Orientierungssatz

Verjährung der Erstattungsansprüche nach G 131 § 72 Abs 11:

Die dreijährige Erlöschensfrist AGBGB BY Art 125 Abs 1 S 1 gilt nur, "soweit nicht ein Anderes vorgeschrieben ist". Dieser Vorbehalt ist dahin auszulegen, daß hierunter auch die ständige analoge Anwendung der besonderen Verjährungsvorschrift des BGB § 197 auf öffentlich-rechtliche Ansprüche fällt, die aus dem Bundesrecht hergeleitet werden. Bei den Erstattungsansprüchen des G 131 § 72 Abs 11 handelt es sich auch um regelmäßig wiederkehrende Leistungen des öffentlichen Rechts, auf welche die entsprechende Anwendung des BGB § 197 geboten ist.

 

Normenkette

G131 § 72 Abs. 11; BGBAG BY Art. 125 Abs. 1 S. 1; BGB § 197 Fassung: 1896-08-18

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. November 1973 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin hatte der Witwe des Versicherten G L vom 1. November 1955 bis 31. Mai 1967 Witwenrente gezahlt. Bei der Berechnung der Rente waren aufgrund einer Bescheinigung der Finanzmittelstelle A Zeiten einer Nachversicherung nach § 72 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (G 131) berücksichtigt worden. Dem daraufhin von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruch nach § 72 Abs. 11 G 131 entsprach der beklagte Freistaat Bayern nur für das Jahr 1967. Für frühere Zeiten lehnte er eine Zahlung unter Berufung auf sein Landesrecht, d. h. auf Art. 125 des Bayerischen Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 9. Juni 1899 (AGBGB) ab, der auch für derartige Ersatzansprüche gegen ihn gelte.

Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 1970, beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangen am 17. Dezember 1970, erhob die Klägerin Klage unter Beschränkung ihres Erstattungsanspruches auf die im Jahre 1966 gezahlte Rente mit der Begründung, selbst wenn man Art. 125 Abs. 1 AGBGB anwende, müsse dem Erstattungsanspruch jedenfalls noch für 1966 stattgegeben werden. Die Erstattung könne erst in dem auf den Abrechnungszeitraum folgenden Kalenderjahr gefordert werden - hier also im Jahre 1967 -. Erst dann entstehe der als Teil der Gesamtforderung anzusehende Durchschnittsbetrag für jeden Rentner aus den Gesamtaufwendungen an Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) für das jeweils abzurechnende Kalenderjahr.

Dem hielt der Beklagte entgegen, der für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1966 errechnete Betrag in Höhe von 4.036,29 DM einschließlich Verwaltungskosten und anteiligem Beitrag zur KVdR sei bereits im Jahre 1966 erbracht worden, und deshalb sei der Zeitpunkt, von dem an Ersatz gefordert werden konnte, mit Ablauf dieses Jahres eingetreten, so daß für das Jahr 1966 im Zeitpunkt der Klageerhebung im Dezember 1970 die Dreijahresfrist bereits abgelaufen gewesen ist.

Da der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einer anderen Sache durch Urteil vom 20. November 1970 (Nr. 343 III 68, Bayer. Entscheidungssammlung Bd. 24 - 1971 - Teil I S. 24) entschieden hatte, daß für Erstattungsstreitigkeiten nach § 72 G 131 der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben sei, wurde der Rechtsstreit an das Sozialgericht (SG) Nürnberg verwiesen. Dieses hat durch Urteil vom 19. September 1972 den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 4.036,29 DM zu zahlen. Die hiergegen eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben (Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts - LSG - vom 6. November 1973).

Das LSG war, im wesentlichen in Übereinstimmung mit dem SG, der Auffassung, entsprechend dem Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. Januar 1972 (4 Rd 79/71, SozR Nr. 8 zu § 72 G 131) sei zwar Art. 125 AGBGB auf die Ansprüche des Versicherungsträgers nach § 73 Abs. 11 G 131 gegen den Freistaat Bayern anzuwenden. Jedoch habe die Dreijahresfrist erst mit dem Schluß des Kalenderjahres 1970 geendet. Der von der Klägerin geforderte und seiner Höhe nach unbestrittene Erstattungsanspruch von 4.076,29 DM für das Jahr 1966 hätte nämlich erstmals im Jahre 1967 geltend gemacht werden können mit der Folge, daß der Lauf der Dreijahresfrist Anfang 1968 begonnen habe. Maßgebend hierfür seien die Verwaltungsvorschriften (VV) zu den §§ 72 - 74 G 131 in der hier maßgebenden Fassung vom 5. Januar 1961 (GMBl S. 62 = BAnz Nr. 9 vom 13. Januar 1961 - Beilage -). Nach deren Nr. 14 Abs. 2 umfaßten die Erstattungsansprüche nicht nur den jährlichen Rentenanteil, der allerdings bereits Ende 1966 hätte berechnet werden können, sondern auch Leistungen für Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit und vor allem die anteilmäßigen Aufwendungen des Versicherungsträgers zur KVdR, die von der Klägerin nach § 12 Nr. 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) als eine der Regelleistungen zu zahlen seien. Diese Aufwendungen hätten vor dem Ablauf des Jahres 1966 noch nicht festgestanden.

Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er beantragt,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 6. November 1973 und das Urteil des SG Nürnberg vom 19. September 1972 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Er rügt unrichtige Anwendung des Art. 125 des Bayerischen AGBGB.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Der Auffassung des LSG ist im Ergebnis, wenn auch nicht in der Begründung zu folgen.

Wie der Senat in seinem Urteil 1 RA 11/74 vom 14. Mai 1975 im einzelnen ausgeführt hat, gilt im gesamten Geltungsbereich des G 131 für die Verjährung der Erstattungsansprüche nach § 72 Abs. 11 G 131 einheitlich die vierjährige Frist des § 197 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Für den Freistaat Bayern kommt aufgrund seines Landesrechts nichts anderes in Betracht. § 197 BGB geht dem Art. 125 AGBGB vor.

Nach § 72 G 131 Abs. 11 erstatten der Bund sowie die sonstigen nach dem G 131 zuständiger Träger der Versorgungslast den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung im Versicherungsfall die auf die Zeiten versicherungsfreier Beschäftigungen vor dem 8. Mai 1945 entfallenden Leistungen. Der Bundesminister für Arbeit bestimmt im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen oder dem Dienstherrn das Nähere über die Berechnung und Durchführung der Erstattung und den angemessenen Ersatz der Verwaltungskosten; er kann im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen oder dem Dienstherrn auch bestimmen, daß die Erstattung durch Zahlungen von Pauschbeträgen abgegolten wird.

Dazu schreiben die hier maßgebenden Verwaltungsvorschriften zur Durchführung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften (§§ 72 bis 74) des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen in der Fassung vom 5. Januar 1967 in der Nr. 14 zu §§ 72, 72 b im Abs. 8 vor, daß die Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen den ihnen für die Zeit vom 1. April 1960 ab zu erstattenden Anteil an Versicherungsleistungen und Verwaltungskosten für jedes Kalenderjahr bis zum Ende des dritten Monats des folgenden Kalenderjahres bei den Versorgungsdienststellen nach den Formblättern der Anlagen 6 und 7 anfordern. Der ersten Anforderung ist eine Berechnung des Anteils der Versicherungsleistungen nach dem Formblatt der Anlage 8 beizufügen. Dabei zeigt gerade das Formblatt 8, daß für jeden Berechtigten eine individuelle Einzelberechnung zu erfolgen hat. Somit entstehen für jeden einzelnen Rentenempfänger jährlich wiederkehrende Erstattungsansprüche, die von § 197 BGB erfaßt werden. Sie sind nach den genannten VV für jedes Kalenderjahr bis zum Ende des dritten Monats des folgenden Kalenderjahres anzufordern.

Da die vierjährige Verjährungsfrist des § 197 BGB eingreift, kann hier offenbleiben, ob die Klägerin den Erstattungsanspruch für ihre Leistungen des Jahres 1966 - wie die Revision meint - noch im gleichen Jahr oder - entsprechend der Auffassung des LSG - erstmals im Jahre 1967 hätte geltend machen können (vgl. dazu das Urteil 1 RA 123/74 vom 14. Mai 1975). Der Erstattungsanspruch wäre auch dann nicht verjährt, wenn die Verjährung schon am 1. Januar 1967 begonnen hätte. Denn auch dann wäre der mit der Klage beim Verwaltungsgericht im Dezember 1970 erhobene Erstattungsanspruch vor Ablauf von vier Jahren, also rechtzeitig geltend gemacht worden, so daß die Verjährung unterbrochen wurde. Daß zu Unrecht das Verwaltungsgericht angerufen wurde, ist unschädlich.

Damit erweist sich das angefochtene Urteil als richtig. Einer Anrufung des Großen Senats bedurfte es nicht. Der 4. Senat hat auf Anfrage erklärt, daß er die Frage der Geltung des § 197 BGB nicht ausdrücklich entschieden und deshalb keine Einwendungen gegen eine seine Anwendbarkeit anerkennende Entscheidung habe.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650485

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