Leitsatz (redaktionell)
Der Hinterbliebenenrentenanspruch iS ArVNG Art 2 § 17 Abs 1 S 2, Abs 2 Buchst c setzt neben der Wartezeiterfüllung die Anwartschaft zur Zeit des Todes des Versicherten nach den zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften voraus.
Normenkette
ArVNG Art. 2 § 17 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 Buchst. c Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. März 1962 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Witwenrente zusteht.
Die Beklagte lehnte es ab, der Klägerin Witwenrente aus der Versicherung ihres am 19. September 1940 verstorbenen Ehemannes zu gewähren, weil zwar gemäß den §§ 1263, 1264 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) nach dem Tode des versicherten Ehemannes seine Witwe eine Witwenrente erhalte, wenn für den Verstorbenen zur Zeit seines Todes eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt sei, aber diese Vorschriften nicht anwendbar seien, weil die Voraussetzungen des Art. 2 § 17 ArVNG für ihre rückwirkende Geltung für vor ihrem Inkrafttreten eingetretene Versicherungsfälle nicht erfüllt seien. Insbesondere könnten auf die Wartezeit nur solche Beiträge angerechnet werden, aus denen die Anwartschaft erhalten sei. Da vom 16. Juni 1930 bis 13. August 1938 keine Beiträge entrichtet worden seien, sei die Anwartschaft für alle Beiträge vor dem 1. Januar 1939 erloschen. Die fiktive Anwartschaftserhaltung durch Halbdeckung gemäß § 1265 RVO aF komme ebenfalls nicht in Betracht, da hierfür 442 Wochenbeiträge erforderlich seien, aber nur 297 nachgewiesen seien (Bescheid vom 28. Oktober 1958).
Klage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat diese eingelegt und beantragt sinngemäß,
die Urteile des Hessischen LSG vom 29. März 1962 und des Sozialgerichts (SG) Wiesbaden vom 7. Juli 1961 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 1958 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Witwenrente ab 1. Juli 1957 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagte hat der Klägerin am 29. September 1966 einen weiteren Bescheid erteilt, worin sie einen Anspruch der Klägerin auf Witwenrente nach den Vorschriften des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) verneint.
II
Die Revision ist unbegründet.
Die Klägerin kann, wie auch das LSG zutreffend erkannt hat, Witwenrente aus der Versicherung ihres schon am 19. September 1940 verstorbenen Ehemannes nur dann beanspruchen, wenn die Voraussetzungen des Art. 2 § 17 Abs. 1 Satz 2 , Abs. 2 Buchst. c ArVNG erfüllt sind, da Satz 1 dieser Vorschrift nur für Fälle gilt, in denen der Tod des Versicherten nach dem 31. März 1945 eingetreten ist. Art. 2 § 17 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Buchst. c ArVNG setzt voraus, daß zur Zeit des Todes des Versicherten nach den zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften die Anwartschaft erhalten war und die Wartezeit von 260 Beitragswochen erfüllt ist.
Das LSG hat der in der Vorschrift des Art. 2 § 17 Abs. 1 Satz 2 ArVNG enthaltenen Voraussetzung, daß die Anwartschaft "zur Zeit des Todes des Versicherten nach den zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften" erhalten gewesen sein müsse, die von der Revision bekämpfte Auslegung gegeben, nach Wortlaut und Sinn dieser Vorschrift seien die Anwartschaftsvorschriften anzuwenden, die zur Zeit des Todes des Versicherten gültig gewesen seien. Dem ist zuzustimmen. Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits in seinem Urteil vom 15. Februar 1962 - 4 RJ 225/60 - (SozR ArVNG Art. 2 § 17 Nr. 3) ausgesprochen hat, hat der Gesetzgeber bei Art. 2 § 17 Abs. 1 Satz 2 ArVNG für Ansprüche auf Rente aus älteren Versicherungsfällen den mit dem ArVNG geschaffenen neuen "Grundsatz der Unverfallbarkeit der Beiträge" nicht durchgeführt, vielmehr wie im früheren Recht in § 1255 Abs. 1 RVO aF den Hinterbliebenenrentenanspruch mit davon abhängig gemacht, daß für den verstorbenen Versicherten zur Zeit seines Todes die Anwartschaft erhalten war. Der Senat sieht keine Veranlassung, hiervon abzuweichen.
Ob auf Grund der durch Art. 2 § 1 Nr. 3 RVÄndG geänderten Fassung des Art. 2 § 8 Satz 1 ArVNG die früheren Vorschriften über die Erhaltung der Anwartschaft nicht mehr anzuwenden sind, hatte der Senat ebensowenig zu entscheiden, wie die unter den Beteiligten streitige Frage, ob - wie die Beklagte unter Berufung auf eine von ihr im Wortlaut mitgeteilte Stellungnahme des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 15. September 1965 - IV b 3 - 504/63 - (veröffentlicht in: Der Sozialberater 1966, 135) meint - eine Wartezeit von 180 Beitragsmonaten oder - wie die Klägerin meint - eine solche von 60 Beitragsmonaten gefordert werden müsse. Denn der von der Beklagten auf Grund der Vorschriften des RVÄndG erlassene weitere Bescheid gilt gemäß § 171 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als mit der Klage beim SG angefochten, so daß die Beteiligten ihren Streit, soweit er sich auf die Anwendung der Vorschriften des RVÄndG bezieht, vor dem SG auszutragen haben werden.
Bei der Nachprüfung des streitigen Bescheides vom 28. Oktober 1958 war von den Anwartschaftsbestimmungen des am 19. September 1940, dem Todestage des Versicherten, gültigen Rechts auszugehen. Die zu diesem Zeitpunkt maßgebliche Vorschrift über die Erhaltung der Anwartschaft des § 1264 RVO aF galt als damals neues Anwartschaftsrecht nur für die Zeit nach dem 1. Januar 1938 (§ 116 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Ausbau der Rentenversicherung vom 21. Dezember 1937 RGBl I 1393 - Ausbaugesetz -), während für die Erhaltung der Anwartschaft in der Zeit bis zum 31. Dezember 1937 im wesentlichen das bis dahin gültige Recht auch dann galt, wenn der Versicherungsfall - wie hier - später eintrat (§ 116 Abs. 2 des Ausbaugesetzes). Nach der vor der Neufassung des § 1265 RVO durch das Ausbaugesetz gültigen Fassung des § 1265 Abs. 1 Satz 1 RVO:
"Die Anwartschaft wird nur erhalten, wenn während zweier Jahre nach dem auf der Quittungskarte verzeichneten Ausstellungstage (§ 1416) mindestens zwanzig Beitragswochen, im Falle der Selbstversicherung mindestens vierzig Beitragswochen zurückgelegt werden."
scheidet eine Anwartschaftserhaltung aus. Zwar weist die am 8. Januar 1929 ausgestellte Quittungskarte Nr. 5 für die Zeit vom 8. September 1929 bis 15. Juni 1930 insgesamt 27 Beitragswochen aus, so daß hieraus die Anwartschaft bis zum 8. Januar 1931 erhalten ist, jedoch fehlt die erforderliche weitere Anwartschaftserhaltung. Bis zur Ausstellung der Quittungskarte Nr. 6 am 8. September 1938 sind nämlich keine Beiträge entrichtet worden. Dies hat zur Folge, daß die Anwartschaft zum 8. Januar 1931 erloschen ist.
Entgegen der Auffassung der Revision sind die Arbeitslosigkeit und der Unterstützungsbezug des Versicherten nicht geeignet, die Anwartschaft zu erhalten. Zwar konnten nach § 1267 Abs. 1 Nr. 5 RVO aF für die Erhaltung der Anwartschaft ohne Beitragsentrichtung die Zeiten (Ersatzzeiten) angerechnet werden, in denen der Versicherte "als Arbeitsloser a) versicherungsmäßige Arbeitslosenunterstützung oder Krisenunterstützung oder Unterstützung aus der öffentlichen Fürsorge, b) Familienunterstützung erhalten hat". Jedoch ist ist eine Berücksichtigung derartiger Ersatzzeiten erst mit Wirkung vom 1. April 1933 eingeführt worden (Gesetz zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung vom 7. Dezember 1933 - RGBl I 1039 -; Verordnung über die Änderung, die neue Fassung und die Durchführung von Vorschriften der Reichsversicherungsordnung, des Angestelltenversicherungsgesetzes und des Reichsknappschaftsgesetzes vom 17. Mai 1934 - RGBl I 419 -). Diese vom 1. April 1933 an mögliche Anwartschaftserhaltung durch Ersatzzeiten hatte aber zur Voraussetzung, daß bis zu diesem Zeitpunkt die Anwartschaft durch Entrichtung von Beiträgen gemäß § 129 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung aF aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung erhalten worden war (VerbKomm. 5. Aufl., § 1267 Anm. 10). Das ist aber hier nicht der Fall, da in der Zeit vom 8. Januar 1931 bis zum 1. April 1933 keine Beiträge entrichtet worden sind.
An dem Ergebnis, daß die Anwartschaft aus den Beiträgen vom 8. Januar 1931 an erloschen war, vermögen auch die Anwartschaftsregelungen des § 15 des Gesetzes über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlaß des Krieges vom 15. Januar 1941 (RGBl 1941 I 34) - Maßnahmengesetz - und des § 3 des Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941 (RGBl I 443) - Leistungsverbesserungsgesetz -, auf die sich die Revision glaubt berufen zu können, nichts zu ändern. Im Zeitpunkt des Todes des Versicherten (19. September 1940) galt zwar die Vorschrift des § 15 des Maßnahmengesetzes, wonach in der Zeit vom 26. August 1939 bis zum Ablauf des auf das Kriegsende folgenden Jahres Anwartschaften in der Rentenversicherung nicht erlöschen sollten (§ 29 Abs. 1 dieses Gesetzes), jedoch gewährte § 15 des Maßnahmengesetzes - abgesehen von Kriegsteilnehmern - nur den Versicherten einen Schutz, die ihre Anwartschaft gemäß § 1264 RVO aF bis zum 26. August 1939 erhalten hatten, nicht aber auch denjenigen, die sie früher, wie dies hier der Fall war, hatten erlöschen lassen (Engel/Eckert, Die Reichsversicherungsgesetze in jeweils neuestem Stande mit allen Durchführungsverordnungen und -bestimmungen, Anmerkungen und Verweisungen, 1. Band, April 1943, Anm. zu § 15 des Maßnahmengesetzes, hinter § 1263 RVO). Auf § 3 des Leistungsverbesserungsgesetzes vermag die Revision sich nicht mit Erfolg zu berufen, da diese Vorschrift erst nach dem Tode des Versicherten, nämlich gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 dieses Gesetzes mit dem 1. August 1941, in Kraft getreten ist, so daß - wie auch das LSG mit Recht ausgeführt hat- § 3 des Leistungsverbesserungsgesetzes auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.
Auch die Möglichkeit der fiktiven Anwartschaftserhaltung durch sogenannte Halbdeckung gemäß § 1265 RVO aF - die Anwartschaft gilt als erhalten, wenn u. a. beim Versicherungsfall des Todes die Zeit seit dem ersten Eintritt in die Versicherung mit Beiträgen zur Hälfte belegt ist - scheidet ebenfalls aus. Für die hierzu erforderliche Berechnung werden das erste und das letzte Kalenderjahr der Versicherung - jedes Kalenderjahr wird zu 52 Wochen gerechnet - nicht mitgezählt. Da das erste Kalenderjahr der Versicherung das Jahr 1922, das letzte das Jahr 1940 war, ergibt sich eine Zeit von 17 Jahren = 884 Beitragswochen (17 x 52). Die Hälfte hiervon beträgt 442 Beitragswochen. Mit Beiträgen sind aber jedenfalls bei weitem nicht so viele Wochen belegt.
Der Anspruch auf Witwenrente läßt sich auch nicht aus den in der Quittungskarte Nr. 7 nachgewiesenen 29 Beitragswochen herleiten, wenn auch mit diesen Beiträgen die Versicherung des Verstorbenen, nachdem - wie bereits festgestellt - die Anwartschaft aus den früheren Beiträgen bis zum 8. Januar 1938 erloschen war, gemäß § 1264 Abs. 1 Satz 2 RVO aF von neuem begonnen hatte. Diese 29 Beitragswochen reichen nämlich nicht zur Erfüllung der Wartezeit von 260 Beitragswochen (Art. 2 § 17 Abs. 2 Buchst. c ArVNG) aus, so daß es auch offen bleiben kann, ob aus diesen Beiträgen die Anwartschaft zur Zeit des Todes des Versicherten überhaupt erhalten war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen