Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstufung pflichtversicherter Selbständiger
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Einstufung eines pflichtversicherten Selbständigen in die Leistungsgruppe des FRG ist zunächst zu ermitteln, welcher unselbständig Beschäftigte der Berufstätigkeit nach vergleichbar ist; sodann ist zu prüfen, ob sich die Beitragsleistung des Selbständigen im Rahmen der Beitragsleistungen der für die Vergleichsperson maßgebenden Leistungsgruppe gehalten hat; je nach dem ist die Zuordnung zur Leistungsgruppe der Vergleichsperson zu korrigieren. Auch in den Fällen, in den die Höhe der Beitragsleistung nicht nachgewiesen ist, ist der Weg grundsätzlich kein anderer; es muß dann (möglichst) berücksichtigt werden, wie sich die Einkommensverhältnisse für die Höhe der Beitragsleistung nach dem Recht des Herkunftslandes ausgewirkt haben.
Orientierungssatz
Zur Frage der Einstufung eines in Rumänien selbständigen Rechtsanwalts für die Zeit vor seinem 45. Lebensjahr und bei nicht nachgewiesener Beitragshöhe.
Normenkette
FRG § 23 Abs. 1 Fassung: 1960-02-25, Abs. 2 S. 1 Fassung: 1960-02-25, § 22 Anl 1
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Juli 1975 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der im November 1974 verstorbene Versicherte und die Klägerin, seine Witwe und Rechtsnachfolgerin, sind Vertriebene aus Rumänien; sie kamen 1970 in die Bundesrepublik Deutschland. Der Versicherte war von 1922 bis April 1948 selbständiger Rechtsanwalt in K (B) und ab 18. Juni 1931 außerdem beim sogenannten Hohen Gericht in Bukarest zugelassen. Während dieser Zeit gehörte er der Pflichtversicherung der Rechtsanwälte an; er zahlte Pflichtbeiträge; außerdem erhielt die Pflichtversicherung Anteile aus Stempelgebühren.
Streitig ist nur noch, wie die Versicherungszeit von Juni 1931 (Zulassung beim Hohen Gericht) bis Dezember 1937 (Vollendung des 45. Lebensjahres) bei der Berechnung des ab August 1970 gewährten Altersruhegeldes zu berücksichtigen ist. Die Beklagte hat hierfür die Leistungsgruppe 2 der Anlage I B zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG) zugrunde gelegt.
Das Sozialgericht (SG) verpflichtete die Beklagte, den Versicherten der Leistungsgruppe B 1 zuzuordnen. Die Berufung der Beklagten wies das Landessozialgericht (LSG) zurück. Da die Höhe der Beitragsleistungen nicht nachgewiesen sei, müsse nach § 23 Abs. 2 Satz 1 FRG auf die Berufstätigkeit und die Einkommensverhältnisse zurückgegriffen werden. Hierbei komme es, da sich über die Einkommensverhältnisse kein genaues Bild habe gewinnen lassen, weitgehend auf die Angaben des Versicherten an; diese hätten jedenfalls erkennen lassen, daß er eine gute, angesehene Kanzlei gehabt habe. Da er bis 1931 immerhin neun Jahre als selbständiger Rechtsanwalt tätig gewesen sei, könne jedenfalls ab diesem Zeitpunkt, d. h. von seiner Zulassung beim sogenannten Hohen Gericht an, seine Tätigkeit derjenigen eines leitenden Angestellten der Leistungsgruppe B 1 als gleichwertig angesehen werden.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
unter Abänderung der vorinstanzlichen Urteile die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung des § 23 Abs. 2 Satz 1 FRG. Die Zulassung beim Hohen Gericht rechtfertige nicht die Zuordnung zur Leistungsgruppe B 1; sie ermögliche auch nicht die Annahme besonders günstiger Einkommensverhältnisse; sonach müsse es bei der Regeleinstufung nach der Berufstätigkeit, d. h. der Zuordnung zur Leistungsgruppe B 2 bleiben.
Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt; sie hat sich jedoch, ebenso wie die Beklagte, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist insofern begründet, als der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden muß; seine Entscheidung läßt sich auf die bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht stützen.
Welcher Leistungsgruppe der Versicherte für die noch streitige Zeit (18. Juni 1931 bis 31. Dezember 1937) zuzuordnen ist, beurteilt sich nach § 23 FRG. Hiernach ist bei einem pflichtversicherten Selbständigen § 22 FRG unter Berücksichtigung der Beitragsleistung entsprechend anzuwenden (§ 23 Abs. 1 FRG); ist die Höhe der Beitragsleistung nicht nachgewiesen, so sind an deren Stelle die Berufstätigkeit und die Einkommensverhältnisse zu berücksichtigen (§ 23 Abs. 2 Satz 1 FRG).
Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (vgl. die in SozR zu §§ 22, 23 FRG abgedruckten Entscheidungen) hat mehrfach aufgezeigt, wie insoweit vorzugehen ist: Zunächst ist ein nach der Berufstätigkeit vergleichbarer unselbständig Beschäftigter zu ermitteln; sodann ist zu prüfen, ob sich die Beitragsleistung des Selbständigen im Rahmen der Beitragsleistungen der für die Vergleichsperson maßgebenden Leistungsgruppe hält; trifft das nicht zu, ist die Zuordnung nach oben bzw. unten zu korrigieren. Auch in den Fällen, in denen die Höhe der Beitragsleistung nicht nachgewiesen ist, ist der Weg grundsätzlich kein anderer; es muß dann (möglichst) berücksichtigt werden, wie sich die Einkommensverhältnisse für die Höhe der Beitragsleistung nach dem Recht des Herkunftslandes ausgewirkt haben; die Brücke zu § 22 FRG ist auch hier grundsätzlich über die Beitragsleistung zu finden (SozR 5050 § 23 Nr. 1).
Als Vergleichsperson kommt hier ein als Angestellter beschäftigter Jurist mit abgeschlossener Hochschulausbildung in Betracht. Für solche Akademiker setzt die Zuordnung zur Leistungsgruppe B 1 nach ständiger Rechtsprechung des BSG stets ein hohes Maß an beruflichen Erfahrungen voraus; ein angestellter Akademiker kann deshalb vor seinem 45. Lebensjahr nur dann in die Leistungsgruppe B 1 eingestuft werden, wenn er eine berufliche Stellung erreicht hat, die sich aus den allgemeinen Positionen seiner Berufskollegen deutlich heraushebt (vgl. SozR 5050 § 22 Nr. 1 und die dort zitierten Entscheidungen). Diese Heraushebung muß objektiv feststellbar und evident sein (vgl. SozR 5050 § 22 Nr. 2).
Der Versicherte ist hiernach nur dann nach der Berufstätigkeit einem vor dem 45. Lebensjahr bereits in die Leistungsgruppe B 1 einzuordnenden angestellten Akademiker vergleichbar, wenn auch seine Stellung in der streitigen Zeit sich aus den Positionen seiner Berufskollegen deutlich herausgehoben hat.
Insoweit ergibt sich aus den Feststellungen des LSG, daß der Versicherte eine gute, angesehene Kanzlei, eine der besuchtesten in K betrieben und monatlich ein steuerpflichtiges Einkommen von umgerechnet 6.000,- DM bis 8.000,- DM gehabt hat. Das LSG verweist ferner auf die Zulassung beim Hohen Gericht in Bukarest, die besondere Voraussetzungen gefordert habe; der Versicherte sei bis dahin schon neun Jahre als Anwalt tätig gewesen. Diese Tatsachen allein ermöglichen es nicht, ein deutliches Herausheben gegenüber Berufskollegen zu erkennen. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, Vergleichsgrößen anzugeben, d. h. die beim Versicherten festgestellten Verhältnisse denen anderer Berufskollegen gegenüberzustellen. Es fehlen auch Angaben über die tatsächliche Größe der Kanzlei und die Anzahl der dort Beschäftigten. Die notwendigen Voraussetzungen für die Zulassung beim Hohen Gericht in Bukarest sind nicht beschrieben. Ferner fehlen Feststellungen zur Anzahl der dort zugelassenen Rechtsanwälte. Den Einwand der Beklagten, daß allein von den in Bukarest niedergelassenen Rechtsanwälten 300 bis 500 Rechtsanwälte beim Hohen Gericht zugelassen gewesen seien, hat das LSG nicht ausräumen können; es meint zwar, daß schon die Zulassung jedes 10. bzw. 15. Rechtsanwalts diesen aus dem Kreis der Berufskollegen heraushebt; hier kommt es jedoch auf eine deutliche Heraushebung an. Die Zulassung einer solch großen Zahl von Rechtsanwälten läßt sich jedenfalls nicht mit der Zulassung von Rechtsanwälten beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe vergleichen, bei dem nur eine wesentlich geringere Zahl von Anwälten (etwa 20) zugelassen ist. Nicht ersichtlich ist schließlich, in welchem Ausmaß der Versicherte vor dem Hohen Gericht tätig geworden ist.
Ist hiernach schon nicht ausreichend belegt, daß der Versicherte nach seiner Berufstätigkeit mit einem zur Leistungsgruppe B 1 gehörenden Arbeitnehmer vergleichbar war, so fehlen darüber hinaus weitere Feststellungen, wie sie für die richtige Einordnung der Versicherten in die Leistungsgruppen benötigt werden. Das LSG hat die Höhe der Beitragsleistungen nicht ermitteln können. Es kam somit darauf an, ob die sonst festgestellten Verhältnisse, insbesondere die Einkommensverhältnisse, soweit sie für die Beitragsleistung bedeutsam gewesen sind, Schlüsse auf die Beitragsleistung des Versicherten erlauben, insbesondere, ob sich diese im Rahmen der Beitragsleistungen vergleichbarer Arbeitnehmer in Rumänien gehalten hat. Die Feststellung eines monatlichen steuerpflichtigen Einkommens von umgerechnet 6.000,- DM bis 8.000,- DM läßt jedenfalls nicht erkennen, wie hoch die Beitragsleistung des Versicherten gewesen ist oder wahrscheinlich gewesen sein dürfte; über Beitragsleistungen vergleichbarer Arbeitnehmer ergibt sich aus dem Berufungsurteil nichts. Sonach bleibt offen, ob die nach der Berufstätigkeit zunächst in Betracht kommende Einstufung einer Korrektur nach oben oder unten bedarf.
Hiernach muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden. Das LSG wird dabei möglicherweise Erkenntnisse aus Unterlagen gewinnen können, die die Beklagte als Fotokopien in ihren Rentenakten aufbewahrt (Rechtsgutachten von Prof. Dr. G, Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 28. Mai 1975, Abhandlung über das Hohe Gericht von Rechtsanwalt Dr. B).
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen