Entscheidungsstichwort (Thema)
Letzter maßgeblicher Dauerzustand. angemessenen Unterhalt der früheren Ehefrau, wenn der Ehemann im Zeitpunkt der Scheidung nicht erwerbstätig war
Leitsatz (amtlich)
Bei der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten gemäß EheG § 58 sind Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit, die er auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt hat, nicht zu berücksichtigen. Durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit wird zunächst die Vermutung begründet, daß der Betroffene hierzu auch gesundheitlich in der Lage ist.
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Frage, was als maßgeblicher letzter wirtschaftlicher Dauerzustand zugrunde zu legen ist, hat die Tatsacheninstanz zu prüfen, inwieweit aus Billigkeitsgründen die Zeit vor Beginn der Erkrankung des Versicherten, die zu seinem Tode geführt hat, zu berücksichtigen ist.
Zum angemessenen Unterhalt der früheren Ehefrau, wenn der Ehemann im Zeitpunkt der Scheidung nicht erwerbstätig war:
2. Der Umfang des angemessenen Lebensunterhalts wird durch die Lebensverhältnisse der früheren Ehegatten zZt der Scheidung bestimmt. Als angemessener Unterhalt der geschiedenen Ehefrau ist hierbei in der Regel ein Betrag in Höhe von 1/3 bis 3/7 des Gesamtnettoeinkommens der geschiedenen Ehegatten zZt der Scheidung auch dann anzusetzen, wenn der unterhaltspflichtige Ehemann im Zeitpunkt der Ehescheidung nicht erwerbstätig war.
Normenkette
AVG § 42 S. 1 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S. 1 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23; EheG § 58 Fassung: 1946-02-20, § 59 Fassung: 1946-02-20; SGG § 103 Fassung: 1974-07-30, § 128 Fassung: 1974-07-30
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 26.10.1977; Aktenzeichen III ANBf 66/76) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 27.08.1976; Aktenzeichen 10 AN 355/75) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 26. Oktober 1977 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die im Oktober 1906 geborene Klägerin begehrt Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes, des Maschinenbauingenieurs A N (Versicherter), der am 1. Juni 1973 im 64. Lebensjahr verstorben ist. Die Ehe wurde aus Verschulden des Versicherten durch Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 3. Mai 1966 geschieden. Die vom Versicherten hiergegen eingelegten Rechtsmittel wurden als unzulässig verworfen. Seit September 1970 war der Versicherte mit der Beigeladenen verheiratet. Diese erhält von der Beklagten eine ungekürzte Witwenrente (Bescheid vom 22. Oktober 1973).
Der Versicherte war nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) bis zum 28. März 1965 selbständig und von da ab arbeitslos gemeldet gewesen. Im Dezember 1965 erlitt er einen Herzinfarkt und erhielt mit Bescheid vom 11. Oktober 1967 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit vom 9. Dezember 1965 bis 30. Juni 1967. Seit Mai 1971 war der Versicherte als Abteilungsleiter in einem Fahrzeugwerk beschäftigt und erzielte im Juni 1972 ein Nettoeinkommen von rd 1.660,- DM, von Juli bis Oktober 1972 jeweils rd 1.653,- DM, im November 1972 rd 2.156,- DM, im Dezember 1972 rd 1.729,- DM, im Januar 1973 rd 1.714,- DM, im Februar 1973 rd 1.007,- DM, im März 1973 rd 2.200,- DM, im April 1973 rd 401,- DM, im Mai 1973 nichts und im Juni 1973 rd 1.734,- DM. Von Oktober 1972 bis Anfang Dezember 1972 war der Versicherte wegen "Stenocardien bei einem Zustand nach Herzinfarkt vom Dezember 1965" arbeitsunfähig. Am 5. Januar 1973 wurde er wegen gehäuft aufgetretener Angina-pectoris-Anfälle erneut arbeitsunfähig. Sein Leistungsvermögen wurde ärztlich als erheblich vermindert angesehen. Die Beklagte gewährte daraufhin mit Bescheid vom 22. Oktober 1973 für ihn ab 1. November 1972 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 532,- DM monatlich.
Die Klägerin verdiente nach den Feststellungen des LSG ab 1966 ca 855,- DM und ab 1967 rd 923,- DM brutto monatlich als Verwaltungsangestellte. Seit dem 1. Januar 1972 erhält sie ein Altersruhegeld von der Beklagten, das zunächst 157,60 DM betrug und sich ab 1. Januar 1973 auf 172,60 DM erhöhte. Daneben wurde ihr eine Rente von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder ab 1. Januar 1972 von monatlich 192,90 DM und ab 1. Januar 1973 bis 30. Juni 1973 von monatlich 203,30 DM gewährt.
Mit Bescheid vom 7. Mai 1974 lehnte die Beklagte den Hinterbliebenenrentenantrag der Klägerin ab. Zur Begründung führte sie aus, der Versicherte hätte zur Zeit seines Todes der Klägerin keinen Unterhalt zu leisten brauchen. Berücksichtigt werden könnten als maßgeblicher wirtschaftlicher Dauerzustand nicht die Einkommensverhältnisse des Versicherten, die aufgrund seiner Erwerbstätigkeit bestanden hätten. Maßgebend sei vielmehr die Situation, die aufgrund der Erwerbsunfähigkeit und des dadurch bedingten Rentenbezugs auf Dauer bestanden hätte. Von der für Bezugszeiten ab 1. November 1972 zustehenden Rente hätte der Versicherte gemäß §§ 58, 59 des Ehegesetzes (EheG) unter Berücksichtigung des eigenen Renteneinkommens der Klägerin nicht zu ihrem Unterhalt herangezogen werden können.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 27. August 1976). Die Berufung der Klägerin ist durch Urteil des LSG vom 26. Oktober 1977 zurückgewiesen worden. Nach Ansicht des LSG ist keiner der Fälle des § 42 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) gegeben. Der Versicherte habe der Klägerin weder im letzten Jahr vor seinem Tode tatsächlich Unterhalt geleistet noch sei er hierzu aus sonstigen Gründen verpflichtet gewesen. Der Versicherte sei der Klägerin auch nicht nach den Vorschriften des EheG zum Unterhalt verpflichtet gewesen. Ihr habe in dem maßgeblichen wirtschaftlichen Dauerzustand kein Unterhaltsanspruch gegen ihn zugestanden. Dieser letzte maßgebliche Dauerzustand habe hier ab November 1972 bestanden, als der Versicherte wegen seines auf Dauer geminderten Gesundheitszustandes von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhalten habe. Eine Wiederherstellung seiner Gesundheit sei aufgrund des fortschreitenden gefäßsklerotischen Leidens, wie der vom SG gehörte Sachverständige Dr. S ausgeführt habe, nicht zu erwarten gewesen, wohl aber eine weitere Verschlechterung. Damit konkretisiere sich der maßgebende wirtschaftliche Dauerzustand (als "Zeit des Todes") auf die Zeit von November 1972 bis Juni 1973. In diesem Zeitraum habe der Versicherte allerdings neben seinem Renteneinkommen noch über ein beträchtliches Arbeitseinkommen verfügt. Dieses müsse jedoch außer Betracht bleiben, da der Versicherte seine Erwerbstätigkeit in dem maßgeblichen letzten wirtschaftlichen Dauerzustand auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt habe. Ebenso wie sich der Unterhaltsberechtigte nicht Einkünfte aus einer unzumutbaren Erwerbstätigkeit anrechnen lassen müsse, könnten unzumutbare Arbeiten, die der Verpflichtete tatsächlich ausübe, seine Leistungsfähigkeit nicht erhöhen. Für die Unterhaltsfähigkeit des Versicherten sei daher nur von seinem Renteneinkommen auszugehen. Er habe ein monatliches Renteneinkommen von 592,- DM gehabt, die Klägerin ein solches von 380,90 DM. Bei der Berechnung ihres angemessenen Unterhalts aus der Gesamtsumme beider Einkommen sei von einem Betrag von 972,90 DM auszugehen. Davon stünden der Klägerin nach einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Drittel bis drei Siebtel als Unterhalt zu. Unter Berücksichtigung des sehr kleinen Renteneinkommens der Klägerin und andererseits der Unterhaltspflicht des Versicherten für seine zweite Ehefrau sei eine Quote von 8/21 angemessen. Der Unterhalt der Klägerin sei somit auf etwa 371,- DM festzusetzen. Darauf sei ihr eigenes Einkommen anzurechnen. Rechnerisch bleibe daher kein Raum mehr für einen Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten, der im übrigen auch so hoch sein müßte, daß er wenigstens 25 % des Mindestbedarfs einer Alleinstehenden erreiche.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 42 Satz 1 AVG und 58 EheG. Sie bestreitet, daß der Versicherte seine Tätigkeit bei seinem letzten Arbeitgeber auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt habe. Die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. S seien unzutreffend. Abgesehen hiervon habe das LSG auch aus Rechtsgründen nicht die Erträgnisse des Versicherten aus der letzten Erwerbstätigkeit unberücksichtigt lassen dürfen. Die in den §§ 58, 59 EheG getroffenen Regelungen stellten bei der Frage der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nicht darauf ab, woher die Geldmittel kämen, die ihm zur Verfügung stünden. Das Gesetz lasse lediglich eine kaufmännische "Soll- und Haben-Rechnung" zu. Wenn man aber dennoch im vorliegenden Fall das Einkommen des Versicherten aus seiner letzten Erwerbstätigkeit nicht berücksichtigen dürfe, dann hätten auch die Renteneinkünfte der Klägerin bei der Frage ihrer Bedürftigkeit ebenfalls nicht berücksichtigt werden dürfen. Auf diese Einkünfte hätte sie der Versicherte billigerweise nicht verweisen können. Das LSG habe den Sachvortrag der Klägerin nicht gebührend berücksichtigt, in dem sie auf die wirtschaftliche Notlage hingewiesen habe, unter der sie eine Erwerbstätigkeit nach dem Zeitpunkt aufgenommen habe, zu dem sie der Versicherte unter Hinterlassung vieler Schulden und völliger Vernachlässigung seiner Unterhaltsverpflichtungen gegenüber dem gemeinsam angenommenen Kind verlassen habe. Bei Berücksichtigung dieser Situation hätte das LSG die Renteneinkünfte der Klägerin außer acht lassen müssen und wäre auch bei Anwendung des von ihm zugrunde gelegten Teilungsfaktors von 8/21 auf eine Unterhaltsleistung des Versicherten von 225,- DM gekommen, womit die Voraussetzungen des § 42 Satz 1 AVG erfüllt seien. Darüber hinaus habe das LSG den Teilungsfaktor rechtsirrtümlich festgesetzt. Angesichts des Verhaltens des Versicherten ihr gegenüber hätte das LSG das Gesamteinkommen halbieren müssen und wäre dann unter Berücksichtigung der von der Klägerin bezogenen Rente auf einen Betrag von 90,55 DM gekommen, der wenigstens 25 % des Mindestbedarfs einer Alleinstehenden entsprochen hätte.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 26. Oktober 1977 sowie des Sozialgerichts Hamburg vom 27. August 1976 und den Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 1974 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 1973 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes A zu gewähren,
hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG im Ergebnis für zutreffend. Sie ist der Ansicht, die Klägerin habe im Zeitpunkt des Todes des Versicherten gegen diesen keinen Unterhaltsanspruch gehabt. Die Klägerin sei nicht unterhaltsbedürftig gewesen. Sie müsse sich ihre Renten- und Versorgungsbezüge anrechnen lassen. Darüber hinaus berücksichtige sie nicht, daß niemand verpflichtet werden könne, auf Kosten seiner Gesundheit und entgegen ärztlichem Rat eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Hinzu komme, daß die Leistungsfähigkeit des Versicherten unter der Geltung des alten Unterhaltsrechts durch die vorrangige Unterhaltsverpflichtung gegenüber der zweiten Ehefrau begrenzt gewesen sei.
Die Beigeladene ist nicht vertreten und hat auch nichts vorgetragen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision führt zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
Da § 42 Satz 2 AVG als Anspruchsgrundlage schon deshalb ausscheidet, weil der Beigeladenen eine Witwenrente zu gewähren ist, kann die Klägerin ihr Begehren nur auf § 42 Satz 1 AVG stützen. Hiernach wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, dessen Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden ist, nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn er ihr zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Nach den tatsächlichen unangegriffenen und damit für den Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindenden Feststellungen des LSG hat der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode keinen Unterhalt geleistet. Er war auch, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, aus sonstigen Gründen nicht verpflichtet, der Klägerin Unterhalt zu leisten.
In Betracht kommt somit lediglich ein Anspruch nach § 58 Abs 1 EheG in der bis zum 30. Juni 1977 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl Art 3 Nr 1 des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts - 1. EheRG). Hiernach hat der allein für schuldig erklärte Mann der geschiedenen Frau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit das Einkommen aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen.
Voraussetzung ist also, daß der Versicherte im Zeitpunkt seines Todes leistungsfähig und die Klägerin unterhaltsbedürftig war. Hierbei sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (vgl zB BSGE 35, 243, 244 mit zahlreichen Nachweisen) die Verhältnisse zugrunde zu legen, die in dem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten bestanden. Diesen hat das LSG für die Zeit ab November 1972 abgesteckt. Es ist weiter davon ausgegangen, die Einkünfte, die der Versicherte während dieses Zeitraums aus seiner Tätigkeit bei den SE-Fahrzeugwerken erzielt habe, könnten nicht zugunsten der Klägerin berücksichtigt werden, da er auf Kosten seiner Gesundheit gearbeitet habe. Unzumutbare Arbeiten, die der Versicherte tatsächlich ausübe, könnten seine Leistungsfähigkeit nicht erhöhen.
Hinsichtlich der Beurteilung der Leistungsfähigkeit folgt der Senat der Rechtsansicht des LSG insoweit, als Einkünfte, die ein Versicherter auf Kosten seiner Gesundheit erzielt, grundsätzlich bei seiner Leistungsfähigkeit gemäß § 58 Abs 1 EheG außer Ansatz bleiben müssen. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 22. März 1968 (SozR Nr 42 zu § 1265 RVO) ausgesprochen, daß bei der Beurteilung der Unterhaltsbedürftigkeit der geschiedenen Ehefrau Einkünfte unberücksichtigt bleiben müssen, die diese aus einer ihr nicht zuzumutenden Erwerbstätigkeit erzielt hat, was dann der Fall ist, wenn der geschiedene Ehemann seine frühere Frau billigerweise nicht auf diese Einkünfte verweisen kann. Der 12. Senat des BSG ist in seinem Urteil vom 25. September 1969 (SozR Nr 52 zu § 1265 RVO) dieser Auffassung beigetreten und hat dargelegt, daß der an die Ehescheidung geknüpfte Unterhaltsanspruch von jeher von dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (Billigkeit) bestimmt war. Insbesondere folge aus den §§ 59 Abs 1, 60, 61 Abs 2, 70 Abs 2 EheG, daß bei der Regelung der Unterhaltsansprüche der Gesichtspunkt der Billigkeit vorherrsche. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, daß in § 58 Abs 1 EheG dieser Grundsatz nicht ausdrücklich aufgeführt ist und § 66 EheG 1938 nur hinsichtlich der Unterhaltsbedürftigkeit der geschiedenen Ehefrau eine Erwerbstätigkeit berücksichtigte, "die von ihr den Umständen nach erwartet werden kann". Denn auch die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten bestimmt sich nach dem, was ihm zuzumuten ist (SozR Nr 38 zu § 1265 RVO mit zahlreichen Nachweisen). Dh, Ansprüche und Einwendungen können von einem geschiedenen Ehegatten gegenüber dem anderen nicht geltend gemacht werden, wenn sie unzumutbar sind. Ebenso wie es unbillig erscheint, dem unterhaltsbedürftigen Ehegatten Einkünfte auf seinen Unterhaltsanspruch anzurechnen, die er aus einer über das zumutbare Maß hinausgehenden Erwerbstätigkeit erzielt, widerspricht es dem Sinn und Zweck des Gesetzes, bei der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen, die er auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt hat.
In tatsächlicher Hinsicht ist hierbei allerdings zu berücksichtigen, daß durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zunächst einmal die Vermutung begründet wird, daß der Betroffene hierzu auch gesundheitlich in der Lage ist. In diesem Zusammenhang ist weiter darauf hinzuweisen, daß es sich, wie der Senat bereits hinsichtlich der Unterhaltsbedürftigkeit der geschiedenen Ehefrau ausgeführt hat, nur um besondere Fälle handeln kann, in denen tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen nicht zu berücksichtigen ist. Selbst dann, wenn der Unterhaltsverpflichtete eine Tätigkeit ausübt, ohne hierzu verpflichtet zu sein, berechtigt dies allein noch nicht dazu, ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls von einer Anrechnung der Einkünfte bei der Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit abzusehen.
Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um zu dem Schluß zu kommen, ob der Versicherte im vorliegenden Fall in dem letzten maßgeblichen Dauerzustand tatsächlich auf Kosten seiner Gesundheit gearbeitet hat. Nach den Feststellungen im Tatbestand des angefochtenen Urteils war der Versicherte von Ende Oktober 1972 bis Anfang Dezember 1972 arbeitsunfähig. Ein Arbeitsversuch im Dezember 1972 mißglückte ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen, weil er wiederum am 5. Januar 1973 wegen wiederholt aufgetretener Angina-pectoris-Anfälle arbeitsunfähig wurde. Es ist daher nicht auszuschließen, daß der Versicherte - abgesehen von der Zeit um die Jahreswende 1972/1973 - während der übrigen Zeit aus gesundheitlichen Gründen seiner Beschäftigung nicht nachgegangen ist. Damit steht aber nicht fest, daß er seine Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit erzielt hat, die er auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt hat. Vielmehr deutet dies darauf hin, daß es sich bei den Zahlungen seines Arbeitgebers in diesem Zeitraum um die Befriedigung eines Gehaltsfortzahlungsanspruchs gehandelt hat. Solche Ansprüche gehören aber ebenso wie das Krankengeld zu den Erträgnissen aus einer Erwerbstätigkeit, also zum Einkommen des Verpflichteten (SozR Nr 57 zu § 1265 RVO). Sie könnten nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn der Versicherte bereits vor seiner Krankmeldung seine Beschäftigung auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt hätte, sei es von Beginn der Tätigkeit an oder wegen einer Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes, die deutlich vor der Krankmeldung lag. Entsprechende Feststellungen hierzu hat das LSG nicht getroffen. Es wird sie noch nachzuholen haben.
Darüber hinaus steht im Hinblick auf die unterschiedliche Höhe der monatlichen Einkünfte des Versicherten in dem vom LSG als wirtschaftlichen Dauerzustand angenommenen Zeitraum auch nicht fest, ob es sich tatsächlich um Entgelt für eine in diesem Zeitraum geleistete Arbeit gehandelt hat. Es könnten zB auch Umsatzprovisionen oder Gratifikationen gewesen sein, die erst zu dieser Zeit fällig geworden sind und daher nicht auf Kosten der Gesundheit erzielt zu sein brauchen.
Sollte das LSG zu dem Ergebnis kommen, daß der Versicherte seine Tätigkeit tatsächlich auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt hat, so hat es noch weitere Feststellungen zu der Frage zu treffen, auf welchen Zeitraum sich der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten erstreckt. Der Begriff des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes ist von der Rechtsprechung (vgl zB BSGE 35, 243, 244) entwickelt worden, um zu verhindern, daß Zufälligkeiten - seien es besonders günstige oder ungünstige Verhältnisse - im Zeitpunkt des Todes des Versicherten für eine in der Regel langfristige Leistung bestimmend sind. Ist dabei dem Tode als dessen Vorstufe eine Krankheit vorausgegangen, so kann aus Billigkeitsgründen nach der Rechtsprechung des BSG als letzter wirtschaftlicher Dauerzustand die Zeit vor Beginn der zum Tode führenden Krankheit zugrunde gelegt werden. Eine bestimmte Zeitgrenze, bis zu der eine solche Krankheit unberücksichtigt bleiben kann, ist hierbei nicht festgelegt worden. Vielmehr ist auf den Einzelfall abzustellen und insbesondere zu berücksichtigen, ob die Krankheit die spätere Todesursache war und ob sie den Tod in absehbarer Zeit hätte herbeiführen müssen (SozR Nr 67 zu § 1265 RVO; BSGE 35, 243, 246). Dabei hat das BSG zu erkennen gegeben, daß nur eine verhältnismäßig kurze Krankheitszeit unberücksichtigt bleiben darf (Urteil des erkennenden Senats vom 30. Mai 1978, 1 RA 71/77, Urteil des 4. Senats des BSG vom 31. Oktober 1978, 4/5 RJ 22/77). Das LSG hat die zuletzt genannten Grundsätze bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt und wird dies nachzuholen haben. Sollten seine Feststellungen ergeben, daß die Erkrankung des Versicherten, die zur Erwerbsunfähigkeit geführt hat, bei der Abgrenzung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes nicht unberücksichtigt bleiben darf, dann kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die dem Versicherten gewährte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bei der Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit nicht zu seinen Einkünften gerechnet werden. Diese Rente war ihm erst nach seinem Tode bewilligt worden und stand ihm also zu Lebzeiten noch nicht zur Verfügung. Nach § 62 EheG war der Unterhalt durch Zahlung einer Geldrente zu gewähren, die monatlich im voraus zu entrichten war. Da der Versicherte insoweit über entsprechende Geldmittel noch nicht verfügen konnte, war er auch nicht in der Lage, hieraus Leistungen zu erbringen (vgl SozR Nr 36 zu § 1265 RVO).
Hiernach ist nicht auszuschließen, daß der Versicherte selbst in dem für die Klägerin ungünstigsten Fall - letzter wirtschaftlicher Dauerzustand ab 1. November 1972 - Einkünfte gehabt hat, die bei der Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen wären. Er hat ab 1. November 1972 bis zu seinem Tode ein durchschnittliches Monatseinkommen aus seinem Arbeitsverhältnis von rd 1.370,- DM gehabt. Hinzu käme noch das ihm gezahlte Krankengeld, dessen Höhe noch zu ermitteln wäre (s Bl 163 der Rentenakte des Versicherten). Es ist daher durchaus möglich, daß er auch unter Berücksichtigung des Unterhaltsbedarfs seiner 2. Ehefrau (§ 59 Abs 1 Satz 2 EheG) und auch unter Anrechnung des Renteneinkommens der Klägerin auf das Gesamteinkommen (BSGE 32, 197) in der Lage war, für den angemessenen Unterhalt der Klägerin einen Betrag zu leisten, der auch als Unterhalt iS des Rentenversicherungsrechts gilt. Wegen der Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente und ihrer Höhe, die nicht vom konkreten Unterhalt abhängt, sondern von der Gestaltung des Versicherungslebens des Versicherten, sowie wegen der Teilung der einzigen Hinterbliebenenrente zwischen der Witwe und der früheren Ehefrau sieht das BSG als Unterhalt nur einen Betrag an, der etwa 25 vH des notwendigen Mindestbedarfs eines Unterhaltsberechtigten ausmacht. Dieser Mindestbedarf bestimmt sich nach den zeitlichen und örtlichen Regelsätzen der Sozialhilfe zuzüglich von Leistungen für die Unterkunft (BSGE 40, 79).
Der Umfang des angemessenen Lebensunterhalts wird durch die Lebensverhältnisse der früheren Ehegatten z.Zt. der Scheidung bestimmt, und zwar durch Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse und der gesellschaftlichen Stellung beider Ehegatten vor allem am Ende der Ehe (SozR 2200 § 1265 Nr 8; SozR Nr 64 zu § 1265 RVO mit weiteren Nachweisen). Zumindest schuldet der Mann den zur Lebenserhaltung notwendigen Unterhalt. Als angemessener Unterhalt der geschiedenen Ehefrau ist hierbei in der Regel ein Betrag in Höhe von 1/3 bis 3/7 des Gesamtnettoeinkommens der geschiedenen Ehegatten z.Zt. der Scheidung auch dann anzusetzen, wenn der unterhaltspflichtige Ehemann im Zeitpunkt der Ehescheidung nicht erwerbstätig ist (SozR Nr 64 zu § 1265 RVO). Wenn hierbei auch spätere Änderungen, soweit sie bei der Scheidung nicht mit berechenbarer Sicherheit vorhergesehen werden können, nicht zu berücksichtigen sind, so muß im Hinblick darauf, daß nach dem Willen des Gesetzgebers der Lebensstandard des Unterhaltsberechtigten z.Zt. des Todes des Versicherten dem z.Zt. der Scheidung entsprechen soll, eine allgemein eingetretene Erhöhung der Lebenshaltungskosten berücksichtigt werden (SozR Nr 16 zu § 1265 RVO). Das LSG hat zwar festgestellt, daß der Versicherte im Zeitpunkt der Scheidung Rente wegen Berufsunfähigkeit erhalten und die Klägerin monatlich ca. 923,- DM brutto verdient hat. Feststellungen darüber, wie hoch das Gesamtnettoeinkommen z.Zt. der Scheidung war und wie es auf den Zeitpunkt des Todes zu projizieren ist, hat es jedoch nicht getroffen. Dies war von seinem Rechtsstandpunkt aus auch nicht erforderlich. Es wird dies, wenn es zu dem Ergebnis kommt, daß der Versicherte leistungsfähig war, ebenso wie die fehlenden Feststellungen zum Mindestbedarf eines Unterhaltsberechtigten nachzuholen haben.
Nach allem muß daher das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zurückverwiesen werden (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen