Leitsatz (amtlich)

1. Die auf Grund der Richtlinien des Tuberkulose-Versorgungswerke gewährten Leistungen sind keine Pflichtleistungen der Rentenversicherungsträger. #

2. Die Aufsichtsbehörden sind zu Weisungen über den Umfang der Tuberkulose-Versorgungsleistungen der Versicherungsträger nur berechtigt, wenn die Handhabung der Versicherungsträger einen Mißbrauch oder eine Überschreitung ihres Ermessens darstellt.

 

Normenkette

RVO § 1252 Fassung: 1934-05-17, § 1310 Fassung: 1934-05-17

 

Tenor

1. Auf die Revisionen der Klägerin und der Beigeladenen wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 13. September 1956 aufgehoben.

2. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 24. März 1955 wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, mit Ausnahme der seit dem 1. Januar 1954 entstandenen Gerichtskosten, werden dem Beklagten auferlegt.

Außergerichtliche Kosten im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I Die Klägerin hatte dem Beklagten am 9. Dezember 1952 mitgeteilt, sie beabsichtige infolge ihrer angespannten Finanzlage die von ihr bis dahin nach den Richtlinien über das Tuberkuloseversorgungswerk (TVW) der Rentenversicherung durchgeführten Maßnahmen zur Tuberkulosebekämpfung (Tb.-Bekämpfung) vom 1. Januar 1953 an sowohl hinsichtlich des betreuten Personenkreises wie hinsichtlich ihrer Leistungen in einer von ihr im einzelnen näher dargelegten Weise einzuschränken. Durch Erlaß vom 15. Dezember 1952 wies der Beklagte die Klägerin darauf "kraft seines Aufsichtsrechts" an, zunächst für den Januar 1953 ihre Leistungen in dem bisherigen Umfange für den nach ihrer Absicht verkleinerten Personenkreis weiter zu gewähren. Nachdem der Beklagte den gegen diese Anweisung erhobenen Einspruch durch Bescheid zurückgewiesen hatte, erhob die Klägerin vor dem Landesverwaltungsgericht Schleswig Klage mit dem Antrag, den Erlaß des Beklagten und seinen Einspruchsbescheid aufzuheben. Das der Klage stattgebende Urteil des Landesverwaltungsgerichts wurde von dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg auf die vom Beklagten eingelegte Berufung hin am 18. August 1954 aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht stellte in seinem rechtskräftig gewordenen Urteil fest, der Rechtsstreit sei nach § 215 Abs. 6 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) am 1. Januar 1954 auf das Sozialgericht Lübeck übergegangen; die Entscheidung über die Kosten des ersten Rechtszuges hat das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten mit Ausnahme der von ihm niedergeschlagenen nach dem 1. Januar 1954 entstandenen Gerichtskosten.

Das Sozialgericht Lübeck lud auf ihren Antrag die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zum Verfahren bei und hob alsdann durch Urteil vom 24. März 1955 Erlaß und Einspruchsbescheid des Beklagten auf, wobei es dahin erkannte, daß Kosten nicht zu erstatten seien.

II Auf die Berufung des Beklagten wies dagegen das Landessozialgericht Schleswig durch Urteil vom 13. September 1956 die Klage unter Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils ab und legte der Klägerin die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entstandenen Kosten auf.

In seinem Urteil führt das Landessozialgericht zunächst aus, daß die in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg ausgesprochene Verweisung der Sache an das Sozialgericht Lübeck für die Sozialgerichtsbarkeit zwar nicht bindend sei, daß jedoch die eigene Prüfung ergebe, daß die Verweisung rechtlich zutreffend sei, da es sich bei dem Rechtsstreit um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung im Sinne des § 51 Abs. 1 SGG. handele.

Die zunächst - und damals ordnungsmäßig - bei einem Gericht der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit rechtshängig gewesene Klage sei nach § 48 der Militär-Regierungs-Verordnung (MRVO) Nr. 165 auch fristgemäß erhoben.

Die Klage sei schließlich nach § 54 Abs. 3 SGG. auch zulässig, da von einer Anstalt des öffentlichen Rechts, der Klägerin, die Aufhebung der Anordnung einer Aufsichtsbehörde begehrt werde mit der Behauptung, diese Anordnung überschreite das Aufsichtsrecht; der Beklagte sei - wie zwischen den Parteien unbestritten wäre - damals wie im Zeitpunkt des Urteils die (zunächst nach Abschnitt IV § 2 des Gesetzes über den Aufbau der Sozialversicherung vom 5. Juli 1934 - Aufbaugesetz - [RGBl. I S. 577] in Verbindung mit Art. 129 des Grundgesetzes - GG -, später nach § 3 des Bundesversicherungsamtsgesetzes - BVAG - vom 1. Mai 1956 [BGBl. I S. 415]) für die Klägerin in Frage kommende Aufsichtsbehörde.

Sachlich hält das angefochtene Urteil die Klägerin für verpflichtet, die Tuberkuloseversorgung (Tb.-Versorgung) auch weiterhin nach den Richtlinien über das TVW durchzuführen und sieht deshalb die Klage für unbegründet an.

Zur Begründung seiner Auffassung legt das Landessozialgericht zunächst eingehend die geschichtliche Entwicklung der Tb.-Bekämpfung dar, um damit zu einer historischen Auslegung des geltenden Rechts zu kommen. Es verweist darauf, daß die Landesversicherungsanstalten bereits recht frühzeitig - vor dem ersten Weltkrieg - mit der Errichtung von Tb.-Fürsorgestellen und Tb.-Heilstätten begonnen hätten, nachdem ihnen schon die früheren Gesetze die Ermächtigung zur Durchführung von Heilverfahren gegeben hätten (§ 12 des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes vom 22.6.1889 - RGBl. I S. 97 -, §§ 18 ff., 47 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 19.7.1889 - RGBl. I S. 463 -). Obwohl die Rechtsgrundlage für ihre Maßnahmen "von Anfang an nur schmal gewesen und durch die Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 19. Juli 1911 nicht verbreitert worden" sei (§§ 1310 ff., 1252 RVO), sei die Tb.-Bekämpfung in immer steigendem Maße auch unter Überschreitung jener engen gesetzlichen Grenzen von den Landesversicherungsanstalten durchgeführt worden. Nachdem das Reichsversicherungsamt am 17. November 1919 (AN. 1919 S. 438) und 24. Juli 1922 (AN. 1922 S. 439) Richtlinien hinsichtlich der Tb.-Bekämpfung erlassen habe, habe die Reichsregierung selbst schließlich am 27. Februar 1929 im Reichsgesetzblatt (I S. 69) die "Richtlinien über Gesundheitsfürsorge in der versicherten Bevölkerung" veröffentlicht, deren III. Teil Abschn. 1 sich ausschließlich mit der Tb.-Bekämpfung befaßt habe. Diese Richtlinien hätten zwar den Versicherten keinen Rechtsanspruch auf Heilverfahrensleistungen eingeräumt, sie hätten jedoch den Rentenversicherungsträgern (RVTr.) bestimmte Pflichten auferlegt und seien - erlassen auf Grund einer Ermächtigung in dem Gesetz über den Aufbau der Angestellten - und Invalidenversicherung und über Gesundheitsfürsorge in der Krankenversicherung vom 28. Juni 1925 (RGBl. I S. 157) - ein Gesetz nicht nur im formellen, sondern auch im materiellen Sinne, da sie in bindender Form Maßnahmen für bestimmte Arten von Fälle vorschrieben. Das Urteil läßt es jedoch nach diesen Erörterungen auf sich beruhen, ob die Aufsichtsanordnung des Beklagten bereits durch diese Richtlinien hinreichend gedeckt sei, da nach seiner Auffassung jüngere und sachlich näher liegende Vorschriften den Gegenstand noch beträchtlich eingehender geregelt hätten.

Das Urteil untersucht sodann die Bedeutung der Verordnung über die Tb.-Hilfe vom 8. September 1942 (Tb.VO) - RGBl. I S. 549 -, die es anders als das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 8. Juni 1952 ( OVerwGE . Bd. 6 S. 273), auf das sich die Klägerin weitgehend stützt, betrachtet wissen will. Das Landessozialgericht ist der Ansicht, daß durch die Tb.VO die nicht zur Sozialversicherung gehörenden Tb.-Kranken, soweit sie schutzbedürftig wären, erfaßt und gesichert werden sollten. Die Tb.VO habe nicht etwa die von ihr allein angesprochenen Landesfürsorgeverbände zu den alleinigen Trägern der Tb.-Bekämpfung machen wollen; es habe vielmehr nur für das bisher zersplitterte Gebiet außerhalb der Sozialversicherung eine schlagkräftige Regelung getroffen werden sollen, wobei die primäre Verpflichtung der RVTr. für den bei ihnen versicherten Personenkreis nach Auffassung des Landessozialgerichts offenbar vorausgesetzt werden mußte.

Dies glaubt das Landessozialgericht aus dem Wortlaut der Tb.-VO, den vom Reichsminister des Innern zu ihrer Durchführung herausgegebenen Runderlassen und auch aus dem zahlenmäßig sehr großem Übergewicht der zur Sozialversicherung gehörenden Tb.-Kranken entnehmen zu können. Insbesondere durch den 3. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 18. März 1943 (MinBl. i.V. Spalte 493) sei eine genaue und verbindliche Aufgabenabgrenzung erfolgt, wie der Wortlaut des Abschnitts 2 Nr. 2 zeigte: "Die Träger der Rentenversicherung führen nach der von ihnen getroffenen Regelung für ihre Versicherten und deren Angehörigen folgende Maßnahmen auf eigene Kosten durch:

a) die ambulante Heilbehandlung vor Eintritt des stationären Heilverfahrens,

b) das stationäre Heilverfahren,

c) die sich an das stationäre Heilverfahren anschließende ambulante Heilbehandlung,

d) die Absonderung in geschlossenen Anstalten,

e) die wirtschaftliche Hilfe für den Kranken und seine Familienangehörige in den Fällen a) bis b)

Durch die vorgenannten Maßnahmen wird die zur Behandlung der Tb. erforderliche Hilfe im Sinne der Nr. 26 des 1. Runderlasses vom 9. September 1942 sichergestellt."

Die Rentenversicherung übernimmt nicht die Kosten der Pflege und der Absonderung in der Wohnung.

Um sich "diesem Rahmen anzupassen und ihn auszufüllen", haben die RVTr. am 10. Juni 1943 alsdann die "Richtlinien über das TVW und die Rentenversicherung" vereinbart. Durch einen weiteren Runderlaß vom 22. Dezember 1943 (MinBl. i.V. Spalte 1973) habe der Reichsminister des Innern dann bestimmt: "Abschnitt 2 Nr. 2 des 3. Runderlasses vom 18. März 1943 (MinBl. i.V. Spalte 1893) enthält folgende Fassung:

1.) Die Träger der Rentenversicherung führen mit Wirkung vom 1. April 1943 nach ihren Richtlinien über das TVW sämtliche Leistungen der Tb.-Bekämpfung für ihre Versicherten und deren Angehörige auf eigene Kosten durch.

2.) Die zur Bekämpfung der Tb. erforderliche Hilfe ist damit für den genannten Personenkreis im Sinne der Nr. 26 des 1. Runderlasses vom 9. September 1942 (MinBl. i.V. Spalte 1826) sichergestellt."

Der Wortlaut dieses Erlasses zeige, daß ihm nicht etwa nur deklaratorischer Charakter, sondern normative Wirkung zukomme. Der Reichsminister des Innern sei zum Erlaß einer derartigen, die RVTr. bindenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach § 8 Tb.VO auch befugt gewesen.

Die Verpflichtung der RVTr. ergebe sich weiter auch noch aus dem Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 15. Juli 1944 (MinBl. Spalte 743).

Der Reichsminister des Innern als die für den Kampf gegen die Tb. im weitesten Sinne ermächtigte öffentliche Reichsbehörde habe somit mit normativ-bindender Kraft durch seine genannten Erlasse zum mindesten die von den RVTr. aufgestellte Katalogisierung ihrer Maßnahmen als verbindlich festgelegt; es bestehe daher bereits aus diesem Grunde eine Verpflichtung der Klägerin, die Richtlinien über das TVW auch weiterhin fortzuführen.

Diese Verpflichtung ergebe sich schließlich und insbesondere jedoch auch noch aus dem "Verbindlichkeitserlaß" des Reichsarbeitsministers vom 3. Juni 1944 (RABl. S. 150). Die in diesem Erlaß enthaltene Verbindlichkeitserklärung der Richtlinien der RVTr. sei eine Rechtsvorschrift; daß den Formvorschriften über die Verkündung derartiger Verordnungen nicht genügt sei, ändere an ihrem Charakter als Rechtsnorm nichts, da in dieser Hinsicht in der nationalsozialistischen Zeit häufig Verstöße gegen derartige Formvorschriften vorgekommen seien, die den Charakter der erlassenen Bestimmungen als Rechtsnormen nicht beseitigt hätten. Trotz gewisser äußerlich dafür sprechender Gesichtspunkte (Ich-Stil und Ersuchensfassung) könne der Erlaß nicht als ein bloßer Verwaltungsbefehl aufgefaßt werden. Die Verbindlichkeitserklärung könne vielmehr einen wahren Sinn nur dann haben, wenn durch sie eine Rechtswirkung hervorgerufen werden sollte; auch die Veröffentlichung der zugehörigen Richtlinien, die den RVTr. ohnehin bekannt gewesen seien, im RABl. habe einen Sinn nur, wenn sich jener Text mit verbindlicher Wirkung an alle richten sollte.

Gewisse stärkere Bedenken gegen den Normencharakter lägen allerdings darin, daß dem Reichsarbeitsminister zum Erlaß entsprechender Rechtsvorschriften die Ermächtigung gefehlt habe (diese habe vielmehr nach § 8 Tb.VO nur dem Reichsminister des Innern zugestanden); diese Bedenken griffen jedoch deshalb nicht durch, weil auch in anderen Fällen das unbestrittene Fehlen einer Ermächtigung (z.B. bei dem stets angewandten, für die Krankenversicherung sehr erheblichen Erlaß vom 2.11.1943 - RABl. II S. 485) nach der damaligen Rechtsauffassung deren Gültigkeit nicht beeinträchtigt habe.

Das Landessozialgericht führt alsdann weiter aus, auch wenn man in dem Verbindlichkeitserlaß nur eine Verwaltungsanordnung erblicken wollte, ändere sich dadurch nichts an der Verpflichtung der Klägerin, da jener Erlaß auch dann "heute noch gültig sei, weil er nicht aufgehoben worden ist."

Nicht allein der 1946 aufgehobene Vereinfachungserlaß von 1939, auf dessen Abschnitt V der Verbindlichkeitserlaß sich ausdrücklich stützt, sondern auch der weiter geltende Abschnitt IV § 1 des Aufbaugesetzes habe das zur Anweisung berechtigende Aufsichtsrecht festgelegt; der Reichsarbeitsminister habe sich mit dem Verbindlichkeitserlaß auch innerhalb dieses ihm zustehenden Aufsichtsrechts gehalten. Einmal habe er nach § 30 Abs. 2 RVO an Stelle des Reichsversicherungsamts die nach § 1252 RVO erforderliche Genehmigung erteilen können, zum anderen habe sich sein Aufsichtsrecht auch auf Zweckmäßigkeitsfragen erstreckt.

Der Verbindlichkeitserlaß sei auch nicht ohne weiteres durch den Untergang des Reichsarbeitsministers als der Behörde, die ihn erlassen habe, in seiner Gültigkeit berührt; vielmehr habe stets eine Nachfolgebehörde an Stelle des Reichsarbeitsministers die Aufsicht weitergeführt. Auch in anderen Fällen (z.B. bei § 178 RVO) werde ohne jede Bedenken ein Erlaß des Reichsarbeitsministers als weiter gültig angesehen.

Die vom Landessozialgericht aus diesen verschiedenen Gründen angenommene Verpflichtung der Klägerin, die TVW-Richtlinien weiter durchzuführen, werde auch weder dadurch beseitigt, daß der Verband deutscher Rentenversicherungsträger 1949 bis 1950 die Einschränkung der Tb.-Hilfeleistung beschlossen habe, da dieser ebensowenig wie ein einzelner Versicherungsträger berechtigt sei, Rechtsnormen oder gültige Aufsichtsanweisungen außer Kraft zu setzen.

Ebensowenig rechtfertige die finanzielle Lage der Klägerin die vorgenommene Einschränkung; dazu habe der fragliche Betrag eine viel zu geringe Bedeutung.

Auch wenn das Aufsichtsrecht sich nicht mehr auf die Zweckmäßigkeit der Verwaltung erstrecke, verstieße die von der Klägerin beabsichtigte Leistungseinschränkung gegen Gesetz und Satzung, so daß die Aufsichtsanweisung des Beklagten zu Recht erlassen sei. Das Landessozialgericht hat daher der Berufung stattgegeben.

Hinsichtlich der vor dem Landesverwaltungsgericht entstandenen Kosten hat das Landessozialgericht bei einem Fehlen ausdrücklicher Vorschriften für den Fall der hier vorliegenden Verweisung den § 98 SGG entsprechend angewandt, da diese Regelung der Einheitlichkeit des Verfahrens am besten entspreche.

Das Landessozialgericht hat die Revision gegen sein am 24. Oktober 1956 zugestelltes Urteil zugelassen.

III Die Klägerin hat diese Revision am 24. November 1956 eingelegt und innerhalb der bis zum 24. Januar 1957 verlängerten Revisionsbegründungsfrist am 22. und 23. Januar 1957 begründet.

Sie bestreitet unter eingehender Darstellung der Entwicklungsgeschichte des Ausbaugesetzes, daß dieses in seinem Buchstaben C überhaupt die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen gebe und sieht deshalb und auch ihres Inhalts wegen die Richtlinien des Jahres 1929 nicht als Rechtsnormen, sondern nur als Empfehlung und Befugniseinräumung zur Durchführung freiwilliger Maßnahmen an.

Sie weist weiter darauf hin, daß - worauf das angefochtene Urteil nicht eingegangen sei - in den Jahren 1929 bis 1931 mit Billigung des Reichsversicherungsamts die hier in Frage kommenden Leistungen der Versicherungsträger erheblich eingeschränkt worden seien, woraus sich ergebe, daß sie damals als rein freiwillige Leistungen betrachtet worden seien.

Die Klägerin bekämpft alsdann die Auffassung des angefochtenen Urteils, die zur Tb.VO ergangenen Runderlasse des Reichsministers des Innern hätten normative, auch den RVTr. bindende Kraft. Zunächst sei der Reichsminister des Innern nach § 8 der Tb.VO gar nicht berechtigt gewesen, über die Zuständigkeit der Landesfürsorgeverbände hinaus Erlasse mit normativer Kraft zu setzen, im übrigen hätten jene Erlasse jedoch auch nur eine klarstellende deklaratorische Bedeutung bei ihrer ganzen Fassung aufgezeigt.

Weiterhin bekämpft die Revision die Auffassung des Landessozialgerichts, bei dem Verbindlichkeitserlaß des Reichsarbeitsministers handele es sich um eine Rechtsverordnung. Aus der damals bereits bestehenden "Gehorsamsbeziehung" gehe ebenso wie aus Form und Inhalt hervor, daß mit dem Erlaß nur eine Verwaltungsanordnung beabsichtigt sei. Auch aus der im Laufe des Prozesses erfolgten weiteren Entwicklung der Tb.-Bekämpfungsmaßnahmen ergebe sich im übrigen deutlich, daß jener Erlaß kein materielles Recht darstelle, da er von allen beteiligten Stellen ohne ausdrückliche Aufhebung als nicht mehr geltend betrachtet werde. Daraus ergebe sich zugleich auch die Unrichtigkeit der Auffassung, auch als bloße Verwaltungsanweisung sei der Erlaß noch rechtswirksam. Abgesehen davon, daß nach Lage der Dinge von einer reinen für die Dauer des Krieges vorgesehen Gültigkeitsbegrenzung ausgegangen werden müsse, fehle es auch an jeder Deckung des Erlasses durch die für den fortgefallenen Reichsarbeitsminister eingetretene Nachfolgebehörde; als solche könne nicht der Beklagte oder eine sonstige Landesdienststelle, sondern der ganzen Situation nach nur eine Bundesbehörde in Frage kommen. Die dafür demnach möglicherweise zustehenden Stellen (BMfA. und BMdI.) hätten durch ihr Verhalten jedoch im Gegenteil gezeigt, daß sie den Erlaß nicht mehr als gültig ansähen.

Auf das Ausbaugesetz könne der Erlaß nicht gestützt werden, da dies überhaupt keine Ermächtigung zu derartigen Vorschriften gebe.

Die nach § 1252 RVO erforderliche Genehmigung habe das Reichsversicherungsamt seinerzeit selber erteilt.

Aus allen Betrachtungen ergebe sich, daß die ursprüngliche Gesetzesermächtigung, die allein auf § 1252 RVO beruhe und reine Kannleistungen vorsehe, durch keinerlei spätere Vorschriften in eine Verpflichtung der RVTr. zur Gewährung der Tb.-Hilfe umgewandelt sei.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Erlaß des Beklagten vom 15. Dezember 1952 und den Einspruchsbescheid vom 10. Januar 1953 aufzuheben; hilfsweise den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beigeladene hat beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen; irgendwelche Ausführungen hat sie nicht gemacht.

IV Der Beklagte beantragt demgegenüber,

die Revisionen der Klägerin und der Beigeladenen zurückzuweisen.

Er räumt in seiner Revisionserwiderung im Gegensatz zu seinem Vorbringen in den Vorinstanzen und auch im Gegensatz zu den Ausführungen des angefochtenen Urteils nunmehr ein, daß die von der Klägerin zu erbringenden Leistungen als Leistungen nach § 1252 RVO (§ 25 AVG) Kannleistungen seien und daß sich ihr Charakter als freiwillige Leistungen weder durch die Richtlinien des Jahres 1929 noch durch die TVW-Richtlinien selbst oder den Verbindlichkeitserlaß geändert habe.

Wenn demnach die Gewährung der Leistungen der RVTr. als Kannleistungen auch von deren Ermessen abhänge, so sei deshalb aber doch entgegen der Auffassung der Klägerin dieser Bereich der freiwilligen Leistungen der Aufsichtsbehörde nicht völlig verschlossen. Die Aufsichtsbehörde könne und müsse vielmehr immer dann einschreiten, wenn der RVTr. die Grenzen seines Ermessens überschreite; die fehlerhafte oder mißbräuchliche Ermessensausübung sei eine Gesetzesverletzung. Eine solche Grenzüberschreitung sei zu mindesten dann anzunehmen, wenn - wie im vorliegenden Falle - der Versicherungsträger nicht nur im Einzelfall, sondern grundsätzlich freiwillige (hier: durch die TVW-Richtlinien festgelegte) Leistungen verweigere; dies habe das Reichsversicherungsamt mehrfach ausgesprochen (AN. 1916 S. 647; 1934 IV S. 132; 1935 IV S. 43).

Auch die finanzielle Lage der Klägerin rechtfertige deren Weigerung nicht; abgesehen von der unwesentlichen Bedeutung der fraglichen Ausgaben für den Etat der Klägerin (nur 19 % von noch nicht 1 %), habe sie auch das Recht - und damit die Pflicht -, vom Bund notfalls die Fehlbeträge einzufordern (§§ 1384 RVO, 168 AVG, Art. II § 5 Abs. 2 SVAG).

Voraussetzung für die Annahme einer Ermessensüberschreitung sei allerdings, daß die TVW-Richtlinien von der Klägerin noch zu beachten seien; soweit diese Richtlinien verbindlich gewesen seien, seien sie auch als Gesetz im Sinne des § 30 RVO anzusehen und zu befolgen gewesen.

Die Notwendigkeit der Beachtung der Richtlinien ergebe sich jedoch aus folgenden Überlegungen:

Selbst wenn der Verbindlichkeitserlaß keine Rechtsverordnung sei (an sich vertritt der Beklagte weiterhin die Auffassung, daß der Verbindlichkeitserlaß mit dem angefochtenen Urteil, jedenfalls soweit es sich um die Verbindlichkeitserklärung selbst handele, als eine derartige Rechtsverordnung anzusehen sei), wären die Richtlinien für die Klägerin nicht etwa jetzt unverbindlich.

Die Klägerin sehe fälschlicherweise stets nur die Alternative: Rechtsverordnung oder innerdienstliche Weisung. Es müsse jedoch davon ausgegangen werden, daß die TVW-Richtlinien selbst über bloße Empfehlungen hinausgegangen seien; sie seien zwar kein Vertrag der RVTr. untereinander gewesen, müßten aber als eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung angesehen werden, die nicht - insbesondere nicht von einem Versicherungsträger allein - kündbar gewesen seien. Eine derartige öffentlichrechtliche Vereinbarung setze zu ihrer Gültigkeit eine staatliche Ermächtigung oder eine Bestätigung voraus; die Verbindlichkeitserklärung des Verbindlichkeitserlasses stelle nun diese staatliche Bestätigung dar. Der Beklagte kommt auf diese Weise zu einer Zweiteilung des Verbindlichkeitserlasses: zu der in der Verbindlichkeitserklärung der Richtlinien liegenden Bestätigung als eines Gestaltungsaktes, durch den jene Richtlinien rechtswirksam wurden, und zu dem anschließenden Dienstbefehl; er folgert daraus, daß die Richtlinien auch nach Wegfall der Dienstgewalt des Reichsarbeitsministers wirksam geblieben seien. Die auf diese Weise wirksam gewordene öffentlich-rechtliche Vereinbarung stelle objektives Recht für die vereinbarenden Verbände dar; die so entstandenen Rechtsnormen als "Gesetze" im Sinne von § 30 RVO könnten auch nur wieder durch eine echte Rechtsnorm (allenfalls durch derogatorische Observanz oder eine neue bestätigte öffentlich-rechtliche Vereinbarung) außer Kraft gesetzt werden, wovon hier nicht die Rede sein kann.

Der Beklagte ist schließlich der Ansicht, daß seine, die Innehaltung des § 30 RVO erstrebende Aufsichtsanweisung nicht nur (wenn auch in erster Linie) gerechtfertigt sei durch die Rechtsnorm: TVW-Richtlinien, sondern darüber hinaus durch die Rechtsnorm-Richtlinien 1929. Unter Hinweis auf Abschnitt C des Ausbaugesetzes will er die Richtlinien 1929 "als eine Art Ausführungsbestimmungen zu dem damaligen § 1274 RVO" (später § 1252 RVO) ansehen, die als Gesetz zu beachten seien. Die Klägerin bleibe mit ihren von ihr vorgesehenen Einschränkungen jedoch sogar hinter den in den Richtlinien 1929 bereits vorgesehenen Leistungen zurück.

V Die Klägerin hat gegenüber der neuen rechtlichen Würdigung des Beklagten noch Folgendes vorgebracht:

Der Ermessensspielraum bei der Gewährung freiwilliger Leistungen sei wesentlich weiter als der bei Regelleistungen; § 184 RVO, auf den der Beklagte verweise, habe einen äußerst geringen Ermessensspielraum, da sich "im Falle notwendiger Krankenhauspflege kaum Ermessenserwägungen denken ließen, die zur Ablehnung führen könnten". Im Gegensatz dazu sei für die Anwendung des § 1252 RVO seit jeher ein sehr weiter Ermessensspielraum eingeräumt worden. Über diese Bestimmungen wären laufend ganz unterschiedliche, zwischenzeitlich unter Umständen auch wieder eingestellte oder erweiterte Maßnahmen durchgeführt worden. Die hier streitige Einschränkung liege durchaus im Rahmen des zulässigen Ermessens.

Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz bestehe nicht.

Für die wirtschaftliche Betrachtung komme es nur darauf an, ob der Haushalt des RVTr. ohne Bundeszuschuß ausgeglichen sei.

Die TVW-Richtlinien seien keine öffentlich-rechtliche Vereinbarung, sondern eine freie Verwaltungsabsprache gewesen, wie dies in der Praxis der RVTr. auch sonst häufiger vorgekommen sei; die Richtlinien hätten daher auch keiner Bestätigung bedurft. Die nach § 1252 RVO a.F. allerdings erforderliche Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde sei durch das Reichsversicherungsamt erfolgt; diese Genehmigung habe den Sinn einer Billigung der Ausgaben, die durch über den eigentlichen Aufgabenbereich hinausgehende Leistungen entstünden, sie stelle jedoch keine bindende Weisung dar.

Die freie Vereinbarung sei für die Klägerin spätestens dann nicht mehr bindend gewesen, als sich nach 1945 alle anderen Verhandlungspartner von ihr abgekehrt hätten.

Die Klägerin vertritt schließlich die Auffassung, selbst wenn man der Ansicht des Beklagten folge und die Richtlinien von 1929 als Rechtsverordnung ansehe, so handele es sich doch auch dann nur um Kannleistungen zur Erläuterung des § 1254 RVO, die der Klägerin demnach den gleichen Ermessensspielraum einräumten wie das Gesetz selbst.

Auf alle Fälle sei der angefochtene Erlaß als Aufsichtserlaß spätestens mit dem Inkrafttreten der Sozialversicherungs-Neuregelungsgesetze (nach Art. 3 §§ 2 und 7 ArVNG und AnVNG) außer Kraft getreten, für die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte sogar bereits am 31. Juli 1953.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist frist- und formgerecht unter Antragstellung eingelegt und innerhalb der verlängerten Revisionsbegründungsfrist begründet worden; sie ist vom Landessozialgericht zugelassen und daher statthaft.

I Mit dem Landessozialgericht ist davon auszugehen, daß nach dem Inkrafttreten des SGG im vorliegenden Falle der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben war und daß daher die Sache am 1. Januar 1954 nach § 215 Abs. 6 SGG (und zwar unmittelbar nach dieser Bestimmung, nicht erst in entsprechender Anwendung, wie das OVerwGer . angenommen hat) auf das Sozialgericht Lübeck übergegangen ist.

Auch im übrigen sind gegen die fristgemäße Erhebung und die Zulässigkeit der Klage mit dem Landessozialgericht Bedenken nicht zu erheben.

II Die Revision ist auch sachlich begründet.

Der von der Klägerin bekämpfte Erlaß des Beklagten wird von dem angefochtenen Urteil in erster Linie deshalb für rechtlich zulässig gehalten, weil mit ihm ein Verstoß der Klägerin gegen für sie als zwingend anzusehende gesetzliche Vorschriften beanstandet wird.

Die von dem Landessozialgericht vertretene und von ihm auf zahlreiche Argumente gestützte Ansicht, die Klägerin habe die bis zum Ende des Jahres 1952 gewährte Tb.-Versorgung als Pflichtleistung auch weiterhin nach den Richtlinien des TVW durchzuführen, gegen die sich auch die überwiegenden Revisionsangriffe der Klägerin richten, wird jetzt auch von dem Beklagten - im Gegensatz zu seinem Vorbringen in den Vorinstanzen - nicht mehr geteilt; dieser ist vielmehr jetzt mit einer im wesentlichen mit der Klägerin übereinstimmenden Begründung gleichfalls der Auffassung, daß die von der Klägerin zu erbringenden Leistungen nach § 1252 RVO a.F. Kannleistungen seien und ihr Charakter als freiwillige Leistungen sich durch die seit dem Jahre 1929 ergangenen Richtlinien und Erlasse nicht geändert habe. Beide Parteien vertreten somit übereinstimmend nunmehr dieselbe Auffassung, die zu dieser Frage mit recht eingehender Begründung schon das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinem Urteil vom 18. Juni 1952 (OVerwGE. 6 S. 272) und später (am 26.10.1956) der 8. Senat des Bundessozialgerichts (Bd. 4 S. 75) eingenommen haben, während der erkennende Senat in seinem Urteil vom 24. Oktober 1957 (BSG. 6 S. 61) damals eine Entscheidung dieser Frage dahingestellt lassen konnte. Der erkennende Senat schließt sich nunmehr der in den angeführten Entscheidungen vertretenen Auffassung ausdrücklich an. Gegen die Ansicht des angefochtenen Urteils sprechen insbesondere folgende Gründe:

Nach der RVO sind alleinige Rechtsgrundlage aller von den RVTr. durchgeführten Tb.-Bekämpfungsmaßnahmen die §§ 1252 und 1310 RVO in der bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Fassung. Beide Bestimmungen sind Kannvorschriften, die die von den RVTr. zu treffenden Maßnahmen als freiwillige Leistungen in deren Ermessen stellen. Dabei spielt für den hier wesentlichen Fragenkreis § 1310 nur eine geringe Rolle, da er die Gewährung eines Heilverfahrens nur zur Abwendung drohender oder zur Beseitigung eingetretener Invalidität im jeweiligen Einzelfall vorsieht, während es sich bei der Tb.-Bekämpfung in dem hier streitigen Umfang fast ausschließlich um generell vorgesehene Maßnahmen handelt, die unter § 1252 einzureihen sind; bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß zwar nicht der mit dem eigentlichen Aufgabengebiet der RVTr. noch als unmittelbar verknüpft anzusehen Ermessensentschluß auf Gewährung eines Heilverfahrens nach § 1310, wohl aber der Ermessensentschluß zur Aufwendung von Mitteln für allgemeine Maßnahmen nach § 1252 der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedarf. Hierbei läßt sich aus dem Sinnzusammenhang eindeutig ablesen, daß diese Genehmigung einzig als vorsorgliche Sicherung gegen eine möglicherweise zu weitgehende Ausgabe von Mitteln für nicht den unmittelbaren Aufgaben der Versicherungsträger dienende Zweck gedacht war, daß aus der Genehmigung aber keine Pflicht der Versicherungsträger abgeleitet werden kann, ihre Mittel auch entgegen einem späteren anderweitigen Ermessensentschluß für die genehmigten Zwecke ausgeben zu müssen. Auch das Landessozialgericht erklärt, daß die von Anfang an nur schmale Rechtsgrundlage für die Tb.-Bekämpfungsmaßnahmen der RVTr. durch die RVO nicht verbreitert worden sei, und daß diese Bekämpfung in immer steigendem Maße unter Überschreitung jener gesetzlichen Grenzen durchgeführt worden sei, womit allerdings in Wirklichkeit wohl nicht eine gesetzwidrige Überschreitung der gesetzlichen Vorschriften gemeint war, sondern ausgedrückt werden sollte, daß über den § 1252 RVO in immer steigendem Maße weitere Leistungen, an die bei dem ursprünglichen Erlaß jener Bestimmung niemals gedacht worden war, gewährt wurden. Das Landessozialgericht legt alsdann - auch insoweit dem tatsächlichen Geschehen durchaus gerecht werdend - näher dar, daß die RVTr. in immer steigendem Maße darauf bedacht gewesen wären, ihre führende Bedeutung und ihre Vorrangstellung in der Tb.-Bekämpfung nicht zu verlieren und noch weiter auszubauen, und daß dies - unterstützt durch die recht große, 1926 durch Zweckzuweisung von Einnahmen aus dem Zoll noch erheblich verstärkte Finanzkraft - den RVTr. auch lange Zeit gelungen sei. Aus diesen vom Landessozialgericht selbst entwickelten Gedankengängen heraus erscheint schon ganz allgemein betrachtet dessen Folgerung jener Sachverhalt habe zu dem Erlaß einer die RVTr. auch rechtlich zwingend verpflichteten Regelung durch Mußvorschriften geführt, wenig verständlich. Viel ungezwungener und natürlicher wäre es gewesen, aus jenem Sachverhalt die Folgerung abzuleiten, daß auf Grund der ohnehin vorhandenen und noch dazu durch Prestigegründe unterbauten Bereitschaft der RVTr. zur Fortführung und Ausweitung der Tb.-Bekämpfungsmaßnahmen jede Zwangsreglementierung überflüssig gewesen war, sich dagegen allerdings, im Interesse eines einigermaßen gleichen Verfahrens aller in Frage kommenden Versicherungsträger, entsprechende für alle in Betracht kommende Empfehlungen als zweckmäßig erwiesen hätten. Jede als Gesetz im Sinne des § 30 RVO anzusehende Bestimmung, die den RVTr. die Durchführung irgendwelcher Tb.-Bekämpfungsmaßnahmen als gesetzliche Verpflichtung auferlegte, hätte eine eindeutige Änderung der einzigen, überhaupt als Grundlage für jede derartige Maßnahme in Betracht kommenden gesetzlichen Vorschrift, nämlich des § 1252 RVO a.F., dargestellt; schon der Umstand, daß es außerordentlich ungewöhnlich gewesen wäre, die Bestimmung eines Gesetzes (der RVO) im Verordnungswege inhaltlich zu ändern, noch dazu ohne ihr eine entsprechende Neufassung zu geben, hätte das Landessozialgericht bedenklich stimmen müssen.

Im einzelnen ist noch auf folgendes hinzuweisen:

Die Richtlinien von 1929 (RGBl. I S. 69) - auf die das Landessozialgericht sein Urteil abschließend allerdings nicht stützen will - hatten, wie besonders auch der Beklagte in seiner Revisionserwiderung hervorhebt, "jedenfalls an der Freiwilligkeit der Leistungen streng festgehalten" (vgl. dazu die eindeutige Fassung der §§ 6, 25, 35, 36, 37, 41 und anderer, in denen stets bei den in Frage kommenden Leistungen die Worte "können" und "dürfen" gewählt sind). Entgegen der Auffassung des Landessozialgerichts hätte die der damaligen Reichsregierung im Ausbaugesetz unter Abschnitt C erteilte Ermächtigung auch den Erlaß einer zwingenden Rechtsvorschrift gar nicht gedeckt, wie es besonders die einschlägigen Reichstagsdrucksachen (Nr. 1072 und 1179 der 2. Wahlperiode 1934/35) ausweisen und wie sich auch daraus entnehmen läßt, daß andernfalls die in den Jahren 1929 bis 1931 vorgenommenen Einschränkungen der in jenen Richtlinien vorgesehenen Tb.-Bekämpfungsmaßnahmen unzulässig gewesen wären.

Ebensowenig treffen die Überlegungen zu, die das Landessozialgericht im Zusammenhang mit der Darstellung der zu dem Erlaß der Tb. VO führenden Vorgänge angestellt hat. Das Landessozialgericht nimmt hier an, die Tb.VO habe, - da nach seiner Auffassung für die RVTr. die zwingende Verpflichtung zu Tb.-Bekämpfungsmaßnahmen in dem oben erörterten Sinne bereits bestanden hat -, nur für den noch nicht erfaßten, zahlenmäßig erheblich geringeren Kreis der nicht zum Bereich der RVTr. gehörenden tb.-gefährdeten hilfsbedürftigen Personen eine gleichartige Regelung treffen müssen. Die Landesfürsorgeverbände seien daher durch die Tb.VO nicht etwa zu den allein bzw. primär verpflichteten Trägern der Tb.-Bekämpfung gemacht worden, sie und die RVTr. hätten vielmehr zwei gleichartige Säulen in der Tb.-Bekämpfung dargestellt. Als Folge der Neuregelung durch die Tb.VO hätten nunmehr auch die für die RVTr. geltenden zwingenden Vorschriften entsprechend geändert werden müssen; dies sei durch die TVW-Richtlinien erfolgt, deren Beachtung durch Erlasse des Reichsministers des Innern und des Reichsarbeitsministers für die RVTr. verpflichtend geworden sei.

Grundsätzlich unzutreffend an dieser Deduktion ist bereits wieder der Ausgangspunkt: Weder bestand im Zeitpunkt des Erlasses der Tb.VO schon eine irgendwie geartete gesetzlich zwingende Verpflichtung der RVTr. zur Leistung von Tb.-Bekämpfungsmaßnahmen (vgl. oben), noch war irgendein Anlaß vorhanden, zu jenem Zeitpunkt eine derartige Regelung zu treffen. Der Gesetzgeber und alle für die fragliche Materie verantwortlichen obersten Reichsstellen gingen davon aus - und durften das bei der damaligen Situation, wie oben aufgezeigt, auch tun-, daß die RVTr. ihre freiwilligen Maßnahmen wie bereits bisher fortführen und erforderlichenfalls auch entsprechend ausweiten würden. Aus dieser Sicht erübrigte sich daher eine gesetzlich zwingende Normierung zugunsten des von den RVTr. betreuten, unzweifelhaft größeren Teiles der Tb.-Gefährdeten. Gesetzlich wurde daher durch Tb.VO nur die Verpflichtung der Landesfürsorgeverbände geregelt, wobei der Gesetzgeber es in Kauf nehmen mußte, diese Landesfürsorgeverbände - jedenfalls formell - als primär Verpflichtete auch dann einstehen zu lassen, wenn und soweit andere Kostenträger nicht leisteten; bemerkenswert ist, daß genau die gleichen Überlegungen in dem Entwurf eines Gesetzes über die Tb.-Hilfe (THG), das zur Zeit dem Bundestag vorliegt, zu einer durchaus übereinstimmenden Regelung (Rechtsverpflichtung nur für Landesfürsorgeverbände, freiwillige Leistung durch RVTr.) geführt haben (vgl. Entwurf vom 14.3.1956, Btdrs. 2213 und Bericht des Ausschusses für öffentliche Fürsorge vom 6.5.1957, Btdrs. Nr. 3489, jeweils insbesondere zu den allgemeinen Ausführungen zu den §§ 1 und 15).

Unter diesen Umständen spricht kein allgemeiner Grund für die Annahme, daß die beteiligten Minister insoweit aus Anlaß des Inkrafttretens der Tb.VO eine Regelung durch normative Kraft auch für RVTr. herbeiführen wollten. Erst recht läßt sich eine derartige Absicht aus den Erlassen im einzelnen m.E. nicht entnehmen.

Hinsichtlich der Runderlasse des Reichsministers des Innern sei insoweit nur darauf hingewiesen, daß dieser Minister durch § 8 Tb.VO überhaupt nicht ermächtigt war, mit normativer Wirkung Vorschriften für die von der Tb.VO unmittelbar überhaupt nicht betroffenen RVTr. zu erlassen und daß demgemäß die in seinen Erlassen enthaltene Darstellung des jeweiligen Standes der Tb.-Bekämpfungsmaßnahmen der RVTr. einzig der Unterrichtung der sonst zuständigen Landesfürsorgeverbände zu dienen bestimmt war.

Im übrigen kann hinsichtlich dieser Erlasse auf ihre durchaus eingehende und zutreffende Würdigung in den Urteilen des Landesverwaltungsgerichts Lüneburg und des 8. Senats des Bundessozialgerichts verwiesen werden, denen sich der erkennende Senat insoweit voll anschließt.

Dasselbe (Widerlegung des Rechtsnormencharakters durch jene Urteile) gilt auch hinsichtlich des Verbindlichkeitserlasses; hierzu ist ergänzend noch darauf hinzuweisen, daß selbst das angefochtene Urteil im wesentlichen nur die Bedenken darstellt, die gegen jenen Normencharakter, sprechen, insbesondere die dagegen sprechende sprachliche Fassung des Erlasses und das Fehlen wesentlicher für den Erlaß von Rechtsvorschriften erforderlicher Voraussetzungen. Wenn das Landessozialgericht diese Bedenken nur deshalb nicht durchgreifen läßt, weil auch in anderen Fällen in der NS-Zeit Formfehler vorgekommen seien und weil seines Erachtens ohne die Annahme rechtsverbindlicher Wirkung der Verbindlichkeitserlaß keinen richtigen Sinn habe, so ist dies allein keine irgendwie hinreichende Begründung für die entgegengesetzte Annahme.

Insgesamt ergibt sich demnach zunächst, daß mit den Parteien davon auszugehen ist, daß die Gewährung der von der Klägerin geforderten Maßnahmen auch zur Zeit des umstrittenen Erlasses des Beklagten als Kannleistung im Ermessen der Klägerin lag, da auch die Bildung von Gewohnheitsrecht im vorliegenden Falle nicht in Frage kommt.

III Der Erlaß wäre daher nur dann berechtigt, wenn die Klägerin bei der Ausübung ihres Ermessens innerhalb bestimmter, von ihr unzulässigerweise überschrittener Grenzen weisungsgebunden gewesen wäre oder wenn sich die beanstandete Einschränkung ihrer Leistungen als eine Ermessensüberschreitung bzw. als ein Ermessensmißbrauch darstellte. Der Beklagte stützt seine Berechtigung zum Erlaß seiner strittigen Aufsichtsanweisung jetzt auf die seines Erachtens in der grundsätzlichen Verweigerung nach den TVW-Richtlinien zu gewährender Leistungen liegende Ermessensüberschreitung der Klägerin.

Diese Richtlinien sollen nach Auffassung des Beklagten keine freie und damit jederzeit wieder zu beseitigende Vereinbarung der RVTr. untereinander sein, sondern eine öffentlich-rechtliche und als solche unkündbare Vereinbarung; ihre bindende Wirkung erhalte eine solche Vereinbarung durch staatliche Billigung (in Form einer vorherigen Ermächtigung oder nachherigen Bestätigung); in der Verbindlichkeitserklärung des Verbindlichkeitserlasses sei diese notwendige Bestätigung zu erblicken.

Nach dieser Auffassung des Beklagten wären die von den Versicherungsträgern vereinbarten Richtlinien nicht bereits durch diese Vereinbarung zu einer zu befolgenden Rechtsnorm geworden, vielmehr hätte erst die Bestätigung dieser Richtlinien ihnen die Eigenschaft einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung mit Rechtsnormcharakter verliehen. Diese Betrachtungsweise will demnach den Verbindlichkeitserlaß in die Verbindlichkeitserklärung als einmaligen, eine bleibende Wirkung erzeugenden Gestaltungsakt und in den davon unabhängigen daran anschließenden Dienstbefehl, dessen weitere Wirksamkeit damit unerheblich würde, aufteilen. Diese Ansicht ist jedoch rechtsirrig.

Zunächst besteht kein Grund zu der Annahme, die RVTr. ihrerseits hätten bei der Vereinbarung der Richtlinien des TVW mehr oder anderes beabsichtigt wie bei ihren nicht ganz seltenen sonstigen Verwaltungsabsprachen, nämlich eine klarstellende eindringliche Empfehlung eines bestimmten Verfahrens, abgegeben und abgeschlossen allerdings in der sicheren und in der Praxis auch nie getäuschten Erwartung, daß trotz fehlender wechselweiser rechtlicher Verpflichtung die beteiligten RVTr. entsprechend verfahren würden. Daß für die Richtlinien die nach § 1252 RVO a.F. erforderliche Genehmigung des Reichsversicherungsamts eingeholt wurde, liegt durchaus in der Richtung der freien Vereinbarung über die beabsichtigte Ermessensgestaltung. Seitens der Versicherungsträger bestand kein irgendwie ersichtlicher Grund, abweichend von ihrer gesamten sonstigen Übung im vorliegenden Falle Wert darauf zu legen, in eine feste Bindung zu geraten, aus der sich der Einzelne - oder, wie der Beklagte anzunehmen scheint, sogar die Gesamtheit - aus freiem, eigenem Entschluß nicht mehr hätte lösen können (unkündbar). Bei dem infolge der nicht unerheblichen Ausweitung der Maßnahmen durch das TVW zu erwartenden Anstieg der dafür erforderlichen Mittel lag es vielmehr im wohlverstandenen Interesse der RVTr., notfalls jeweils durch einen neuen Ermessensbeschluß Leistungsbeschränkungen anzustreben.

Wenn daher nichts dafür spricht, daß die RVTr. beabsichtigten, die Richtlinien zum TVW mit staatlicher Bestätigung zu einer Rechtsnorm im Sinne des § 30 RVO werden zu lassen, so tut diese Auslegung auch dem "Verbindlichkeitserlaß" Gewalt an. Schon die äußere Fassung des Erlasses (Ich-Stil, Ersuchen) kennzeichnet ihn, wie auch die mehrfach angeführten Urteile in Übereinstimmung mit der heute allgemein herrschenden Auffassung annehmen, als eine reine Verwaltungsanordnung.

Die ausdrückliche Bezugnahme auf den Führererlaß vom 28. August 1939 kennzeichnet ihn darüber hinaus als eine eindeutige Weisung der (damals) unmittelbaren Vorgesetzten an die untergeordnete Dienststelle. Es wäre - gerade auch unter Berücksichtigung der damaligen Verhältnisse - schlecht verständlich und nicht einzusehen, was den Reichsarbeitsminister veranlaßt haben sollte, anläßlich eines derartigen naheliegenden Dienstbefehls eine Aufsichtsanweisung zu erlassen oder gar eine objektive Rechtsnorm setzen zu wollen. Dann ist der Klägerin jedoch zuzugeben, daß mit dem Wegfall des Unterstellungsverhältnisses, also spätestens mit der Aufhebung des Vereinfachungserlasses durch das Kontrollratsgesetz Nr. 36 vom 10. Oktober 1946 (Amtsbl. Mil.Reg.Nr. 24 S. 315), der Dienstbefehl seine bindende Kraft verloren hatte.

Der Versuch des Landessozialgerichts, die Weisungsbefugnis des Reichsarbeitsministers zusätzlich unter Berufung auf Abschnitt IV § 1 des Aufbaugesetzes vom 5. Juli 1934 (RGBl. I S. 577) auch auf dessen Aufsichtsrecht zu stützen, muß bereits deshalb scheitern, weil nach § 2 a.a.O. dieses Aufsichtsrecht über die RVTr. überhaupt nicht dem Reichsarbeitsminister, sondern dem Reichsversicherungsamt zustand. Wenn auch eingeräumt werden kann, daß bei der geringen Beachtung, die die Zuständigkeitsfragen in der damaligen Zeit gespielt haben, der Reichsarbeitsminister sicherlich auch auf ein ihm tatsächlich nicht zustehendes Aufsichtsrecht gestützte Verwaltungsbefehle erlassen haben mag, die trotzdem beachtet wurden, so ist doch im vorliegenden Falle, in dem damals eine unmittelbare Unterstellung der RVTr. als untergeordnete Dienststellen tatsächlich gegeben war, nicht anzunehmen, daß der Verwaltungsbefehl nicht auf diese Unterordnung, sondern auf einem gar nicht bestehenden Aufsichtsrecht beruhte; auch § 30 Abs. 2 RVO gab dem Reichsarbeitsminister nur das Recht, mittelbar über das Reichsversicherungsamt einzuwirken.

IV Es erübrigt sich daher eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob und gegebenenfalls wie lange eine solche Dienstaufsichtsweisung nach Abschnitt IV § 1 Aufbaugesetz über den Wegfall des Reichsarbeitsministers hinaus noch zu beachten gewesen wäre. Bemerkt sei nur, daß selbst dann, wenn man vom gültigen Erlaß einer derartigen Aufsichtsanweisung ausgehen und darüber hinaus ihre Fortwirkung über den Wegfall des Reichsarbeitsministers annehmen wollte, jedenfalls mit dem Inkrafttreten des Selbstverwaltungsgesetzes - also vor Erlaß des angefochtenen Urteils - die Aufsichtsbefugnisse sich eindeutig auf die Beachtung von Gesetz und Satzung beschränkten. Wenn dem Beklagten auch durchaus zuzugeben ist, daß im Rahmen dieser Aufsichtsbefugnisse ein Eingreifen auch bei Ermessensfragen zulässig ist, so doch nur bei festgestelltem Ermessensmißbrauch bzw. Ermessensüberschreitung.

Da entgegen der Annahme des Beklagten die TVW-Richtlinien für die Klägerin nicht verbindlich im Sinne einer Rechtsnorm des § 30 RVO waren, liegt die anderweitige Festlegung und die daraus folgende gewisse Einschränkung der freiwilligen Tb.-Bekämpfungsmaßnahmen der Klägerin durchaus im Rahmen des ihr zuzugestehenden Ermessens, zumal diese Ermessenshandhabung durch sachlich berechtigte finanzielle Erwägungen getragen wurde und auch die anderen RVTr. die Richtlinien des TVW nicht mehr vollständig innehielten, so daß auch die Berufung auf eine ungleichmäßige und schlechtere Behandlung des von der Klägerin betreuten Personenkreises versagen muß.

V Das angefochtene Urteil erweist sich somit als unzutreffend und muß daher aufgehoben werden.

Da die Sache entscheidungsreif ist, war die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck zurückzuweisen.

Mit dem angefochtenen Urteil ist anzunehmen, daß in Übergangsfällen im sozialgerichtlichen Verfahren auch über die Kosten des vorangegangenen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu entscheiden ist (vgl. Urteil des 3. Senats des BSG. vom 29.5.1956, BSG. Bd. 3 S. 93 [106]). Dementsprechend waren die im Verfahren des Landesverwaltungsgerichts Schleswig entstandenen außergerichtlichen Kosten und die vor dem 1. Januar 1954 entstandenen gerichtlichen Kosten - in berichtigender Änderung gegenüber dem Urteil des LSG. - dem Beklagten aufzuerlegen.

Die Erstattung außergerichtlicher Kosten im sozialgerichtlichen Verfahren kommt nach § 193 Abs. 4 SGG nicht in Frage.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2323933

BSGE, 57

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