Orientierungssatz
§ 138 Abs 1 Nr 2 AFG ist in verfassungskonformer Auslegung dahin zu ergänzen, daß sein Regelungsgehalt sich auch schon vor dem Inkrafttreten des § 137 Abs 2a AFG (1.1.1986) auf Partner eheähnlicher Gemeinschaften erstreckt (Anschluß an BSG vom 24.3.1988 - 7 RAr 81/86 = SozR 4100 § 138 Nr 17).
Normenkette
AFG § 137 Abs. 2a Fassung: 1985-12-20, § 138 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 04.12.1986; Aktenzeichen L 3 Ar 100/86) |
SG Kiel (Entscheidung vom 03.06.1986; Aktenzeichen S 4 Ar 156/85) |
Tatbestand
Im Prozeß geht es um die Rechtsfrage, ob bei der Bedürftigkeitsprüfung nach § 138 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) das Einkommen der mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Person ebenso zu berücksichtigen ist, wie das Einkommen eines von dem Arbeitslosen nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten.
Die im Jahr 1940 geborene Klägerin bezog ab Sommer 1981 vom Arbeitsamt K. Arbeitslosenhilfe (Alhi); die letzte Bewilligung - für die Zeit ab 2. April 1984 - erfolgte mit Bescheid vom 28. März 1984. Spätestens ab März 1985 lebte die Klägerin mit dem geschiedenen technischen Angestellten K. in eheähnlicher Gemeinschaft. Das Arbeitsamt hob mit Bescheid vom 21. März 1985 die frühere Entscheidung über die Bewilligung von Alhi ab 1. April 1985 auf, weil das - ausreichende - Einkommen des K. auf die Alhi anzurechnen sei. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. April 1985).
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Kiel am 3. Juni 1986 die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. April bis 30. September 1985 Alhi "ohne Anrechnung des Einkommens von K. zu gewähren". Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 4. Dezember 1986 das Urteil des SG aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Anrechnung des Einkommens sei nach § 138 Abs 1 Nr 2 AFG rechtmäßig. Die Vorschrift enthalte eine unbeabsichtigte Regelungslücke, da sie nur das Einkommen von Ehegatten betreffe, und sei deshalb in analoger Anwendung auf die Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft auszudehnen.
Mit der Revision trägt die Klägerin vor: Hier handle es sich um einen bewußten Regelungsverzicht des Gesetzgebers, der eine dem § 149 Abs 5 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) entsprechende Regelung in das AFG nicht übernommen habe. Auch der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 67, 186 ff = SozR 4100 § 139 Nr 1 bilde keine Rechtsgrundlage. Im übrigen würden in sonstigen Rechtsgebieten eheähnlich Zusammenlebende gerade nicht den Ehegatten gleichgestellt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind auf das Urteil des 7. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. März 1988 - 7 RAr 81/86 - hingewiesen worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Arbeitsamt hat bei Prüfung der Bedürftigkeit der Klägerin zu Recht das Einkommen des K. berücksichtigt und deshalb in der streitigen Zeit keine Alhi gezahlt.
Die Revision wendet sich allein gegen die Anrechnung des Einkommens des Partners der eheähnlichen Gemeinschaft bei Bemessung des Alhi-Anspruchs; die sonstigen Entscheidungsgrundlagen, insbesondere das Rechenwerk und das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft, bezweifelt sie dagegen nicht. Deshalb kann auch offen bleiben, ob der Bescheid des Arbeitsamtes vom 21. März 1985 eine Aufhebung des letzten bewilligenden Bescheides für die Zukunft (§ 48 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - -SGB 10-) oder die Ablehnung einer sog Fortzahlungsbewilligung darstellt, nachdem der Bewilligungsabschnitt am 31. März 1985 abgelaufen war.
Der Senat teilt die Rechtsauffassung des 7. Senats des BSG in dem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 24. März 1988 - 7 RAr 81/86 -, § 138 Abs 1 Nr 2 AFG sei in verfassungskonformer Auslegung dahin zu ergänzen, daß sein Regelungsgehalt sich auch schon vor dem Inkrafttreten des § 137 Abs 2a AFG (1. Januar 1986) auf Partner eheähnlicher Gemeinschaften erstreckte. Der erkennende Senat nimmt auf die eingehende Begründung hierzu Bezug.
Aus dem Umstand, daß bei der Schaffung des AFG die Übernahme des § 149 Abs 5 AVAVG abgelehnt worden ist, schließt die Revision zu Unrecht auf einen beabsichtigten Regelungsverzicht. Aus den Materialien zum AFG ergibt sich vielmehr eindeutig, daß der Gesetzgeber entsprechend dem früheren Rechtszustand eine im wirtschaftlichen Ergebnis gleichartige Behandlung von ehelichen und eheähnlichen Gemeinschaften erreichen wollte (Bundesrats-Drucksache 484/67 zu § 137, Bundestags-Drucksache V/2291 zu § 137 - jeweils am Ende).
Der Revision kann auch nicht darin gefolgt werden, daß der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 67, 186 als Grundlage für die Entscheidung des Senats nicht in Frage komme. Das BVerfG hat ausgeführt, daß die Berücksichtigung von Einkünften eines Arbeitslosen sowohl bei nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten als auch bei unverheiratet zusammenlebenden Personen in gleicher Weise nach § 138 Abs 1 AFG zu erfolgen habe, solange der Gesetzgeber nicht - wie später durch die Einführung des § 137 Abs 2a AFG - eine andere Gestaltung finde. Dies stellt eine rechtliche Lösung dar, die sich - unabhängig von der Frage der Bindungswirkung des Urteils des BVerfG - aus der Beachtung des verfassungsrechtlichen Gebotes gleicher Behandlung vergleichbarer Sachverhalte unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftsgemeinschaft ergibt.
Soweit die Revision schließlich behauptet, eheähnliche Gemeinschaften würden außerhalb des Arbeitslosenhilferechts grundsätzlich schlechter als Ehen gestellt, ist dies - unbeschadet der insoweit bestehenden Zweifel in tatsächlicher Hinsicht - darauf zurückzuführen, daß sich der besondere verfassungsrechtliche Schutz der Ehe in Art 6 Abs 1 des Grundgesetzes gerade nicht auf eheähnliche Gemeinschaften erstreckt. Damit ist es dem Gesetzgeber überlassen, insoweit jeweils sachlich am Gleichbehandlungsgrundsatz orientierte Regelungen zu finden. Dies bringt im Vergleich zur Ehe Vorteile und Nachteile mit sich, die jedoch durch Eingehen oder Vermeiden der Ehe von den Partnern frei gewählt werden können.
Die Revision der Klägerin war daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen