Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall. Unfallfolgen. Leistungsklage. Feststellungsklage. Kausalität. wesentliche Bedingung
Leitsatz (redaktionell)
Erstrebt der Kläger die Feststellung, dass der erlittene Unfall ein Arbeitsunfall ist, ist die richtige Klageart zur Erreichung dieses Zieles die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 und § 55 Abs 1 Nr 1 SGG.
Der Antrag auf Verurteilung zur Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall ist nicht als Verpflichtungsklage anzusehen. In dieser Situation sind die Grundlagen der in Frage kommenden Leistungsansprüche im Wege einer isolierten Feststellungsklage klären lassen.
Durch das Wort “infolge” drückt § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII aus, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung und dem Unfall als auch zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden bzw. dem Tod erforderlich ist.
Der Umstand, dass der Sturz auf der Treppe durch eine bestehende Behinderung des linken Beines verursacht worden ist, also auf einer inneren Ursache beruht, schließt die Annahme nicht aus, dass der Unfall wesentlich auch durch die dem versicherten Bereich zuzurechnenden Umstände des Begehens der Treppe sowie des Transports betrieblicher Unterlagen verursacht ist.
Normenkette
SGG § 54 Abs. 1, § 55 Abs. 1 S. 1; SGB VII § 8 Abs. 1 S.1
Verfahrensgang
LSG Berlin (Urteil vom 24.06.2003) |
SG Berlin (Urteil vom 14.06.2002) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 24. Juni 2003 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist die Anerkennung eines Unfalls des Klägers als Arbeitsunfall sowie dessen Folgen.
Der im Jahre 1943 geborene Kläger war Leiter der allgemeinen Verwaltung … der Fachhochschule für Sozialwesen B…. Er litt als Folge einer Bandscheibenoperation an einer muskulären Schwäche des linken Beines, die zu einem Sturz auf einer Treppe führte. Die Einzelheiten dieses Sturzes (Ort, Zeit und nähere Umstände) hat das Landessozialgericht (LSG) als auf den Angaben bzw Behauptungen des Klägers sowie den Angaben im Durchgangsarztbericht des Dr. M… vom 1. August 2000 beruhend bezeichnet. Danach soll der Kläger am 26. Juli 2000 gegen 16.30 Uhr in seinem Dienstgebäude 10 bis 15 Steinstufen tief gefallen sein. Ferner soll er im Moment des Sturzes mit Arbeitsmaterialien in beiden Händen (Aktentasche sowie Aktenordner mit Schriftstücken) gehindert gewesen sein, den Sturz durch geeignete Abwehrmaßnahmen (Festhalten am Geländer oder Handlauf) zu bremsen oder zu verhindern. Er soll sich auf dem Weg zum schwarzen Brett im unteren Stockwerk befunden haben, um dort dienstliche Aushänge zu tätigen. In dem am Folgetag aufgesuchten Krankenhaus Lichtenberg soll eine Schulterkontusion links und eine Kniekontusion rechts sowie ein Zustand nach Subluxation des 5. Fingers im Grundgelenk diagnostiziert worden sein.
Mit Bescheid vom 23. März 2001 lehnte die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) es ab, dem Kläger Leistungen aus Anlass des Unfalls zu gewähren, denn er sei aus so genannter innerer Ursache gestürzt. Ein Arbeitsunfall liege daher nicht vor. Dem hat der Kläger entgegengehalten, dass der Unfall so nicht geschehen wäre, wenn er nicht die betrieblichen Unterlagen getragen hätte. Dann hätte er sich am Treppengeländer festhalten können. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2001, Urteile des Sozialgerichts Berlin – SG – vom 14. Juni 2002 sowie des LSG Berlin vom 24. Juni 2003). Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt, es habe keinen Zweifel daran, dass die muskuläre Schwäche des linken Beines den Unfall herbeigeführt habe. Zwar mache der Kläger – aus seiner Sicht – zwei Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne für die Unfallfolgen verantwortlich, wobei die Ursache aus dem versicherten Bereich der körpereigenen Ursache zumindest gleichwertig sein solle. Indes sei die Ursache aus dem versicherten Bereich nur dann die rechtlich wesentliche Ursache, wenn sie die Ursache des körpereigenen Bereiches mit Wahrscheinlichkeit überwiege, also mehr als gleichwertig für den Gesundheitsschaden sei. Der Transport betriebswichtiger Arbeitsmaterialien sei indes für den Eintritt des Unfalls, wie er tatsächlich geschehen sei, rechtlich nicht wesentlich. Der Kläger sei nämlich nicht gestürzt, weil er Arbeitsmaterialien mit sich getragen habe, sondern weil sein linkes Bein beim Treppenherabsteigen einen Aussetzer gehabt und er hierdurch das Gleichgewicht verloren habe. Zu einem Sturz wäre es auch ohne den gleichzeitigen Transport von Arbeitsmaterialien gekommen. Allenfalls die Unfallfolgen hätten sich vermeiden oder mildern lassen, wenn der Kläger die Hände frei gehabt hätte.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Insbesondere habe das LSG die naturwissenschaftliche Kausallehre von der conditio sine qua non und die unfallversicherungsrechtliche Lehre von der wesentlichen Mitursache vermengt und als conditio sine qua non nur diejenigen Vorgänge qualifiziert, die es als rechtlich wesentlich wertet. Ob die betrieblichen Umstände neben der körpereigenen Ursache auch als rechtlich wesentliche Ursachen zu bewerten seien, habe das LSG nicht mehr geprüft. Die sozialrechtliche Kausallehre von der wesentlichen Bedingung sei keine Lehre vom Ursachenbegriff, sondern eine rechtliche Zuordnungslehre wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie. Für die Fallgruppen der konkurrierenden Kausalität habe das BSG ständig entschieden, dass die ursächliche Mitwirkung anderer, schädigungsunabhängiger Kausaleinwirkungen einer Bewertung der schädigenden Einwirkungen aus dem geschützten Risikobereich als rechtlich wesentliche Bedingung nicht grundsätzlich entgegenstehe. Vielmehr seien alle Bedingungen rechtserheblich, dh rechtlich wesentlich, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Hätten mehrere Bedingungen zu dem Erfolg in diesem Sinne wesentlich beigetragen, so seien sie rechtlich gleichwertig nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs annähernd gleichwertig seien. Nur wenn einer der Kausalreihen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zukomme, sei sie Alleinursache im Rechtssinne. Auf den Unfall des Klägers bezogen müsse man daher zu dem Ergebnis kommen, dass beide Kausalreihen (Aufenthalt des Klägers aus dienstlichen Gründen auf der Treppe und Tragen von Arbeitsmaterialien in beiden Händen einerseits sowie Aussetzer des linken Beines andererseits) wesentlich zum Erfolg beigetragen hätten und daher als rechtlich gleichwertig zu bewerten seien.
Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass im Sozialversicherungsrecht der einzelne Betroffene mit seinen jeweils gegebenen Struktureigenheiten im körperlichen wie im geistig-seelischen Bereich durch die Rechtsordnung in dem Gesundheitszustand geschützt sei, in dem er sich bei Eintritt des schädigenden Ereignisses befunden habe. Weil daher die individuelle Konstitution einer in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Person den Versicherungsschutz nicht ausschließe, wenn schädigende Einwirkungen aus dem Beruf iS einer conditio sine qua non einen Unfall bewirkten, könne nicht verlangt werden, dass ein Unfall alleine durch betriebliche Umstände bewirkt werde und die körperlich-geistige Konstitution der versicherten Person keine Rolle spiele. Deshalb gelte im Ergebnis, dass, nur wenn als Ergebnis der Abwägung der verschiedenen Kausalreihen schädigungsunabhängige Kausalfaktoren in ihrer ursächlichen Bedeutung eindeutig überwögen und die geschützte Tätigkeit bzw das darauf beruhende Schädigungsereignis in ihrem ursächlichen Gewicht so unbedeutend sei, dass sie außer Betracht bleiben müssten, sie als rechtlich allein wesentliche Ursache gewichtet werden dürften. Das sei hier indes nicht der Fall. Deshalb gelte für den Unfall des Klägers, dass die das Unfallgeschehen nach Art und Schwere kennzeichnenden und bedingenden betrieblichen Umstände auch rechtlich wesentliche Kausalfaktoren für den Unfall gewesen seien.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 24. Juni 2003, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Juni 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2001 aufzuheben und festzustellen, dass das Geschehen vom 26. Juli 2000 Arbeitsunfall ist und eine Schulterkontusion links mit Einrissen in der Schultergelenkskapsel und Labrumalteration, eine Kniekontusion rechts sowie einen Zustand nach Subluxation des fünften Fingers im Grundgelenk Folge dieses Arbeitsunfalls sind.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie schließt sich dem angefochtenen Urteil an und bemerkt, seitens des Klägers sei nicht nachgewiesen worden, dass die erlittenen Verletzungen auf die Beschaffenheit der Treppe zurückzuführen seien. Auch ein Sturz auf ebener Erde könne zu einer Schulterverletzung führen. Selbst wenn man jedoch mit dem Kläger davon ausginge, dass eine Abwägung zweier Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne erforderlich gewesen wäre, käme man im vorliegenden Fall nicht zu einem vom LSG abweichenden Ergebnis. Die körpereigene Ursache des Klägers sei nämlich von so überragender Bedeutung, dass die betriebliche Gefährdung durch die Treppenbegehung als rechtlich nicht wesentlich zurücktreten müsse. Die Entscheidung des LSG, das Vorliegen eines Arbeitsunfalls abzulehnen, sei daher mindestens im Ergebnis richtig.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Ob der Unfall des Klägers auf der Treppe des Dienstgebäudes am 26. Juli 2000 Arbeitsunfall ist oder nicht, kann das Revisionsgericht nicht abschließend entscheiden. Die dem LSG vorbehaltenen tatsächlichen Feststellungen reichen weder für die eine noch für die andere Entscheidung aus. Zudem hat das LSG keinerlei tatsächliche Feststellungen dazu getroffen, welche Gesundheitsstörungen der Unfall vorübergehend und/oder auf Dauer hervorgerufen hat.
Zutreffend hat das LSG die gegen die ablehnende Verwaltungsentscheidung erhobene Klage in vollem Umfang als zulässig angesehen. Mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, seinen Unfall als Arbeitsunfall “anzuerkennen”, erstrebt der Kläger die gerichtliche Feststellung, dass der erlittene Unfall Arbeitsunfall ist. Richtige Klageart zur Erreichung dieses Zieles ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 und § 55 Abs 1 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Zwar hat der Kläger bis zuletzt die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall beantragt. Eine Verpflichtungsklage nach § 54 Abs 4 SGG wollte er damit aber ersichtlich nicht erheben. Abgesehen davon, dass der Kläger auch keine konkrete Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung (zB Heilbehandlung, Verletztengeld, Verletztenrente) geltend gemacht hat, geht es ihm nach dem gestellten Antrag in erster Linie um die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall.
Geht es indes – wie hier auch – in einem gerichtlichen Verfahren nicht um konkrete Ansprüche auf bestimmte Leistungen, sondern zunächst nur um die Frage, ob ein bestimmter Unfall Arbeitsunfall ist, kann der Antrag auf “Entschädigung” nicht als Leistungsklage angesehen werden (BSG Urteil vom 7. September 2004 – B 2 U 46/03 R – zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Ebenso kann auch der – hier gestellte – Antrag auf Verurteilung zur Anerkennung als Arbeitsunfall nicht als Verpflichtungsklage auf Erlass eines entsprechenden Verwaltungsakts angesehen werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann der Versicherte in dieser Situation die Grundlagen der in Frage kommenden Leistungsansprüche vorab im Wege einer isolierten Feststellungsklage klären lassen. Das betrifft nicht nur die in § 55 Abs 1 Nr 3 SGG ausdrücklich vorgesehene Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit, sondern auch die Feststellung des Eintritts des Versicherungsfalls in Fällen, in denen vom Versicherungsträger bereits das Vorliegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit bestritten wird (BSG Urteil vom 28. April 2004 – B 2 U 21/03 R – zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG Urteil vom 7. September 2004, aaO; BSG SozR 2200 § 551 Nr 35).
Ob die bei sinnentsprechender Auslegung des klägerischen Vorbringens (§ 123 SGG) erhobenen Feststellungsklagen begründet sind, ob also der Unfall des Klägers am 26. Juli 2000 Arbeitsunfall ist und die bezeichneten Gesundheitsstörungen verursacht hat, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Der vom LSG festgestellte Sachverhalt reicht auch nicht für die Entscheidung aus, dass der Kläger keinen Arbeitsunfall erlitten hat und dass keine vorübergehenden oder dauerhaften Gesundheitsstörungen eingetreten sind.
Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit), wobei nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit unter Versicherungsschutz steht. Gemäß § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
Die rechtliche Prüfung des Vorliegens eines Arbeitsunfalls setzt im ersten Prüfungsschritt voraus, dass der Verletzte im Unfallzeitpunkt einer unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehenden Verrichtung nachging. Dieser sog innere oder sachliche Zusammenhang ist ausschließlich wertend zu ermitteln. In einem zweiten Prüfungsschritt ist zu untersuchen, ob die – versicherte – Verrichtung den fraglichen Unfall wesentlich (mit)ursächlich herbeigeführt hat, ob der Verletzte den Unfall “infolge” seiner versicherten Tätigkeit erlitten hat (§ 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII). Schließlich ist im dritten Prüfungsschritt zu untersuchen, ob und welche Folgen der Unfall wesentlich (mit)ursächlich hervorgerufen hat. Diese notwendige rechtliche Prüfung lässt sich im vorliegenden Fall anhand der nur lückenhaften tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht durchführen.
Das Revisionsgericht nach § 163 SGG bindende tatrichterliche Feststellungen erfordern eine eigene Entscheidung des LSG, dass es die entscheidungserheblichen Tatsachen als wahr ansieht. Die für das Urteil in prozessualer und materieller Hinsicht wesentlichen Tatsachen müssen vom Gericht ermittelt und im Urteil festgestellt werden. Nach § 128 Abs 1 des SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung, von welchem Sachverhalt bei der rechtlichen Beurteilung auszugehen ist; das Ergebnis dieses Entscheidungsprozesses und die für die Überzeugungsbildung maßgebenden Gründe sind im Urteil anzugeben. Es genügt deshalb nicht, wenn die Darstellung der Beteiligten oder die Aussagen von Zeugen und Sachverständigen inhaltlich oder wie im vorliegenden Fall sogar wörtlich referiert werden. Entscheidend ist, dass das Gericht die Aussagen bewertet und mitteilt, welche Angaben es für wahr, welche Erinnerung eines Zeugen es für zuverlässig und welche gutachtliche Äußerung eines Sachverständigen es aus welchen Gründen für überzeugend hält und deshalb seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde legt. Die dem § 128 Abs 1 SGG inhaltlich entsprechende Regelung in § 286 Abs 1 der Zivilprozessordnung bringt dies deutlicher zum Ausdruck, wenn es dort heißt, das Gericht habe nach freier Überzeugung “zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten” sei. Das Gericht muss sich ein Beweisergebnis “zu eigen machen” (Lüdtke in: Handkommentar zum SGG, 2003, § 163 RdNr 2); es muss “eigene Feststellungen treffen” (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl 2002, IX. Kapitel, RdNr 377). Bei einem Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz gehören derartige tatsächliche Feststellungen regelmäßig in die Entscheidungsgründe; sie können sich im Einzelfall aber auch aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ergeben (Lüdtke, aaO; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, § 163 RdNr 2 mwN). Erforderlich ist in jedem Fall, dass das Gericht die Feststellung des Sachverhalts aufgrund eigener Erkenntnis vornimmt und dies hinreichend deutlich zum Ausdruck bringt (BSG Urteil vom 26. Oktober 2004 – B 2 U 16/04 R – zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Nach diesen Maßstäben hat das LSG allein festgestellt, dass “die muskuläre Schwäche des linken Beines den Unfall herbeigeführt hat” (Seite 6 des Urteils unten), denn nur insoweit hat das LSG ausdrücklich erklärt, es habe “aufgrund der Angaben des Klägers keinen Zweifel daran”. Zu allen anderen für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Tatsachen hat das LSG keine eigene Bewertung vorgenommen und sich auf eine Wiedergabe von Angaben und Meinungsäußerungen des Klägers und behandelnder Ärzte beschränkt. Beispielhaft sei auf Seite 2 des angefochtenen Urteils verwiesen, wonach der Kläger “nach den Angaben in dem … am 1. August 2000 … verfassten Durchgangsarztbericht am 26. Juli 2000 gegen 16.30 Uhr in seinem Dienstgebäude eine Treppe hinabstürzte” und dabei “10 bis 15 Steinstufen tief gefallen sein will”. Den Umstand des Haltens von Arbeitsmaterialien in beiden Händen kennzeichnet das LSG als solchen, der “aus der Sicht des Klägers hinzugekommen sein soll” (Seite 7 oben). Somit wird das LSG vor der rechtlichen Beurteilung Ort und Zeitpunkt des angeschuldigten Unfalls sowie dessen nähere Einzelheiten ermitteln und feststellen müssen.
Ergibt sich danach, dass der Kläger am Unfalltag auf dem Weg von seinem Dienstzimmer zum schwarzen Brett mit einer Aktentasche in der einen und einem Ordner mit den auszuhängenden Schriftstücken in der anderen Hand auf der Treppe mit dem muskelschwachen Bein eingeknickt ist, sich nicht am Geländer festhalten konnte, über mehrere Stufen zu Fall gekommen ist und sich dabei Verletzungen vorübergehender und dauernder Art, insbesondere die von ihm als Unfallfolgen geltend gemachten, zugezogen hat, wird das LSG vom Vorliegen eines Arbeitsunfalls auszugehen haben.
Dass der Kläger im Unfallzeitpunkt im Dienstgebäude auf dem Weg zum schwarzen Brett, um dort dienstliche Aushänge zu tätigen, einer gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehenden Tätigkeit nachgegangen ist (sog innerer Zusammenhang), wurde weder von den Vorinstanzen noch von der Beklagten bezweifelt. Es trifft auch zu. Darüber hinaus war rechtlich auch nicht umstritten und kann bei Sturzfolgen auch eigentlich nicht streitig sein, dass der Treppensturz unmittelbar (erhebliche) Gesundheitsschäden hervorgerufen hat. Deren Ausmaß und zeitliche Dauer als Grundlage der Beurteilung unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit und/oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit mögen fraglich werden. Einzig streitige rechtliche Frage wird nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens sein, ob der Kläger den Treppensturz einschließlich des Aufpralls des Körpers auf der Treppe bis zum Erreichen des Ruhezustands “infolge” seiner versicherten Tätigkeit erlitten hat. Das ist indes bei dem soeben beschriebenen Sachverhalt der Fall.
Durch das Wort “infolge” drückt § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII, wie zuvor § 548 Abs 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) durch das Wort “bei” aus, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung und dem Unfall als auch zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden bzw dem Tod erforderlich ist (BSG Urteile vom 14. Dezember 1999 – B 2 U 3/99 R – SozR 3-2700 § 8 Nr 1 sowie vom 7. November 2000 – B 2 U 39/99 R – SozR 3-2700 § 8 Nr 3). Diese sog doppelte Kausalität wird nach herkömmlicher Dogmatik bezeichnet als die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität (zuletzt BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 11 mwN; Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII, § 8 RdNr 20 mwN auch zur Kritik an den Begriffen). Für beide Bereiche der Kausalität gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung sowie der Beweismaßstab der – überwiegenden – Wahrscheinlichkeit (für den Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität zuletzt BSG Urteil vom 9. Dezember 2003 – B 2 U 8/03 R – SozR 4-2200 § 589 Nr 1).
Der Bereich der haftungsbegründenden Kausalität ist betroffen, wenn es – wie hier – um die Frage geht, ob der Unfall (Sturz und Aufprall) wesentlich durch die (infolge der) versicherte/n Tätigkeit oder durch eine sog innere Ursache hervorgerufen worden ist. Nach der im Sozialrecht und insbesondere im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung oder der wesentlich mitwirkenden Ursache (vgl Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 309 mit zahlreichen Nachweisen auf Rechtsprechung und Literatur) sind Ursache und Mitursache unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur die Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (Brackmann/Krasney, aaO, RdNr 310 mwN). Welcher der Umstände, die entweder den Arbeitsunfall oder den Eintritt der Gesundheitsstörung im Sinne der naturwissenschaftlich-philosophischen Kausalität (“conditio sine qua non”; vgl BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 13) verursacht haben, als wesentlich angesehen werden muss, ist durch eine wertende Betrachtung aller in Frage kommenden Umstände zu ermitteln. Dabei kommt es auf die Qualität der Umstände, nicht aber auf ihre Quantität oder ihre zeitliche Reihenfolge an (BSG Urteil vom 9. Dezember 2003, aaO).
Bei Unfällen aus sog innerer Ursache ist der Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall nicht gegeben, wenn die körpereigene Ursache zwangsweise zu dem eingetretenen Unfallverlauf (nach Art und Schwere des Unfalls) geführt hat; in diesem Fall haben betriebliche Einwirkungen den Unfall nicht wesentlich mitverursacht (Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 32 mwN). Im Sinne einer konkurrierenden Kausalität ist der ursächliche Zusammenhang dagegen anzunehmen, wenn betriebsbedingte Umstände (zB besondere Anstrengung durch ungewohnte Nachtarbeit oä) die innere Ursache wesentlich beeinflusst haben (Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 333 mwN). Ist dies nicht der Fall, ist der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall trotzdem gegeben, wenn der Verletzte der Gefahr, der er erlegen ist, infolge der durch seine versicherte Tätigkeit bedingten Anwesenheit auf der Unfallstätte ausgesetzt war und ihm der Unfall ohne die versicherte Tätigkeit wahrscheinlich nicht in derselben Art oder derselben Schwere zugestoßen wäre (Brackmann/Krasney, aaO, § 8 RdNr 334 mwN). Dass nach der Rechtsauffassung des LSG eine Unfallursache aus dem versicherten Bereich nur dann rechtlich wesentliche Ursache sei, wenn diese die Ursache des körpereigenen Bereiches überwiege, wird weder von der Rechtsprechung des BSG noch von der unfallversicherungsrechtlichen Literatur gefordert. Auch nach Überprüfung und Neubewertung der Anforderungen an die Kausalität bei Vorliegen einer inneren Ursache ist eine derartige Eingrenzung der Voraussetzungen nicht geboten. Sachliche Gründe dafür sind weder ersichtlich noch vom LSG selbst genannt worden.
Der Umstand, dass der Sturz des Klägers auf der Treppe durch die bei ihm bestehende Muskelschwäche des linken Beines verursacht worden ist, also auf einer inneren Ursache beruht, schließt demnach die Annahme nicht aus, dass der Unfall wesentlich auch durch die dem gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherten Bereich zuzurechnenden Umstände des Begehens der Treppe sowie des Transports betrieblicher Unterlagen mit beiden Händen verursacht ist. Zwar spricht bisher nichts dafür, dass das Einknicken des Beines des Klägers seinerseits durch betriebliche Einflüsse (zB besondere Ermüdung) beeinflusst war. Indes ist der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall hier dadurch gegeben, dass der Kläger der Gefahr, der er erlegen ist, infolge seiner durch die Tätigkeit bedingten Anwesenheit auf der Treppe und/oder der ebenfalls betrieblich bedingten Art seiner Fortbewegung (betriebliche Unterlagen in beiden Händen) ausgesetzt und ihm der Unfall ohne die versicherte Tätigkeit in seiner Art oder Schwere wahrscheinlich nicht zugestoßen wäre (s nur BSG SozR 2200 § 548 Nr 75 mwN, Treppensturz auf der Betriebsstätte). Dass Treppenstürze in der Regel schwerere Einwirkungen auf den Körper der stürzenden Person bewirken als Stürze zu ebener Erde, entspricht der Lebenserfahrung und bedarf daher keiner besonderen auf den Einzelfall bezogenen Feststellungen. Es stieße zudem auf wohl kaum überwindbare Schwierigkeiten festzustellen, welche Folgen ein Sturz des Klägers zu ebener Erde unter ansonsten gleichen Bedingungen wie der Treppensturz gehabt hätte bzw ob und wie sich die Folgen des Treppensturzes von denen eines Sturzes zu ebener Erde im allgemeinen sowie im besonderen unterscheiden.
Da das Revisionsgericht die genannten tatsächlichen Feststellungen über die näheren Umstände des Unfalls des Klägers selbst nicht treffen kann, ist die Rechtssache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1383824 |
NZA 2005, 1172 |