Leitsatz (amtlich)

1. Wird in einem Transportunternehmen, das Binnen- und Seeschiffahrt in getrennten Abteilungen betreibt, ein Versicherter aus seiner ständigen Beschäftigung in der Binnenschiffahrt zum aushilfsweisen Dienst auf ein Seefahrzeug abgeordnet, so löst er sich im allgemeinen, auch wenn dieser Dienst nur 3 Wochen dauern soll, von seiner Tätigkeit in der Binnenschiffahrt.

2. Für die Folgen eines Arbeitsunfalles, der während eines solchen Dienstes auf See eingetreten ist, hat die See-BG nach den Vorschriften der Seeunfallversicherung Entschädigung zu leisten.

 

Normenkette

RVO § 547 Abs. 2 Fassung: 1942-03-09, § 634 Fassung: 1924-12-15, § 163 Abs. 2 Fassung: 1927-12-16, § 1046 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Auf die Revision der beigeladenen Binnenschiffahrts-Berufsgenossenschaft wird unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Mai 1966 und des Sozialgerichts Aurich vom 9. September 1964 die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Kläger sind die Hinterbliebenen des auf See ertrunkenen Matrosen H R (R.). Dieser war bei der Westfälischen Transport-Aktiengesellschaft, Zweigniederlassung E (WTAG), beschäftigt. Die WTAG betreibt Binnen- und Seeschiffahrt. R. war ständig als Motorbootführer (Barkassenführer) in der Binnenschiffahrt beschäftigt. Im Bedarfsfall tat er aushilfsweise Dienst als Matrose in der Seeschiffahrt der WTAG. So war er vom 1. Februar 1960 an auf das Küstenmotorschiff "L" für eine dreiwöchige Reise abgeordnet worden. In den Küstengewässern Dänemarks ging dieses Schiff am 13. Februar 1960 mit der gesamten Besatzung unter. Während der Tätigkeit auf diesem Schiff erhielt R. seine Bezüge als Barkassenführer weiter; die Vergütungen für geleistete Überstunden wurden nach dem Tarifvertrag für die Deutsche Seeschiffahrt berechnet. Im Jahre vor seinem Tod hatte R. als Arbeitsverdienst bei der WTAG 8.458,89 DM bezogen. In dieser Zeit war er bereits vom 25. September bis 8. Oktober 1959 in der Seeschiffahrt als Matrose eingesetzt gewesen.

Die beklagte See-Berufsgenossenschaft (BG) gewährte den Klägern durch Bescheid vom 27. Oktober 1960 die Witwen- und Waisenrente unter Zugrundelegung eines Jahresarbeitsverdienstes (JAV) von 6.048,- DM. Dieser Betrag ergab sich nach den Vorschriften der Seeunfallversicherung aus dem Zwölffachen der monatlichen Durchschnittsheuer für Matrosen auf Seeschiffen. Hiermit waren die Kläger nicht einverstanden; sie beanspruchten eine dem Verdienst ihres Ehemannes und Vaters im Jahre vor dessen Tod entsprechende höhere Rente und baten die Beklagte um die Erteilung eines rechtsmittelfähigen Bescheides. Dieser erging am 25. September 1961 über die Ablehnung eines Antrags auf Änderung des der Berechnung der Witwen- und Waisenrente zugrunde gelegten JAV. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt: R. sei zur Unfallzeit als Matrose an Bord des Küstenmotorschiffs "L" tätig gewesen; deshalb richte sich die Entschädigungsleistung nach den Vorschriften der Seeunfallversicherung. Der Umstand, daß R. im Verhältnis zur Zeit seiner Beschäftigung als Motorbootführer im Binnenschiffahrtsbetrieb der Reederei nur kurze Zeit auf dem Seeschiff habe beschäftigt werden sollen, müsse unberücksichtigt bleiben. Eine Änderung des JAV von 6.048,- DM sei daher nicht möglich.

Mit der Klage gegen diesen Bescheid haben die Kläger geltend gemacht: Es müsse geprüft werden, ob statt der See-BG die Binnenschiffahrts-BG für die Entschädigungsleistung zuständig sei. Die Regelung des § 634 der Reichsversicherungsordnung in der bis zum Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 geltenden Fassung (RVO aF) müsse auf den vorliegenden Fall angewandt werden; denn R. sei in einem Zweigbetrieb seines Beschäftigungsunternehmens nur aushilfsweise tätig gewesen. Der Unfall habe sich bei einer Tätigkeit ereignet, welche dem Betriebszweig der Binnenschiffahrt zuzurechnen sei, in welcher R. ständig beschäftigt gewesen sei, so daß die Binnenschiffahrts-BG die Entschädigung zu leisten habe.

Das Sozialgericht (SG) Aurich hat die Binnenschiffahrts-BG beigeladen.

Die Beklagte hält in Übereinstimmung mit der Beigeladenen an ihrer Zuständigkeitsbehauptung fest; sie meint, ein Anwendungsfall des § 634 RVO aF liege nicht vor.

Das SG hat durch Urteil vom 9. September 1964 den Bescheid der Beklagten aufgehoben und die Beigeladene verurteilt, der Klägerin einen Bescheid über die Gewährung der Witwen- und Waisenrente zu erteilen. Es ist der Ansicht, R. sei bei einer Tätigkeit verunglückt, zu welcher er innerhalb des Unternehmens der WTAG aus der Abteilung Binnenschiffahrt in die Abteilung Seeschiffahrt nur vorübergehend abgeordnet worden sei; er habe sich daher von seiner ständigen Beschäftigung im Binnenschiffahrtsbetrieb nicht gelöst; daran ändere es nichts, daß seine Vergütung für den Dienst in der Seeschiffahrt bei der Beklagten zur Beitragsberechnung nachgewiesen worden sei.

Mit der Berufung hat die Beigeladene geltend gemacht, R. sei bei der vorgesehenen dreiwöchigen Schiffsreise nicht nur für eine kurze Dauer in die Abteilung Seeschiffahrt abgeordnet worden, er sei auch in einen anderen Gefahrenbereich eingetreten und überhaupt zur Unfallzeit unter Verhältnissen beschäftigt gewesen, welche von denen der Binnenschiffahrt abwichen und deshalb unter besondere gesetzliche Regelungen fielen.

Die Beklagte hat diese Auffassung durch Hinweis auf das Recht der Seeunfallversicherung bekräftigt, nach welcher der Versicherungsschutz gegenüber der allgemeinen Unfallversicherung erweitert sei.

Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 25. Mai 1966 die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung u. a. ausgeführt: Zwar könne § 634 RVO aF seinem Wortlaut nach auf den vorliegenden Streitfall nicht unmittelbar angewandt werden; denn R. sei in einem und demselben Unternehmen, wenn auch in verschiedenen Abteilungen, beschäftigt worden. Der Grundsatz aber, welcher den Anwendungsbereich dieser Vorschrift beherrsche, gelte auch für Fälle, in denen ein Versicherter in mehreren Unternehmen desselben Unternehmers tätig sei. Im vorliegenden Fall sei die in diesem Sinn entsprechende Anwendung des § 634 RVO aF gerechtfertigt.

R. habe zur Zeit des tödlichen Unfalls zum Stammpersonal des Binnenschiffahrtsbetriebes der Zweigniederlassung E. der WTAG gehört. Er sei aus akutem Anlaß auf das Küstenmotorschiff "L" abgeordnet worden und dort nur aushilfsweise tätig gewesen. Von dem Beschäftigungsverhältnis im Binnenschiffahrtsbetrieb der WTAG hätte er sich nur gelöst, wenn seine vollständige Eingliederung in das fremde - oder neue - Unternehmen beabsichtigt gewesen wäre. Bei einer Dauer der Abordnung von drei Wochen sei dies nicht anzunehmen. Auch der Umstand, daß sich der Unfall im Gefahrenbereich der Küstenschiffahrt ereignet habe, rechtfertige keine andere Beurteilung der unfallversicherungsrechtlichen Zugehörigkeit. Die Arbeits- und Lebensbereiche der in den beiden Unternehmen Beschäftigten seien nicht grundsätzlich voneinander unterschieden. Hierfür spreche die Erweiterung des Versicherungsschutzes in der Binnenschiffahrt durch § 552 RVO nF. Da sonach die Beigeladene der zuständige Versicherungsträger sei, müßte die Hinterbliebenenrente gemäß § 563 RVO aF unter Zugrundelegung des von R. im Jahre vor dem Unfall tatsächlich erzielten JAV berechnet werden.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Das Urteil ist der Beigeladenen am 24. Juni 1966 zugestellt worden. Sie hat gegen das Urteil am 6. Juli 1966 Revision eingelegt und diese am 14. Juli 1966 begründet. Sie führt u. a. aus: Der vorliegende Streitfall sei vom LSG unrichtig unter dem Gesichtspunkt des § 634 RVO aF beurteilt worden. R. sei für eine ganze Seereise und nicht nur vorübergehend aus seiner Stammbeschäftigung abgeordnet worden und dabei den besonderen Gefahren der Seeschiffahrt ausgesetzt gewesen. Seine Beschäftigung in der Binnenschiffahrt habe er aufgegeben und sei - wenn auch nur für eine begrenzte Zeit - in ein neues Beschäftigungsverhältnis in der Abteilung Seeschiffahrt der WTAG eingetreten. Es habe sich nicht um eine nur kurzfristige, vorübergehende Abordnung R's. zur Seeschiffahrt gehandelt. Demzufolge sei auch die Vergütung, die er als Matrose erhalten habe, der See-BG nachgewiesen worden. Jedenfalls sei er nach den tatsächlichen Verhältnissen seiner Verwendung im Zeitpunkt des Unfalls in der Seeschiffahrt und nicht in der Binnenschiffahrt beschäftigt gewesen. Aus § 634 RVO aF könne der Anspruch daher nicht hergeleitet werden. Gerade der vorliegende Streitfall zeige, daß sich die Gefahrenlage bei der Seeschiffahrt von der bei der Binnenschiffahrt unterscheide. Die Rettungsaussichten auf Binnengewässern seien ungleich höher als auf See. Zu beachten sei sodann, daß R. während der Dauer der Seereise dem Binnenschiffahrtsbetrieb nicht habe zur Verfügung stehen können. Daß sich die Kläger wirtschaftlich schlechter stünden, wenn die Beschäftigung R's. auf dem Küstenmotorschiff nicht dessen Stammbetrieb zugerechnet werde, dürfte in der Rechtsprechung keine ausschlaggebende Rolle spielen. Insoweit könnte es allenfalls fraglich sein, ob die Durchschnittsheuer wertgerecht festgesetzt worden sei. Dies sei jedoch nicht in diesem Prozeß zu entscheiden.

Die Beigeladene beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte stellt keinen Antrag.

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie treten den Ausführungen des Berufungsurteils bei und weisen zur Begründung ihrer Annahme, R. sei nicht in den Betrieb der Seeschiffahrt übergetreten, auf die Rechtsprechung zu § 634 RVO aF hin. Sie machen geltend, es komme auf die Art und die Dauer der Tätigkeit in dem anderen Betrieb an; im vorliegenden Fall sei zu berücksichtigen, daß R. zur Abhilfe eines Notstandes auf dem Küstenmotorschiff abgeordnet worden sei, ohne daß an seiner Beziehung zu dem Stammbetrieb etwas hätte geändert werden sollen.

II

Die Revision der beigeladenen Binnenschiffahrts-BG ist zulässig. Gegen ihre Befugnis, selbständig Revision einzulegen, bestehen keine Bedenken (BSG 6, 160). Die Revision hatte auch Erfolg.

Die Kläger wenden sich dagegen, daß ihre Hinterbliebenenrente von der beklagten See-BG und nicht der beigeladenen Binnenschiffahrts-BG festgesetzt worden ist. Sie meinen, die Tätigkeit ihres Ehemannes und Vaters als Matrose auf dem am 13. Februar 1960 gesunkenen Küstenmotorschiff der WTAG sei deren Teilbetrieb Binnenschiffahrt zuzurechnen, so daß der Berechnung ihrer Rente die Vorschriften der allgemeinen Unfallversicherung zugrunde gelegt werden müßten. Diese von den Vorinstanzen für zutreffend erachtete Ansicht hält der Nachprüfung im Revisionsverfahren jedoch nicht stand.

Die Frage, welcher der beiden Versicherungsträger die Kläger zu entschädigen hat, richtet sich nach den Vorschriften des 3. Buches der RVO in der bis zum Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I 241) geltenden Fassung - RVO aF - (Art. 4 § 1 UVNG). Von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung des vorliegenden Streitfalls ist dies allerdings nicht, da das UVNG in den hierfür in Betracht kommenden Vorschriften nicht wesentlich von der bisherigen Regelung abweicht.

Nach den von keiner Seite angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG führt die WTAG ihren Beförderungsverkehr nicht nur auf Binnengewässern, sondern auch im Küstengewässer durch. Für Betriebszwecke der Küstenschiffahrt stand ihr das Küstenmotorschiff "L" zur Verfügung, auf dem R. vor der Küste Dänemarks untergegangen ist. Die WTAG unterhält somit zwei Schiffahrtsbetriebe, die, wie das LSG insoweit zutreffend angenommen hat, als betriebstechnisch und verwaltungsmäßig voneinander getrennte Teile des Hauptbetriebes bei den für sie fachlich zuständigen BGen, nämlich der Beigeladenen und der Beklagten, versichert sind. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang mit Recht darauf hingewiesen, daß Bedenken gegen die Verschiedenheit der versicherungsrechtlichen Zuständigkeit der beiden Teilbetriebe der WTAG auch nicht durch die Regelung des § 547 Abs. 2 RVO aF begründet seien. Diese Vorschrift findet auf den vorliegenden Sachverhalt schon deshalb keine Anwendung, weil, wie den Feststellungen des angefochtenen Urteils zu entnehmen ist und von keinem der Beteiligten in Zweifel gezogen wird, der Küstenschiffahrtsbetrieb der WTAG über den örtlichen Verkehr im Sinne der angeführten Vorschrift hinausgeht; das auf einer planmäßigen Fahrt befindliche Küstenmotorschiff "L." ist vor der Küste Dänemarks, also weit außerhalb der Grenzen des Binnenschiffahrtsbereichs der WTAG, untergegangen (vgl. AN 1919 S. 154 Nr. 3010 = EuM 12, 104). Da somit der Ausnahmefall des § 1051 RVO aF nicht gegeben ist, unterliegt der Seeschiffahrtsbetrieb der WTAG der Seeunfallversicherung gemäß § 1046 ff RVO aF. Der Arbeitsentgelt der in diesem Betriebsteil der WTAG Beschäftigten wird daher zu Recht bei der Beklagten zur Beitragsberechnung nachgewiesen.

In diesem Seeschiffahrtsbetrieb der WTAG war R., als er ums Leben kam, als Matrose tätig. Er war nach den auch insoweit von keinem der Beteiligten angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils zu der am 1. Februar 1960 begonnenen und 13 Tage später durch Untergang des Schiffes auf See beendeten Fahrt der "L" aus seiner ständigen Beschäftigung als Barkassenführer im Binnenschiffahrtsbetrieb abgeordnet worden. R. tat also auf dem Küstenmotorschiff "L" Dienst, der dem Seeschiffahrtsbetrieb der WTAG zugute kam. Demzufolge ist das LSG auch erkennbar davon ausgegangen, daß die Tätigkeit R's. auf dem Küstenmotorschiff nach allgemeinem Grundsatz dem Seeschiffahrtsbetrieb der WTAG zugerechnet werden müßte (vgl. Lauterbach, UV, 3. Aufl., Bd. II S. 814, Anm. 2 zu § 648 RVO mit Rechtsprechungsnachweisen). Auf den vorliegenden Sachverhalt hält es jedoch die Ausnahmeregelung des § 634 RVO aF für anwendbar, und zwar mit der Begründung, daß das bisherige Beschäftigungsverhältnis R's. durch die kurzfristige Abordnung nicht habe berührt werden sollen und daß R. für die Dauer der Fahrt nicht in den Seeschiffahrtsbetrieb eingegliedert worden sei. Dieser Auffassung ist der erkennende Senat nicht beigetreten.

Das LSG hat zwar nicht verkannt, daß, da R. in verschiedenen Teilbetrieben desselben Unternehmens beschäftigt war, § 634 RVO aF auf den vorliegenden Streitfall nicht unmittelbar, sondern nur seinem Grundgedanken nach angewendet werden kann. Es hat daher zu Recht auf den Sinn dieser Regelung abgestellt. Diese bezweckt, die Fälle des Übertritts eines Versicherten in ein anderes Unternehmen als das eines ständigen Arbeitgebers zu vermindern und die Unfallentschädigungen tunlichst denjenigen BGen aufzuerlegen, denen die über die Arbeitskräfte des Verletzten regelmäßig verfügenden Arbeitgeber angehören und denen die für die Verletzten gezahlten Löhne regelmäßig nachgewiesen werden (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 6. Aufl., Bd. II S. 500 mit den dort angeführten Rechtsprechungsnachweisen). Daher liegen die Voraussetzungen für den Übertritt in einen anderen Betrieb im allgemeinen nicht vor, wenn die Tätigkeit des Versicherten diesem und zugleich dem Ausgangsbetrieb nützt oder es sich um eine gelegentliche und vorübergehende Hilfeleistung für den anderen Betrieb handelt, vor allem wenn der Unternehmer dieses Betriebes nicht die vollständige Verfügungsmacht über den Versicherten erhält, dieser vielmehr von seinem Arbeitgeber jederzeit abberufen werden kann (vgl. BG 1950, 57; 1954, 114; 1959, 347). Dagegen ist ein Übertritt in den anderen Betrieb anzunehmen, wenn die Tätigkeit mit dem Interesse des Ausgangsbetriebes in keinem Zusammenhang steht und der Versicherte ganz anderen Gefahren ausgesetzt wird, als sie dieser Betrieb kennt (vgl. Brackmann aaO S. 501 und Lauterbach aaO S. 815 u. 816 Anm. 10 zu § 648 RVO, beide mit Rechtsprechungsnachweisen, insbesondere EuM 14, 196; 17, 95; BG 1959, 347).

Diesen in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen hat das LSG nicht die ihnen zukommende Bedeutung beigemessen. Es hat verkannt, daß die Voraussetzungen für eine Lösung des Versicherten vom Ausgangsbetrieb, den Übertritt in den anderen Betrieb, also, grundsätzlich gegeben sind, wenn die Tätigkeit in diesem Betrieb nach Art und Dauer die Beziehung des Versicherten zum Ausgangsbetrieb derart lose erscheinen läßt, daß die Versicherten praktisch nicht mehr als dessen Arbeiter angesehen werden können (Bescheid des RVA vom 9. März 1943 - AN 1943 S. 150 -; Breith. 1952, 572). Zwar könnte es mit Rücksicht darauf, daß R. nur ab und zu für kurze Fahrten aus seiner ständigen Beschäftigung in der Binnenschiffahrt abkommandiert worden ist und der ihm zum Verhängnis gewordene Aushilfsdienst auf drei Wochen begrenzt war, fraglich erscheinen, ob er sich bei einer solchen Tätigkeit, die im allgemeinen noch als vorübergehend und gelegentlich gelten kann, vom Binnenschiffahrtsbetrieb gelöst hatte. Aber diese gegen die Annahme einer Lösung sprechenden Umstände verlieren angesichts der Besonderheiten, welche dem Dienst auf einem Seefahrzeug im Sinne des § 163 Abs. 1 RVO - weitgehend unabhängig von der Dauer dieses Dienstes - eigen sind, entgegen der Ansicht des LSG an Bedeutung und treten diesen Besonderheiten gegenüber als nicht rechtlich wesentlich in den Hintergrund.

R. war auf einem solchen Seefahrzeug als Schiffsmann tätig. Er war zum Dienst auf diesem Schiff zwar nicht nach Abs. 2 des § 163 RVO "geheuert" worden; denn seine Verpflichtung zu der Dienstleistung entsprang vielmehr seinem zur WTAG bereits bestehenden allgemeinen Beschäftigungsverhältnis. Trotzdem rechnete er aber zu den Besatzungsmitgliedern im Sinne der §§ 3 und 6 des Seemannsgesetzes vom 26. Juli 1957 (BGBl II 713). Er stand in dem hierfür nach § 6 dieses Gesetzes erforderlichen Heuerverhältnis, obwohl er nicht auf Grund eines besonderen Heuervertrages auf dem Seeschiff tätig war. Das Heuerverhältnis ist ein Arbeitsverhältnis besonderer Art und weist gegenüber einem Arbeitsverhältnis in Betrieben zu Lande besondere Züge auf. Dies beruht darauf, daß die Besatzungsmitglieder eines Seeschiffes ihre Arbeit zwar in Erfüllung eines schuldrechtlichen Arbeitsverhältnisses zu dem Reeder leisten, dabei aber einen Dienst verrichten, der ihren Eintritt in die Lebensgemeinschaft aller an Bord befindlichen Besatzungsangehörigen bedingt. Dies äußert sich vor allem darin, daß die Besatzungsmitglieder während der ganzen Dauer des Schiffsdienstes auf engstem Raum an den Arbeitsplatz, an die Vorgesetzten und an die Mitarbeiter gebunden sind (vgl. Schelp/Fettback, Komm. z. Seemannsgesetz, S. 120 Vorbem. 6 und 7 zu § 23). Das LSG hat keinen Zweifel dareingesetzt, daß R. auf der am 1. Februar 1960 angetretenen Fahrt in dieser Weise in die Bordgemeinschaft des Küstenmotorschiffes "L" eingetreten war. Er gehörte somit zu den Schiffsleuten im Sinne des § 163 Abs. 2 RVO und wurde daher gemäß § 1046 RVO aF ohne weiteres von der Seeunfallversicherung erfaßt.

Ob hierdurch allein bereits die Zuständigkeit der Beigeladenen für die Gewährung der Entschädigungsleistung an die Kläger entfällt, kann ungeprüft bleiben; denn jedenfalls steht der Schlußfolgerung des LSG, R. sei unter den im vorliegenden Falle gegebenen Umständen im Betrieb der Binnenschiffahrt verblieben, schon seine Eingliederung in die Bord- und Gefahrengemeinschaft des Küstenmotorschiffes entgegen. Sie war für die Art seiner Tätigkeit in dem "anderen Betrieb" bestimmend geworden. Natürlich bestanden die vertraglichen auf den Binnenschiffahrtsbetrieb gerichteten Beziehungen R's. zur WTAG weiter und er blieb den Weisungen dieses Betriebes unterworfen. Dieser Umstand vermag jedoch nicht die Bedeutung zu gewinnen, welche ihm das LSG beigemessen hat. Dieses hat hierbei übersehen, daß das Küstenmotorschiff "L" auf einer vom örtlichen Bereich der Binnenschiffahrt der WTAG fernen Reise unterwegs war, so daß eine Abberufung R's. von diesem Schiff während der am 1. Februar 1960 angetretenen Fahrt praktisch nicht in Betracht kam.

Dem angefochtenen Urteil ist auch entgegenzuhalten, daß es die Frage, ob R. auf dem Küstenmotorschiff ganz anderen Gefahren ausgesetzt war als bei seiner Tätigkeit in der Binnenschiffahrt, unzutreffend beurteilt hat. Das LSG räumt zwar erkennbar ein, daß es sich in diesen beiden Betriebszweigen um unterschiedliche Gefahren handelt, meint aber, dies sei nicht wesentlich, weil, wie aus der Erweiterung des Versicherungsschutzes für die Binnenschiffahrt gemäß § 552 RVO hervorgehe, die Arbeits- und Lebensbereiche beider Betriebe nicht grundsätzlich voneinander unterschieden werden könnten. Es bedarf keiner näheren Darlegung, daß diese Ansicht nicht zutrifft; denn mit der Einbeziehung von Unfällen, welche in einem Unternehmen der Binnenschiffahrt durch Elementarereignisse hervorgerufen werden, in dem Versicherungsschutz ist nichts darüber ausgesagt, daß in der Binnenschiffahrt und in der Seeschiffahrt keine unterschiedliche Gefährdung bestehe. Es liegt auf der Hand und ist gerichtsbekannt, daß die Gefahren auf See - gerade auch in Küstengewässern - ungleich größer sind und leichter zu schwersten Unglücksfällen führen können als die Gefahren für Schiff und Besatzung auf Binnengewässern.

Sofern das LSG glaubt, es ergebe sich aus den "konkreten Umständen der Abordnung R's. durch seinen Arbeitgeber", daß R. mit dem Betrieb der Binnenschiffahrt in einer die sinngemäße Anwendung des § 634 RVO aF begründenden Verbindung geblieben sei, läßt es jedenfalls die Berücksichtigung der die Seeschiffahrt und das seemännische Berufsleben kennzeichnenden Besonderheiten vermissen. Es läßt aber auch außer acht, daß mit der sinngemäßen Anwendung des § 634 RVO aF auf den vorliegenden Fall R. um die Vergünstigungen gebracht worden wäre, welche ihm die Regelungen der Seeunfallversicherung als ein besonderer Zweig der Unfallversicherung gewährleisteten. Die Beklagte hatte hierzu bereits im Berufungsverfahren auf die insoweit auch nach den Vorschriften der Seeunfallversicherung in der Fassung des UVNG in Betracht kommenden Regelungen, und zwar besonders auf die Erweiterung des Versicherungsschutzes hingewiesen (z. B. gemäß § 1054 Nr. 2 RVO aF bei der freien Rückbeförderung des Seemanns, ferner gem. § 1057 a hinsichtlich des besonderen Schutzes der Seeleute bei Berufskrankheiten; vgl. hierzu auch Dieter "Die historischen, tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten der Seeunfallversicherung" in Festschrift für Lauterbach, Grundsatzfragen der sozialen Unfallversicherung, S. 119 ff).

Bei diesem Sachverhalt ist nach Auffassung des erkennenden Senats die Schlußfolgerung gerechtfertigt, daß R. auf dem Küstenmotorschiff "L" einen Dienst verrichtet hat, der sich von seiner Tätigkeit in dem Stammbetrieb der Binnenschiffahrt wesentlich abhob und deswegen diesem Betrieb auch nicht im Rahmen des § 634 RVO aF zuzurechnen ist, sondern eindeutig zum Seeschiffahrtsbetrieb gehört. Demzufolge sind materiell-rechtlich die Vorschriften der Seeunfallversicherung anzuwenden, nach denen die beklagte See-BG für R. wie für alle anderen ständig im Seeschiffahrtsbetrieb beschäftigten Personen der zuständige Versicherungsträger ist. Somit trifft die Beklagte die Pflicht zur Entschädigung der Kläger. Ihr Bescheid vom 27. Oktober 1960 über die Gewährung der Hinterbliebenenrente an die Kläger ist hinsichtlich der Berechnung der Rente zutreffend auf Grund des Rechts der Seeunfallversicherung ergangen. Die Kläger haben auch selbst nichts dagegen eingewendet, daß der maßgebende JAV gemäß § 1067 RVO aF ermittelt worden ist. Nach § 1066 g RVO aF kommt eine anderweite Berechnung des JAV nicht in Betracht. Die Klage war daher unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht auf Grund des § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 248

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