Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Zugehörigkeit eines volljährigen Stiefkindes zur Bedarfsgemeinschaft. Hilfebedürftigkeit. Berücksichtigung des Stiefelterneinkommens zugunsten des nicht leiblichen Kindes. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Die Bedarfsgemeinschaft zwischen einem volljährigen Kind und seinem leiblichen Elternteil setzt das Bestehen einer Familiengemeinschaft voraus, die eine Schnittstelle von Merkmalen örtlicher, materieller und immaterieller Art darstellt (vgl BSG vom 14.3.2012 - B 14 AS 17/11 R = BSGE 110, 204 = SozR 4-4200 § 9 Nr 10).
2. Die Einbeziehung volljähriger Kinder in die Bedarfsgemeinschaft ihres leiblichen Elternteils und dessen Partners und die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen des Stiefelternteils bei Bestimmung der Hilfebedürftigkeit des Kindes sind verfassungsgemäß (vgl BSG vom 14.3.2012 - B 14 AS 17/11 R = BSGE 110, 204 = SozR 4-4200 § 9 Nr 10).
Normenkette
SGB 2 § 7 Abs. 3 Nr. 2 Fassung: 2006-03-24, Nr. 2 Fassung: 2006-07-20, Nr. 4 Fassung: 2006-03-24, Nr. 4 Fassung: 2006-07-20, § 9 Abs. 2 S. 2 Fassung: 2006-03-24, S. 2 Fassung: 2006-07-20; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 30. April 2010 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (≪SGB II≫ nur noch) für die Zeit vom 1.10.2006 bis zum 8.11.2009.
Der am 9.11.1984 geborene Kläger lebt mit seiner Mutter und deren Ehemann, der nicht sein leiblicher Vater ist, zusammen in einer Wohnung in S Er bezog bis zum 30.9.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 493,77 Euro. Der Stiefvater erzielte aus einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit ein Nettoeinkommen in Höhe von 1756,97 Euro (Juni 2006) beziehungsweise 1703,91 Euro (Juli und August 2006). Vor diesem Hintergrund bezogen die Eheleute keine Leistungen nach dem SGB II.
Einen Antrag der Mutter auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II an sich selbst, ihren Ehemann und den Kläger für die Zeit vom 1.10.2006 an lehnte der Beklagte unter Hinweis auf die Einkommensverhältnisse ab (Bescheid vom 28.8.2006; Widerspruchsbescheid vom 10.10.2006). Die hiergegen gerichteten Klagen des Klägers und der Eheleute hat das Sozialgericht (SG) für das Saarland abgewiesen (Urteil vom 26.2.2007), die Berufungen hat das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland zurückgewiesen (Urteil vom 30.4.2010). Zur Begründung hat es - wie bereits das SG - ausgeführt, der Kläger, seine Mutter und der Stiefvater bildeten ab dem 1.7.2006 eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 Nr 1, 3 und 4 SGB II. Deshalb habe nach dem Wortlaut des § 9 Abs 2 SGB II die Einkommensberücksichtigung ohne Einschränkungen und ausschließlich nach Maßgabe der in § 11 SGB II enthaltenen Kriterien zu erfolgen. Nach der im angefochtenen Widerspruchsbescheid enthaltenen Berechnung sei damit von einem Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1392 Euro auszugehen, das den Gesamtbedarf in Höhe von 1380 Euro übersteige. Entgegen der Ansicht des Klägers verletze dieses rein wortlautbezogene Verständnis von § 9 Abs 2 SGB II seine Grundrechte nicht. Der Senat folge insoweit der Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) in seiner Entscheidung vom 13.11.2008 (B 14 AS 2/08 R - BSGE 102, 76 = SozR 4-4200 § 9 Nr 7).
Gegen diese Entscheidung des LSG wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat zugelassenen Revision. Er ist der Ansicht, § 7 Abs 3 SGB II sowie § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II in der seit dem 1.7.2006 geltenden Fassung seien verfassungswidrig. Die Norm verstoße gegen Art 1 Abs 1 Grundgesetz (GG) iVm Art 20 Abs 1, Art 6 Abs 2 Satz 1 und Art 3 Abs 1 GG. Das LSG habe nicht berücksichtigt, dass er bei Antragstellung das 21. Lebensjahr bereits vollendet habe. Überdies unterstelle das LSG einen Einstandswillen entsprechend § 7 Abs 3 Nr 3c SGB II. Gesteigerte unterhaltsrechtliche Verpflichtungen seiner Mutter bzw des Stiefvaters hätten aber nicht mehr bestanden. Daher habe das Einkommen seines Stiefvaters nicht bei der Prüfung seiner Hilfebedürftigkeit herangezogen werden dürfen. Er habe sich darauf berufen, dass ein Einstandswille bei seinem Stiefvater nicht vorhanden gewesen sei. Das LSG habe dies näher aufklären müssen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 30. April 2010 und das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 26. Februar 2007 sowie den Bescheid des Beklagten vom 28. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 1. Oktober 2006 bis zum 8. November 2009 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Ob die angefochtene Entscheidung mit revisiblem Recht vereinbar ist, kann aufgrund des vom LSG festgestellten Sachverhaltes nicht geprüft werden.
1. Streitgegenstand ist allein die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an den Kläger für den Zeitraum vom 1.10.2006 bis zum 8.11.2009 (Tag vor Vollendung des 25. Lebensjahres); Gegenstand des Revisionsverfahrens ist dabei der Bescheid vom 28.8.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2006. Soweit seine Mutter und deren Ehemann im Klage- und Berufungsverfahren eigene Ansprüche geltend gemacht haben, ist das Verfahren nach Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Senat mit Beschluss vom 15.12.2010 rechtskräftig abgeschlossen. Darüber hinaus hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat den Streitgegenstand weitergehend auf die Zeit vom 1.10.2006 bis zum 8.11.2009 beschränkt, nachdem die Beteiligten zuvor einen Teilvergleich betreffend die Zeit ab Vollendung seines 25. Lebensjahres geschlossen haben.
2. Nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr 1), erwerbsfähig (Nr 2) und hilfebedürftig (Nr 3) sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr 4). Der Kläger erfüllt nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG zwar die in Abs 1 Nr 1, 2 und 4 genannten Voraussetzungen. Es kann auf Grundlage der Feststellungen aber nicht abschließend beurteilt werden, ob er hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 Nr 3 iVm § 9 Abs 1 und 2 SGB II ist.
Auf Grundlage der Feststellungen des LSG lassen sich schon der Bedarf des Klägers ebenso wenig wie die Bedarfe seiner Eltern für den gesamten streitigen Zeitraum nachvollziehen. Das LSG hat weder eigene Feststellungen zur (ggf im Laufe der Zeit schwankenden) Höhe der Kosten der Unterkunft getroffen, noch ist berücksichtigt, dass sich im Laufe des streitigen Zeitraums jedenfalls die Regelbedarfe nach § 20 Abs 2 und 3 SGB II geändert haben. Gleiches gilt für das Einkommen des Stiefvaters, das in den Monaten vor dem streitigen Zeitraum durchaus Schwankungen unterlegen hat. Schließlich ist unklar geblieben, wie der Krankenversicherungsschutz des Klägers gesichert war. Sind hierfür weitergehend Beiträge angefallen, weil ein Krankenversicherungsschutz über die Familienversicherung nach § 10 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch nicht mehr vermittelt werden konnte, sind diese - für den Fall, dass eine Bedarfsgemeinschaft bestand - zusätzlich nach § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II abzusetzen (vgl BSG Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 2/08 R - BSGE 102, 76 = SozR 4-4200 § 9 Nr 7 RdNr 26). Nach Zurückverweisung wird das LSG festzustellen haben, wie hoch die Bedarfe der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in der Zeit ab dem 1.10.2006 monatlich waren (zur Bedarfsgemeinschaft sogleich), und wird monatsgenau zu ermitteln haben, wie sich ggf die Einkommenssituation innerhalb der Bedarfsgemeinschaft entwickelt hat.
3. Auch die zwischen den Beteiligten im Mittelpunkt des Rechtsstreits stehende Frage, ob der Kläger nach § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II in der ab dem 1.7.2006 geltenden Fassung durch das Gesetz zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze (vom 24.3.2006 ≪BGBl I 558≫) der Bedarfsgemeinschaft seiner Mutter und deren Ehemann - seinem Stiefvater - angehört, lässt sich auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden. Der rechtliche Schluss des LSG, das Einkommen des Stiefvaters sei nach § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II in der seit dem 1.8.2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende - Fortentwicklungsgesetz - vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) bei der Bedarfsermittlung zu berücksichtigen, wird von seinen bisherigen Feststellungen hinsichtlich des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft nicht getragen.
a) Eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 Nr 1 und 3 SGB II besteht - vorbehaltlich der Hilfebedürftigkeit - zwischen den Eheleuten S, die nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG beide im streitigen Zeitraum erwerbsfähig sind, das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und (bei gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland) nicht dauernd getrennt in einem Haushalt leben.
Gemäß § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II gehören zur Bedarfsgemeinschaft die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in § 7 Abs 3 Nr 1 bis 3 SGB II genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen beschaffen können.
b) Der Kläger gehört nach § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II als volljähriges, unter 25-jähriges, leibliches Kind eines der erwerbsfähigen Partner der Bedarfsgemeinschaft seiner Mutter nur an, wenn er zum einen in Ansehung seines eigenen Einkommens und Vermögens hilfebedürftig ist. Daneben ist entscheidend, ob er dem Haushalt der Mutter (der gemeinsam mit deren Ehemann besteht) angehört, der sich als Schnittstelle von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller (Vorsorge, Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendung, Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes) darstellt.
Wie der Senat in der Entscheidung vom 14.3.2012 (B 14 AS 17/11 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) im Einzelnen dargelegt hat, verlangt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG (dazu Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) eine enge Auslegung des § 7 Abs 3 SGB II. Der Gesetzgeber knüpft nicht an jedes Zusammenleben von einander nicht zur materiellen Unterstützung verpflichteten Personen unter einem Dach die dargestellten Rechtsfolgen, sondern lediglich an das Zusammenleben in einer Bedarfsgemeinschaft. Im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG zur Bedürftigkeitsprüfung im Recht der Arbeitslosenhilfe bei eheähnlichen Gemeinschaften (vgl BVerfG Urteil vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 - BVerfGE 87, 234 = SozR 3-4100 § 137 Nr 3) schließt der Gesetzgeber nur bei Vorliegen bestimmter typisierter (familiär geprägter) Lebensumstände auf (typisierte) Haushaltseinsparungen und Unterstützungsleistungen innerhalb der Gemeinschaft, die die Gewährung staatlicher Hilfe nicht oder nur noch in eingeschränktem Umfang gerechtfertigt erscheinen lassen.
Vor dem Hintergrund der staatlichen Verpflichtung aus Art 1 iVm Art 20 GG bedarf es einer besonderen Rechtfertigung, weshalb typisierend von so engen Bindungen ausgegangen werden kann, dass von den Mitgliedern dieser Gemeinschaft ein Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Für das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft eines erwachsenen Kindes im Verhältnis zu seinen (leiblichen) Eltern nach § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II kommt als gesetzgeberische Rechtfertigung für die Einbeziehung in eine Bedarfsgemeinschaft, an die die Rechtsfolgen des § 20 Abs 2 Satz 2 SGB II und (seit dem 1.8.2006) des § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II geknüpft sind, nur das besondere Eltern-Kind-Verhältnis in Betracht.
Dieses Eltern-Kind-Verhältnis lässt sich typisierend mit der "Zugehörigkeit zum Haushalt" des Elternteils iS des § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II beschreiben (vgl bereits BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 51/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 23 RdNr 19). Im Anschluss an die bisherige Rechtsprechung des BSG zum Tatbestandsmerkmal der "Haushaltsaufnahme" von Kindern (vgl etwa § 2 Abs 1 Bundeskindergeldgesetz, § 56 Abs 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch und § 48 Abs 3 Nr 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch ≪SGB VI≫) ist insoweit auf das Bestehen einer Familiengemeinschaft abzustellen, die eine Schnittstelle von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller (Vorsorge, Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendung, Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes) darstellt (vgl zu § 48 SGB VI BSG Urteil vom 31.1.2002 - B 5 RJ 34/01 R - SozR 3-2600 § 48 Nr 6 S 33 mwN). Die Herstellung einer lediglich räumlichen Verbindung im Sinne einer Duldung der Anwesenheit in der Wohnung genügt dagegen nicht (vgl bereits BSGE 29, 292, 293; BSGE 45, 67, 69).
Dabei geht es allerdings ausschließlich um die Beschreibung der Zugehörigkeit eines volljährigen Kindes zum Haushalt des leiblichen Elternteils. Ist das Kind in den Haushalt des leiblichen Elternteils aufgenommen, gehört es der über diesen Elternteil vermittelten Bedarfsgemeinschaft zwischen den Partnern an, ohne dass es einer weitergehenden Prüfung der familienhaften Beziehungen zwischen Kind und Stiefelternteil bedarf. Ein zusätzlicher Einstandswille seitens des Stiefelternteils ist auch bei erwachsenen Stiefkindern - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht zu fordern (vgl zum minderjährigen Kind BSG Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 2/08 R - BSGE 102, 76 = SozR 4-4200 § 9 Nr 7 RdNr 30).
4. Das LSG wird nach Zurückverweisung des Rechtsstreits zu ermitteln haben, ob der Kläger im dargestellten Sinne dem Haushalt der Mutter angehört hat.
Feststellungen sind zunächst hinsichtlich der Einzelheiten zur Wohnsituation in der Mietwohnung (örtliches Merkmal) und zu der Frage zu treffen, ob die Mutter des Klägers für diesen materielle Vorsorge getroffen hat und wie der Kläger anderenfalls seit dem 1.10.2006 seinen Lebensunterhalt finanziert hat (materielles Merkmal). Materielle Unterstützung kann dabei unabhängig davon, ob Unterhalt rechtlich geschuldet ist, in Form von Geld- oder Sachleistungen (etwa freie Kost und Logis) erbracht worden sein. Eine nachgewiesene Unterstützungsleistung muss der Höhe nach den Bedarf nicht gänzlich decken. Außer Betracht bleiben müssen in diesem Zusammenhang aber Zuwendungen der Mutter, die diese dem Kläger lediglich vorübergehend zur Verfügung gestellt hat und die mit einer Rückzahlungsverpflichtung des Klägers verbunden sind (vgl BSG Urteil vom 6.10.2011 - B 14 AS 66/11 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen und BSG vom 20.12.2011 - B 4 AS 46/11 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 45).
Im Hinblick auf die Fürsorge und die innere Verbundenheit im Sinne des immateriellen Merkmals können altersabhängig geringere Anforderungen gestellt werden. Es darf aber auch bei Volljährigkeit des Kindes die Einbeziehung in die Familiengemeinschaft nicht gänzlich entfallen. Feststellungen dazu hat das LSG nicht getroffen, obwohl der Vortrag des Klägers hierzu Anlass gegeben hat. Denkbar ist, dass wegen der behaupteten mangelnden Unterstützung durch beide (Stief)Elternteile Konflikte zwischen ihm und seiner Mutter bestanden haben, die so schwerwiegend waren, dass sie zur Auflösung der familiären Bindung geführt haben. Auch Konflikte mit dem Partner der Mutter können so schwerwiegend sein, dass sie eine Distanzierung von einer bis dahin bestehenden familiären Verbundenheit mit der Mutter nahelegen.
5. Wenn die Haushaltsangehörigkeit des Klägers iS des § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II feststeht, ist das Einkommen des Stiefvaters bei der Feststellung des Umfangs der Hilfebedürftigkeit des Klägers zu berücksichtigen. Die Konzeption des § 7 Abs 3 Nr 4 iVm § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II begegnet für diesen Fall keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, wie der Senat im Einzelnen in der bereits zitierten Entscheidung dargelegt hat (Urteil vom 14.3.2012 - B 14 AS 17/11 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 3209285 |
SGb 2013, 217 |