Leitsatz (amtlich)

Haben zwei Senate eines LSG rechtskräftig über je eine Leistung aus der Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung entschieden, so hat das LSG den zuständigen Spruchkörper zu bestimmen; das BSG ist in diesem Fall nicht das "gemeinsam nächsthöhere" Gericht.

 

Normenkette

SGG § 180 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, Abs. 3 S. 3 Fassung: 1953-09-03, § 58 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Der Abgabebeschluß des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. Dezember 1965 wird aufgehoben.

Die Sache wird an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Der 1913 geborene Antragsteller begehrt Wiederaufnahme des Verfahrens; er erlitt am 27. November 1934 einen Arbeitsunfall, der einen Bruch des 1. Mittelfußknochens sowie des Grundgliedknochens der 1. und 2. Zehe des linken Fußes zur Folge hatte. Wegen der Unfallfolgen gewährte die Tiefbau-Berufsgenossenschaft (Tiefbau-BG) zunächst eine vorläufige Unfallrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 v. H., sodann nach einer MdE um 20 v. H. Mit bindend gewordenem Bescheid vom 27. Januar 1936 entzog die BG die Unfallrente wegen wesentlicher Besserung des Leidenszustandes (MdE 10 v. H.). Am 4. November 1959 beantragte der Antragsteller bei der BG Wiedergewährung der Unfallrente wegen Leidensverschlimmerung. Sie lehnte mit Bescheid vom 7. März 1960 den Antrag ab, weil an den Folgen dieses Unfalls eine wesentliche Verschlechterung nicht eingetreten sei. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - Trier vom 9. März 1962; Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Rheinland-Pfalz vom 31. Mai 1963).

Der Antragsteller beantragte im August 1949 wegen einer Fußverletzung im Jahre 1943 und wegen der Folgen eines Unterarmdurchschusses im Juli 1944 (Ellennervenlähmung) Kriegsopferversorgung. Das Versorgungsamt (VersorgA) erkannte mit Bescheid vom 20. April 1951 als Schädigungsfolge Narben am linken Unterarm im Sinne der Entstehung an, lehnte aber die geltend gemachte Fußverletzung links als wehrdienstbedingte Schädigungsfolge ab und versagte Versorgungsrente. Das Versorgungsgericht Trier anerkannte mit Urteil vom 15. September 1953 Ellennervenlähmung links als Schädigungsfolge und gewährte dem Antragsteller vom 1. August 1949 an Rente nach einer MdE um 30 v. H.; im übrigen wies es die Berufung (alten Rechts) zurück. Die Berufung des Antragstellers hatte keinen Erfolg (Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 1. Oktober 1959). Es sah für erwiesen an, daß der Hufschlag im Jahre 1943 keine Folgen hinterlassen habe. Der Befund am Bein und Fuß vom Jahre 1935 (nach dem Unfall) entspreche auch den Befunden vom Jahre 1959. Durch das Krankenblatt vom 10. Juli 1941 sei erwiesen, daß bereits damals eine ältere Fraktur des linken Fußes bestanden hat.

Am 30. März 1962 beantragte der Antragsteller beim VersorgA Trier wegen Leidensverschlimmerung höhere Versorgungsrente. Nach versorgungsärztlicher Untersuchung lehnte dieses mit Bescheid vom 18. Juni 1962 den Antrag ab. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 1962). Im Klageverfahren hat der Antragsteller die Fußdeformierung links entweder auf den Arbeitsunfall vom Jahre 1934 oder auf schädigende Einwirkung des Wehrdienstes zurückgeführt. Diese Fußdeformierung hätten der Unfallsenat und der KOV-Senat des LSG abgelehnt. Im Verhandlungstermin vom 25. November 1964 vor dem SG Trier hat der Antragsteller (Kläger) die Klage wegen Leidensverschlimmerung in eine "Wiederaufnahmeklage" nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) abgeändert. Durch Beschluß vom 25. November 1964 hat sich darauf das SG für sachlich unzuständig erklärt und die "Wiederaufnahmeklage" an das LSG Rheinland-Pfalz in Mainz verwiesen. Dieses unterrichtete die Beteiligten von dem Wiederaufnahmebegehren des Antragstellers und hat die Sache mit Beschluß vom 3. Dezember 1965 an das Bundessozialgericht (BSG) als das gemeinsame nächsthöhere Gericht abgegeben.

Der vor dem BSG nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten vertretene Antragsteller begehrt, das BSG wolle den pflichtigen Leistungsträger bestimmen. Die beteiligte Tiefbau-BG beantragt,

das Wiederaufnahmegesuch des Antragstellers als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise,

das Wiederaufnahmeverfahren als unbegründet zurückzuweisen.

Das Landesversorgungsamt Rheinland-Pfalz beantragt,

die Wiederaufnahmeklage als unzulässig zu verwerfen.

Der Senat ist zunächst zur Entscheidung über den Abgabebeschluß des LSG Rheinland-Pfalz zuständig, weil dieser von einem KOV-Senat des LSG ergangen ist.

Rechtsgrundlage für die erweiterte Aufnahmemöglichkeit ist § 180 SGG. Nach Abs. 2 aaO ist die Wiederaufnahme des Verfahrens im Verhältnis zwischen Versicherungsträgern und einem Land zulässig, wenn streitig ist, ob eine Leistung aus der Sozialversicherung oder Kriegsopferversorgung zu gewähren ist. Nach § 180 Abs. 3 Satz 3 SGG entscheidet bei rechtskräftigen Urteilen von zwei Gerichten das gemeinsam nächsthöhere Gericht. Vorliegend hat das LSG die Sache an das BSG als das gemeinsam nächsthöhere Gericht abgegeben, weil das Wiederaufnahmebegehren des Antragstellers zwei Urteile des LSG betreffe. Entgegen der Auffassung des LSG ist die Zuständigkeit des BSG nicht begründet. Es ist nur zuständig, wenn im Wiederaufnahmeverfahren (§ 180 SGG) zwei rechtskräftige Entscheidungen verschiedener Landessozialgerichte vorliegen. Vorliegend haben aber nur zwei verschiedene Senate (KOV- und Unfall-Senat) desselben LSG rechtskräftig entschieden (Urteil vom 1. Oktober 1959 - VII KV - 4680/54 - und Urteil vom 31. Mai 1963 - L 3 U 86/62 -). Senate sind zur Rechtsprechung berufene Teile der Gerichtsanstalt; sie stellen einzelne Spruchkörper dar. Erst in ihrer Gesamtheit bilden sie das Gericht als Ganzes, vorliegend das LSG (s. dazu Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Aufl. § 19 II 1, 2 S. 76, § 20 II 1 a S. 78). Diese Auffassung wird auch durch § 58 SGG gestützt, wonach unter Gericht nur die Gerichtsanstalt als Ganzes, nicht aber der einzelne Spruchkörper zu verstehen ist. Haben zwei Senate des gleichen Gerichts entschieden, so handelt es sich nur um die Entscheidung des einen, nicht aber verschiedener Gerichte. Hiernach kann ein gemeinsam nächsthöheres Gericht nur in Betracht kommen, wenn Entscheidungen verschiedener Gerichte vorliegen. Das ist vorliegend nicht der Fall, weil die bezeichneten Senate (KOV-Senat und Unfall-Senat) demselben Gericht, nämlich dem LSG Rheinland-Pfalz, angehören. Das BSG ist daher nicht zuständig. Der Abgabebeschluß des LSG war daher aufzuheben und die Sache an das abgebende LSG zurückzuverweisen. Da es sich innerhalb eines Gerichts bei der Frage, welche "Spruchabteilung" zuständig ist, um eine Frage der Geschäftsverteilung handelt, vermag das LSG Rheinland-Pfalz in dieser Sache in eigener Zuständigkeit den Spruchkörper (Senat) zu bestimmen, welcher über den Wiederaufnahmeantrag entscheidet. Enthält der Geschäftsverteilungsplan keine Zuständigkeitsregelung für den Fall, daß bei einem Wiederaufnahmeantrag nach § 180 SGG zwei verschiedene Senate dieses Gerichts beteiligt sind, so hat das Präsidium des LSG den Senat zu bestimmen, welcher zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag zuständig sein soll.

Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2387423

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