Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsunfähigkeit. Erwerbsunfähigkeit. konkrete Bezeichnung von Verweisungstätigkeiten. Verweisung auf bisherige Berufstätigkeit

 

Orientierungssatz

1. Eine Bürohilfskraft ist der Gruppe der ungelernten Arbeiter iS des Mehrstufenschemas (vgl BSG 1978-03-15 1/5 RJ 128/76 = SozR 2200 § 1246 Nr 29) zuzuordnen. Ihr sind daher alle ungelernten Tätigkeiten in der vollen Breite des Arbeitsmarktes zumutbar.

2. Kann die Bürohilfskraft ihre bisherige Tätigkeit weiterhin verrichten, bedarf die Frage einer möglichen Verweisbarkeit auf andere Tätigkeiten keiner Erörterung. Es stellt sich auch nicht die Frage, wie und in welchem Umfang Verweisungstätigkeiten konkret bezeichnet werden müssen.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23, § 1247 Abs 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 30.10.1979; Aktenzeichen L 9 J 332/79)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 01.02.1979; Aktenzeichen S 9 J 1161/75)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Anspruch der Klägerin auf Erwerbsunfähigkeitsrente.

Die im Jahre 1933 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt; sie war 1951 wenige Monate als Maschinenarbeiterin und von 1952 bis 1959 als Bürohilfe versicherungspflichtig beschäftigt. Ihren im Januar 1975 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 24. März 1975 ab. Die hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) Stuttgart (Urteil vom 1. Februar 1979) mit der Begründung ab, die Klägerin könne noch vollschichtig leichte körperliche Arbeiten überwiegend sitzender Art wie etwa Bürohilfstätigkeiten verrichten. Es folgte dabei den gutachterlichen Beurteilungen der Sachverständigen Prof Dr M und Dr O, denen es gegenüber dem Gutachten des Dr M den Vorzug gab.

Die Berufung der Klägerin wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) am 30. Oktober 1979 zurück mit der Begründung, die Klägerin könne noch leichte Arbeiten vollschichtig verrichten. Die einschränkende Bedingung "überwiegend im Sitzen" sei durchaus betriebsüblich. Arbeitstätigkeiten, die im Sitzen zu verrichten seien aber gelegentliches Stehen zuließen, gebe es in der Industrie in nicht nur unbedeutender Zahl. Auch das LSG folgte bei der Einschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin den Gutachten des Prof Dr M und Dr O.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision wendet sich die Klägerin gegen die Würdigung der ärztlichen Gutachten durch das LSG und macht geltend, das LSG habe seine Überzeugung im angefochtenen Urteil nicht ausreichend begründet. Weiterhin sei das LSG von dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. April 1978 (4 RJ 55/77 = SozR 2200 § 1246 Nr 30) abgewichen. Es habe nicht geprüft, welche Erwerbstätigkeiten für die Klägerin noch in Betracht kämen und solche auch nicht konkret bezeichnet. Aufgrund gerichtlicher Verfügung habe die Beklagte zwar einzelne Tätigkeiten benannt, doch sei das LSG hierauf nicht eingegangen. Die von der Beklagten benannten Tätigkeiten gebe es entweder nicht oder sie seien nicht hinreichend konkret bezeichnet. Hierauf habe die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG hingewiesen. Das Vorhandensein geeigneter Tätigkeiten sei bei dem eingeschränkten Leistungsvermögen der Klägerin auch nicht evident.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts

Baden-Württemberg vom 1979-10-30, des Urteils des

Sozialgerichts Stuttgart vom 1979-02-01 und des

Bescheides der Beklagten vom 1975-03-24 die Beklagte

zu verurteilen, der Klägerin eine Rente wegen

Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit

ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Ihr steht keine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit zu.

Das LSG hat zwar die bei der Klägerin bestehenden körperlichen Beeinträchtigungen nicht im einzelnen festgestellt, es hat jedoch ausführlich auf die von Prof Dr M und Dr C erhobenen Befunde Bezug genommen und hat damit zum Ausdruck gebracht, daß es diesen Zustand der Klägerin seiner Entscheidung zugrunde legen will. Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Erörterung der Frage, ob diese Verfahrensweise einer Revisionsnachprüfung standhalten könne, weil die Klägerin insoweit keine Beanstandungen erhoben hat; hingegen sind ihre Rügen zur Beweiswürdigung des LSG unbegründet. Das LSG hat durchaus im einzelnen dargelegt, warum es das Gutachten des Dr O für überzeugender hält als das des Dr M und warum es der übereinstimmenden Beurteilung des Prof Dr M und Dr O folgt. Das LSG hat sich dabei insbesondere auch mit den von der Klägerin bereits in der Berufung geltend gemachten angeblichen Widersprüchen im Gutachten des Dr O auseinandergesetzt. Demgemäß ist davon auszugehen, daß die Klägerin noch in der Lage ist, vollschichtig leichte Arbeiten zu verrichten, die überwiegend im Sitzen ausgeführt werden.

Die Klägerin hat nach den nicht angefochtenen Feststellungen des LSG keinen Beruf erlernt und im wesentlichen lediglich eine Tätigkeit als Bürohilfskraft ausgeübt. Sie ist damit der Gruppe der ungelernten Arbeiter im Sinne des Mehrstufenschemas (vgl zB Urteil des BSG vom 1978-03-15 - 1/5 RJ 128/76 - = SozR 2200 § 1246 Nr 29) zuzuordnen, und ihr sind daher alle ungelernten Tätigkeiten in der vollen Breite des Arbeitsmarktes zumutbar, sofern sie keine höheren als die beschriebenen körperlichen Anforderungen stellen. Zu solchen Tätigkeiten gehört in erster Linie die Tätigkeit als Bürohilfskraft, die die Klägerin bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt ausgeübt hat. Dies hat bereits das SG festgestellt, es bedarf daher keiner besonderen Feststellungen des LSG, daß es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeitsplätze für Bürohilfskräfte gibt, auf denen die Arbeit überwiegend im Sitzen ausgeführt wird.

Da somit die Klägerin ihre bisherige Tätigkeit auch weiterhin zu verrichten vermag, bedarf die Frage einer möglichen Verweisbarkeit auf andere Tätigkeiten keiner Erörterung. Demgemäß stellt sich auch nicht die Frage, wie und in welchem Umfang solche Tätigkeiten konkret bezeichnet werden müßten. Die Klägerin ist demnach nicht berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs 2 RVO, sie erfüllt mithin auch nicht die Voraussetzungen zur Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (§ 1247 RVO).

Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Urteile des SG und des LSG im Ergebnis nicht zu beanstanden sind. Die Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658410

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