Leitsatz (amtlich)
Ist der Zeitraum zwischen der Scheidung und dem Tod des Versicherten so kurz, daß sich ein wirtschaftlicher Dauerzustand in den Verhältnissen der geschiedenen Eheleute noch nicht hat entwickeln können, dann ist die Frage, ob der Versicherte seiner früheren Ehefrau "zur Zeit seines Todes" Unterhalt zu leisten hatte, nach dem wirtschaftlichen Dauerzustand zu beurteilen, der sich unter den geschiedenen Eheleuten bei einem längeren Zeitraum zwischen Scheidung und Tod des Versicherten wahrscheinlich ergeben hätte (Fortentwicklung von BSG 1961-06-16 4 RJ 25/59 = BSGE 14, 255; BSG 1964-09-17 12 RJ 350/61 = SozR Nr 24 zu § 1265 RVO).
Normenkette
RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 42 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 2. März 1962 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenrente nach § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Die Ehe, die sie mit dem Versicherten am 22. April 1943 geschlossen hatte, wurde im Dezember 1955 - mit Rechtskraft zum 31. Januar 1956 - aus Verschulden des Mannes geschieden. Kurz darauf - am 9. Februar 1956 - starb der Versicherte an einem Darmverschluß. Bis zu seinem Tode hatte er 231 Beitragsmonate in der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt.
Mit ihren Anträgen hatte die Klägerin bei der Beklagten keinen Erfolg. Der erste Antrag wurde durch den bindend gewordenen Bescheid vom 15. Juni 1956 abgelehnt, weil der Versicherte zur Zeit seines Todes nach den Vorschriften des Ehegesetzes nicht zum Unterhalt der Klägerin verpflichtet gewesen sei (§§ 28 Abs. 3 AVG aF, 1256 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF). Den im November 1958 auf Grund von Art. 2 § 43 (in Verbindung mit § 18) des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) wiederholten Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 25. Februar 1959 wiederum ab; dabei verneinte sie mit wesentlich gleicher Begründung wie im Erstbescheid erneut eine Unterhaltspflicht des Versicherten nach dem Ehegesetz (EheG); die übrigen Tatbestandsalternativen des § 42 AVG hielt sie ebenfalls nicht für erfüllt.
Auf die Klage gegen den Zweitbescheid hob das Sozialgericht (SG) Braunschweig diesen Bescheid durch Urteil vom 23. November 1960 auf und verurteilte die Beklagte zur Gewährung der Hinterbliebenenrente ab Januar 1957. Die Berufung der Beklagten wies das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen durch Urteil vom 2. März 1962 zurück. Das LSG bejahte im Gegensatz zur Beklagten eine Unterhaltspflicht des Versicherten zur Zeit seines Todes nach § 58 EheG von 1946. Die Bindungswirkung des Erstbescheids stehe einer erneuten Prüfung der Unterhaltspflicht nicht entgegen, denn die Beklagte habe in dem Zweitbescheid zur Frage der Unterhaltspflicht nochmals sachlich Stellung genommen. Die Unterhaltspflicht beurteile sich nach dem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand, dabei lasse sich wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Scheidung und Tod ein Rückgriff auf die Zeit vor der Scheidung nicht vermeiden. Der Versicherte habe von 1945 bis März 1955 feste Dauerstellungen innegehabt, von September 1953 bis März 1955 als Büroleiter ein Monatsgehalt von 800,- DM brutto (746,- DM netto) bezogen und bei seinem Ausscheiden für die Zeit bis Juni 1955 eine Abfindung von 2800,- DM erhalten; anschließend habe er noch zweimal kurz gegen geringeres Entgelt gearbeitet (Juli und August 1955 und vom 24. Oktober bis 14. Dezember 1955 mit Monatsgehältern bis 600,- DM brutto, 510,- DM netto); dazwischen und danach bis zu seiner Einlieferung in das Krankenhaus (25. Dezember 1955) sei er arbeitslos gewesen. Der letzte wirtschaftliche Dauerzustand habe also im Juni 1955 geendet; die späteren Verhältnisse seien vorübergehender Art gewesen, zumal Anhaltspunkte dafür fehlten, daß der bei seinem Tode 43-jährige Versicherte keine gleich oder besser bezahlte Dauerstellung mehr gefunden hätte. Bei einem Nettogehalt von rund 750,- DM habe der Versicherte - auch wenn man seine Unterhaltspflichten gegenüber den beiden 1944 und 1947 geborenen ehelichen Kindern mit monatlich jeweils 75,- DM in Rechnung stelle - der Klägerin monatlich 200,- DM zahlen und damit den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt leisten können. Eine Unterhaltspflicht nach § 58 EheG (§ 59 EheG komme hier nicht zur Anwendung) bestehe allerdings nur, "soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen". Auf eine fehlende Bedürftigkeit der Klägerin habe sich der Versicherte jedoch nicht berufen können. Die jährlichen Einkünfte der Klägerin aus Vermögen (netto etwa 800,- DM) hätten zu ihrem Lebensunterhalt nicht genügt; der Arbeitsverdienst der Klägerin als Stenotypistin (Verwaltungsangestellte) seit September 1955 müsse bei der Bedürftigkeitsprüfung außer Betracht bleiben. Diese Erwerbstätigkeit habe man der Klägerin nämlich nicht zumuten dürfen, weil sie die beiden schulpflichtigen Kinder im Alter von 8 und 12 Jahren habe betreuen müssen; nur weil Unterhaltsleistungen des Versicherten ausgeblieben seien, also aus Not, habe sie sich nach der Trennung der Ehegatten (März 1955) für den Beruf einer Stenotypistin ausgebildet, im September 1955 diese Erwerbstätigkeit dann aufgenommen und nach der Scheidung fortgesetzt; nur um der ihr aufgenötigten Erwerbsarbeit nachgehen zu können, habe sie die Kinder anderweitig untergebracht. Einkünfte aus einer unzumutbaren Erwerbstätigkeit dürften auf den Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau nach § 58 EheG nicht angerechnet werden. Der gegenteiligen Ansicht des Bundessozialgerichts (BSG) in den Urteilen des 8. Senats vom 22. Januar 1959 (8 RV 667/57 = BSG 9, 86) und des 1. Senats vom 5. Mai 1961 (1 RA 49/59, nicht veröffentlicht) könne das LSG nicht folgen. Bei der Neufassung des EheG im Jahre 1946 sei zwar in § 58 der früher in § 66 des EheG von 1938 dem Wort "Erwerbstätigkeit" folgender Nebensatz: "die von ihr den Umständen nach erwartet werden kann" weggelassen worden; das bedeute aber nicht, daß seitdem allein die Ausübung einer Erwerbstätigkeit maßgebend sei und ihre Zumutbarkeit keine Rolle mehr spiele. Insbesondere dürfe den unterhaltspflichtigen Mann nicht entlasten, was die geschiedene Frau aus Not erwerbe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung des § 42 AVG. Das Berufungsurteil widerspreche der Rechtsprechung des BSG nicht nur in der Beurteilung der Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin, sondern auch bei der Ermittlung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes des Versicherten: In dem Urteil vom 29. März 1962 (1 RA 230/60, nicht veröffentlicht) habe nämlich der 1. Senat des BSG zurückliegende Zeiten einer kurzfristigen Unterhaltspflicht unberücksichtigt gelassen, wenn der Versicherte im übrigen wegen Arbeitslosigkeit und Krankheit vor seinem Tode keinen Unterhalt habe leisten können.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie meint, daß ihre Erwerbstätigkeit zur Zeit der Scheidung und des Todes des Versicherten noch kein Dauerzustand gewesen sei, so daß es auf die Zumutbarkeit dieser Erwerbstätigkeit nicht ankomme; davon abgesehen hält sie das Urteil des LSG für zutreffend.
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), aber unbegründet. Das LSG hat die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Hinterbliebenenrente an die Klägerin ab Januar 1957 im Ergebnis zu Recht gebilligt.
Das LSG hat den Anspruch der Klägerin aus § 42 AVG - idF vor dem Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 - hergeleitet. Nach dieser Vorschrift - jetzt als Satz 1 des § 42 AVG weiterbestehend - steht der geschiedenen Frau eines Versicherten Hinterbliebenenrente zu, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat.
Nach Art. 2 § 18 AnVNG ist § 42 AVG Satz 1 auch anzuwenden, wenn der frühere Ehemann vor dem Inkrafttreten des AnVNG (1. Januar 1957), aber nach dem 30. April 1942 verstorben ist. Ist in einem solchen Fall allerdings ein Antrag - wie hier - bereits bindend abgelehnt worden, dann ist gemäß Art. 2 § 43 Satz 3 ff AnVNG auf (einen bis zum 31. Dezember 1958 zu stellenden) Antrag - nur - "zu prüfen, ob die Vorschriften dieses Gesetzes günstiger sind", d. h. ob die Rechtsänderung eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung erlaubt. § 42 AVG Satz 1 ist gegenüber der entsprechenden Bestimmung des vor 1957 geltenden Rechts (§§ 1256 Abs. 4 RVO aF, 28 Abs. 3 AVG aF) zwar insofern günstiger, als zwei Tatbestandsalternativen - Unterhaltspflicht aus sonstigen Gründen, Unterhaltsleistung im letzten Jahr vor dem Tode - hinzugetreten sind und als der geschiedenen Frau nunmehr ein Anspruch auf die Rente, die früher nur eine Kannleistung darstellte, zusteht; dagegen hat sich die Rechtslage nicht geändert, soweit das alte Recht eine Unterhaltspflicht des Versicherten zur Zeit seines Todes nach dem EheG gefordert und das neue Recht (§ 42 AVG Satz 1) diese - damals einzige - Voraussetzung als erste Alternative seines Tatbestandes beibehalten hat. Die Klägerin hat daher von der Beklagten nicht erwarten können, daß diese auf ihren Zweitantrag vom November 1958 die - im ersten Bescheid verneinte - Unterhaltspflicht nach dem EheG nochmals sachlich prüfe (ebenso der 12. Senat des BSG in dem insoweit nicht veröffentlichten Urteil vom 23. Juni 1964 - 12 RJ 424/62 -). Gleichwohl läßt sich nicht darüber hinweggehen, daß die Beklagte das, wenn auch ohne Rechtspflicht, getan hat. Die Beklagte hat sich insoweit weder auf die Bindungswirkung ihres Erstbescheides berufen noch darauf beschränkt, sich - gemäß § 79 AVG - eine Überzeugung über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit ihrer früheren Beurteilung der ehegesetzlichen Unterhaltspflicht des Versicherten zu bilden; sie hat vielmehr die Unterhaltspflicht nach dem EheG erneut so geprüft, wie sie es schon bei der ersten Prüfung getan hat. Dieses Verhalten der Beklagten führt aber dazu, daß die Bindungswirkung ihres Erstbescheides - hier für die Zeit ab Januar 1957 - (auch) entfallen ist, soweit darin die Unterhaltspflicht nach dem EheG verneint und aus diesem Grunde die Gewährung von Hinterbliebenenrente abgelehnt worden war. Insoweit kann nichts anderes gelten, wie wenn die Verwaltung bei unveränderter Rechtslage einen Anspruch erneut sachlich prüft und danach in einem Zweitbescheid die Regelung wiederholt, die sie in einem früheren Erstbescheid getroffen hat (vgl. auch Urt. des erkennenden Senats vom 1. Juli 1964 - 11/1 RA 59/60); soweit sich der Zweitbescheid zeitliche Geltung beimißt, ist er von den Gerichten sachlich in vollem Umfang nachzuprüfen. Dementsprechend hat das LSG auch untersuchen müssen, ob der Versicherte zur Zeit seines Todes der Klägerin Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte. Diese Frage hat das LSG im Ergebnis zu Recht bejaht.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 23. Juni 1964, SozR Nr. 22 zu § 1265 RVO) meint das Gesetz (§ 42 AVG) mit der "Zeit seines Todes", in der die Unterhaltspflicht des Versicherten gegenüber seiner früheren Frau bestanden haben muß, den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode, also den Zustand, der kraft einer allgemeinen (unwiderlegbaren) Vermutung des Gesetzes ohne den Tod des Versicherten wahrscheinlich fortbestanden hätte. Diese Auslegung hat ihren Grund in der Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente; nur sie verhindert, daß vorübergehende Besonderheiten in den unterhaltsrechtlichen Beziehungen für die Gewährung oder Versagung der Hinterbliebenenrente den Ausschlag geben. Der letzte wirtschaftliche Dauerzustand muß dabei, wie der 4. Senat des BSG mit Urteil vom 16. Juni 1961 (BSG 14, 255) dargelegt hat, in die Zeit zwischen der Scheidung und dem Tod des Versicherten fallen; Zeiten vor der Scheidung bleiben, weil das Gesetz auf die Unterhaltspflicht des geschiedenen Mannes abstellt, daher im allgemeinen außer Betracht. Es gibt jedoch Fälle, in denen der Zeitraum zwischen der Scheidung und dem Tode des Versicherten - wie hier - so kurz ist, daß sich in dieser Zeit ein wirtschaftlicher Dauerzustand in den Verhältnissen der geschiedenen Eheleute noch gar nicht entwickelt haben kann. In diesen Fällen muß deshalb auf andere Weise geprüft werden, ob durch den Tod des Versicherten eine Unterhaltspflicht "mit Dauerwirkung" gegenüber der früheren Frau entfallen ist. Dies haben der 4. Senat (aaO) und der 12. Senat (im Urteil vom 17. September 1964, SozR Nr. 24 zu § 1265 RVO) schon entschieden; der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Auch und gerade in diesen Fällen besteht das Bedürfnis, die Entscheidung über die Rentengewährung nicht von Zufälligkeiten abhängig zu machen; diesem Bedürfnis wird im Normalfall durch den Rückgriff auf den wirtschaftlichen Dauerzustand Rechnung getragen, wie er unter den geschiedenen Eheleuten vor dem Tode des Versicherten tatsächlich bestand; ein solcher Rückgriff ist nicht möglich, wenn der Versicherte schon kurz nach der Scheidung stirbt; in solchen Fällen entspricht es aber dem Gedankengang und dem Sinngehalt des Gesetzes am ehesten, wenn als maßgeblich erachtet wird, welcher wirtschaftliche Dauerzustand sich bei einem längeren Zeitraum zwischen Scheidung und Tod des Versicherten unter den geschiedenen Eheleuten aller Wahrscheinlichkeit nach ergeben hätte (vgl. BSG 14, 260).
Diese Frage ist verhältnismäßig leicht zu beantworten, soweit es um die vermutlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des geschiedenen Mannes (des Versicherten) geht. Da sie sich regelmäßig durch die Scheidung nicht ändern, kann hier (ausnahmsweise) auf die Verhältnisse vor der Scheidung zurückgegriffen werden, soweit sie Dauercharakter gehabt haben. Das LSG hat dabei zu Recht auf die Einkommensverhältnisse des Versicherten bis Juni 1955 zurückgegriffen und die späteren Verhältnisse unberücksichtigt gelassen. Das Ende dieses Zeitraumes hat zwar über sieben Monate vor dem Tode des Versicherten gelegen, der Abstand dieses Zeitpunkts vor dem Todeszeitpunkt hat aber den Rückgriff auf die davor liegende Zeit nicht ausgeschlossen. Die späteren Verhältnisse haben, wie das LSG richtig erkannt hat, in ihrem zweimaligen Wechsel von kurzen Beschäftigungen (Juli und August 1955, 24. Oktober 1955 bis 14. Dezember 1955) mit kurzen Arbeitslosigkeiten (Ende August 1955 bis 23. Oktober 1955 und 15. Dezember 1955 bis 24. Dezember 1955) keinen Dauercharakter mehr gehabt, die Zeit der zum Tode führenden Krankheit - 25. Dezember 1955 bis 9. Februar 1956 - ist wegen ihrer Kürze ebenfalls noch kein Dauerzustand gewesen. Entgegen der Ansicht der Beklagten widerspricht das Urteil des LSG hier auch nicht dem Urteil des 1. Senats des BSG vom 29. März 1962. In jenem Fall ist der Versicherte in den letzten zwei Jahren vor seinem Tode insgesamt nur zwei bis drei Monate erwerbstätig gewesen; das Gesamtbild ist also ein anderes gewesen; der letzte wirtschaftliche Dauerzustand ist durch die Leistungsunfähigkeit des Versicherten charakterisiert gewesen, mit Recht hat dort der 1. Senat - anknüpfend an sein Urteil vom 3. November 1961 (SozR Nr. 9 zu § 1265 RVO) - die beiden zurückliegenden Zeiten einer kurzfristigen Unterhaltspflicht für unerheblich erklärt. Im vorliegenden Rechtsstreit ist das Gesamtbild aus der Zeit vor dem Tode des Versicherten dagegen von seiner Leistungsfähigkeit bis zum Juni 1955 geprägt. Es ist deshalb - wie das LSG festgestellt hat - bei dem Versicherten davon auszugehen, daß er, wenn er nicht so bald gestorben wäre, wieder eine gleich oder besser bezahlte Dauerstellung gefunden hätte, so daß demnach bei ihm die Einkommensverhältnisse, wie sie bis Juni 1955 bestanden haben, als wirtschaftlicher Dauerzustand zugrunde zu legen sind.
Bei einer geschiedenen Frau dagegen ist die Frage, welcher wirtschaftliche Dauerzustand sich ohne den baldigen Tod des geschiedenen Mannes in ihren Verhältnissen ergeben hätte, schwieriger zu beantworten. Das gilt zwar nicht für die Vermögensverhältnisse, für deren Änderung regelmäßig keine Anhaltspunkte vorliegen, wohl aber für ihre Erwerbsverhältnisse. In dem schon angeführten Urteil vom 16. Juni 1961 (BSG 14, 255, 260) hat der 4. Senat hierzu ausgeführt, bei der Frau trete vielfach erst durch die Scheidung eine grundlegende Änderung in ihren Einkommensverhältnissen ein, so daß man in der Regel nicht auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse vor der Scheidung zurückgreifen könne; praktisch möglich und bedenkenfrei sei es dagegen, ihre wirtschaftlichen Verhältnisse nach dem Tode des Versicherten mit heranzuziehen. Diese Hinweise hält der erkennende Senat für zutreffend, soweit darin zum Ausdruck kommt, daß bei der Frau nicht ohne weiteres auf den gleichen Zeitraum (vor der Scheidung) wie bei dem geschiedenen Mann zurückgegriffen werden muß; auch trifft es zu, daß die Zeiten vor der Scheidung häufig keine Aussage über den vermutlichen wirtschaftlichen Dauerzustand bei der Frau nach der Scheidung gestatten. Das gleiche dürfte aber auch für Zeiten nach dem Tode des Versicherten gelten, weil mit dessen Tode für die geschiedene Frau wiederum eine wesentliche Änderung eintritt, denn von nun an entfällt für sie jede Möglichkeit einer Unterhaltsgewährung durch den früheren Mann. Die Frage, ob die geschiedene Frau in einem längeren Zeitraum zwischen der Scheidung und dem Tode des Versicherten einer Erwerbsarbeit nachgegangen wäre, wird sich daher letztlich nur nach den besonderen Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalles beantworten lassen.
In dem angefochtenen Urteil hat sich das LSG über eine vermutliche Erwerbstätigkeit der Klägerin in einem längeren Zeitraum zwischen der Scheidung und dem Tod des Versicherten nicht ausdrücklich geäußert. Es hat zwar festgestellt, daß - und warum - die Klägerin noch vor der Scheidung erwerbstätig geworden ist und daß sie die Erwerbstätigkeit nach der Scheidung und dem kurz darauf folgenden Tode des Versicherten fortgesetzt hat. Daraus ergibt sich aber nicht, daß sie vermutlich auch während eines längeren Zeitraums zwischen der Scheidung und dem Tod des Versicherten erwerbstätig geblieben wäre. Insoweit ist nämlich zu bedenken, daß der Versicherte, wie schon dargetan, wahrscheinlich wieder eine wirtschaftliche Dauerstellung mit einem Nettogehalt von 750,- DM oder mehr erlangt hätte, so daß für die Klägerin eine andere Lage als vor der Scheidung (ab September 1955) und nach dem Tode des Versicherten gegeben gewesen wäre. Deshalb ist es, zumal die Klägerin in dem hier maßgebenden Jahr 1956 zwei schulpflichtige Kinder von 8 und 12 Jahren zu betreuen gehabt hat, durchaus naheliegend, daß sie die im September 1955 nach der Trennung der Eheleute unter einem erheblichen wirtschaftlichem Druck aufgenommene Erwerbstätigkeit bald wieder aufgegeben hätte, um sich - angesichts der dann bestehenden Unterhaltsfähigkeit des geschiedenen Ehemannes - wieder ganz der Betreuung der Kinder zu widmen. Daß die Klägerin ohne die Krankheit und Arbeitslosigkeit des Versicherten zwischen Ehescheidung und Tod des Versicherten längere Zeit hindurch erwerbstätig geblieben wäre, ist darum nicht als wahrscheinlich anzunehmen; bei der Feststellung des wahrscheinlichen wirtschaftlichen Dauerzustandes in ihren Verhältnissen müssen deshalb Einkünfte aus einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit außer Betracht bleiben, so daß es nicht darauf ankommt, ob sich die Klägerin Einkünfte aus einer ausgeübten, aber unzumutbaren Erwerbstätigkeit anrechnen lassen müßte.
Bei Berücksichtigung der sonach maßgebenden wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten und der Klägerin bestand ein Anspruch der Klägerin auf Unterhalt nach § 58 EheG. Das LSG hat den nach den Erwerbsverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt der Klägerin bedenkenfrei mit 200,- DM monatlich errechnet. Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit der Klägerin waren hierauf nicht anzurechnen, weil - wie dargetan - hier von der Nichtausübung einer Erwerbstätigkeit auszugehen ist. Wie das LSG zutreffend dargelegt hat, wäre der Klägerin eine Erwerbstätigkeit auch nicht zuzumuten gewesen, so daß ebenfalls dahingestellt bleiben kann, ob auf den Unterhaltsanspruch nach § 58 EheG auch Einkünfte aus einer nicht ausgeübten, aber doch zumutbaren Erwerbstätigkeit der Frau anzurechnen sind. Anrechenbar waren mithin allein die Vermögenserträgnisse der Klägerin von jährlich 800,- DM. Das LSG hat sie wohl versehentlich von dem Unterhaltsbetrag nicht abgezogen; das ist jedoch unschädlich, weil auch dann immer noch eine Unterhaltspflicht in Höhe von über 130,- DM monatlich verbleibt. Dieser Betrag ist als ausreichender Unterhalt im Sinne des § 42 AVG anzusehen, denn er überschreitet 25 % des zeitlich und örtlich notwendigen Mindestbedarfs einer Unterhaltsberechtigten im Jahre 1956 (vgl. Urteil des 4. Senats, SozR Nr. 26 zu § 1265 RVO). § 59 EheG kommt nicht zum Zuge.
Da hiernach der frühere Ehemann der Klägerin "zur Zeit seines Todes" Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte und auch die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung von Hinterbliebenenrente erfüllt sind, steht der Klägerin ein Anspruch auf die Hinterbliebenenrente nach § 42 Satz 1 AVG zu. Auf die übrigen Alternativen des § 42 AVG Satz 1 - die nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt zudem ausscheiden würden - kommt es nicht an; ebensowenig ist zu prüfen, ob der neueingefügte Satz 2 des § 42 AVG (ab Juli 1965) hier von Bedeutung wäre.
Die Beklagte ist deshalb zu Recht zur Rentengewährung ab Januar 1957 verurteilt worden. Ihre Revision ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen