Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 17.12.1986) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. Dezember 1986 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist, in welchem Umfang dem Kläger für die Zeit vom 1. Juni bis zum 31. Dezember 1981 Arbeitslosengeld (Alg) zusteht.
Der Kläger war von Januar 1970 bis März 1981 als Kalkulationstechniker mit einem Bruttoentgelt von zuletzt 3.481,– DM beschäftigt. Daneben betrieb er einen Musikinstrumentenversandhandel, der nach seinen Angaben 1980 einen Umsatz von DM 184.700,– (1981: DM 182.363,13) aufwies. Der Kläger meldete sich am 31. März 1981 arbeitslos und beantragte Alg. Er legte Einnahmen-Ausgabenrechnungen für die Monate Juni bis Dezember 1981 vor, aus denen sich lediglich im Juni ein Gewinn von DM 77,54, ansonsten monatliche Verluste zwischen DM 849,89 und DM 6.623,29 ergaben. Die Beklagte bewilligte aufgrund der Angabe, daß die für den Versandhandel erforderliche Arbeitszeit weniger als 20 Stunden wöchentlich betrage, Alg ab April 1981 und brachte einen vorläufigen wöchentlichen Anrechnungsbetrag von DM 150,– in Abzug (Bescheid vom 26. Juni 1981). Der Kläger weigerte sich, für die Monate April und Mai 1981 eine Aufstellung über Einkaufs- und Verkaufspreise der verkauften Waren vorzulegen, da eine solche Aufstellung in keiner Weise den gesetzlichen Vorschriften entspreche. Der Beklagten wurde vom Finanzamt aus der dortigen Richtsatzsammlung 1979 – Einzelhandel iVm Musikalien und Schreibwaren – ein durchschnittlicher Reingewinn von 11 % des Umsatzes angegeben. Sie setzte daraufhin den wöchentlichen Anrechnungsbetrag für die Zeit ab 1. Juni 1981 auf DM 70,– (Bescheid vom 21. Juli 1981), ab 1. Juli 1981 auf DM 60,– (Bescheid vom 14. August 1981) und ab 2. November 1981 auf DM 100,– (Bescheid vom 29. Oktober 1981) fest. Die Beklagte wies die Widersprüche gegen die Bescheide vom 21. Juli 1981 und vom 14. August 1981 zurück (Widerspruchsbescheid vom 16. November 1981).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung der genannten Bescheide verurteilt, für die Zeit vom 1. Juni bis zum 31. Dezember 1981 Alg ohne Anrechnung von Einkommen zu zahlen (Urteil vom 1. November 1983). Die Beklagte hat nach Einlegung der vom SG zugelassenen Berufung die Arbeitslosengeldbewilligung für die Zeiträume vom 29. Juni bis 4. Juli 1981, vom 13. bis 18. Juli 1981 und vom 24. bis zum 30. Oktober 1981 aufgehoben und das für diese Zeiträume gezahlte Alg in Höhe von 961,50 DM zurückgefordert mit der Begründung, der Kläger habe wegen mehrtägiger Geschäftsreisen der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden und auch in den jeweiligen Wochen mehr als 20 Stunden gearbeitet (Bescheid vom 18. Januar 1985, Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 1985). Das Landessozialgericht (LSG) hat das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen, auch soweit sie sich gegen den Bescheid vom 18. Januar 1985 richtete. Die Beklagte habe zu Recht die Bewilligung des Alg für die genannten Zeiträume aufgehoben und DM 961,50 zurückgefordert, da durch eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen in den aufgeführten Zeiträumen der Kläger nicht mehr arbeitslos gewesen sei, weil er seine Tätigkeit als Selbständiger auf 20 Stunden und mehr pro Woche ausgedehnt habe. Für die übrigen Zeiträume sei das bewilligte Alg zutreffend berechnet. Es könne nicht festgestellt werden, daß der Kläger ein höheres Alg zu beanspruchen habe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 101 Abs 1 Nr 1, 102 Abs 1 und 115 AFG. Das LSG habe die Aufhebung der Alg-Bewilligung für die beiden ersten Zeiträume, in denen der Kläger an einem Instrumentenreparaturlehrgang teilgenommen habe, und für den dritten Zeitraum, in dem er an einem Orff-Seminar teilgenommen habe, zu Unrecht abgewiesen. Bei diesen Tätigkeiten handele es sich um Fortbildung und nicht um eine werbende Tätigkeit im Hinblick auf die Erzielung von Entgelt. Dem angefochtenen Urteil könne auch in der Anwendung des § 115 AFG nicht gefolgt werden, wenn es zu einem vom Steuerrecht abweichenden besonderen Einkommensbegriff für Selbständige gelange und die Steuerunterlagen unberücksichtigt lasse.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und den Bescheid vom 18. Januar 1985 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers hat im Sinne der Zurückverweisung Erfolg.
Gegenstand des Revisionsverfahrens sind auch die Bescheide, mit denen die Beklagte den Anrechnungsbetrag für jeweils näher bezeichnete Zeiträume neu festgesetzt hat, und der im Berufungsverfahren ergangene Bescheid, mit dem die Alg-Bewilligung für bestimmte Zeiten vollständig aufgehoben und das gezahlte Alg zurückgefordert wurde. Denn in dem ursprünglich angefochtenen Bescheid war Alg unter Berücksichtigung des Anrechnungsbetrages von DM 70,– auch für die von den genannten späteren Bescheiden betroffenen Zeiträume bewilligt worden. Die späteren Bescheide sind, soweit sie im Widerspruchsverfahren ergangen sind, nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG), der im Berufungsverfahren ergangene Bescheid ist nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat.
Aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen kann der Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 1985 über die Aufhebung der Alg-Bewilligung für drei nicht zusammenhängende Zahlwochen nicht als rechtmäßig angesehen werden. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB 10) setzt die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung ua voraus, daß in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Die Reisetätigkeit stellt nur dann eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen dar, wenn unter ihrer Berücksichtigung ein Anspruch auf Alg zu verneinen ist. Das LSG hat angenommen, der Kläger habe für die drei genannten Zeiträume keinen Anspruch auf Alg, da er nicht „arbeitslos” im Sinne des § 100 Abs 1 AFG gewesen sei. Nach § 101 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG in der hier anzuwendenden Fassung durch Art 2 des Sozialgesetzbuches 4. Buch (SGB 4) vom 23. Dezember 1976 (BGBl I S 3845) ist ein Arbeitnehmer nicht arbeitslos, wenn er eine Tätigkeit als Selbständiger ausübt, die die Grenze des § 102 überschreitet. Nach § 102 Abs 1 AFG ebenfalls idF des Art 2 SGB 4, ist kurzzeitig im Sinne des § 101 Abs 1 eine Beschäftigung, die auf weniger als 20 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt ist (Satz 1). Die zum 1. Januar 1986 in Kraft getretene Neufassung der Vorschrift durch das Siebte Änderungsgesetz (7. ÄndG) vom 20. Dezember 1985 (BGBl I S 2484) gilt nicht für den hier streitigen Anspruchszeitraum. Die Auffassung des LSG, auch die Teilnahme an einem Instrumentenreparaturkurs und am Orff-Seminar sei der selbständigen Tätigkeit zuzuordnen, ist zutreffend. Sie verstößt nicht gegen Vorschriften über die Förderung der beruflichen Bildung. Auch zum Förderungsanspruch ist bei „Doppelberuflern”, die einen abhängigen und einen selbständigen Beruf nebeneinander ausüben, danach zu unterscheiden, ob sich die Fortbildungsmaßnahme auf den abhängig ausgeübten Beruf oder auf den selbständig ausgeübten Beruf bezieht (vgl Bundessozialgericht -BSG- SozR 4100 § 36 Nr 25). Daß mit dieser Tätigkeit nicht unmittelbar ein Gewinn oder Umsatz erzielt wurde, ist bedeutungslos (vgl BSG SozR 4100 § 102 Nr 7).
Nach § 102 Abs 1 Satz 2 AFG bleiben gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer unberücksichtigt. Handelt es sich bei den mehrtägigen Reisen um nicht zumindest jährlich wiederkehrende Umstände, so sind sie gelegentliche Abweichungen. Der Begriff „von geringer Dauer” ist auf die Gesamtdauer der kurzzeitigen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit zu beziehen. Wird diese auf unbestimmte Zeit ausgeübt, so ist jedenfalls ein Zeitraum bis zu drei Wochen, bei monatlicher Abrechnung bis zu einem Monat, als von geringer Dauer anzusehen (Hennig/Kühl/Heuer AFG Kommentar, § 102 Anm 7; Eckert in GemKomm § 102 RdNr 16; Steinmeyer in Gagel, AFG, § 102 Anm 30, der weitergehend eine Grenze von sechs Wochen befürwortet). Den Feststellungen des LSG ist nicht zu entnehmen, ob die mehrtägigen Reisen unvorhersehbar waren, oder als zumindest im Jahresabstand regelmäßig wiederkehrend anzusehen sind. Waren sie unvorhersehbar, so müssen sie als gelegentliche Abweichung von geringer Dauer unberücksichtigt bleiben, so daß wegen der Reisetätigkeit mit der vom LSG gegebenen Begründung Arbeitslosigkeit nicht verneint werden kann. Das LSG hat zu der von der Beklagten im angefochtenen Bescheid ebenfalls verneinten Verfügbarkeit, einer weiteren Voraussetzung des Anspruchs auf Alg, keine Feststellungen getroffen. Der Senat kann daher nicht abschließend beurteilen, ob die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg auch in den drei Wochen vorlagen. Das könnte nur dann offen bleiben, wenn die streitige Aufhebung für die Vergangenheit auch dann rechtswidrig wäre, wenn eine wesentliche Änderung unterstellt wird. Die Aufhebung auch für die Vergangenheit erfordert nach § 48 Abs 1 Satz 2 SGB 10 neben der wesentlichen Änderung wahlweise einen der dort unter den Nummern 1 bis 4 angeführten Tatbestände. Von diesen kommen hier in Betracht, daß der Kläger einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse, hier nach § 60 Abs 1 Nr 2 SGB 1, vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr 2) oder daß er wußte oder grob fahrlässig nicht wußte, daß der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch weggefallen war (Nr 4). Das LSG hat einen zumindest grob fahrlässigen Verstoß gegen die Verpflichtung angenommen, die Reisetätigkeit der Beklagten mitzuteilen, da damit die 20 Stunden-Grenze überschritten worden sei. Die Feststellung beruht zwar auf der unrichtigen Auslegung des § 102 AFG; das besagt aber nicht, daß grobe Fahrlässigkeit deswegen als von vornherein ausgeschlossen angesehen werden kann. Daher war das Urteil über die Aufhebung der Alg-Bewilligung und die Rückforderung aufzuheben und der Rechtsstreit insoweit an das LSG zurückzuverweisen.
Auch zur streitigen Anrechnung von Einkommen ist aufgrund der bisherigen Feststellungen eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Die Anrechnung von Einkommen richtet sich für den streitigen Zeitraum vom 1. Juni bis zum 31. Dezember 1981 nach § 115 AFG in der ab dem 1. Januar 1975 geltenden Fassung durch das Einführungsgesetz zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974 (BGBl I S 3656). Danach ist anrechenbar „Einkommen, das der Arbeitslose während des Bezuges von Alg aus einer unselbständigen oder selbständigen Tätigkeit erzielt”, und zwar zur Hälfte, soweit das Einkommen nach Abzug der Steuern, der Sozialversicherungsbeiträge und der Werbungskosten 15 Deutsche Mark wöchentlich übersteigt. Die Erwähnung der Steuern, Beiträge und Werbungskosten zeigt, daß jedenfalls nicht das Nettoeinkommen gemeint ist. Im übrigen wird aber nicht näher erläutert, was unter Einkommen zu verstehen ist und auf welche Weise es ermittelt werden soll. Die mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 12. Dezember 1977 (BGBl I S 2557) eingeführte und mit dem Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I S 1497) wieder aufgehobene Verpflichtung der Beklagten, den Arbeitslosen in Abständen von nicht länger als drei Monaten zur Abgabe einer Erklärung darüber aufzufordern, ob und in welchem Umfang er Einkommen nach Abs 1 erzielt oder erzielt hat, ist in diesem Zusammenhang bedeutungslos, ebenfalls der mit dem AFKG angefügte Satz 2, wonach das um die Steuern, die Sozialversicherungsbeiträge und die Werbungskosten verminderte Einkommen auf das Alg voll angerechnet wird, soweit es zusammen mit dem nach Satz 1 verbleibenden Alg 80 vH des für den Leistungssatz nach § 111 maßgebenden Arbeitsentgelts übersteigt.
Mit dem 7. ÄndG vom 20. Dezember 1985 (BGBl I S 2484) wurde § 115 AFG mit Wirkung vom 1. Januar 1986 neu gefaßt. Die Neufassung gilt zwar nicht für den hier streitigen Zeitraum; die amtliche Begründung befaßt sich jedoch auch mit der Auslegung des zuvor geltenden – und hier anzuwendenden – Rechts. In ihr (BT-Drucks 10/3923) heißt es zu Nr 22, nach geltendem Recht sei das während des Bezuges von Alg erzielte Nebenerwerbseinkommen allein auf das Alg der Woche anzurechnen, in der es dem Arbeitslosen zufließt. Dies gelte auch dann, wenn das Erwerbseinkommen in mehreren Wochen erarbeitet worden sei (Hinweis auf BSG SozR 4100 § 115 Nr 1). Diese Regelung führe – darauf habe das BSG hingewiesen – zu sozialpolitisch nicht vertretbaren Ergebnissen. So bleibe ein Nebenerwerbseinkommen, das den Freibetrag von wöchentlich 15,– DM nicht überschreite, bei wöchentlicher Abrechnung anrechnungsfrei. Bei monatlicher Abrechnung werde dagegen das Erwerbseinkommen, das den Freibetrag von 15,– DM wöchentlich überschreite, zur Hälfte auf das Alg angerechnet. Derartige Ungerechtigkeiten würden durch die Neuregelung ausgeschlossen.
Das 7. ÄndG regelt in § 115 Abs 1 AFG die Anrechnung von Nebenerwerbseinkommen aus einer abhängigen Beschäftigung und verwendet insoweit nunmehr den Begriff „Arbeitsentgelt”, allerdings ohne Hinweis auf die Definition dieses Begriffes in § 14 Abs 1 SGB 4, der nach dem Anwendungsbereich des SGB 4 nicht für das Arbeitsförderungsrecht gilt. Nach § 115 Abs 2 AFG idF des 7. ÄndG gilt für selbständige Tätigkeiten Abs 1 entsprechend.
Zum Sinn der Anrechnungsvorschrift hat der 7. Senat des BSG in der in der Begründung angeführten Entscheidung (SozR 4100 § 115 Nr 1) ausgeführt, zur Anrechnung berechtige nicht jedes zufließende Erwerbseinkommen. Es müsse vielmehr nach § 115 Abs 1 AFG „während des Bezuges von Alg” erzielt, dh nicht nur während des Bezuges von Alg erarbeitet, sondern während dieser Zeit auch zugeflossen sein. Das folge zum einen aus den Worten „während des Bezuges von Arbeitslosengeld” erzielt sowie aus dem Begriff Anrechnung, zum anderen aus dem Zweck der Vorschrift. Dem stimmt der Senat zu. Geregelt wird ein Fall der Teilarbeitslosigkeit (vgl BT-Drucks II/1274 Seite 132). Der Versicherungsfall ist nicht in vollem Umfang eingetreten, solange noch ein Erwerbseinkommen erzielt wird. Hiernach ist nur anzurechnen ein Erwerbseinkommen, das während des Alg-Bezuges erarbeitet und zugeflossen ist. Es ist in der Woche des Zuflusses anzurechnen, auch wenn es nicht in dieser Woche, sondern in anderen Wochen der Arbeitslosigkeit erarbeitet wird. Es ist daher mit dem LSG davon auszugehen, daß das Einkommen nach dem Zufluß wöchentlich zu ermitteln und wöchentlich anzurechnen ist, soweit es überhaupt in der Zeit der Arbeitslosigkeit erarbeitet wurde.
Somit besteht zum Einkommen des Steuerrechts insoweit ein grundlegender Unterschied, als das Steuerrecht auf das Jahreseinkommen abstellt. Würde generell als Wocheneinkommen 1/52 des steuerlichen Jahreseinkommens zugrunde gelegt, so würde diese Unterscheidung unterlaufen und gegen Sinn und Zweck des § 115 AFG verstoßen. Wäre zB der Jahresgewinn 10.000,– DM, weil in der ersten Jahreshälfte ein Verlust von 20.000,– DM und in der zweiten Jahreshälfte ein Gewinn von 30.000,– DM entstand, so wäre der Arbeitslose bei einer Anrechnung des anteiligen Jahresgewinnes bei einer Arbeitslosigkeit in der ersten Jahreshälfte ungerechtfertigt benachteiligt, bei einer Arbeitslosigkeit in der zweiten Jahreshälfte aber ungerechtfertigt bevorzugt. Die Gewinnermittlung soll deshalb nach den wöchentlichen Einnahmen erfolgen.
Die Gewinnermittlung kann bilanzmäßig durch Vergleich des Anfangs- und Endvermögens, durch eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung sowie durch Schätzung erfolgen, wie dies im Steuerrecht – dort bezogen auf den Jahreszeitraum – jeweils näher geregelt wird.
Das LSG geht von einer Einnahmen- und Ausgabenrechnung aus und meint hierzu, entgegen der Auffassung des Klägers könnten nicht einfach alle Ausgaben einschließlich der Abschreibungen von Verbrauchsgütern den Einnahmen gegenübergestellt werden. Bei einem Handelsgeschäft, wie es der Kläger betrieben habe, seien von den Einnahmen einer Woche der Einkaufspreis der verkauften Ware und nicht der Einkaufspreis der in der gleichen Woche gekauften Waren abzusetzen. Das erscheint zutreffend, da nur bei einer solchen Berechnung vermieden wird, daß bei einer Verminderung des Lagerbestandes ein Scheingewinn oder bei der Erhöhung des Lagerbestandes ein Scheinverlust entsteht.
Das Berufungsurteil legt der Rechtsanwendung einen Gewinn von 11 vH des jeweils in einer Woche erzielten Verkaufserlöses zugrunde. Das wird einerseits mit den Regeln über die objektive Beweislast und andererseits mit einer Schätzungsbefugnis begründet. Ob das LSG damit die Beweislast für die Anwendung des § 115 AFG verkannt hat, gehört zum materiellen Recht und ist im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen (BSG SozR 1500 § 128 Nr 18). Auch im Zivilprozeß werden die Regeln über die Beweislast nicht mehr – wie früher – dem Prozeßrecht, sondern dem materiellen Recht zugeordnet (BGH NJW 83, 2033), jedenfalls, wenn der Rechtssatz, dessen Voraussetzungen streitig sind, diesem Rechtsgebiet zugehört (Baumbach/Lauterbach, ZPO, 45. Aufl, § 554 Anm 1 B). Das gilt entsprechend für den Verwaltungsprozeß (vgl Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, 145f).
Zu der materiell-rechtlichen und daher von Amts wegen zu beachtenden Beweislastverteilung gehört auch der Grundsatz, daß die objektive Beweislast erst nach Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen Anwendung findet, wie der 1. Senat des BSG zu einer Sprungrevision, die nicht auf einen Verfahrensmangel gestützt werden kann, entschieden hat (vgl SozR 1500 § 161 Nr 26 und § 128 Nr 18; BSG Urteil vom 23. Juni 1982 – 7 RAr 70/81 – DBlR 2759a SGG/§ 103). Insoweit ist auch zu prüfen, ob eine Schätzungsbefugnis bestand und ausgeübt wurde, auch wenn die richtige Anwendung des § 287 ZPO im übrigen nur auf Rüge zu prüfen ist (BSGE 62, 5, 8 = BSG SozR 1750 § 287 Nr 1; BFHE 135, 158).
Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Schätzung in entsprechender Anwendung der §§ 162 Abgabenordnung (AO) und 287 Zivilprozeßordnung (ZPO) sind hier gegeben. Auf das Vorliegen ausreichender Anhaltspunkte als tatsächliche Voraussetzung einer Ausübung der Schätzungsbefugnis ist später einzugehen. Wird das Einkommen des § 115 AFG im Wege der Schätzung ermittelt, so ist die Schätzung als Tatsachenfeststellung von der letzten Tatsacheninstanz vorzunehmen. Dafür ist unerheblich, ob die Schätzungsbefugnis auf § 287 ZPO oder auf § 162 AO jeweils in entsprechender Anwendung, oder auf beide Normen gestützt wird. Der § 287 ZPO findet nach § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung (BSG SozR 1750 § 287 Nr 1; SozR 3870 § 3 Nr 5; BSG Urteil vom 27. Juli 1978 – 2 RU 37/78 – HVGBG RdSchr VB 187/78). Soweit die nach § 282 ZPO erforderliche Schätzung schon im angefochtenen Verwaltungsakt vorgenommen wird, handelt es sich nicht um Verwaltungsermessen (BVerwGE 35, 178, 182). Auch soweit die Finanzbehörden die Besteuerungsgrundlagen durch Schätzung nach § 162 AO ermitteln, ist anerkannt, daß die Schätzung vom Gericht voll überprüfbar ist, weil sie kein Verwaltungsermessen beinhaltet (Klein/Orlopp, AO, 3. Aufl, § 162 Anm 6; Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 162 RdNr 9; Tipke/Kruse AO, § 162 RdNr 10). Das Gericht hat eine eigene Schätzungsbefugnis (BFHE 135, 158) und darf dabei auch eine andere als die von der Verwaltung angewandte Schätzungsmethode zugrunde legen.
Das Berufungsurteil läßt nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen, daß das LSG die Schätzung voll überprüft und damit selbst vorgenommen hat. Das LSG meint, mangels der erforderlichen Mitwirkung des Klägers im Verwaltungsverfahren, die er auch im Berufungsverfahren trotz Hinweises auf prozessuale Nachteile nicht nachgeholt habe, habe die Beklagte das Einkommen des Klägers schätzen dürfen. Die vom Finanzamt geführte Richtsatzsammlung stelle auch einen brauchbaren Maßstab dar. Hiernach hat das LSG die Schätzung wie eine Ermessensentscheidung nur auf Rechtsfehler überprüft, ohne sie vollständig nachzuvollziehen und sich zu eigen zu machen. Der Rechtsstreit war deshalb auch hinsichtlich der Höhe des Alg an das LSG zurückzuverweisen, damit dieses die Schätzungsbefugnis selbst ausübt.
Das LSG wird insoweit zu beachten haben, daß Schätzungen von den Grundlagen her möglich, in sich schlüssig und wirtschaftlich vernünftig sein müssen (BFHE 142, 558). Bei einer Schätzung entscheidet das Gericht zwar wie bei einer sonstigen Tatsachenfeststellung nach freier Überzeugung; es hat alle Umstände des Einzelfalles zu würdigen (§ 287 Abs 1 Satz 1 iVm § 287 Abs 2 ZPO); seine Schätzung ist aber rechtsfehlerhaft, wenn es die Schätzungsgrundlagen nicht richtig festgestellt oder nicht alle wesentlichen, in Betracht kommenden Umstände hinreichend gewürdigt hat, oder wenn die Schätzung selbst auf falschen oder unsachlichen Erwägungen beruht (BSGE 62, 5, 8 mwN). Auszugehen ist von dem aufgeklärten Sachverhalt. Wenn das LSG die Schätzung der Beklagten übernimmt, wäre insoweit darzulegen, ob das LSG die Angaben des Klägers zu dem 1981 erzielten Umsatz und dem 1981 erzielten Gewinn iS der steuerlichen Handhabung als richtig ansieht. Wenn der speziell vom Kläger 1981 erzielte Jahresgewinn nicht 11 vH seines Umsatzes betrug, so liegt es näher, für die Schätzung des Wochengewinns auf den individuellen Gewinn-Vomhundertsatz für 1981 und nicht auf den generellen Richtsatz von 11 vH zurückzugreifen. Ist der individuelle Gewinn-Vomhundertsatz nicht aussagekräftig, etwa weil der Lagerbestand aufgestockt wurde, so kann nicht ohne weiteres auf den allgemeinen Richtsatz von 11 vH zurückgegriffen werden. Soweit die Erhöhung des Lagerbestandes oder eine andere Fehlerquelle geschätzt oder doch mit einem Höchstbetrag angesetzt werden kann, darf über den individuellen Gewinn-Vomhundertsatz, der sich bei Berücksichtigung dieses Höchstbetrages ergibt, nicht hinausgegangen werden.
Das LSG meint, nach den Regeln der objektiven Beweislast falle dem Kläger die Nichtnachweisbarkeit eines geringeren Einkommens zur Last. Das kann in dem Sinne zu verstehen sein, daß die Nichterzielung eines anrechenbaren Einkommens gleichsam iS einer Voll-Arbeitslosigkeit in die Beweislast des Antragstellers falle. Es kann aber auch gemeint sein, daß zwar die Behörde nach der Fassung des § 115 AFG die Beweislast für ein anrechnungsfähiges Einkommen trage, daß der Kläger aber gleichwohl beweisbelastet sei, weil er es abgelehnt habe, den Angaben über die jeweils in einer Woche verkauften Waren wegen verschiedener Lieferantenpreise den jeweiligen Einkaufspreis hinzuzufügen. Es hat sich zwar eingebürgert, in Fällen der Beweiserschwerung wie in Fällen des Anscheinsbeweises von einer „Umkehr der Beweislast” zu sprechen, in Wahrheit handelt es sich jedoch um Fragen der Beweiswürdigung (vgl BSGE 41, 297, 300). Die Weigerung, den Einkaufspreis der jeweils verkauften Waren anzugeben, erlaubt es bei der Schätzung des Gewinns, den individuellen Gewinn-Vomhundertsatz, beim Fehlen ausreichender Angaben zum individuellen Gewinn-Vomhundertsatz den allgemeinen Richtsatz zugrunde zu legen. Die Schätzungsbefugnis schließt eine Entscheidung aufgrund der Beweislast zwar regelmäßig aus (Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, Seite 141; Wieczorek, Großkommentar zur ZPO, 1957, § 287 Anm D IIa unter Hinweis auf BGH NJW 1954, 405; ähnlich BSG Urteil vom 27. Juli 1978 – 2 RU 37/78 – HVGBG RdSch VB 187/78), das gilt aber insbesondere dann nicht, wenn für eine Schätzung ausreichende Anhaltspunkte fehlen (vgl BGH NJW 1972, 1515, BFHE 137, 207; Klauser in Anm zu BGH JZ 1971, 228, 230 f). Da sich nicht absehen läßt, ob das Berufungsgericht auch bei Ausübung seiner Schätzungsbefugnis zur Nichtaufklärbarkeit der Gewinnhöhe iS eines „non liquet” kommen wird, sind weitere Ausführungen zur Beweislast hier entbehrlich.
Das LSG wird bei der neuen Entscheidung zur Sache auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen