Leitsatz (amtlich)
Der Sinn des § 59 Abs 2 KO ist durch die Neufassung des § 141n AFG im 5. AFGÄndG nicht geändert worden: Nicht nur die auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangenen, sondern alle durch die Bundesanstalt für Arbeit zu erfüllenden Forderungen der Einzugsstelle auf Sozialversicherungsbeiträge werden zu Konkursforderungen herabgestuft.
Normenkette
KO § 59 Abs. 2; AFG § 141m Abs. 1 Fassung: 1974-07-17, § 141n Abs. 2 Fassung: 1979-07-23
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist, ob die für die letzten drei Monate vor Eröffnung des Konkursverfahrens rückständigen Sozialversicherungsbeiträge eines Arbeitgebers als Gemeinschuldner im Konkursverfahren von der Einzugsstelle als Masseschulden geltend gemacht werden können.
Der Kläger ist Konkursverwalter des Vermögens einer Schuhfabrik, über das am 19. Oktober 1979 das Konkursverfahren eröffnet wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren Beitragsforderungen der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung für die Zeit vom 1. August bis zum 19. Oktober 1979 in Höhe von insgesamt 266.596,71 DM (einschließlich Säumniszuschlägen und Gebühren) offen. Das Arbeitsamt hat der Beklagten als zuständige Einzugsstelle auf deren Antrag die Beiträge überwiesen, die vom Kläger nach Grund und Höhe nicht bestritten werden.
Mit Bescheid vom 20. November 1979 machte die Beklagte diesen Betrag als Masseschuld geltend und forderte den Kläger zur Zahlung auf.
Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 9. Juli 1981 den Bescheid der Beklagten aufgehoben, soweit diese darin geltend macht, Inhaberin von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in der Form von Masseschulden zu sein. Ferner hat es die von der Beklagten hilfsweise erhobene Widerklage abgewiesen, mit der sie beantragte festzustellen, daß die streitigen Sozialversicherungsbeiträge als Masseforderung nach § 59 Abs 1 Nr 3e der Konkursordnung (KO) anzuerkennen seien: Die von der Bundesanstalt für Arbeit (BA) bereits beglichene Beitragsforderung sei nicht mehr als Masseschuld zu berücksichtigen. Als der Gesetzgeber mit dem 5. Arbeitsförderungs-Änderungsgesetz (5. AFG-ÄndG) vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189) § 141n Arbeitsförderungsgesetz (AFG) dahingehend änderte, daß die Ansprüche auf die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung gem § 141n Absatz 1 des AFG mit der Stellung des Antrages auf Konkursausfallgeld (Kaug) nicht mehr auf die BA übergehen, sondern gegenüber dem Arbeitgeber bestehen bleiben, habe er versehentlich den Wortlaut des § 59 Abs 2 KO unverändert gelassen, so daß nunmehr eine Gesetzes vorliege. Folge man der am Wortlaut des Gesetzes orientierten Auffassung der Beklagten, wären mit dem 5. AFG-ÄndG einschneidende Veränderungen im Konkursrecht vorgenommen worden, die das wohlüberlegte Gefüge von Masseschulden und Konkursverbindlichkeiten sowie deren jeweilige Rangfolge, die bei der Änderung der §§ 59 bis 61 KO durch das Gesetz über Kaug vom 17. Juli 1974 (BGBl I 1481) Gegenstand der gesetzgeberischen Überlegungen gewesen seien, zu Lasten der Arbeitnehmer- und der Versichertengemeinschaft hinsichtlich der sonstigen Rückstände für das letzte Jahr vor Eröffnung des Verfahrens außer Kraft setzten.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung der §§ 141n Abs 1 und 2 AFG, 59 Abs 1 Nr 3e und Abs 2 KO. Angesichts des ausdrücklichen Wortlauts dieser Bestimmungen sei die Argumentation des LSG nicht überzeugend. Da die vorliegende Fallkonstellation gesetzlich geregelt sei, könne von einer Gesetzeslücke nicht gesprochen werden.
Die Beklagte beantragt sinngemäß, das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Juli 1981 abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 31. März 1981 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet; sie ist zurückzuweisen.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig, denn mit ihm wird eine Masseforderung geltend gemacht, obgleich der geforderte Betrag nur eine Konkursforderung gem § 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e KO darstellt, die im Konkursverfahren gem den §§ 138 ff KO anzumelden, nicht aber durch Verwaltungsakt gegenüber dem Konkursverwalter durchzusetzen ist (vgl BSG SozR 2200 § 28 Nr 4 und das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil vom 26. August 1982 - 10 RAr 21/81 -).
Nach § 59 Abs 2 Satz 1 KO werden die durch § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst a und e KO zu Masseschulden erhobenen Ansprüche der Arbeitnehmer und der Sozialversicherungsträger zum Teil wieder zu Konkursforderungen herabgestuft. Es handelt sich dabei um die Ansprüche der Arbeitnehmer und der Sozialversicherungsträger, die die BA als Trägerin der Kaug-Versicherung anstelle des in Konkurs gegangenen Arbeitgebers zu erfüllen hat und die deshalb nach §§ 141m und n AFG idF des KaugG vom 17. Juli 1974 aa0 auf die BA übergingen. § 59 Abs 2 Satz 1 KO knüpft die Herabstufung allerdings nicht an die Zahlungspflicht, sondern an den Anspruchsübergang.
An dieser konkursrechtlichen Regelung ist durch das 5. AFG-ÄndG vom 23. Juli 1979 aa0 nichts geändert worden. Geändert worden ist nur das Beitragsverfahren des Konkursausfallgeldes. Danach bleiben die Beitragsansprüche entgegen der bisherigen Regelung der §§ 141m und n AFG gegenüber dem Arbeitgeber bestehen (vgl § 141n Abs 2 idF des 5. AFG-ÄndG), auch wenn sie das Arbeitsamt entrichtet hat. Die Beiträge sind ohne Rücksicht darauf, daß sie bereits entrichtet sind, von der Einzugsstelle - hier der beklagten Kasse - einzuziehen und der BA zu erstatten. Sie sind auch im Konkurs nicht mehr wie in der Zeit vor dem 5. AFG-ÄndG durch die BA, die sie gezahlt hat, sondern durch die Einzugsstelle, die sie bereits bekommen hat, geltend zu machen.
Es besteht allseits Einigkeit darüber, daß der Gesetzgeber durch diese beitragsrechtliche Konstruktion des 5. AFG-ÄndG die durch § 59 Abs 2 Satz 1 KO angeordnete Herabstufung der Beitragsansprüche nicht rückgängig machen wollte. Die beklagte Einzugsstelle räumt ein, daß nur verwaltungstechnische Zweckmäßigkeitsüberlegungen dafür sprachen, der Einzugsstelle auch die Einziehung der von der BA bereits entrichteten Beiträge zu überlassen (vgl Begründung des Regierungsentwurfs des 5. AFG-ÄndG, BT-Drucks 8/2624 S 31 zu Nr 50 c, wonach der Ausschluß des Übergangs der Pflichtbeiträge auf die BA deshalb erfolgte, weil diese Ansprüche "zweckmäßiger" von den Einzugsstellen weiterverfolgt werden). Die Beklagte bestreitet auch nicht, daß § 59 Abs 2 Satz 1 KO die Herabstufung nicht deshalb anordnet, weil die BA nach der früheren Fassung der §§ 141m und n AFG Beitragsgläubigerin geworden ist, sondern deshalb, weil für die durch den Konkurs des Arbeitgebers ausgefallenen und deshalb von ihr entrichteten Beiträge kein besonderer konkursrechtlicher Schutz mehr für erforderlich gehalten wurde (vgl dazu Begründung des Regierungsentwurfs zum KaugG vom 17. Juli 1974, BT-Drucks 7/1750 - S 10 f, 14 f und Ausschußbericht, BT-Drucks 7/2260 S 3 und 4 zu Art 2 § 1 Nr 1 Buchst c - § 59 Abs 2 KO -).
Die beklagte Einzugsstelle hält sich allerdings nicht mehr für befugt, noch dem bisher klaren Sinn und Zweck des § 59 Abs 2 Satz 1 KO zu folgen, nachdem der Wortlaut dieser Vorschrift durch die Änderung der §§ 141m und n AFG einen anderen Inhalt bekommen habe. Sie meint, nach dem Wortlaut, wie er sich jetzt darstelle, seien eindeutig nur die Lohnforderungen zu Konkursforderungen herabgestuft worden, weil diese nach wie vor auf die BA übergehen (§ 141m Abs 1 AFG). Die Beitragsforderungen hingegen blieben nach dem eindeutigen Wortlaut nunmehr Masseschulden, weil sie nach § 141n Abs 2 idF des 5. AFG-ÄndG nicht mehr auf die BA übergehen. Nur der Gesetzgeber könne klarstellen, daß er mit der Änderung der §§ 141m und n AFG nicht zugleich die Rangverhältnisse im Konkurs habe ändern wollen.
Diese Meinung trifft nicht zu.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich schon mehrfach gezwungen gesehen, entgegen dem eindeutigen Wortlaut einer einzelnen Vorschrift zu entscheiden, wenn Rechtsänderungen eindeutig erkennen ließen, daß sie auch den Sinn nicht ausdrücklich geänderter Vorschriften umgestalteten (vgl BSGE 32, 13, 15; 33, 263, 266; 35, 121, 123 f; 50, 47, 48). Dabei waren beachtliche rechtsdogmatische Bedenken auszuräumen, die sich aus der beschränkten Rechtsfortbildungsbefugnis der Rechtsprechung ergeben. Hier ist aber nur klarzustellen, daß mit der Änderung der §§ 141m und n AFG nicht zugleich auch der Sinn des § 59 Abs 2 Satz 1 KO geändert werden sollte. Dagegen bestehen schon deshalb keine rechtsdogmatischen Bedenken, weil § 59 Abs 2 K0 selbst deutlich macht, daß der Wortlaut des § 59 Abs 2 Satz 1 iVm §§ 141m und n AFG nicht den Sinn und Zweck dieser Vorschrift voll erfaßt. § 59 Abs 2 Satz 2 KO stuft nämlich auch die Beitragsansprüche herab, die die BA - als Träger der aug-Versicherung- gegenüber sich selbst - als Träger der Arbeitslosenversicherung - zu erfüllen hat. Da insoweit weder vor noch nach Inkrafttreten der neuen Fassungen der §§ 141m und n AFG ein Anspruchsübergang stattfinden sollte (§ 59 Abs 2 Satz 2 KO), kommt der Wille des Gesetzes hinreichend deutlich zum Ausdruck, die Herabstufung derjenigen Beitragsansprüche anzuordnen, die die BA gegenüber der Einzugsstelle zu erfüllen hat: Nicht übergegangene, sondern erfüllte Forderungen sind herabzustufen.
Der Senat befindet sich mit dieser Entscheidung in Übereinstimmung mit den nahezu einhelligen Äußerungen der Literatur (vgl Kilger, Die Disharmonie zwischen der Konkursordnung und der Konkursausfallgeld-Regelung für Sozialbeiträge im Arbeitsförderungsgesetz, in: NJW 1980, 2452; Oehlerking, Änderungen beim Konkursausfallgeld, in: ZIP 1980 S 18; Kübler, Neue Krise des Insolvenzrechts durch gesetzgeberischen Mißgriff, in: ZIP 1980 S 89 f; Gagel, Ergänzendes zu den Änderungen beim Konkursausfallgeld im 5. AFG-ÄndG, in: ZIP 1980, 90; derselbe in: Gagel/Jülicher, Arbeitsförderungsgesetz, 2. Lfg (Konkursausfallgeld), RdNr 14 zu § 141n AFG, 1981 S 88; Voigt, Urteilsanmerkung, in: ZIP 1980, 633; Heß, Die Geltendmachung von Sozialversicherungsbeiträgen im Konkurs nach dem 5. AFG-ÄndG, in: BlStSozArbR 1980, 104; Heß, in: GK-AFG RdNr 11 zu § 141n, 44. Lfg 1981; Böhle-Stamschräder-Kilger, Konkursordnung, Anm 8 zu § 59, 13. Aufl 1981 S 240 f, anderer Ansicht Bernhard Müller, Die konkursrechtliche Zuordnung der beitragsrechtlichen Forderungen der LKKen für den Tag der Konkurseröffnung, in: SdL 1981, 547 ff, Heilmann, Probleme der Konkursausfallgeldversicherung, in: NJW 1980, 2286 und Die Beitrags- und Umlageansprüche der Sozialversicherungsträger im Konkurs des Arbeitgebers, in: SGb 1981, 470 enthält sich einer Stellungnahme) und der Absicht der Bundesregierung, dies so bald wie möglich klarzustellen (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einem 5. Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen, BR-Drucks 453/82 S 2 und S 47).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 1658362 |
NJW 1983, 1872 |
ZIP 1983, 339 |
Breith. 1983, 651 |