaltet hätte, um daneben einer Beschäftigung nachgehen zu können, die nicht unter das Werkstudenten-Privileg fällt. Wird nämlich nach Abs 1 des § 103a AFG vermutet, daß der Student nur nach § 169b AFG beitragsfreie Beschäftigungen ausüben kann, muß sich auch die Widerlegung dieser Vermutung darauf erstrecken, daß nach der konkreten Gestaltung des Studiums Raum für Beschäftigungen verblieben wäre, die nicht nach § 169b AFG beitragsfrei sind. Deshalb müssen sich die Darlegungen des Studenten auch darauf erstrecken, daß seine konkrete Studiengestaltung im jeweiligen Semester nach Zahl und Lage der vorgesehenen Unterrichtsstunden – zuzüglich zu berücksichtigender Zeiten für Vor- und Nachbereitung, Wegezeiten, Praktika uä – Raum für eine Arbeitnehmertätigkeit läßt bzw gelassen hat, die mindestens 18 Wochenstunden umfaßt und nicht unter das Werkstudenten-Privileg fällt. Bei der Prüfung, ob die Vermutung des § 103a Abs 1 AFG auch insoweit widerlegt ist, kommt es auf eine vorausschauende Beurteilung an, die ggf auf der Grundlage des vorgelegten Studienbuchs und der darin jeweils zu Beginn des Semesters belegten Unterrichtsstunden vorgenommen werden kann.
Wie der Kläger sein Hauptstudium ab 1. Oktober 1991 gestaltet hätte bzw ob seine Darlegungen insoweit ausreichen, hat das LSG bisher – von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht – nicht geprüft. Demzufolge vermag der Senat auch nicht zu beurteilen, ob unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des für Beitragssachen zuständigen 12. Senats des BSG, der sich die für Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit zuständigen Senate (7. und 11. Senat) angeschlossen haben, Raum für eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung verblieben wäre, hinter der das Studium als “Nebensache” zurücktritt, dh der Student seinem Erscheinungsbild nach dem Kreis der Arbeitnehmer zuzurechnen wäre (vgl hierzu im einzelnen BSGE 50, 25, 26 = SozR 2200 § 172 Nr 14; BSG SozR 2200 § 172 Nrn 19 und 20; BSG SozR 3-2500 § 6 Nr 2; BSGE 71, 144, 145 = SozR 3-2200 § 172 Nr 2; ferner die bereits zitierten Entscheidungen des 11. Senats vom 30. März 1994, aaO und vom 21. April 1993, aaO sowie die Entscheidung des erkennenden Senats in BSGE 72, 105, 108 f = SozR 4100 § 169b Nr 1). Im Zusammenhang damit wird das LSG auch zu prüfen haben, ob eine dem Kläger unter Berücksichtigung seiner konkreten Studiengestaltung mögliche Teilzeitbeschäftigung “unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes” hätte ausgeübt werden können (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG; vgl dazu auch BSG, Urteil vom 23. Juli 1992 – 7 RAr 38/91 –; BSG, Urteil vom 21. April 1993 – 11 RAr 79/92 –).
Sollte der Kläger die Vermutung des § 103a Abs 1 AFG widerlegt haben, wird das LSG zu prüfen haben, ob er auch die weiteren Voraussetzungen des § 103 Abs 1 Satz 1 AFG erfüllt, ob er also in der streitigen Zeit in subjektiver Hinsicht bereit gewesen ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen (Nr 2), ob er das ArbA täglich hätte aufsuchen können und für dieses erreichbar gewesen ist (Nr 3).
Sollte danach eine Verfügbarkeit des Klägers zu bejahen sein, muß das LSG ferner prüfen, ob er die Anwartschaftszeit für den Bezug von Alg erfüllt hat. Diese erfüllt, wer innerhalb einer dreijährigen Rahmenfrist 360 Tage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung iS des § 168 AFG gestanden hat (§ 104 Abs 1 Satz 1 AFG). Da der Anspruch für die Zeit bis zum 30. September 1991 rechtskräftig abgewiesen worden ist, umfaßt die Rahmenfrist die Zeit vom 1. Oktober 1988 bis 30. September 1991 (§ 104 Abs 2 und 3 AFG). In diese Zeit fällt allein die vom Kläger in München ausgeübte Teilzeitbeschäftigung. Ob es sich hierbei um eine beitragspflichtige Beschäftigung gehandelt hat, wird das LSG – soweit diese Beschäftigung neben einem Studium ausgeübt worden ist – unter Berücksichtigung der oben aufgezeigten Kriterien näher zu prüfen haben. Dabei kann von Bedeutung sein, daß der Kläger die Beschäftigung nicht bereits vor, sondern – wofür der Akteninhalt spricht – offenbar erst während des Studiums aufgenommen hat. Damit könnte für die Zeit des Studiums eine Indizwirkung entfallen, die von einer vor Beginn des Studiums aufgenommenen beitragspflichtigen Beschäftigung ausgehen kann (vgl hierzu BSGE 50, 25, 28 = SozR 2200 § 172 Nr 14). Daß während der Teilzeitbeschäftigung Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet worden sind, reicht im übrigen für die Annahme der Beitragspflicht allein nicht aus.
Mithin war das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Dabei wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen